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Gericht: Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz
Urteil verkündet am 06.09.2005
Aktenzeichen: 5 Sa 230/05
Rechtsgebiete: ArbGG, BGB, ZPO, GewO


Vorschriften:

ArbGG § 69 Abs. 2
BGB § 133
BGB § 315
ZPO § 256 Abs. 1
GewO § 106
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Aktenzeichen: 5 Sa 230/05

Entscheidung vom 06.09.2005

Tenor:

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern - Auswärtige Kammern Pirmasens - vom 09.02.2005 - 4 Ca 771/04 - abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Es wird festgestellt, dass der Widerruf der Bestellung des Klägers zum Vorarbeiter gemäß Schreiben vom 16.08.2004 unwirksam ist.

2. Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten auferlegt.

3. Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf EUR 10.113,54 festgesetzt

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der am 26.08.1969 geborene Kläger ist seit dem 15.07.1997 in dem Betrieb der Beklagten in A-Stadt beschäftigt. Die Parteien haben den Arbeitsvertrag vom 11.10.1997 (Bl. 98 f. d. A.) abgeschlossen.

Mit dem Schreiben vom 13.01.1998 (- "Vertrags- und Lohnänderung"; Bl. 3 d. A.) teilte die Beklagte dem Kläger unter Bezugnahme auf dessen Einsatz "ab 01.01.1998 als Vorarbeiter im Bereich T - ZMW" die aus dem Schreiben ersichtliche Änderung der Entlohnung mit. Der Kläger wurde über den im Schreiben vom 13.01.1998 genannten Termin ("befristet bis 31.12.1998"; s. Bl. 3 d. A.) von der Beklagten als Vorarbeiter eingesetzt und entlohnt (vergleiche dazu auch das Schreiben der Beklagten vom 27.04.1998, Bl. 114 d. A.). Mit dem Schreiben vom 22.01.1999 (- "Vertrags- und Lohnänderung"; Bl. 115 d. A.) teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass sein Einsatz als Vorarbeiter unbefristet verlängert werde.

Am 04.07.2004 kam es um ca. 11:10 Uhr im Gebäude 6 des Betriebes (- Abfallmühle -) zu einer Auseinandersetzung des Klägers mit dem Mitarbeiter W. Sch. Der Kläger wurde von Sch. tätlich angegriffen und erlitt dabei eine Kieferprellung sowie eine HWS-Distorsion.

Nach näherer Maßgabe des Schreibens vom 16.08.2004 (- "Vertragsänderung/Lohnänderung, Änderung der Unterstellung" -; Bl. 6 d. A.) teilte die Beklagte dem Kläger unter Darlegung der geänderten Entlohnung ab dem 01.12.2004 mit, dass er mit Wirkung vom 01.09.2004 in die Abteilung Extrusion Profile/T-PG in den vollkontinuierlichen Schichtbetrieb übernommen werde - Vorgesetzter sei ab dem genannten Zeitpunkt fachlich und disziplinarisch Herr R. und Schichtführer sei Herr I..

Zur näheren Darstellung (insbesondere) des (erstinstanzlichen) Sach- und Streitstandes im Übrigen wird gem. § 69 Abs. 2 ArbGG Bezug genommen auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Kaiserslautern - Auswärtige Kammern Pirmasens - vom 09.02.2005 - 4 Ca 771/04 - (dort S. 3 f. = Bl. 45 f. d. A.). Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen.

Gegen das am 04.03.2005 zugestellte Urteil vom 09.02.2005 - 4 Ca 771/04 - hat der Kläger am 14.03.2005 Berufung eingelegt und diese am 30.05.2005 - innerhalb verlängerter Berufungsbegründungsfrist (s. dazu den Verlängerungsbeschluss vom 03.05.2005, Bl. 64 d. A.) - mit dem Schriftsatz vom 30.05.2005 begründet.

