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Gericht: Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz
Urteil verkündet am 24.01.2006
Aktenzeichen: 5 Sa 826/05
Rechtsgebiete: KSchG, BetrVG, ArbGG


Vorschriften:

KSchG § 1
KSchG § 1 Abs. 1
KSchG § 1 Abs. 2 S. 1
BetrVG § 102
BetrVG § 102 Abs. 1
BetrVG § 102 Abs. 1 S. 3
ArbGG § 69 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Aktenzeichen: 5 Sa 826/05

Entscheidung vom 24.01.2006

Tenor:

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Teilurteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern - Auswärtige Kammern Pirmasens - vom 17.08.2005 - 4 Ca 278/04 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

3. Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 34.050,- EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Der am 13.01.1939 geborene Kläger ist mit einer anrechenbaren Betriebszugehörigkeit seit dem 01.04.1983 in dem Pirmasenser Betrieb der Beklagten beschäftigt (bzw. beschäftigt gewesen). Der Kläger hatte bis zum Sommer 1998 das Ressort "Personal- und Rechtswesen" geleitet. Im Sommer 1998 bzw. ab Sommer 1998 kam es im Zusammenhang mit dem Wiedereintritt der M. M. in das Ressort "Personal- und Rechtswesen" ab dem 01.08.1998 - nach näherer Maßgabe des Parteivorbringens - zur Einleitung einer Strukturveränderung, die zu einer Heraustrennung des Bereiches "Personalwesen" aus dem Ressort "Personal- und Rechtswesen" führen sollte. Der Bereich "Personalwesen" wurde direkt dem Geschäftsführer "Finanzen/Personal- und Rechtswesen" zugeordnet. Mit dem - von beiden Arbeitsvertragsparteien unterzeichneten - Schreiben vom 26.05.1998 wurde dem Kläger die damals getroffene Vereinbarung bestätigt, dass dem Kläger "... mit der Heraustrennung des Bereiches Personalwesen aus dem ... Ressort Personal- und Rechtswesen der Ausschluss einer betriebsbedingten Kündigung zugesichert" werde; die Strukturveränderung werde für den Kläger keinen arbeitsvertraglichen Gehaltsnachteil haben.

Fortan leitete der Kläger nur noch das im Pirmasenser Betrieb befindliche Ressort "Rechts- und Versicherungswesen".

Mit dem Schreiben vom 19.12.2003 kündigte die Beklagte dem Kläger (erstmals) zum 31.12.2004. Das Arbeitsgericht gab der vom Kläger seinerzeit erhobenen Kündigungsschutzklage statt, weil - so die Entscheidungsgründe auf S. 11 f. des Urteils vom 15.09.2004 - 4 Ca 11/04 - (= Bl. 150 d. BA - 4 Ca 11/04 -) - die Kündigung nicht sozial gerechtfertigt sei. Die Wirksamkeit - der auf betriebliche Erfordernisse - gestützten Kündigung scheitere daran, dass die Beklagte ihrer Darlegungslast mit Rücksicht auf die im BAG-Urteil vom 17.06.1999 (- 2 AZR 522/98 -) enthaltenen Grundsätze nicht genügend nachgekommen sei.

Vor Ausspruch der Kündigung vom 19.12.2003 hatte die Beklagte den Betriebsrat nicht angehört. Mit dem Schreiben vom 01.03.2004 (Bl. 14 d. A.) wandte sich die Beklagte an den Betriebsrat und kündigte dem Kläger schließlich mit dem Schreiben vom 10.03.2004, das dem Kläger am 18.03.2004 zugegangen ist, zum 31.12.2004 (s. Kündigungsschreiben, Bl. 5 d. A.).

Zur Begründung seiner erneuten Kündigungsschutzklage beruft sich der Kläger insbesondere auf den Gesichtspunkt der unzulässigen Wiederholungskündigung, auf § 1 KSchG, auf § 102 BetrVG sowie auf die Vereinbarung vom 26.05.1998 sowie auf eine weitere Vereinbarung vom 07.05.2002. Auf Seite 8 des Schriftsatzes vom 24.02.2005 (= Bl. 192 d. A.) geht der Kläger davon aus, dass sich die Parteien im Mai 2002 darauf geeinigt hätten, sein Arbeitsverhältnis erst Mitte August 2006 zu beenden.

