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Gericht: Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz
Urteil verkündet am 06.09.2005
Aktenzeichen: 5 Sa 397/05
Rechtsgebiete: LaufbVO, LBG, ArbGG, StGB, BGB, ZPO


Vorschriften:

LaufbVO § 56
LBG § 56
LBG § 56 Abs. 1
ArbGG § 69 Abs. 2
StGB § 193
BGB § 242
BGB § 1004
ZPO § 286 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Aktenzeichen: 5 Sa 397/05

Entscheidung vom 06.09.2005

Tenor:

1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 25.01.2005 - 5 Ca 1890/04 - wie folgt abgeändert:

Das beklagte Land wird verurteilt, die der Klägerin am 08.07.2004 erteilte Abmahnung aus der Personalakte (der Klägerin) zu entfernen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits werden dem beklagten Land auferlegt.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

4. Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf EUR 1.993,41 festgesetzt.

Tatbestand:

Mit dem Ausbildungsvertrag vom 11.10.2000 wurde die Klägerin von dem beklagten Land für die Zeit vom 16.10.2000 bis zum 15.04.2002 als Angestellte "zur Durchführung der 18-monatigen pädagogischen Ausbildung gem. § 56 LaufbVO" eingestellt. Gleichzeitig wurde der Arbeitsvertrag vom 20.09.1999, zuletzt geändert am 28.08.2000, mit Ablauf des 15.10.2000 aufgehoben. Auf die Anträge der Klägerin vom 27.11.2001 und vom 27.05.2002 wurde die pädagogische Ausbildung der Klägerin zunächst bis zum 31.07.2002 und dann bis zum 31.10.2002 verlängert. Aufgrund des Arbeitsvertrages vom 05.11.2002 (Bl. 27 f. d. A.) wurde die Klägerin "vorbehaltlich des amtsärztlichen Gesundheitszeugnisses und des polizeilichen Führungszeugnisses" ab dem 01.11.2002 als Lehrkraft im Teilzeitangestelltenverhältnis (18-Wochen-Stunden) im öffentlichen Schuldienst des Landes beschäftigt. Der Einsatz erfolgte an der Berufsbildenden Schule Wirtschaft, N.-Stadt ("L.-E.-S. "). Zu den Unterrichtsfächern der Klägerin gehörten "Textverarbeitung" und "Büropraxis".

Die Klägerin verletzte sich am 24.2.2003 im Bereich der linken Hand bzw. des linken Handgelenks.

Seit dem 28.03.2003 fehlte die Klägerin fortlaufend krankheitsbedingt.

Die Parteien streiten (u.a.) darüber, wie lange die Phase der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit der Klägerin angedauert hat.

Mit dem Schreiben vom 25.04.2003 (Bl. 154 d. Personalakte der Klägerin; folgend PA) hatte das Land die Klägerin aufgefordert, sich unverzüglich einer amtsärztlichen Untersuchung zu unterziehen. Mit dem Schreiben vom 06.05.2003 bat die E. T-Stadt (- folgend: ADD -) das Gesundheitsamt N.-Stadt um eine umfassende gutachterliche Stellungnahme; die Untersuchung sei erforderlich, weil geprüft werden solle, ob "dauernde Dienstunfähigkeit ( Arbeitsunfähigkeit ) im Sinne von § 56 Abs. 1 LBG" vorliege.

Mit dem Schreiben vom 18.11.2003 (Bl. 29 d. A.) informierte die L.-E.-S. N-Stadt die ADD über die seit dem 01.11.2002 angefallenen Fehlzeiten der Klägerin.

