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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz
Urteil verkündet am 09.05.2006
Aktenzeichen: 5 Sa 908/05
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 123 Abs. 1
BGB § 124 Abs. 1
BGB § 130 Abs. 1 Satz 1
BGB § 134
BGB § 138
BGB § 140
BGB § 142 Abs. 1
BGB § 622 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7
BGB § 626 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Aktenzeichen: 5 Sa 908/05

Entscheidung vom 09.05.2006

Tenor:

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern vom 06.10.2005 - 7 Ca 1169/05 - wird kostenpflichtig mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass festgestellt wird, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 30.06.2005 nicht aufgelöst worden ist.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

3. Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf Euro 6.600,00 festgesetzt.

Tatbestand:

Die am 29.04.1959 geborene Klägerin ist in dem Betrieb der Beklagten seit dem 01.08.1976 als Steuerfachangestellte beschäftigt gewesen. Am 25.04.2005 wurde die Klägerin von der Geschäftsführung der Beklagten beauftragt, Korrekturarbeiten zu erledigen (vgl. dazu das Vorbringen der Beklagten auf S. 5 ff. des Schriftsatzes vom 16.08.2005 (= Bl. 22 ff. d. A.). Die Klägerin legte die Änderungen dem Geschäftsführer der Beklagten am 10.06.2005 vor. Dieser überprüfte die Änderungen in den Folgetagen.

Mit dem Schreiben vom 09.06.2005 (Bl. 153 f. d. A.) erteilte die Beklagte der Klägerin wegen der dort erwähnten Verhaltensweisen der Klägerin eine Abmahnung.

Am Nachmittag des 30.06.2005 unterzeichneten die Parteien die aus Bl. 136 d. A. ersichtliche "Vereinbarung" (folgend: Kündigungsfolgenvereinbarung).

Mit dem Schreiben vom 30.06.2005 (Bl. 4. d. A.) kündigte die Beklagte der Klägerin "...unter Wahrung der Kündigungsfrist gemäß § 622 Abs. 1 BGB zum 31.07.2005".

Zur näheren Darstellung (insbesondere) des (erstinstanzlichen) Sach- und Streitstandes im Übrigen wird gemäß § 69 Abs 2 ArbGG Bezug genommen auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts vom 06.10.2005 - 7 Ca 1169/05 - (dort S. 2 ff. = Bl. 61 ff. d. A.).

Das Arbeitsgericht hat der Klage nach näherer Maßgabe des (berichtigten) Urteilstenors stattgegeben (s. dazu Bl. 61 d. A. in Verbindung mit dem Berichtigungsbeschluss vom 07.11.2005, Bl. 74 f. d. A.). Gegen das der Beklagten (erstmals) am 17.10.2005 zugestellte Urteil vom 06.10.2005 - 7 Ca 1169/05 - hat die Beklagte am 14.11.2005 Berufung eingelegt und diese innerhalb verlängerter Berufungsbegründungsfrist (s. dazu den Verlängerungsbeschluss vom 19.12.2005, Bl. 94 d. A.) am 09.01.2006 begründet. Zwecks Darstellung aller Einzelheiten der Berufungsbegründung wird auf den Schriftsatz vom 09.01.2006 (Bl. 96 ff. d. A.) verwiesen.

Die Beklagte behauptet dort insbesondere, dass die Klägerin die fristlose Kündigung (s. dazu Bl. 155 ff. d. A.) am 30.06.2005 gegen 8.15 Uhr im Büro des Geschäftsführers erhalten habe. Unmittelbar im Anschluss daran habe die Klägerin den zweiten Geschäftsführer, C. Q., angerufen und von diesem die Rücknahme der fristlosen Kündigung verlangt. Nach diesem Telefonat habe die Klägerin den Geschäftsführer darauf angesprochen, ob es nicht eine andere Möglichkeit gebe, das Arbeitsverhältnis zu beenden.