Zwecks Darstellung aller Einzelheiten der Berufungsbegründung wird auf den Schriftsatz vom 30.05.2005 (Bl. 65 ff. d. A.) verwiesen. Der Kläger macht dort insbesondere geltend, dass die vorliegende Fallgestaltung mit dem vom BAG am 10.11.1992 entschiedenen Fall (NZA 1993, 331 = DB 1993,1726; - 1 AZR 185/92 -) nicht vergleichbar sei. Der Kläger behauptet, dass seine Bestellung zum Vorarbeiter durch einzelvertragliche Vertragsabrede zwischen den Parteien vereinbart worden sei. Dazu führt der Kläger weiter aus. Unabhängig davon hält der Kläger seine Abberufung als Vorarbeiter für rechtsmissbräuchlich. Der Widerruf habe (jedenfalls) nicht grundlos erfolgen dürfen. Etwaige Widerrufsgründe hätte die Beklagte ihm, dem Kläger, rechtzeitig nennen müsse, - was nicht geschehen sei. Schließlich hält der Kläger die Maßnahme für betriebsverfassungswidrig.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Kaiserslautern - Auswärtige Kammern Pirmasens - vom 09.02.2005 - 4 Ca 771/04 - festzustellen, dass der Widerruf der Bestellung des Klägers zum Vorarbeiter gem. Schreiben vom 16.08.2004 unwirksam ist.

Hinsichtlich des Weiterbeschäftigungsantrages erklären die Parteien den Rechtsstreit übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt. Insoweit stellen sie wechselseitige Kostenanträge.

Im Übrigen beantragt die Beklagte,

die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das Urteil des Arbeitsgerichts nach näherer Maßgabe der Ausführungen in der Berufungsbeantwortung vom 01.07.2005 (Bl. 100 ff. d. A.), - worauf ebenso verwiesen wird, wie auf den Schriftsatz der Beklagten vom 09.08.2005 (Bl. 112 d. A.). Die Beklagte macht geltend, dass die Parteien über die Bestellung des Klägers zum Vorarbeiter keinen Vertrag geschlossen hätten. Der Widerruf der Bestellung zum Vorarbeiter unterliege dem Direktionsrecht des Arbeitgebers. Der Kläger hätte die Bestellung zum Vorarbeiter durchaus ablehnen können. Dann wäre er nicht zum Vorarbeiter bestellt worden. Hieraus könne man allerdings nicht den Schluss ziehen, dass dadurch, dass er Bereitschaft bekundet habe, eine Vertragsabrede zustande gekommen sei. Die Beklagte verweist auf den "Antrag auf Personalmaßnahme" vom 05.01.1998 (Bl. 107 d. A.) sowie auf die Unterrichtung des Betriebsrates gem. Schreiben vom 12.08.2004 nebst der Stellungnahme des Betriebsrates vom 13.08.2004 (Bl. 109 d. A.). Was den Grund für den Widerruf für die Vorarbeiterstellung anbelangt, verweist die Beklagte auf die Auseinandersetzung des Klägers mit dem Mitarbeiter Sch. sowie darauf, dass sie von ihren Schichtführern und Vorarbeitern erwarte, dass diese ihrer Personalverantwortung gerecht würden und dass sie sich ihrer Zuständigkeit für einen ordnungsgemäßen Betriebsablauf zu besinnen hätten. Eine Streiterei oder sogar eine Rangelei mit einem unterstellten Mitarbeiter müsse ausgeschlossen sein.

Zur näheren Darstellung des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf den weiteren Akteninhalt verwiesen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die Berufung ist an sich statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.

Die hiernach zulässige Berufung erweist sich als begründet.

II.

Die Berufung hat mit dem Feststellungsantrag Erfolg.