Aufgrund der am 14.08.2003 amtsärztlich und am 16.02.2004 fachärztlich (- durch Dr. A. F. Klinik für operative Orthopädie, B-Stadt-) durchgeführten Untersuchungen erstellte das Gesundheitsamt die Stellungnahme (folgend: Gutachten) vom 12.03.2004 (Bl. 34 f. d. A.). Das schriftliche Gutachten vom 12.03.2004 lag der ADD gegen Ende März 2004 vor. Mit dem Schreiben vom 17.03.2004 erklärte das Land der Klägerin die - später zurückgenommene - Kündigung zum 30.06.2004. Im Kündigungsschreiben vom 17.03.2004 heißt es u.a., dass "bis heute" die gesundheitliche Eignung der Klägerin nicht habe festgestellt werden können. Mit dem Schreiben vom 29.04.2004 übersandte die Klägerin der L.-E.-S. die ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung des Dr. W. (-Herz-Jesu Krankenhaus, D-Stadt, -) vom 29.04.2004 (= Folgebescheinigung; Bl. 39 d. A.). In der Rubrik "Voraussichtlich arbeitsunfähig bis einschließlich" dieser Bescheinigung heißt es dort "bis auf Weiteres". Eine ähnlich ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ("... voraussichtlich arbeitsunfähig bis ... auf Weiteres" -) hatte die Klägerin der Schule bereits im September 2003 vorgelegt (= Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung - Folgebescheinigung - vom 18.09.2003, Bl. 251 PA).

Mit dem Schreiben vom 04.05.2004 (Bl. 37 d. A.) wandte sich die ADD wie folgt an die Klägerin:

"[...] aufgrund des amtsärztlichen Gutachtens vom 12.03.2004 sind Sie arbeitsfähig und können die Tätigkeit als Lehrerin für Fachpraxis ausüben. Nach ständiger Rechtsprechung ist ein amtsärztliches Gutachten gegenüber einem privatärztlichen stets als vorrangig anzusehen. Ich fordere Sie daher auf, sofort die Arbeit an der Schule aufzunehmen [...]."

Mit dem Anwaltsschreiben vom 06.05.2004 (Bl. 41 d. A.) bat die Klägerin die ADD um Überlassung einer Abschrift des amtsärztlichen Gutachtens vom 12.03.2004 und teilte mit, dass sie nach wie vor arbeitsunfähig erkrankt sei. Daraufhin bat die ADD das Gesundheitsamt in Bezug auf die Arbeitsfähigkeit/Arbeitsunfähigkeit der Klägerin eine Nachuntersuchung/Zusatzbegutachtung vorzunehmen (Schreiben der ADD vom 10.05.2004, Bl. 341 PA).

Mit dem Schreiben vom 22.06.2004 (Bl. 43 d. A.) wies die ADD die Klägerin auf ihre Abmahnungsabsicht hin. Die Klägerin antwortete mit dem Schreiben vom 29.06.2004 (Bl. 373 PA) sowie mit dem Anwaltsschreiben vom 02.07.2004 (Bl. 374 PA; siehe dazu auch das weitere Schreiben der Klägerin vom 08.07.2004, Bl. 44 d. A.).

Mit dem Schreiben vom 08.07.2004 erteilte die ADD der Klägerin die Abmahnung, die Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens ist.

Zur näheren Darstellung (insbesondere) des (erstinstanzlichen) Sach- und Streitstandes im Übrigen wird gem. § 69 Abs. 2 ArbGG Bezug genommen auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts vom 25.01.2005 - 5 Ca 1890/04 - (dort S. 2 ff. = Bl. 67 ff. d. A.). Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen.

Die Klägerin hat gegen das ihr am 22.04.2005 zugestellte Urteil vom 25.01.2005 - 5 Ca 1890/04 - am 17.05.2005 Berufung eingelegt und diese mit dem Schriftsatz vom 11.05.2005 gleichzeitig am 17.05.2005 begründet.

Zwecks Darstellung aller Einzelheiten der Berufungsbegründung wird auf den Schriftsatz vom 11.05.2005 (Bl. 78 ff. d. A.) verwiesen.