Hieraus ergebe sich, dass die Kündigungsfolgenvereinbarung erst nach Ausspruch der fristlosen Kündigung zustande gekommen sei.

Es sei damals mitnichten darum gegangen, die Klägerin in ihrem Klagerecht zu beschränken. Es sei weder eine Übervorteilung, noch eine sonstige Treuwidrigkeit eingetreten.

Die Beklagte behauptet weiter, dass die Klägerin am 30.06.2005 über einen Zeitraum von ca. einer Stunde Telefonate geführt habe, um sich rechtskundig zu machen. Die Klägerin habe sich am Nachmittag des 30.06.2005 (- bzw. mit Beginn der Mittagspause; vgl. dazu S. 2 der Sitzungsniederschrift vom 09.05.2006) nach Erhalt des für sie bestimmten Exemplars der Kündigungsfolgenvereinbarung von dem Geschäftsführer sogar freistellen lassen, um Rechtsrat einzuholen. Noch am Abend des 30.06.2005 habe der Geschäftsführer die Kündigung in den Briefkasten der Klägerin eingeworfen.

Im weiteren Verlauf des Berufungsverfahrens äußert sich die Beklagte noch mit den Schriftsätzen vom 26.04.2006 (Bl. 176 d. A.) und vom 05.05.2006 (Bl. 189 f. d. A., - nebst Anlage Bl. 191 ff. d. A.), worauf jeweils verwiesen wird.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern vom 06.10.2005 - 7 Ca 1169/05 - aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

mit der Maßgabe die Berufung zurückzuweisen, dass sich das Klagebegehren auf die auf den 30.06.2005 datierte Kündigung der Beklagten (ausgesprochen zum 31.07.2005) bezieht.

Die Klägerin verteidigt das Urteil des Arbeitsgerichts nach näherer Maßgabe ihrer Ausführungen in den Schriftsätzen vom 24.01.2006 (Bl. 124 ff. d. A.), vom 10.04.2006 (Bl. 165 ff. d. A.) und vom 04.05.2006 (Bl. 194 ff. d. A.), worauf jeweils verwiesen wird.

Die Klägerin lässt sich insbesondere so ein, dass sie zu keiner Zeit eine fristlose Kündigung erhalten habe. Die Klägerin macht geltend, dass sich die Nichtigkeit der Kündigungsfolgenvereinbarung vom 30.06.2005 (auch) aufgrund der wirksam erklärten Anfechtung gemäß § 123 Abs. 1 BGB ergebe. Dazu führt die Klägerin weiter aus.

Zur näheren Darstellung des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf den weiteren Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die Berufung ist an sich statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Die hiernach zulässige Berufung erweist sich als unbegründet.

II.

Das Arbeitsverhältnis der Parteien hat über den 31.07.2005 hinaus bis zum 28.02.2006 fortbestanden.

1.

Die Zulässigkeit der Feststellungsklage ergibt sich aus § 4 Satz 1 KSchG und § 256 Abs. 1 ZPO. Die Klägerin macht geltend, dass die zum 31.07.2005 ausgesprochene ordentliche Kündigung deswegen rechtsunwirksam sei, da sie nicht fristgerecht im Sinne des § 622 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 BGB erklärt worden ist. Für die Geltendmachung der Rechtsunwirksamkeit einer Kündigung sieht § 4 Satz 1 KSchG ausdrücklich die Erhebung einer Kündigungsschutzklage vor. Das Klagebegehren und der erstinstanzliche Urteilstenor vom 06.10.2005 - 7 Ca 1169/05 - ist (weiter) dahingehend auszulegen, dass die Klägerin auch den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses über den 31.07.2005 hinaus festgestellt haben möchte. Allerdings erstreckt sich dieses Begehren der Klägerin in zeitlicher Hinsicht nicht auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Berufungsverhandlung, sondern lediglich auf die Zeit bis zum 28.02.2006. Das Feststellungsbegehren der Klägerin bezieht sich auf ein Arbeitsverhältnis, also auf ein Rechtsverhältnis im Sinne des § 256 ZPO. Das nach dieser Vorschrift weiter erforderliche rechtliche Interesse ist unter den gegebenen Umständen ebenfalls zu bejahen. Mit dem dargestellten Inhalt erweist sich die Klage als zulässig und begründet.

