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Gericht: Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz
Urteil verkündet am 17.01.2005
Aktenzeichen: 7 Sa 525/04
Rechtsgebiete: KSchG, ArbGG, ZPO, BGB, GewO, HGB


Vorschriften:

KSchG § 1 Abs. 2
KSchG § 9
KSchG § 9 Abs. 1 Satz 1
KSchG § 10
ArbGG § 64 Abs. 1
ArbGG § 64 Abs. 2
ArbGG § 64 Abs. 6
ArbGG § 66 Abs. 1
ZPO § 518
ZPO § 519
BGB § 626
BGB § 626 Abs. 1
GewO § 123
GewO § 124
HGB § 71
HGB § 72
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Aktenzeichen: 7 Sa 525/04

Entscheidung vom 17.01.2005

Tenor:

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern - Auswärtige Kammern Pirmasens - vom 08.04.2004 - 6 Ca 1100/03 - wird zurückgewiesen.

2. Der Auflösungsantrag des Klägers wird zurückgewiesen.

3. Der Kläger hat 1/3, die Beklagte 2/3 des Berufungsverfahrens zu tragen.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien des vorliegenden Rechtsstreits streiten darüber, ob das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis aufgrund einer außerordentlichen bzw. vorsorglich erklärten ordentlichen Kündigung der Beklagten beendet worden ist.

Der Kläger ist bei der Beklagten seit Dezember 1989 als Erzieher beschäftigt. Er ist in einer sogenannten familienanalogen Außenwohngruppe tätig. Die Tätigkeit der im Rahmen der Familienwohngruppe angestellten Mitarbeiter zeichnet sich insbesondere dadurch aus, dass sie eine in allen Bereichen hauswirtschaftlich-versorgerische und pädagogische Begleitung der verhaltensauffälligen und/oder behinderten Kinder und Jugendlichen darstellt. Der Kläger erhält eine durchschnittliche monatliche Bruttovergütung in Höhe von 4.000,00 €. Hinzu kommt eine kalendertägliche Pflegesatzpauschale, sowie eine personenbezogene Pauschale.

Die Außenwohngruppe erhält, jeweils monatlich im Voraus, auf der Basis der Anzahl der regelmäßig dort ungebrachten Kinder/Jugendlichen für die auszuzahlende Pflegesatzpauschale einen Vorschussbetrag angewiesen und ausgezahlt. Dabei wird die Berechnung des Vorschusses auf der Basis der Anzahl der Kalendertage des jeweiligen Monats und der Anzahl der Kinder berechnet, zuzüglich der in der Pflegesatzpauschale nicht enthaltenen Positionen Taschen- und Kleidergeld.

Jeweils nach Ende eines Monats ist der Beklagten auf der Basis einer Belegungsmitteilung mitzuteilen, an welchen Tagen, welches Kind sich nicht in der Außenwohngruppe aufgehalten hat, damit aufgrund dieser Angaben die endgültigen Leistungsabrechnungen für die jeweiligen Monate vorgenommen werden können. Diese Leistungsabrechnungen sind die Basis der dann zwischen der Beklagten und den Jugendämtern durchzuführenden Abrechnungen.

Mit Schreiben vom 13.11.2003, das dem Kläger am gleichen Tage zuging, hat die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos und hilfsweise ordentlich zum 30.06.2004 gekündigt.

Mit der am 21.11.2003 beim Arbeitsgericht Kaiserslautern - Auswärtige Kammern Pirmasens - eingegangenen Klage wendet sich der Kläger gegen diese Kündigung.

Der Kläger hat vorgetragen, er habe keinen Abrechnungsbetrug hinsichtlich des betreuten Jugendlichen X begangen.

X habe ab dem 01.08.2003 bei der Firma W in V ein Vorpraktikum absolviert. Ab dem 01.09.2003 habe sodann seine Ausbildung begonnen, die bereits am 05.09.2003 wieder aufgekündigt worden sei - was zwischen den Parteien unstreitig ist.