Zur näheren Darstellung (insbesondere) des (erstinstanzlichen) Sach- und Streitstandes im Übrigen wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG Bezug genommen auf den Tatbestand des Teilurteils, das das Arbeitsgericht am 17.08.2005 aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 29.06.2005 verkündet hat (dort S. 2 ff. = Bl. 302 ff. d. A.). Unter Abweisung des Weiterbeschäftigungsantrages des Klägers hat das Arbeitsgericht festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers durch die Kündigung der Beklagten vom 10.03.2004 nicht aufgelöst worden ist.

Gegen das der Beklagten am 08.09.2005 zugestellte Teilurteil vom 17.08.2005 - 4 Ca 278/04 - hat die Beklagte am 10.10.2005 (Montag) Berufung eingelegt und diese am 08.11.2005 mit dem Schriftsatz vom 08.11.2005 begründet.

Zwecks Darstellung aller Einzelheiten der Berufungsbegründung wird auf den Schriftsatz vom 08.11.2005 (Bl. 356 ff. d. A.) verwiesen.

Die Beklagte macht dort insbesondere geltend, dass es sich bei der Kündigung vom 10.03.2004 nicht um eine unzulässige Wiederholungskündigung handele. Da die Kündigung vom 19.12.2003 bereits im Hinblick auf § 102 BetrVG unwirksam gewesen sei, habe sie nochmals unter Berufung auf dieselben Kündigungsgründe kündigen können. Die Beklagte bezieht sich auf die BAG-Urteile vom 26.08.1993 und vom 22.05.2003. Sie entnimmt diesen Entscheidungen, dass "formelle Korrekturen" jederzeit möglich seien. Würde man der Auffassung des Arbeitsgerichts folgen, hätte dies zur Folge, dass die Beklagte seinerzeit ein von Anfang an aussichtsloses Berufungsverfahren hätte führen müssen, um durch Verhinderung des Eintritts der Rechtskraft hinsichtlich der Kündigungsgründe zum einen eine Unwirksamkeit der Kündigung wegen entgegenstehender Rechtskraft zu vermeiden und zum anderen ihren rein formellen Fehler mit einer nachfolgenden Kündigung noch korrigieren zu können (s. dazu im einzelnen die Ausführungen unter B. der Berufungsbegründung, dort S. 2 f. = Bl. 357 f. d. A.). Auf den Seiten 4 bis 6 der Berufungsbegründung führt die Beklagte dazu aus, dass die Kündigung vom 10.03.2004 weder im Hinblick auf die Vereinbarung vom 26.05.1998 noch auf die vom Kläger behauptete Vereinbarung von Mai 2002 an einem individualvertraglich vereinbarten Kündigungsausschluss scheitere. Auf den Seiten 6 bis 9 legt die Beklagte - u.a. unter Bezugnahme auf ein Telefonat vom 08.03.2004, das zwischen dem damaligen Geschäftsführer F. und dem Betriebsratsvorsitzenden K. M. geführt worden sei, - dar, dass der Betriebsrat vor Kündigungsausspruch ordnungsgemäß angehört worden sei. Schließlich folgen auf den Seiten 9 bis 15 der Berufungsbegründung Ausführungen zum betriebsbedingten Kündigungsgrund und zur Frage der sozialen Auswahl. Im Rahmen des Vortrages zur Betriebsbedingtheit der Kündigung stützt sich die Beklagte u.a. auf die unternehmerische Entscheidung vom 12.11.2003. Ergänzend äußert sich die Beklagte im Schriftsatz vom 16.01.2006 (Bl. 456 ff. d. A.), worauf ebenfalls verwiesen wird; dort nimmt die Beklagte zur Berufungsbeantwortung des Klägers Stellung.

Die Beklagte beantragt,

das Teilurteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern - Auswärtige Kammern Pirmasens - vom 17.08.2005 - 4 Ca 278/04 - aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt das Teilurteil des Arbeitsgerichts nach näherer Maßgabe seiner Ausführungen in der Berufungsbeantwortung vom 12.12.2005 (Bl. 406 ff. d. A.), worauf verwiesen wird.