Das Arbeitsverhältnis hat erst am 28.02.2006 geendet.

2.

Allerdings müsste der Klage der Erfolg versagt bleiben, wenn die Kündigungsfolgenvereinbarung der Parteien vom 30.06.2005 wirksam wäre. Dies ist jedoch letztlich nicht der Fall.

a)

Freilich sind die Parteien eines Arbeitsvertrages nach dem Grundsatz der Vertragsfreiheit und in den Grenzen, die durch zwingendes Recht bzw. durch die §§ 134 und 138 BGB gezogen sind, an sich nicht daran gehindert, die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses privatautonom herbeizuführen und zu gestalten. Vorliegend muss sich die Klägerin den in Ziffer 2. der Kündigungsfolgenvereinbarung vereinbarten Verzicht auf die gerichtliche Überprüfung der zum 31.07.2005 erklärten Kündigung jedoch deswegen nicht entgegenhalten lassen, weil sie die Kündigungsfolgenvereinbarung bzw. die zum Abschluss dieser Vereinbarung führende Willenserklärung der Klägerin wirksam gemäß § 123 Abs. 1 BGB angefochten hat. Die Mitte Juli 2005 mit dem Anwaltsschriftsatz der Klägerin vom 12.07.2005 (Bl. 45 f. d. A.) erklärte Anfechtung ist rechtzeitig im Sinne des § 124 Abs. 1 BGB erfolgt. Aufgrund der Anfechtung ist die Kündigungsfolgenvereinbarung deswegen als von Anfang an nichtig im Sinne des § 142 Abs. 1 BGB anzusehen, weil der Klägerin ein Anfechtungsgrund im Sinne des § 123 Abs. 1 BGB zur Seite steht. Die Klägerin ist zur Abgabe ihrer (zur Kündigungsfolgenvereinbarung führenden) Willenserklärung "widerrechtlich durch Drohung" im Sinne des § 123 Abs. 1 BGB bestimmt worden.

b)

Eine Drohung im Sinne dieser Vorschrift setzt objektiv die Ankündigung eines zukünftigen Übels voraus, dessen Zufügung in irgendeiner Weise als von der Macht des Ankündigenden abhängig hingestellt wird. Darunter fällt auch die Androhung einer außerordentlichen Kündigung. Insoweit ist in tatsächlicher Hinsicht zunächst unstreitig, dass die Klägerin am 28.06.2005 von einem der Geschäftsführer mitgeteilt bekommen hatte, dass sie noch am selben Tag die fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses erhalten werde. Dies hat die Beklagte auf Seite 2 des Schriftsatzes vom 16.08.2005 (Bl. 19 d. A.) selbst so vorgetragen. Damit hatte die Beklagte der Klägerin ein zukünftiges Übel - nämlich den mit der fristlosen Kündigung verbundenen sofortigen Verlust des Arbeitsplatzes - angekündigt. Unter den gegebenen Umständen wurde die Zufügung dieses Übels auch als in irgendeiner Weise von der Macht der Beklagten abhängig dargestellt. Damit lag - sieht man von der Frage der "Widerrechtlichkeit" einmal ab - seit der Ankündigung der fristlosen Kündigung, d. h. ab dem 28.06.2005, eine "Drohung" im Sinne des § 123 Abs. 1 BGB vor.

c)