Für die Zeit der Sommerferien 2003 habe der Kläger mit seiner Ehefrau bei der Beklagten Urlaub beantragt und auch angegeben, welche Kinder man in den Urlaub mitzunehmen beabsichtige. Der Name von X sei in dem Antrag nicht enthalten gewesen. Der Urlaubsantrag habe dann zur Folge gehabt, dass die für die mitgenommenen Kinder anfallenden Kosten im Voraus festgesetzt und an die Betreuer ausgezahlt worden seien. Dies sei auch vorliegend geschehen. Nachdem er und seine Ehefrau allerdings ihre Urlaubspläne hätten fallen gelassen, sei das ausgezahlte Geld an die Beklagte erstattet worden. Nachdem er eigentlich davon ausgegangen sei, dass er während der Zeit des Vorpraktikums von X sich im Urlaub befinde, habe er mit X vereinbart, dass dieser während der Urlaubszeit bei seinem Freund U in T wohnen solle. Dieser habe ihn dann auch jeden Tag zur Praktikumsstelle nach V gefahren. Um Druck auszuüben, dass dies auch tatsächlich sicher gestellt sei, sei weiter vereinbart gewesen, dass das "Betreuungsgeld" sowie weitere Benzinkosten jeweils zum Wochenende durch Herrn W als Ausbilder an Herrn U ausgezahlt werden sollten. Obwohl er entgegen der vorausgegangenen Planung in der fraglichen Zeit doch anwesend gewesen sei, seien Geldzahlungen in der vereinbarten Weise ausgeführt worden. Er habe in dieser Zeit täglich Kontakt mit X gehabt. Er habe jeden Tag die Praktikumsstelle aufgesucht, um ihn zu motivieren und den Ausbilder nach dem Verhalten von X zu befragen. X habe sich auch während dieser Zeit regelmäßig in seiner Wohnung aufgehalten, habe dort Mahlzeiten zu sich genommen und sich dort die Wäsche waschen lassen. Dieser Zustand habe auch noch während des Monats September 2003 angehalten. Er habe X zu keinem Zeitpunkt beurlaubt. Ebenso wenig habe er sich ungerechtfertigt bereichert.

Der Kläger hat beantragt,

festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis weder durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 13.11.2003 aufgelöst wurde, noch durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 13.11.2003 aufgelöst wird.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat vorgetragen, die fristlose, hilfsweise fristgerechte Kündigung sei wirksam, da neben dem Verdacht des vorsätzlichen Abrechnungsbetruges betreffend der Pflegesatzpauschale für den Jugendlichen X am Tage seiner Abwesenheit dem Kläger der weitere Vorwurf zu machen sei, dass eine gravierende Verletzung der Aufsichtspflicht des Klägers aufgrund der nicht genehmigten Beurlaubung des Jugendlichen bestehe.

Seit August 2003 habe der Jugendliche X nur noch sporadisch bei der Familie C. gelebt und gewohnt. X sei teilweise über einen zusammenhängenden Zeitraum von mehreren Wochen, bei einem Freund in T gewesen und habe bei diesem gewohnt. Dabei handele es sich um Herrn U. Dennoch habe der Kläger den Jugendlichen X in den Abrechnungen für August und September 2003 nicht als abwesend geführt.

Das Arbeitsgericht Kaiserslautern - Auswärtige Kammern Pirmasens - hat daraufhin aufgrund Beweisbeschlusses vom 08.04.2004 Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen R-C., W, S, X und U. Hinsichtlich des Inhalts des Beweisbeschlusses wird Bezug genommen auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 08.04.2004 (= Bl. 43 d. A.); hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird ebenfalls auf die Protokollniederschrift vom 08.04.2004 (Bl. 43 ff. d. A.) Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht Kaiserslautern - Auswärtige Kammern Pirmasens - hat daraufhin durch Urteil vom 08.04.2004 - 6 Ca 1100/03 - festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis weder durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 13.11.2003 aufgelöst wurde, noch durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 13.11.2003 aufgelöst wird. Hinsichtlich des Inhalts von Tatbestand und Entscheidungsgründen wird auf Blatt 54 bis 61 der Akte Bezug genommen.

