Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz
Urteil verkündet am 12.08.2008
Aktenzeichen: 5 Sa 702/07
Rechtsgebiete: TVÜ-Länder, BAT, ArbGG, ZPO


Vorschriften:

TVÜ-Länder § 5
TVÜ-Länder § 5 Abs. 1
TVÜ-Länder § 5 Abs. 2 Satz 1
TVÜ-Länder § 11
TVÜ-Länder § 11 Abs. 2
BAT § 29 B Abs. 1
BAT § 29 B Abs. 3
ArbGG § 64 Abs. 1
ArbGG § 64 Abs. 2
ArbGG § 64 Abs. 6
ArbGG § 66 Abs. 1
ZPO § 518
ZPO § 519
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

1. Auf die Berufung des beklagten Landes wird das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern vom 17.10.2007 - 8 Ca 851/07 - aufgehoben. 2. Die Klage wird abgewiesen. 3. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen. 4. Die Revision wird zugelassen. Tatbestand:

Die Parteien des vorliegenden Rechtsstreits streiten darüber, ob nach der erfolgten einvernehmlichen Überleitung des Arbeitsverhältnisses unter die Anwendung des TV-L zum 01.11.2006 dem Kläger ab dem 01.01.2007 wiederum der sogenannte ehemalige familienbezogene Bestandteil des Ortszuschlages unter Berücksichtigung seines Sohnes in Höhe von monatlich weiteren 106,90 € von der Beklagten zu gewähren ist. Der Kläger ist als Verwaltungsangestellter bei der A., A-Stadt und damit im Dienste der A. tätig. Am 31.10.2006 war der Kläger eingruppiert in der Vergütungsgruppe V b Fallgruppe 1 c (nach Aufstieg aus V c). Am 01.11.2006 wurde der Kläger, was von ihm nicht beanstandet wird, der Entgeltgruppe 9 zugeordnet; ihm wird seither familienbezogen ein Ortszuschlag Stufe 1 in Höhe von 502,36 € gezahlt. Bis zum 31.03.2006 erhielt der Kläger einen familienbezogenen Ortszuschlag Stufe 2 in Höhe von 609,26 €. Hintergrund der Berücksichtigung von Stufe 2 war, dass er eine andere Person - seinen Sohn - in seinen Haushalt aufgenommen hatte und ihm Unterhalt gewährt hat. Folglich wurde er einem Verheirateten gleichgestellt. Dieser Sohn leistete sodann vom 01.04.2006 bis zum 31.12.2006 seinen Grundwehrdienst ab. Deshalb erhielt der Kläger ab dem 01.04.2006 nur noch einen familienbezogenen Ortszuschlag Stufe 1 in Höhe von 502,36 €. Daran soll sich nach Auffassung der Beklagten auch ab dem 01.01.2007 nichts ändern, weil die maßgebliche tarifliche Regelung insoweit strikt auf den Stichtag 31.10.2006 bzw. die Vergütung im Monat Oktober 2006 abstelle. Der Umstand, dass der Sohn den Wehrdienst am 31.12.2006 beendet hat, soll sich wegen der Stichtagsregelung in § 5 TVÜ-Länder nicht mehr im Hinblick auf die Höhe des zu zahlenden familienbezogenen Ortszuschlages und dessen Stufe auswirken. Dagegen wendet sich der Kläger mit der von ihm am 18.06.2007 erhobenen Klage. Der Kläger hat vorgetragen,

die Neuberechnung des Ortszuschlages gemäß § 29 B Abs. 1 BAT treffe hinsichtlich der ihm gewährten Stufe 1 zwar bis zum 31.12.2006 zu, für die Zeit danach aber nicht. Denn ab dem 01.01.2007 sei er - unstreitig - wieder hinsichtlich seines Sohnes kindergeldberechtigt. Etwas anderes lasse sich den maßgeblichen Vorschriften des TVÜ-Länder nicht entnehmen, dies zeige bereits § 11 Abs. 2 TVÜ-Länder. Dort sei die Behandlung des kinderbezogenen Teiles des Ortszuschlages in seinem Sinne geregelt, der auch - was unstreitig ist - von dem A. seit dem 01.01.2007 in Höhe von 90,57 € brutto gezahlt wird. Sollte sich aus den tariflichen Regelungen, insbesondere § 5 TVÜ-Länder, bezogen auf den familienbezogenen Teil des Ortszuschlages etwas anderes ergeben, sei dies insbesondere mit Artikel 3 Abs. 1 GG unvereinbar. Er werde im Hinblick auf alleinerziehende Elternteile, die Töchter hätten, die nicht zum Grundwehrdienst herangezogen werden, ohne sachlichen Grund ungleich behandelt und benachteiligt. Der Kläger hat beantragt,