Die Klägerin macht dort insbesondere geltend, dass es hier streitentscheidend darauf ankomme, inwiefern die Klägerin im Zeitpunkt der Erteilung der Abmahnung bzw. innerhalb des in der Abmahnung genannten Zeitraumes tatsächlich arbeitsfähig gewesen sei oder nicht. Den Beweis, dass die Klägerin tatsächlich arbeitsfähig gewesen sei, könne das beklagte Land nicht durch bloße Vorlage des amtsärztlichen Gutachtens erbringen. Die Klägerin wiederholt insoweit ihre erstinstanzlichen Beweisanträge dafür, dass sie arbeitsunfähig gewesen sei (Sachverständigengutachten; Zeugnis des Dr. med. B.). Die Klägerin weist (erneut) darauf hin, dass sie bei dem Zeugen Dr. B. mehrmals pro Woche durchgehend in Behandlung gewesen sei und dieser somit detaillierte Angaben zu ihrem Gesundheitszustand machen könne. Weiter rügt die Klägerin, dass sich das Arbeitsgericht mit den Einwendungen der Klägerin gegen den Untersuchungsbericht des Gesundheitsamtes N-Stadt nicht auseinander gesetzt habe. Ergänzend äußert sich die Klägerin in den Schriftsätzen vom 12.07.2005 (Bl. 138 f. d. A.), vom 19.07.2005 (Bl. 140 ff. d. A.), vom 15.08.2005 (Bl. 198 ff. d. A.) und vom 19.08.2005 (Bl. 212 f. d. A.). Hierauf wird ebenso verwiesen wie auf die ärztliche Bescheinigung des Dr. B. vom 01.07.2004 (Bl. 164 d. A.).

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 25.01.2005 - 5 Ca 1890/04 - abzuändern und das beklagte Land zu verurteilen, die der Klägerin am 08.07.2004 erteilte Abmahnung aus der Personalakte zu entfernen.

Das beklagte Land beantragt,

die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

Das beklagte Land verteidigt das Urteil des Arbeitsgerichts nach näherer Maßgabe seiner Ausführungen in der Berufungsbeantwortung vom 16.06.2005 (Bl. 124 ff. d. A.). Hierauf wird verwiesen. Das Land macht dort insbesondere geltend, dass die Klägerin am 06.05.2004 und danach arbeitsfähig gewesen sei. Die Arbeitsfähigkeit der Klägerin sei im Übrigen nochmals durch die Stellungnahme des Gesundheitsamtes N-Stadt vom 09.08.2004 bestätigt worden. Die Annahme der Klägerin, der Untersuchungsbericht des Gesundheitsamtes sei nicht ordnungsgemäß zustande gekommen, sei unzutreffend. Ein Langzeit-EKG mit einer Dauer von zumindest 24 Stunden sei für die Untersuchungen der Klägerin und zur Abgabe einer Stellungnahme zu deren Gesundheitszustand nicht erforderlich (Beweis: Einholung eines Sachverständigengutachtens; Zeugnis der Dr. H.). Weiterhin sei unzutreffend, das innerhalb des Untersuchungszeitraumes beim Gesundheitsamt N-Stadt, dem Klinikum B-Stadt und der Uniklinik M. keine aussagekräftigen Ergebnisse zum Gesundheitszustand der Klägerin hätten ermittelt werden können. Ergänzend äußert sich das Land in den Schriftsätzen vom 12.07.2005 (Bl. 135 f. d. A.), vom 25.07.2005 (Bl. 144 ff. d. A.), vom 24.08.2005 (Bl. 214 ff. d. A.), worauf jeweils verwiesen wird.

Zur näheren Darstellung des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf den Akteninhalt, insbesondere auch auf die Sitzungsniederschrift vom 06.09.2005 - 5 Sa 397/05 - (Bl. 230 ff. d. A.) Bezug genommen.

Die Berufungskammer hat Beweis erhoben durch schriftliche Vernehmung der sachverständigen Zeugen Dr. med. H. und Dr. med. B. gemäß Beweisbeschluss vom 26.07.2005 - 5 Sa 397/05 - (Bl. 155 f. d. A.). Die schriftlichen Zeugenaussagen befinden sich in Bl. 167 ff. d. A. (= Aussage der Zeugin Dr. H.) und in Bl. 178 ff., 181 und 219 ff. d. A. (=Aussage des Zeugen Dr. B.). Hierauf wird zwecks Darstellung des Inhalts der Beweisaufnahme Bezug genommen. Die Personalakte der Klägerin (= drei Bände) war zu Informationszwecken beigezogen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die Berufung ist an sich statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Die hiernach zulässige Berufung erweist sich als begründet.

II.