Gegen das ihr am 23.06.2004 zugestellte Urteil hat die Beklagte durch am 30.06.2004 beim Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt. Sie hat die Berufung durch am 23.09.2004 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz begründet, nachdem zuvor auf ihren begründeten fristgerechten Antrag durch Beschluss vom 24.08.2004 die Frist zur Einreichung der Berufungsbegründung bis zum 23.09.2004 einschließlich verlängert worden war.

Die Beklagte wiederholt ihr erstinstanzliches Vorbringen und hebt insbesondere hervor, die streitgegenständlichen Kündigungen seien aufgrund unstreitiger Vorfälle und einer Reihe von falschen Tatsachenbehauptungen des Klägers gerechtfertigt. Dies sei im erstinstanzlichen Rechtszug umfassend und ausführlich vorgetragen, vom Arbeitsgericht jedoch unzutreffend gewürdigt worden. Auch der Würdigung der Beweisaufnahme könne nicht gefolgt werden. Im Übrigen müsse der Tatsachenvortrag dahin ergänzt werden, dass X zu weiteren Zeitpunkten sich über mehrere Wochen hinweg ununterbrochen bei U (August/September/Oktober 2003) aufgehalten habe. Denn der Hausverwalter, Herr Q, habe daraufhin gegenüber Herrn U verlangt, dass dieser aufgrund dessen höheren Nebenkosten monatlich 30,00 € mehr an Nebenkosten zahlen solle, solange X bei ihm wohne. Auch dem Arbeitsamt gegenüber habe der Kläger bestätigt, dass X für ihn dort nicht benannte Zeiten abwesend war; ihm sei auch bewusst gewesen, dass diese Abwesenheitszeiten bei den Abrechnungen zu berücksichtigen seien. Damit habe sich nicht nur die ausgesprochene Verdachtskündigung erhärtet, sondern es habe sich aus dem bestehenden Verdacht ein positiver Nachweis über einen Abrechnungsbetrug ergeben.

Die Beklagte beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Kaiserslautern - Auswärtige Kammern Pirmasens - vom 08.04.2004 wird die Klage abgewiesen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt die angefochtene Entscheidung unter Wiederholung seines erstinstanzlichen Vorbringens und hebt insbesondere hervor, ein Nachweis des ihm unterstellten Abrechnungsbetruges könne nicht geführt werden, zudem könne in der X erteilten Erlaubnis, bei Freunden zu übernachten, keine gravierende Aufsichtspflichtverletzung gesehen werden, die an sich geeignet sei, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Die Würdigung der vor dem Arbeitsgericht durchgeführten Beweisaufnahme in der angefochtenen Entscheidung sei zutreffend.

Da die Beklagte mit ihrem gesamten Klagevortrag keinen Zweifel daran lasse, dass für sie eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit dem Kläger nicht mehr in Frage komme, und nachdem seit Ausspruch der Kündigung sich die Zahl der nunmehr alleine durch die Ehefrau des Klägers betreuten Kinder von vier auf 1 reduziert habe, obwohl die Ehefrau des Klägers zumindest zwei Kinder betreuen könne, müsse er davon ausgehen, dass versucht werde, seine Familie finanziell ausbluten zu lassen. Von daher müsse davon ausgegangen werden, dass im Falle der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger die erforderliche Unterstützung nicht mehr gewährleistet sei, so dass dem Kläger eine Fortsetzung im Sinne des § 9 KSchG nicht zugemutet werden könne.