Zur näheren Darstellung des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf den weiteren Akteninhalt Bezug genommen.

Die Akte des Verfahrens - 4 Ca 11/04 - (= Beiakte = BA) ist zu Informationszwecken beigezogen gewesen. Mit dem Schreiben vom 29.09.2005 (Bl. 448 d. A.) hat die Beklagte dem Kläger eine ordentliche "vorsorgliche Änderungskündigung" erklärt. Mit dem Scheiben vom 06.10.2005 (Bl. 449 d. A.) hat der Kläger das in der Änderungskündigung enthaltene Änderungsangebot der Beklagten (vorbehaltlos) angenommen. Mit dem Schreiben vom 19.11.2004 hat die Beklagte dem Kläger zum 30.06.2005 gekündigt (- diesbezüglich führen die Parteien unter dem Az.: - 4 Ca 966/04 - einen Rechtsstreit -).

Entscheidungsgründe:

I.

Die Berufung ist an sich statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Die hiernach zulässige Berufung der Beklagten erweist sich als unbegründet.

Das Arbeitsgericht hat der Feststellungsklage zu Recht stattgegeben.

II.

Die Feststellungsklage ist begründet.

Das Arbeitsverhältnis ist durch die Kündigung vom 10.03.2004 nicht aufgelöst worden. Die Kündigung ist sozial ungerechtfertigt (§ 1 Abs. 2 S. 1 KSchG) und damit rechtsunwirksam (§ 1 Abs. 1 KSchG).

Die Beklagte kann sich auf den von ihr vorgetragenen Kündigungsgrund, so wie er von ihr erstinstanzlich und im Berufungsverfahren vorgetragen worden ist, nicht mit Erfolg berufen. Das rechtskräftige Urteil des Arbeitsgerichts vom 15.09.2004 - 4 Ca 11/04 - schließt diesen Kündigungsgrund aus.

1. Ist in einem Kündigungsrechtsstreit - wie hier durch das Urteil vom 15.09.2004 - 4 Ca 11/04 - entschieden, dass das Arbeitsverhältnis durch eine bestimmte Kündigung nicht aufgelöst worden ist, so kann der Arbeitgeber eine erneute Kündigung nicht auf Kündigungsgründe stützen, die er schon zur Begründung der ersten Kündigung vorgebracht hat und die in dem ersten Kündigungsschutzprozess materiell geprüft worden sind, mit dem Ergebnis, dass sie die Kündigung nicht rechtfertigen können.

Die diesbezüglichen, den Parteien bekannten höchstrichterlichen Grundsätze gelten nicht nur dann, wenn der Arbeitgeber nach Rechtskraft des ersten Urteils eine erneute Kündigung mit demselben Kündigungsgrund ausspricht (= "Trotzkündigung"), - sondern auch dann, wenn der Arbeitgeber noch während des ersten Kündigungsschutzverfahrens - wie hier die Beklagte während des Verfahrens - 4 Ca 11/04 - mit der Kündigung vom 10.03.2004 - vorsorglich eine Kündigung mit demselben Kündigungsgrund erklärt ("nachschiebt"; s. BAG-Urteil vom 26.08.1993 - 2 AZR 159/93 - dort unter Ziffer II 1. vor a); "Wiederholungskündigung").

In derartigen Fällen ist der zweiten - wie hier - rechtzeitig erhobenen Klage ohne weiteres stattzugeben. Das Urteil in dem ersten Prozess ist in der Weise präjudiziell für das zweite Verfahren, das eine erneute materielle Nachprüfung des zur Stützung der ersten Kündigung verbrauchten Kündigungsgrundes in dem zweiten Verfahren nicht erfolgen darf.