Die Klage ist begründet. Das beklagte Land ist verpflichtet, die Abmahnung vom 08.07.2004 aus der Personalakte der Klägerin zu entfernen.

1.

Die Klage erweist sich nicht etwa bereits deswegen als unbegründet, weil es sich bei der Abmahnung um eine in Wahrnehmung berechtigter Interessen gemachte Vorhaltung bzw. Rüge im Sinne des § 193 StGB handeln würde und sich das beklagte Land insoweit auf Art. 5 Abs. 1 GG berufen kann. Zwar ist (auch) das Recht des Arbeitgebers zur freien Meinungsäußerung über seinen Arbeitnehmer verfassungsrechtlich abgesichert. Dieses Recht des Arbeitgebers findet nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (- Urteile vom 27.11.1985 - 5 AZR 101/84 - und vom 12.06.1986 - 6 AZR 5559/84 -) seine Schranken jedoch an der geschützten Rechtssphäre des Arbeitnehmers. Insoweit ist es anerkanntes Recht, dass der Arbeitgeber das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers in Bezug auf Ansehen, soziale Geltung und berufliches Fortkommen zu beachten hat. Unter Zugrundelegung der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgericht wird das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers durch unzutreffende und/oder (zu Unrecht) abwertende Äußerungen des Arbeitgebers im Rahmen einer Abmahnung behindert, soweit dadurch sein berufliches Fortkommen berührt wird (- vgl. BAG-Urteil vom 12.06.1986 - 6 AZR 559/84 - unter Ziffer I. 2.; insoweit in NZA 1986, 153 nicht veröffentlicht -). Vorliegend ist ein objektiv rechtswidriger Eingriff des Landes in das Persönlichkeitsrecht der Klägerin gegeben. Die tatbestandlichen Voraussetzungen eines entsprechenden - vom Bundesarbeitsgericht aus den §§ 242 und 1004 BGB abgeleiteten - Entfernungsanspruches sind erfüllt.

2.

Das beklagte Land wirft der Klägerin nach näherer Maßgabe der in der Abmahnung vom 08.07.2004 enthaltenen Ausführungen vor, der Arbeit trotz bestehender Arbeitsfähigkeit fern geblieben zu sein. Die Tatsachenbehauptung - "anhaltende Arbeitsfähigkeit im Anschluss an die Arbeitsaufforderung vom 04.05.2004 bis zum 08.07.2004" ist unzutreffend. Nach durchgeführter Beweisaufnahme steht nicht fest, dass die Klägerin in dem genannten Zeitraum tatsächlich durchgehend arbeitsfähig gewesen ist. In Abmahnungsstreitigkeiten der vorliegenden Art ist die Darlegungslast abgestuft verteilt. Die Beweislast für die Berechtigung der Abmahnung obliegt letztlich dem die Abmahnung aussprechenden Arbeitgeber, - hier also dem beklagten Land. Aus einer - wie hier während des verfahrensgegenständlichen Zeitraumes unstreitig gegebenen - Arbeitsversäumnis kann nicht schon ohne weiteres auf eine Arbeitspflichtverletzung des Arbeitnehmers geschlossen werden, - denn im Vertragsrecht indiziert ein bestimmter Sachverhalt, der den objektiven Voraussetzungen für eine Vertragsverletzung entspricht, nicht zugleich ein rechts- bzw. vertragswidriges Verhalten. Vielmehr muss die Rechtswidrigkeit eines beanstandeten Verhaltens besonders begründet werden, - weshalb der Arbeitgeber gegebenenfalls auch die Tatsachen beweisen muss, die einen Rechtfertigungsgrund für das Verhalten des Arbeitnehmers ausschließen. Dies ist nach näherer Maßgabe der höchstrichterlichen Rechtsprechung anerkanntes Recht. Die Klägerin hat hier den Vorwurf des beklagten Landes, vertragswidrig nicht zur Arbeit erschienen zu sein, bereits im erstinstanzlichen Schriftsatz vom 10.11.2004 (dort Seite 4 f. = Bl. 59 f. d. A.), - zumindest aber im Berufungsverfahren - hier insbesondere in der Berufungsbegründung vom 16.11.2004 (dort S. 4 f. = Bl. 89 f. d. A.) - substantiiert bestritten. Dort hat sie im Einzelnen vorgetragen, aus welchen Gründen sie arbeitsunfähig gewesen sei. Aus diesem Grunde oblag es nunmehr dem Arbeitgeber, also dem beklagten Land, darzulegen und zu beweisen, dass die Klägerin während des genannten Zeitraumes vor Ausspruch der Abmahnung in Wirklichkeit doch durchgehend arbeitsfähig gewesen sei. Dieser Beweis ist dem darlegungs- und beweispflichtigen Land nicht gelungen.