festzustellen, dass im Rahmen der Besitzstandszulage ab 01.01.2007 bis zum Ablauf des Kindergeldbezuges des Klägers für den Sohn M. die Vergleichsberechnung mit dem Ortszuschlag Stufe 3 vorzunehmen ist. Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen. Der Beklagte hat vorgetragen,

Stichtage seien ein zulässiges und nicht gleichheitswidriges, sachlich gerechtfertigtes Mittel, um den Inhalt von Arbeitsverhältnissen zu gestalten. Zum Zeitpunkt des maßgeblichen Stichtages 31.10.2006 habe der Kläger - was unstreitig ist - kein Kindergeld für seinen Sohn M. bezogen. Das Arbeitsgericht Kaiserslautern hat daraufhin durch Urteil vom 17.10.2007 festgestellt, dass im Rahmen der Besitzstandszulage ab 01.01.2007 bis zum Ablauf des Kindergeldbezuges des Klägers für seinen Sohn M. die Vergleichsberechnung mit dem Ortszuschlag Stufe 3 vorzunehmen ist. Hinsichtlich des Inhalts von Tatbestand und Entscheidungsgründen wird auf Blatt 43 bis 46 der Akte Bezug genommen. Gegen das ihm am 23.10.2007 zugestellte Urteil hat der Beklagte durch am 02.11.2007 beim Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt. Er hat die Berufung durch am 20.12.2007 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz begründet. Der Beklagte wiederholt sein erstinstanzliches Vorbringen und hebt insbesondere hervor, maßgeblich sei vorliegend auf § 5 TVÜ-Länder abzustellen. Danach werde das Vergleichsentgelt auf der Grundlage der Bezüge gebildet, die dem Beschäftigten im Oktober 2006 zugestanden hätten. Da an den Kläger im Oktober wegen der Wehrdienstleistung kein Kindergeld gezahlt worden sei, seien die Voraussetzungen für einen Ortszuschlag der Stufe 3 gemäß § 29 B Abs. 3 BAT nicht gegeben gewesen und deshalb sei entgegen der arbeitsgerichtlichen Entscheidung auch keine Vergleichsberechnung mit dem Ortszuschlag Stufe 3 vorzunehmen. Die Tarifvertragsparteien hätten bei der Berechnung des Vergleichsentgelts gemäß § 5 TVÜ-Länder bewusst auf den Stichtag 31.10.2006 abgestellt, insbesondere auch was die Höhe des zu berücksichtigenden familienbezogenen Ortszuschlags betreffe. Diese für alle Mitarbeiter gleichgeltende Regelung verstoße nicht gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz. Gerade bei tarifrechtlichen Regelungen seien derartige Stichtagsregelungen durchaus üblich und ihre bewusst in Kauf genommenen Rechtsfolgen seien auch nicht aus verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten zu kritisieren und anzugreifen. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus § 11 TVÜ-Länder, denn dort gehe es allein um den sogenannten kinderbezogenen Anteil bezüglich der Besitzstandszulage. Im Hinblick auf die Tatsache, dass in der Regel während der Ableistung der Wehrpflicht neben dem geringen Sold auch die Unterkunft und Verpflegung des Wehrpflichtigen durch den Staat erfolge, sei es gerechtfertigt, dass dieser Sachverhalt anders beurteilt werde als der Fall, dass der Sohn oder die Tochter ein Studium aufnehme. Die finanzielle Belastung sei in beiden Fällen erheblich unterschiedlich. Von daher sei auch eine unterschiedliche Behandlung hinsichtlich der Berechnung des Ortszuschlages gerechtfertigt. Bei der Berechnung des Vergleichsentgelts nach § 5 TVÜ-Länder bleibe es auch nach der Beendigung des Wehrdienstes, eben weil es sich um einen genau bestimmten Stichtag handele, der für die Dauer auf die Berechnung des Vergleichsentgelts maßgeblich sei. Der Beklagte beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Kaiserslautern - 8 Ca 851/07 - vom 17.10.2007 die Klage abzuweisen. Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen. Der Kläger verteidigt die angefochtene Entscheidung unter Wiederholung seines erstinstanzlichen Vorbringens und hebt insbesondere hervor, aufgrund der Ableistung des Wehrdienstes des Sohnes des Klägers sei eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung insbesondere im Verhältnis zu Alleinerziehenden mit Töchtern gegeben. Wenn schon § 5 TVÜ-Länder so, wie vom Beklagten gemeint, auszulegen sei, dann würden durch eine derartige Rechtsanwendung willkürlich nur die Alleinerziehenden benachteiligt werden, deren Kinder einer staatlichen Zwangsmaßnahme in Form des Zivil- und Grundwehrdienstes unterlägen. Es sei zudem willkürlich, für den kinderbezogenen Anteil eine Übergangsregelung zu schaffen und den familienbezogenen Anteil nicht zu regeln. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der Schriftsätze der Parteien, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, sowie die zu den Akten gereichten Schriftstücke verwiesen. Schließlich wird Bezug genommen auf das Sitzungsprotokoll vom 12.08.2008. Entscheidungsgründe:

I. Das Rechtsmittel der Berufung ist nach §§ 64 Abs. 1, 2 ArbGG statthaft. Die Berufung ist auch gem. §§ 64 Abs. 6, 66 Abs. 1 ArbGG in Verbindung mit §§ 518, 519 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. II. Das Rechtsmittel der Berufung hat auch in der Sache Erfolg. Denn die Kammer hält zwar die vorliegend maßgebliche tarifliche Regelung des § 5 TVÜ-Länder für verfassungswidrig, weil mit Art. 3 Abs. 1 GG nicht vereinbar. Insbesondere aufgrund der überragenden Bedeutung der Tarifautonomie (Art. 9 Abs. 3 GG) ist es der Kammer aber verwehrt, die damit gegebene verfassungswidrige Ungleichbehandlung zu "heilen", weil es Sache der Tarifvertragsparteien ist, für eine verfassungsmäßige Regelung im Rahmen ihrer grundgesetzlich geschützten Entscheidungsfreiheit zu sorgen. Das Arbeitsverhältnis unterfällt dem Regelungswerk des TV-L und des TVÜ-Länder; darüber besteht zwischen den Parteien Einvernehmen. Hinsichtlich der mit dem Klageantrag geltend gemachten Vergleichsberechnung bezogen auf den familienbezogenen Ortszuschlag Stufe 3 ist die Klage schon deshalb unbegründet, weil es insoweit an einer Anspruchsgrundlage fehlt. Denn § 5 Abs. 1 TVÜ-Länder sieht die Bildung eines Vergleichsentgelts auf der Grundlage der Bezüge, die dem Arbeitnehmer im Oktober 2006 zustehen, nach den Absätzen 2 bis 6 vor. Nach § 5 Abs. 2 Satz 1 TVÜ-Länder setzt sich das Vergleichsentgelt aus Grundvergütung allgemeiner Zulage und Ortszuschlag der Stufe 1 oder 2 zusammen. Abs. 2 TVÜ-Länder gilt für Beschäftigte aus dem Geltungsbereich des BAT - BAT - O. Der Kläger wurde zuvor unstreitig nach BAT vergütet. Anhaltspunkte dafür, dass der Umstand, dass der frühere Ortszuschlag der Stufe 3 in § 5 Abs. 2 Satz 1 TVÜ-L nicht vorgesehen ist, zur Rechts- oder Verfassungswidrigkeit führen könnten, bestehen nicht. Insofern ist es nicht zu beanstanden, wenn die Tarifvertragsparteien sich bei der Bildung des Vergleichsentgelts auf die Stufen 1 oder 2 beschränkt haben. Dem entspricht auch der Sachvortrag des Klägers, der insbesondere der Gegenüberstellung seiner Bezüge nach BAT und der nach dem TV-L (Bl. 97, 98 d. A.) nicht widersprochen hat. Dort ergibt sich die geltend gemachte Differenz der Höhe nach gerade aus dem Vergleich des Ortszuschlages Stufe 2 mit dem zuletzt bezahlten Ortszuschlag Stufe 1. Die von den Tarifvertragsparteien durch § 5 TVÜ-Länder vorgenommene Gruppenbildung ist hinsichtlich der Gruppe der alleinerziehenden Elternteile mit Söhnen, die am Stichtag ihren Wehrdienst ableisten, mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar. Die tarifliche Regelung führt dazu, dass der Kläger auf Dauer einen familienbezogenen Ortszuschlag nach Maßgabe der Stufe 1 erhält, obwohl sein Sohn bereits zwei Monate später seinen Wehrdienst abgeleistet hatte und er ab 01.01.2007 wieder kindergeldberechtigt war. Dies bedeutet eine sachlich nicht zu rechtfertigende Schlechterstellung verglichen mit