1. Der Feststellungsantrag des Klägers bezieht sich bei der gem. § 133 BGB gebotenen Auslegung auf ein (Teil-)Rechtsverhältnis im Sinne des § 256 Abs. 1 ZPO. Die Parteien streiten über das Bestehen einer konkreten Anspruchs- und Pflichtenbeziehung. Dem Kläger steht auch das nach dieserVorschrift weiter notwendige rechtliche Interesse zur Seite. Der Feststellungsantrag ist dahin auszulegen, dass der Kläger festgestellt wissen möchte, dass ihm die Funktion eines Vorarbeiters nicht wirksam entzogen worden ist. In dem - von beiden Parteien zitierten - Verfahren - 1 AZR 185/92 - hatte der dortige Kläger mit einem ähnlichen Antrag geklagt wie ihn der Kläger vorliegend für sein Feststellungsbegehren formuliert hat. In seinem Urteil vom 10.11.1992 - 1 AZR 185/92 - hat das Bundesarbeitsgericht den Feststellungsantrag nicht für unzulässig erachtet. Vielmehr hat der 1. Senat dort u.a. darauf abgestellt, ob die Ausübung des Widerrufsrechts sachgerecht erfolgte. Damit hat das BAG zugleich konkludent die Zulässigkeit eines Antrages der verfahrensgegenständlichen Art bejaht (vergleiche zur Frage der Zulässigkeit des Feststellungsbegehrens auch die Urteile des BAG - jeweils - vom 16.09.1998 - 5 AZR 183/97 - und - 5 AZR 181/97 -). Die Feststellungsklage ist geeignet, den Streit der Parteien insgesamt beizulegen. Die hiernach zulässige Feststellungsklage erweist sich als begründet.

2. a) Dabei kann dahingestellt bleiben, ob und inwieweit zwischen den Parteien die Bestellung des Klägers zum Vorarbeiter für die Zeit ab dem 01.01.1998 und über den 31.12.1998 hinaus Vertragsinhalt geworden ist. Das seinerzeitige Verhalten des Klägers sowie die Schreiben der Beklagten vom 13.01.1998 und vom 22.01.1999, die jeweils die Überschrift "Vertrags- und Lohnänderung" tragen, sprechen jedenfalls nicht gegen die Annahme einer entsprechenden Vertragsänderung. Der objektive Erklärungswert des rechtsgeschäftlich relevanten Verhaltens der Parteien könnte darauf hin deuten, dass die Übertragung der Vorarbeiterstellung - jedenfalls für die Zeit nach dem 31.12.1998 - einzelvertraglich widerrufsfest ausgestaltet war.

b) Die Klage erweist sich aber auch dann als begründet, wenn man davon ausgeht, dass der Widerruf der Bestellung zum Vorarbeiter grundsätzlich im Rahmen des Direktionsrechts der Beklagten gelegen hat. Stand der Widerruf im Direktionsrecht der Beklagten, so ist doch (weiter) zu berücksichtigen, dass der Arbeitgeber bei der Ausübung des Direktionsrechtes billiges Ermessen zu wahren hat (früher § 315 BGB; nunmehr § 106 GewO). Billigem Ermessen entspricht eine Leistungsbestimmung/Direktionsrechtsausübung der vorliegenden Art, wenn die wesentlichen Umstände des Falles abgewogen und die beiderseitigen Interessen angemessen berücksichtigt worden sind bzw. werden. Ob dies geschehen ist, unterliegt der gerichtlichen Kontrolle. Dabei hat letztlich die Partei, der das Recht zur Leistungsbestimmung/Direktionsrechtsausübung zusteht, darzulegen und zu beweisen, dass ihre Bestimmung gem. § 106 GewO billigem Ermessen bzw. der Billigkeit entspricht. Vorliegend hat die darlegungs- und beweispflichtige Beklagte nicht hinreichend dargetan, dass der Widerruf der Bestellung des Klägers zum Vorarbeiter billigem Ermessen entspricht. Zwar ist das Interesse der Beklagten daran, eine Streiterei oder gar eine Rangelei eines Vorarbeiters mit einem unterstellten Mitarbeiter auszuschließen, aus Gründen der betrieblichen Disziplin und Ordnung berechtigt.