Diese Drohung wirkte auch bis zum Abschluss der Kündigungsfolgenvereinbarung am Nachmittag des 30.06.2005 fort. Die Wirkung der Drohung und die damit für die Klägerin verbundene Zwangslage (- die Gefährdung der Existenzgrundlage bei Verlust des Arbeitsplatzes -) wurde nicht durch den - von der Beklagten behaupteten - Zugang der fristlosen Kündigung vom 30.06.2005 beendet. Insoweit unterstellt die Berufungskammer zugunsten der Beklagten in tatsächlicher Hinsicht es als richtig, dass der Klägerin am Morgen des 30.06.2005, so gegen 8.15 Uhr, tatsächlich die fristlose Kündigung bzw. das Kündigungsschreiben vom 30.06.2005 (Bl. 155 ff. d. A.) ausgehändigt worden ist. Dadurch änderte sich unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des vorliegenden Falles in rechtlicher Hinsicht jedoch nichts daran, dass die Klägerin am Nachmittag des 30.06.2005 in einer Zwangslage im Sinne des § 123 Abs. 1 BGB in die Kündigungsfolgenvereinbarung eingewilligt hat. Zwar kann es in einem derartigen Fall zweifelhaft sein, ob dann noch von der Ankündigung eines zukünftigen Übels ausgegangen werden kann, wenn die zunächst nur angedrohte Kündigung später tatsächlich fristlos erklärt wird. Vorliegend ergeben sich derartige Zweifel jedoch deswegen nicht, weil die Klägerin unter den gegebenen Umständen davon ausgehen durfte, das letzte Wort über die fristlose Kündigung sei von Arbeitgeberseite (doch) noch nicht gesprochen worden. In diesem Zusammenhang ist es anerkanntes Recht, dass in besonderen Fällen, insbesondere bei einem - wie hier gegebenen - engen zeitlichen Zusammenhang, eine bereits ausgesprochene Kündigung als widerrechtliche Drohung im Hinblick auf eine spätere rechtsgeschäftliche Einigung der Arbeitsvertragsparteien fort- bzw. nachwirken kann (vgl. BAG vom 12.08.1999 - 2 AZR 832/98 -; Bauer 7. Aufl. Arbeitsrechtliche Aufhebungsverträge S. 60 Rz 186). Der entsprechende zeitliche Zusammenhang bzw. die Einheit des maßgeblichen Geschehens ergibt sich vorliegend daraus, dass sich die Beklagte auch nach dem - von ihr behaupteten - Zugang der fristlosen Kündigung durchaus weiter gesprächsbereit gezeigt hat. Unstreitig hat die Beklagte die Klägerin am Morgen des 30.06.2005 nach 8.15 Uhr ja nicht etwa sofort nach Hause geschickt. Vielmehr wurde die Klägerin erst um die Mittagszeit bzw. am Nachmittag des 30.06.2005 freigestellt, - um ihr - so das Vorbringen der Beklagten - die Möglichkeit zu geben, Rechtsrat zu dem ihr vorliegenden Entwurf der Kündigungsfolgenvereinbarung einzuholen. Dies bedeutet, dass die Parteien nach der Aushändigung der fristlosen Kündigung morgens um 8.15 Uhr bis zumindest zur Mittagszeit das Arbeitsverhältnis doch - ungeachtet des Kündigungsschreibens (Bl. 155 ff. d. A.) - tatsächlich fortgesetzt haben (vgl. dazu den sich aus § 625 BGB ergebenden allgemeinen Rechtsgedanken). Da das Arbeitsverhältnis um 8.15 Uhr gerade nicht fristlos beendet, sondern danach noch stundenlang fortgesetzt worden ist, stellt sich für einen objektiven Erklärungsempfänger in der Situation der Klägerin das Gesamtgeschehen von der Ankündigung der außerordentlichen Kündigung über die Übergabe und Rückgabe des Kündigungsschreibens (fristlose Kündigung Bl. 155 ff. d. A.) bis zum Abschluss der Kündigungsfolgenvereinbarung als Einheit dar. (Auch) durch die widerspruchslose Entgegennahme des Kündigungsschreibens im Verlauf des 30.06.2005 hat die Beklagten der Klägerin gegenüber ihre fortbestehende Gesprächsbereitschaft deutlich gemacht (s. dazu die weitere Erklärung der Beklagten, wie sie auf Seite 2 unten der Sitzungsniederschrift vom 21.03.2006 - 5 Sa 908/05 - = Bl. 150 d. A. festgehalten ist).