Von daher beantragt der Kläger zusätzlich,

1. das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis wird zum Ablauf des 30.06.2004 aufgelöst.

2. die Beklagte und Berufungsklägerin wird verurteilt, an den Kläger eine angemessene Abfindung zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

den Auflösungsantrag des Klägers zurückzuweisen.

Zwar treffe es zu, dass ab der Zeit der Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers nunmehr eine Betreuung in der Wohngruppe der Familie C. nur noch durch dessen Ehefrau, die ebenfalls in einem Arbeitsverhältnis mit der Beklagten stehe, durchgeführt werde. Aufgrund der vertraglichen Gestaltung sei aber die Vergütung der Ehefrau des Klägers völlig unabhängig davon, ob sie ein Kind oder zwei Kinder zu betreuen habe. Lediglich bei den Aufwandspauschalen wirke sich dies aus. Zur weiteren Begründung der Auffassung der Beklagten wird auf ihren Schriftsatz vom 20.12.2004 (Bl. 124 bis 126 d. A.) Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der Schriftsätze der Parteien, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, sowie die zu den Akten gereichten Schriftstücke verwiesen.

Entscheidungsgründe:

I.

Das Rechtsmittel der Berufung ist nach §§ 64 Abs. 1, 2 ArbGG statthaft. Die Berufung ist auch gem. §§ 64 Abs. 6, 66 Abs. 1 ArbGG in Verbindung mit §§ 518, 519 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.

Der in der Berufungsinstanz gestellte Auflösungsantrag des Klägers gemäß § 9 KSchG ist aufgrund der eindeutigen gesetzlichen Regelung bis zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung der Tatsacheninstanz möglich und damit vorliegend zulässig.

II.

Das Rechtsmittel der Berufung hat jedoch in der Sache ebenso wenig Erfolg wie der im Berufungsverfahren erstmals gestellte Auflösungsantrag des Klägers.

Denn das Arbeitsgericht ist sowohl im Ergebnis als auch in der Begründung zutreffend davon ausgegangen, dass die streitgegenständlichen Kündigungen das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht beendet haben.

Die gesetzlichen Voraussetzungen des § 626 BGB sind vorliegend, wie das Arbeitsgericht zutreffend erkannt hat, nicht gegeben.

Ein wichtiger Grund im Sinne der Generalklausel der § 626 Abs. 1 BGB für eine außerordentliche Kündigung liegt dann vor, wenn Tatsachen gegeben sind, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und in der Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Frist für eine ordentliche Kündigung nicht zugemutet werden kann. Damit wird der wichtige Grund zunächst durch die objektiv vorliegenden Tatsachen bestimmt, die an sich geeignet sind, die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar zu machen. Kündigungsgrund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB ist deshalb jeder Sachverhalt, der objektiv das Arbeitsverhältnis mit dem Gewicht eines wichtigen Grundes belastet (vgl. BAG AP-Nr. 4, 42, 63 zu § 626 BGB). Entscheidend ist nicht der subjektive Kenntnisstand des Kündigenden, sondern der objektiv vorliegende Sachverhalt, der objektive Anlass. Berücksichtigt werden können nur die bis zum Ausspruch der Kündigung eingetretenen Umstände bei der Überprüfung der Frage, ob sie als Kündigungsgrund an sich geeignet sind Ascheid/Preis/Schmidt Großkommentar Kündigungsrecht 1. Auflage 2004 (APS-Dörner), § 626 BGB Rz. 42 ff.; Dörner/Luczak/Wildschütz, Handbuch Arbeitsrecht (DLW-Dörner), 4. Auflage 2004, D Rz. 656 ff.).