Zu Recht verlangt die Beklagte von ihren Vorarbeitern auch, dass sie ihrer Personalverantwortung gerecht werden und sie sich ihrer Zuständigkeit für einen ordnungsgemäßen Betriebsablauf besinnen. Vorliegend lässt sich aber nicht feststellen, dass der Kläger seiner Personalverantwortung als Vorarbeiter und seiner Verantwortung für einen ordnungsgemäßen Betriebsablauf nicht gerecht geworden wäre. Insoweit hat der Kläger - bereits erstinstanzlich und im Berufungsverfahren - vorgetragen, dass er bei dem Vorfall vom 04.07.2004 einem tätlichen Angriff ausgesetzt gewesen sei, - aufgrund eines Fausthiebes des ihm unterstellten Mitarbeiters habe er eine Kieferprellung sowie eine HWS-Distorsion erlitten (Schriftsätze vom 27.01.2005, dort S. 2 - unten - = Bl. 24 d. A. und vom 30.05.2005, dort S. 4 - oben - = Bl. 68 d. A.). Mit ihrem in der Berufungsbeantwortung enthaltenen Vorbringen - entsprechendes gilt für das erstinstanzliche Vorbringen der Beklagten - hat die Beklagte die Behauptung des Klägers - er sei damals grundlos tätlich angegriffen und erheblich verletzt worden, nicht in rechtserheblicher Weise bestritten (§ 138 ZPO). War es aber so - wovon in tatsächlicher Hinsicht hiernach auszugehen ist -, dass der Kläger Opfer eines tätlichen Angriffes war, dann entspricht es nicht billigem Ermessen, dass die Beklagte diesen Vorfall vom 04.07.2004 zum Anlass nimmt, dem Kläger die - auch mit finanziellen Vorteilen verbundene - Funktion eines Vorarbeiters zu entziehen. Jedenfalls im Hinblick darauf musste dem Feststellungsbegehren des Klägers stattgegeben werden.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 91 Abs. 1 und 91a Abs. 1 ZPO. Die Parteien haben in der mündlichen Berufungsverhandlung den Rechtsstreit hinsichtlich des Leistungsantrages des Klägers (Weiterbeschäftigung als Vorarbeiter) übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt. Insoweit hatte das Gericht über die Kosten unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen zu entscheiden (§ 91a Abs. 1 ZPO). Im Übrigen - hinsichtlich des Feststellungsbegehrens - war auf § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO abzustellen. Beide Vorschriften führen hier zu einer entsprechenden Kostenlast der Beklagten. Zwar ist durch die dem Kläger nunmehr zum 31.10.2005 erklärte (Änderungs-)Kündigung eine erneute Unsicherheit in Bezug auf Inhalt bzw. Bestand des Arbeitsverhältnisses entstanden. Dieser Umstand wirkt sich hier kostenmäßig jedoch (zumindest) im Hinblick auf § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO nicht aus.

Den Streitwert hat die Berufungskammer für das Berufungsverfahren neu festgesetzt. Sie hat sich dabei zunächst an den diesbezüglichen Angaben des Klägers auf der S. 4 - aE - der Berufungsbegründung vom 30.05.2005 (= Bl. 68 d. A.) orientiert. In entsprechender Anwendung des § 42 Abs. 4 S. 1 HS 1 GKG war - zwecks Vermeidung eines Wertungswiderspruchs - der Streitwert jedoch auf den Betrag des für die Dauer eines Vierteljahrs zu leistenden Arbeitsentgelts zu begrenzen. Dies ist - ausgehend von den von der Beklagten nicht bestrittenen Angaben des Klägers - der im vorliegenden Berufungsurteil festgesetzte Wert von 10.113,54 EUR.

Die Zulassung der Revision war nicht veranlasst.

Aus diesem Grunde unterliegt das vorliegende Berufungsurteil derzeit nicht der Revision. Die Nichtzulassung der Revision durch das Landesarbeitsgericht kann von der Beklagten allerdings unter den Voraussetzungen des § 72a ArbGG und nach näherer Maßgabe dieser Vorschrift selbständig durch Beschwerde, die beim Bundesarbeitsgericht, Hugo-Preuss-Platz 1, 99084 Erfurt einzulegen ist, angefochten werden. Darauf wird die Beklagte hingewiesen.

Ende der Entscheidung

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