d)

Da hiernach bis zum Abschluss der Kündigungsfolgenvereinbarung eine Zwangslage der Klägerin im Sinne des § 123 Abs. 1 BGB vorlag, kommt es entscheidend darauf an, ob die fortwirkende Drohung der Beklagten widerrechtlich gewesen ist. Diese Frage ist zu bejahen. Die Klägerin hat insoweit die ihr obliegende Darlegungslast erfüllt. Die Widerrechtlichkeit ergibt sich aus der Inadäquanz von eingesetztem Mittel und angestrebtem Zweck. Ein verständiger Arbeitgeber in der Situation der Beklagten hätte die fristlose Kündigung nicht ernsthaft in Erwägung gezogen bzw. ziehen dürfen. Ein derartiger Arbeitgeber hätte sich damit begnügt, der Klägerin entweder ordentlich unter Einhaltung der gesetzlichen Frist des § 622 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 BGB zu kündigen oder aber die Klägerin - vor einer beabsichtigten außerordentlichen Kündigung - erneut abzumahnen. (Auch) im Rahmen des § 626 Abs. 1 BGB gilt der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz:

Der Arbeitgeber darf - was ein verständiger Arbeitgeber bedacht hätte -von der Möglichkeit der außerordentlich-fristlosen Kündigung nur dann Gebrauch machen, wenn alle anderen - ihm zumutbaren - milderen Mittel erschöpft sind. Als in diesem Sinne mildere Mittel kommen insbesondere der Ausspruch einer ordentlichen Kündigung und/oder die Erteilung einer Abmahnung in Betracht.

aa)

Bei den Pflichtverletzungen, auf die sich die Beklagte im Kündigungsschreiben vom 30.06.2005 (Bl. 155 ff. d. A.) und im Prozess zur Kündigungsbegründung berufen hat, handelt es sich sämtlich um Pflichtverletzungen, die ein von der Klägerin steuerbares Verhalten betreffen. Derartige Pflichtverletzungen geben in der Regel nur dann einen (verhaltensbedingten) Kündigungsgrund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB ab, wenn der Arbeitnehmer vorher - also bevor er die Pflichtverletzungen begangen hat - wegen gleichartigem Fehlverhalten abgemahnt worden ist und ihm ausreichend Gelegenheit gegeben wurde, sein Verhalten zu ändern. Da der Klägerin der entsprechende Arbeitsauftrag am 25.04.2005 erteilt worden ist und die Klägerin die entsprechenden Arbeiten dem Geschäftsführer der Beklagten am 10.06.2005 vorgelegt hat, scheidet insoweit die der Klägerin erst mit Schreiben vom 09.06.2005 erteilte Abmahnung als einschlägige Abmahnung aus. Die Abmahnung vom 09.06.2005 ist der Klägerin wegen anderer Verhaltensweisen erteilt worden. Sie haben mit der Auftragserledigung(= Auftrag vom 25.04.2005 -), die im Schriftsatz der Beklagten vom 16.08.2005 (dort S. 5 ff. = Bl. 22 ff. d. A.) als Kündigungsgrund genannt wird, nichts gemein.