2. Die vom Bundesarbeitsgericht für die Anwendung dieser Grundsätze verlangten Anwendungsvoraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Die Sach- und Rechtslage hinsichtlich des Kündigungssachverhaltes hat sich im Vergleich der verfahrensgegenständlichen Kündigung (vom 10.03.2004) zu der (ersten) Kündigung vom 19.12.2003 nicht wesentlich verändert. Beide Kündigungen wurden als ordentliche Kündigungen zum 31.12.2004 erklärt. (Auch) der Vortrag zum eigentlichen Kündigungsgrund ist identisch. Die Beklagte führt im Schriftsatz vom 18.05.2004 (dort S. 2 = Bl. 12 d. A.) selbst aus, dass die Kündigung vom 10.03.2004 "auf die gleichen betriebsbedingten Kündigungsgründe gestützt" werde, wie die Kündigung vom 19.12.2003. Dies ist zutreffend. Insbesondere stützt sich die Beklagte jeweils auf die von ihr vorgetragene unternehmerische Entscheidung vom 12.11.2003 (vgl. S. 8 des Urteils vom 15.09.2004 - 4 Ca 11/04 - zum einen und zum anderen S. 9 der Berufungsbegründung dort unter E. I.; vgl. auch S. 4 des Schriftsatzes der Beklagten vom 21.04.2004 in dem Verfahren - 4 Ca 11/04 -).

Einer der Ausnahmefälle, in denen der Arbeitgeber erneut mit demselben Kündigungsgrund kündigen kann, ist vorliegend nicht gegeben. Zwar hält das Bundesarbeitsgericht eine erneute Kündigung u.a. dann , für möglich, wenn die (erste) Kündigungserklärung aus "irgendwelchen Gründen" bzw. "aus nicht materiell-rechtlichen Gründen (Formmangel, fehlerhafte Betriebsratsanhörung etc.)" unwirksam war. Darauf kann sich die Beklagte hier jedoch nicht mit Erfolg berufen. Das Arbeitsgericht hat im Vorprozess die Kündigung gerade nicht gemäß § 102 Abs. 1 BetrVG für unwirksam erachtet, sondern hat sich mit der materiellen Kündigungsbegründung der Beklagten im Rahmen des § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG auseinandergesetzt und die Kündigung dann gemäß § 1 Abs. 1 KSchG für unwirksam erachtet.

An der - oben aufgezeigten - Präklusionswirkung ändert sich nicht deshalb etwas, weil die (erste) Kündigung vom 19.12.2003 auch wegen unterbliebener Anhörung des Betriebsrates unwirksam gewesen ist. Die Gründe, aus denen das Bundesarbeitsgericht die Präklusionswirkung abgeleitet hat, treffen auch dann zu, wenn die erste Kündigung nicht nur wegen § 1 KSchG unwirksam gewesen ist, sondern zusätzlich auch noch gemäß § 102 Abs. 1 S. 3 BetrVG. Entscheidend ist, dass der materielle Kündigungsgrund gemäß § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG auch in diesem Fall durch die rechtskräftige Gerichtsentscheidung vom 15.09.2004 - 4 Ca 11/04 - überprüft worden und als nicht ausreichend zur Rechtfertigung der Kündigung angesehen worden ist. Eine neue Entscheidung anderen Inhalts würde zu eben den Folgen führen, deren Vermeidung der Sinn des Verbots der Wiederholungskündigung ist (vgl. BAG vom 12.02.2004 - 2 AZR 307/03 - dort Rz 32 bei ee)). Soweit sich die Beklagte demgegenüber auf den Grundsatz der Prozessökonomie beruft, überzeugt die diesbezügliche Argumentation nicht. Die Beklagte hätte seinerzeit rechtzeitig erklären können, dass sie aus der Kündigung vom 19.12.2003 keinerlei Rechte mehr herleitet.

III.

Die Kosten ihrer erfolglosen Berufung muss gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Beklagte tragen. Der Streitwert wurde gemäß den §§ 42 Abs. 4 und 63 Abs. 2 GKG festgesetzt (der dreifache Monats-Betrag des aus den Entgeltnachweisen des Klägers für November und Dezember 2004 ersichtlichen "AT-Gehalts", Bl. 196 f. d. A.).

Die Zulassung der Revision ist nicht veranlasst. Aus diesem Grunde unterliegt das Berufungsurteil derzeit nicht der Revision. Die Nichtzulassung der Revision durch das Landesarbeitsgericht kann von der Beklagten unter den Voraussetzungen des § 72a ArbGG und nach näherer Maßgabe dieser Vorschrift selbständig durch Beschwerde, die beim Bundesarbeitsgericht, Hugo-Preuss-Platz 1, 99084 Erfurt, einzulegen ist, angefochten werden. Darauf wird die Beklagte hingewiesen.

Ende der Entscheidung

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