Insoweit ergibt sich aus der - in Bl. 168 bis 171 d. A. befindlichen Aussage der sachverständigen Zeugin Dr. H. dass die Klägerin im entscheidungserheblichen Zeitraum (jedenfalls) an folgenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen/Krankheiten litt:

- essentielle, arterielle Hypertonie, WHO Grad II und

- exogene Adipositas (BMI 40.2 - Body Mass Index -).

Die Feststellung der Hypertonie (Bluthochdruck) deckt sich mit der Angabe der RR-Bluthochdruckwerten wie sie in dem Auszug (Bl. 181 d. A) festgehalten sind, den der sachverständige Zeuge Dr. B. seiner Aussage vom 11.08.2005 als Anlage beigefügt hat. So heißt es dort u.a. für

- den 06.05.2004: RR 165/100

- den 24.05.2004: RR 180/95

- den 23.06.2004: RR 170/100

- den 28.06.2004: RR 184/100.

Bei dem Datum 24.05.2004 findet sich zudem die Eintragung "[...] soll Tabletten gegen Hochdruck vorübergehend erhöhen [...]"

Von der exogenen Adipositas (Übergewicht/Fettsucht) ist die Zeugin Dr. H. ebenfalls zu Recht ausgegangen. Die 160 cm große Klägerin wiegt - wie sie im Berufungsverhandlungstermin der Sache - 5 Sa 408/05 - angegeben hat - 99 kg.

Es ist gerichtsbekannt, dass ein Bluthochdruck, wie er von den Zeugen Dr. H. und Dr. B. festgestellt worden ist, einen (erheblichen) Risikofaktor für die Gesundheit/Arbeitsfähigkeit darstellt. Ebenso ist es gerichtsbekannt, dass ein derartiger Bluthochdruck besonders riskant ist, wenn er mit anderen Faktoren - insbesondere wie im Falle der Klägerin mit deutlichem Übergewicht - kombiniert ist. In diesem Zusammenhang ist zunächst für den 01.07.2004 auf die Eintragungen in der Anlage des Zeugen Dr. B. (Bl. 181 d. A.) zu verweisen, wo es beim Befund heißt: "gebrochen und Durchfall" und bei der Diagnose "Gastroenteritis".