Aus dem Vortrag der Beklagten auf Seite 5 - unten - des Schriftsatzes vom 16.08.2005 ergibt sich, dass die Klägerin die Pflichtverletzungen, die die Beklagte der Klägerin kündigungsbegründend vorwirft, bereits im Vorfeld der beauftragten Korrektur, also zeitlich vor dem Zugang der Abmahnung vom 09.06.2005, begangen hat. Allein gestützt auf die Abmahnung vom 09.06.2005 in Verbindung mit den Feststellungen, die der Geschäftsführer der Beklagten an den Folgetagen des 10.06.2005 getroffen hat (Schriftsatz vom 16.08.2005 der Beklagten, dort Seite 5 ff. = Bl. 22 ff. d. A.), hätte ein verständiger Arbeitgeber in der Situation der Beklagten noch keine außerordentliche Kündigung ernsthaft in Erwägung gezogen. Durch die Abmahnung vom 09.06.2005 hatte die Beklagte selbst zu erkennen gegeben, dass ihr wegen der dort beanstandeten Verhaltensweisen der Klägerin eine abschließende negative Prognose noch nicht möglich war. Die Beklagte hat durch diese Abmahnung kundgetan, sie sehe das Arbeitsverhältnis noch nicht als so gestört an, dass ihr eine weitere Zusammenarbeit mit der Klägerin nicht mehr möglich sei. Darin besteht der objektive Erklärungswert des Abmahnungsschreibens.

bb)

Die Verfehlungen, die die Beklagte der Klägerin im Zusammenhang mit der Erledigung des Arbeitsauftrages vom 25.04.2005 vorwirft, wiegen nicht so schwer, dass ein verständiger Arbeitgeber in der Situation der Beklagten deswegen den sofortigen Ausspruch einer fristlosen Kündigung ernsthaft in Erwägung gezogen hätte bzw. hätte ziehen dürfen. Ein verständiger Arbeitgeber hätte dem sich bei Schlechtleistungen bzw. bei steuerbaren Verhalten bestehenden Abmahnungserfordernis Rechnung getragen. Zwar kann eine Abmahnung aus besonderen Gründen ausnahmsweise entbehrlich sein. Dem Vorbringen der Beklagten lässt sich das Vorliegen eines derartigen Ausnahmefalles nicht entnehmen. Dass den Fehlleistungen der Klägerin - wie sie von der Beklagten beschrieben werden - etwa ein vorsätzliches Handeln oder gar eine Schädigungsabsicht der Klägerin zu Grunde lag, ist ebenso wenig feststellbar, wie die Entstehung eines erheblichen bzw. nicht-wiedergutzumachenden Schadens.

cc)

Unabhängig davon und abgesehen von dem Erfordernis einer erneuten Abmahnung hätte ein verständiger Arbeitgeber in der Situation der Beklagten bei seiner Entscheidung Bedacht genommen auf die lange Dauer der Betriebszugehörigkeit - und die darin zum Ausdruck kommende Betriebstreue - sowie auf das Alter der Klägerin. Die am 29.04.1959 geborene Klägerin hat seit dem 01.08.1976 (nahezu) ihr gesamtes Berufsleben dem Betrieb der Beklagten gewidmet.

Zwar ist es in einem Fall der vorliegenden Art nicht erforderlich, dass die außerordentliche Kündigung - so, wie sie hier in dem Schreiben der Beklagten vom 30.06.2005 (Bl. 155 ff. d. A.) formuliert worden ist, - sich in einem Kündigungsschutzprozess als rechtsbeständig erwiesen hätte. Zum Nachteil der Beklagten wirkt es sich aber aus, dass nach dem eben Ausgeführten ein verständiger Arbeitgeber in der Situation der Beklagten eine solche Kündigung nicht ernsthaft in Erwägung ziehen durfte. Damit steht fest, dass die Klägerin die Kündigungsfolgenvereinbarung wirksam mit der Nichtigkeitsfolge des § 142 Abs. 1 BGB angefochten hat.

3.