der Gruppe der alleinerziehenden Eltern mit Töchtern, die nicht zum Wehrdienst einberufen werden, aber auch mit Söhnen, die z. B. aus gesundheitlichen Gründen oder aufgrund fehlenden Bedarfs nicht eingezogen werden. Nichts anderes gilt für die Gruppe der alleinerziehenden Eltern, deren Söhne nach dem Stichtag einberufen werden; sie erhalten auf Dauer die günstigere Stufe des Ortszuschlages 2. Zwar hat der Beklagte zu Recht darauf hingewiesen, dass Stichtagsregelungen nicht ungewöhnlich sind; dies gilt bei der Überleitung von Tarifverträgen ebenso wie im Betriebsverfassungsrecht, z. B. bei der Erstellung von Sozialplänen. Vorliegend besteht aber die Besonderheit, dass die Tarifvertragsparteien selbst durch § 11 TVÜ-L bei den sogenannten kinderbezogenen Entgeltbestandteilen eine Regelung vorgesehen haben, die den kinderbezogenen Ortszuschlag auf die Zeiten beschränkt, in denen tatsächlich Kindergeld gewährt wird, sie aber auch nur für die Zeiten ausschließt, für die kein Kindergeldanspruch besteht, also z. B. im Falle der Ableistung von Wehrdienst. Es ist nicht nachvollziehbar, warum insoweit mit entsprechenden nachteiligen Folgen für eine Vielzahl von Arbeitnehmern eine abweichende Regelung getroffen wird, obwohl die hier erörterten Anwendungsfälle bei beiden Vorschriften identisch sind. Von daher lässt sich die tarifliche Regelung z. B. auch nicht mit dem Hinweis auf einen geringeren Verwaltungs(abrechnungs-)aufwand rechtfertigen. Sonstige Gesichtspunkte, die die hier im Streit stehende tarifliche Regelung sachlich rechtfertigen könnten, lassen sich dem Sachvortrag der Parteien im vorliegenden Rechtsstreit, insbesondere dem Beklagten nicht entnehmen. Von daher erscheint die Regelung für den hier maßgeblichen Anwendungsbereich willkürlich. Die nach Auffassung der Kammer gegebene Verfassungswidrigkeit von § 5 TVÜ-Länder im hier maßgeblichen Anwendungsbereich führt aber entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts nicht zur Begründetheit der Klage. Denn um den Verfassungsverstoß zu beheben, bestehen verschiedene Möglichkeiten und eben keineswegs nur die vom Kläger aus verständlichen Gründen bevorzugte. Gerade wenn es um Tarifnormen geht, die bei einer geänderten Anwendung erhebliche Kosten nach sich ziehen, muss es gemäß Art. 9 Abs. 3 GG den Tarifvertragsparteien überlassen bleiben, einen verfassungsgemäßen Zustand herzustellen. Dabei spielt auch der Gesamtzusammenhang des Tarifwerks im Übrigen in kostenmäßiger Hinsicht eine erhebliche Rolle, so dass der Klage nicht stattgegeben werden kann. Das vom Kläger gewünschte Ergebnis würde zu einem unzulässigen Eingriff der Kammer in die verfassungsrechtlich besonders geschützte Tarifautonomie (Art. 9 Abs. 3 GG führen). Folglich war die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO. Die Zulassung der Revision beruht auf § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.

Ende der Entscheidung

Zurück