Zwar heißt es auf der Seite unter der Ziffer 10. der Aussage der Zeugin Dr. H., dass die arterielle Hypertonie medikamentös gut eingestellt gewesen sei. Erwähnt wird jedoch auch eine hypertensive Entgleisung unter besonderen Bedingungen. Mit Rücksicht darauf, dass der Zeuge Dr. B. (in seiner Aussage vom 11.08.2005) bestätigt hat, dass die Klägerin vom 21.03.2003 bis zum 27.07.2004 durchgehend arbeitsunfähig erkrankt gewesen sei, hat die Berufungskammer nicht die gemäß § 286 Abs. 1 ZPO notwendige Überzeugung gewinnen können, die Klägerin sei in der Zeit von Anfang Mai 2004 bis zum 08.07.2004 durchgehend arbeitsfähig gewesen. Eine diesbezügliche Feststellung - Feststellung einer durchgehenden von keiner vorübergehenden Arbeitsunfähigkeit unterbrochenen Arbeitsfähigkeit - lässt sich (auch) auf die Aussage der Zeugin Dr. H. nicht stützen. Die Zeugin führt auf S. 5 ihrer schriftlichen Aussage aus, dass eine vorübergehende Arbeitsunfähigkeit "bei dieser Grunderkrankung und den hier vorliegenden Risikofaktoren (erhebliches Übergewicht, schlechter körperlicher Trainingszustand)" nicht auszuschließen sei. Aus Sicht der Zeugin ist es absehbar, dass die Ausübung der Tätigkeit als Fachlehrerin für Bürowirtschaft und Textverarbeitung sich negativ auf die Gesundheit der Klägerin auswirke, - "eine Arbeitsunfähigkeit dann nicht mehr auszuschließen wäre". Zwar seien die durchgeführten Untersuchungen, - damit meint die Zeugin die Herzkathederuntersuchung vom 19.01.2004 in Bundeswehrzentralkrankenhaus und die Langzeitblutdruckmessung vom 29./30.07.2004 - ohne krankhaften Befund gewesen. Die zu den genannten Zeitpunkten (19.01.2004 und 29./30.07.2004) getroffenen Feststellungen schließen bei der gebotenen Mitberücksichtigung der Aussage des Zeugen Dr. B. es jedoch nicht aus, dass die Klägerin eben im Zeitraum von Anfang Mai 2004 bis zum 08.07.2004 doch vorübergehend in Folge Krankheit arbeitsunfähig gewesen ist. Der in der Abmahnung enthaltene Vorwurf erweist sich bereits dann als nicht gerechtfertigt, wenn die Klägerin nur an einem der in dem vorgenannten Zeitraum liegenden Arbeitstage vorübergehend arbeitsunfähig gewesen ist. Insoweit enthält die Aufstellung des Zeugen Dr. B. (Bl. 181 d. A.) aber Eintragungen für eine bestehende Arbeitsunfähigkeit ("a.u.") ausdrücklich für

- den 06.05.2004,

- den 24.05.2004,

- den 08.06.2004,

- den 23.06.2004,

- 01.07.2004 und

- 06.07.2004.

Die persönliche Einvernahme der Zeugen sowie die Einholung eines Sachverständigengutachtens war entbehrlich, weil die sachverständigen Zeugen Dr. H. und Dr. B. die anstehenden medizinischen Fragen, die Gegenstand ihrer persönlichen Zeugenvernehmung und eines Sachverständigen-Gutachtens hätten sein können, bereits ausreichend geklärt haben.

Bei dem Zeugen Dr. B. handelt es sich um einen Facharzt für Allgemeinmedizin, der in Deutschland niedergelassen ist. Aus diesem Grunde ist davon auszugehen, - und dies wird durch den Gesamtzusammenhang seiner Aussage vom 11.08.2005 belegt -, dass ihm, genauso wie der Zeugin Dr. H., die Definition des Begriffs "arbeitsunfähig infolge Krankheit" - also auch der Unterschied zwischen Arbeitsunfähigkeit und Krankheit - geläufig ist. Ausreichende Anhaltspunkte für die Annahme, der Zeuge Dr. B. könnte der Klägerin mit seiner Aussage vom 11.08.2005 ein "Gefälligkeitsattest" erstellt haben, gibt der Sachverhalt nicht. Allein der Umstand, dass die Klägerin bei Dr. B. in ärztlicher Behandlung ist bzw. gewesen ist, reicht insoweit nicht aus.