Der Umstand, dass die Beklagte nach ihrer - von der Klägerin bestrittenen - Behauptung der Klägerin am Morgen des 30.06.2005 gegen 8.15 Uhr die fristlose Kündigung ausgehändigt haben will, steht der Begründetheit der Klage auch im Übrigen nicht entgegen. Insoweit haben sich die Parteien bereits außerhalb der Kündigungsfolgenvereinbarung vom 30.06.2005 darauf verständigt, dass die mit dem Zugang dieses Schreibens an sich bzw. möglicherweise verbundene Rechtsfolge nicht eintreten sollte. Wie bereits oben erwähnt haben die Parteien trotz des bereits am Morgen gegen 8.15 Uhr bewirkten Zugangs das Arbeitsverhältnis jedenfalls noch bis zur Mittagszeit bzw. bis zum Nachmittag fortgesetzt (vgl. dazu LAG Köln vom 08.02.1995 - 7 Sa 1143/94 -). Unabhängig davon war spätestens mit der Rückgabe des Kündigungsschreibens zwischen den Parteien klar, dass die Beklagte aus der fristlosen Kündigung keine Rechte (mehr) gegen die Klägerin herleiten wollte. Konsequenterweise hat sich die Beklagte auch im vorliegenden Verfahren nicht auf eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses aufgrund außerordentlicher Kündigung vom 30.06.2005 berufen. Dahin gestellt bleiben kann, ob die Beklagte der Klägerin das Kündigungsschreiben vom 30.06.2005 (= fristlose Kündigung) überhaupt mit Beendigungswillen ausgehändigt hatte.

4.

Die Klägerin ist somit nicht aufgrund der Kündigungsfolgenvereinbarung daran gehindert, geltend zu machen, die zum 31.07.2005 erklärte ordentliche Kündigung sei im Hinblick auf § 622 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 BGB nicht fristgerecht erfolgt. Da dieser Einwand der Klägerin begründet ist, ist die ordentliche Kündigung der Beklagten gemäß § 140 BGB in eine fristgerechte Kündigung zum 28.02.2006 umzudeuten. Die Kündigungsfrist beträgt sieben Monate zum Ende eines Kalendermonats. Zwar will die Beklagte die Kündigung noch am Abend des 30.06.2005 in den Briefkasten der Klägerin eingeworfen haben. Alleine dadurch konnte am Abend des 30.06.2005 aber noch kein Zugang bewirkt werden. Unter Berücksichtigung des beiderseitigen Parteivorbringens und der zu § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB entwickelten Rechtsgrundsätze lässt sich hier ein Zugangszeitpunkt erst für den 01.07.2005 feststellen. Zugegangen ist eine Willenserklärung nach näherer Maßgabe der Rechtsprechung des BAG, wenn sie so in den Bereich des Empfängers gelangt ist, dass dieser unter normalen Verhältnissen die Möglichkeit hat, vom Inhalt der Erklärung Kenntnis zu nehmen. Erreicht eine Willenserklärung die Empfangseinrichtung des Adressaten (z. B. Briefkasten) zu einer Tageszeit, zu der nach den Gepflogenheiten des Verkehrs eine Entnahme durch den Adressaten nicht erwartet werden kann, so ist die Willenserklärung an diesem Tag nicht mehr zugegangen.

III.

Die Kosten ihrer erfolglosen Berufung muss gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Beklagte tragen.

Der Streitwert des Berufungsverfahrens wurde gemäß den §§ 42 Abs. 4 Satz 1 Halbsatz 1 und 63 Abs. 2 GKG festgesetzt.

Die Zulassung der Revision ist nicht veranlasst.

Das vorliegende Berufungsurteil ist deswegen derzeit mit der Revision nicht anfechtbar. Die Nichtzulassung der Revision durch das Landesarbeitsgericht kann unter den Voraussetzungen des § 72a ArbGG und nach näherer Maßgabe dieser Vorschrift selbständig durch Beschwerde, die beim Bundesarbeitsgericht, Hugo-Preuss-Platz 1, 99084 Erfurt, einzulegen ist, angefochten werden.

Darauf wird die Beklagte hingewiesen.

Ende der Entscheidung

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