cc) Festzuhalten ist noch, dass vom Bestand einer durchgehenden Arbeitsfähigkeit in der Zeit von Anfang Mai 2004 bis zum 08.07.2004 nicht etwa bereits im Hinblick auf das amtsärztliche Gutachten vom 12.03.2004 auszugehen ist. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die Annahme zutrifft, der Beweiswert eines ärztlichen Befundes, der von einem Amtsarzt erstellt ist, übertreffe immer den, der einer privatärztlichen Bescheinigung beizulegen sei. Unterstellt man diese Ansicht grundsätzlich als richtig, so ist doch jeweils Bedacht auf den Zeitpunkt der amtsärztlichen Feststellung zu nehmen sowie auf den Zweck, dem das amtsärztliche Gutachten zu dienen bestimmt ist. Insoweit ging es der ADD, als sie mit dem Schreiben vom 06.05.2003 dem Gesundheitsamt den Untersuchungs- bzw. Gutachtenauftrag erteilte, doch primär darum zu prüfen, ob dauernde Dienstunfähigkeit (Arbeitsunfähigkeit) bei der Klägerin im Sinne des § 56 Abs. 1 LBG vorlag oder nicht. Die Untersuchung sollte erkennbar die Entscheidungsgrundlage für die anstehende Übernahme (- oder Nichtübernahme -) der Klägerin in das Beamtenverhältnis sein. Die in § 56 LBG geregelte Dienstunfähigkeit ist gegeben, wenn der Beamte wegen seines körperlichen Zustands oder aus gesundheitlichen Gründen zur Erfüllung seiner Dienstpflichten dauernd unfähig (= dienstunfähig) ist. An diesem Gutachtenauftrag orientierten sich die dann vom Gesundheitsamt durchgeführten bzw. veranlassten Untersuchungen. Demgemäß hatten die am 14.08.2003 amtsärztlich und am 16.02.2004 fachärztlich durchgeführten Untersuchungen, die Grundlage des Gutachtens vom 12.03.2004 sind, keineswegs die Klärung der Frage zum Gegenstand, ob die Klägerin zu bestimmten Zeiträumen im Frühjahr/Sommer 2004 - insbesondere in der Zeit vom 06.05.2004 bis zum 08.07.2004 - vorübergehend - infolge Krankheit arbeitsunfähig sein würde oder nicht. Deswegen kann mit dem amtsärztlichen Gutachten vom 12.03.2004 das Vorliegen einer durchgehenden Arbeitsfähigkeit der Klägerin im verfahrensgegenständlichen Zeitraum auch dann nicht bewiesen werden, wenn man an sich davon auszugehen hätte, dass der Beweiswert eines ärztlichen Befundes, der von einem Amtsarzt erstellt ist, den übertrifft, der einer privatärztlichen Bescheinigung beizulegen ist. Durch das Gutachten vom 12.03.2004 ist die Arbeitsfähigkeit der Klägerin für die Zukunft nicht ein für allemal "festgeschrieben" worden. Das Gutachten vom 12.03.2004 schließt eine vorübergehende Arbeitsunfähigkeit der Klägerin für spätere bzw. zukünftige Zeiträume keineswegs aus.

Steht - wovon hiernach auszugehen ist - nicht fest, dass die Klägerin im fraglichen Zeitraum von Anfang Mai 2004 bis zum 08.07.2004 (uneingeschränkt und) durchgehend arbeitsfähig gewesen ist, erweist sich der in der Abmahnung enthaltene Vorwurf, die Klägerin sei trotz bestehender Arbeitsfähigkeit der Arbeit fern geblieben, als unzutreffend. Aus diesem Grunde ist die Abmahnung aus der Personalakte der Klägerin zu entfernen.

Da sich die Klage bereits deswegen als begründet erweist, kann dahingestellt bleiben, ob das Land den - auch im Rahmen von Abmahnungen zu beachtenden - Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügend beachtet hat. Insoweit könnte unter Umständen zu bedenken sein, dass vor dem Ausspruch einer Abmahnung vorrangig der Wiedereingliederungsplan vom 22.08./12.09./17.09.2003 (Bl. 247, 278 PA) hätte umgesetzt werden müssen.

III.

Die Kosten des Rechtsstreites waren gemäß 91 Abs. 1 ZPO dem beklagten Land aufzuerlegen. Der Streitwert wurde gemäß § 63 Abs. 2 GKG festgesetzt.

Die Zulassung der Revision ist nicht veranlasst. Das vorliegende Berufungsurteil ist deswegen derzeit mit der Revision nicht anfechtbar. Die Nichtzulassung der Revision durch das Landesarbeitsgericht kann von dem beklagten Land unter den Voraussetzungen des § 72 a ArbGG und nach näherer Maßgabe dieser Vorschrift selbständig durch Beschwerde, die beim Bundesarbeitsgericht, Hugo-Preuss-Platz 1, 99084 Erfurt, einzulegen ist, angefochten werden. Darauf wird das beklagte Land hingewiesen.

Ende der Entscheidung

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