Die danach zu berücksichtigenden Umstände müssen nach verständigem Ermessen die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zumutbar erscheinen lassen (BAG AP-Nr. 4 zu § 626 BGB). Bei der Bewertung des Kündigungsgrundes und bei der nachfolgenden Interessenabwägung ist ein objektiver Maßstab anzulegen, so dass subjektive Umstände, die sich aus den Verhältnissen der Beteiligten ergeben, nur aufgrund einer objektiven Betrachtung zu berücksichtigen sind. Die danach maßgeblichen Umstände müssen sich konkret nachteilig auf das Arbeitsverhältnis auswirken; da der Kündigungsgrund zukunftsbezogen ist und die Kündigung keine Sanktion für das Verhalten in der Vergangenheit darstellt, kommt es auf seine Auswirkungen auf die Zukunft an. Da es um den zukünftigen Bestand des Arbeitsverhältnisses geht, muss dessen Fortsetzung durch objektive Umstände oder die Einstellung oder das Verhalten des Gekündigten im Leistungsbereich, im Bereich der betrieblichen Verbundenheit aller Mitarbeiter, im persönlichen Vertrauensbereich (der Vertragspartner) oder im Unternehmensbereich konkret beeinträchtigt sein (BAG EzA § 626 BGB Nr. 11, EzA § 626 BGB n.F. Nr. 7).

Die erforderliche Überprüfung gem. § 626 Abs. 1 BGB vollzieht sich folglich zweistufig:

Zum einen muss ein Grund vorliegen, der unter Berücksichtigung der oben skizzierten Kriterien überhaupt an sich geeignet ist, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Insoweit handelt es sich um einen Negativfilter, d. h., dass bestimmte Kündigungsgründe eine außerordentliche Kündigung von vornherein nicht rechtfertigen können.

Zum anderen muss dieser Grund im Rahmen einer Interessenabwägung unter besonderer Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles, insbesondere auch des Verhältnismäßigkeitsprinzips zum Überwiegen der berechtigten Interessen des Kündigenden an der - in der Regel - vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses führen (vgl. ausführlich APS-Dörner, § 626 BGB a.a.O.; DLW-Dörner a.a.O.).

Entscheidender Zeitpunkt ist der des Ausspruchs der Kündigung.

Die in den aufgehobenen gesetzlichen Vorschriften der §§ 123, 124 Gewerbeordnung, 71, 72 HGB nach altem Recht genannten Beispiele für wechselseitige wichtige Gründe (z. B. Arbeitsvertragsbruch, beharrliche Arbeitsverweigerung) sind als wichtige Hinweise für typische Sachverhalte anzuerkennen, die an sich geeignet sind, einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung zu bilden und die Kündigung in der Regel auch zu rechtfertigen, wenn keine besonderen Umstände zugunsten des Gekündigten sprechen (vgl. BAG AP-Nr. 99 zu § 626 BGB). "Absolute Kündigungsgründe", die ohne eine besondere Interessenabwägung eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen, bestehen andererseits jedoch nicht (BAG SAE 1986, S. 5).

Systematisch kann nach Störungen im Leistungsbereich, im betrieblichen Bereich der Verbundenheit aller Mitarbeiter, im persönlichen Vertrauensbereich der Vertragspartner und im Unternehmensbereich unterschieden werden (APS-Dörner, a.a.O.; DLW-Dörner a.a.O.)

Diese Voraussetzungen sind entgegen der Auffassung der Beklagten vorliegend weder unter dem Gesichtspunkt der Tat-, noch dem der Verdachtskündigung gegeben.

Zwar ist die Abrechnung von Pflegesatzpauschalen für den Jugendlichen X am Tage seiner Abwesenheit an sich geeignet, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen, da es sich insoweit um einen Abrechnungsbetrug und damit eine Straftat handelt. Eine solche Straftat ist im vorliegenden Fall jedoch nicht nachgewiesen worden. Die Kammer teilt die Auffassung des Arbeitsgerichts, dass nach der dort durchgeführten Beweisaufnahme keineswegs zur vollen Überzeugung feststeht, ob und an welchen Tagen der Jugendliche X überhaupt nicht von dem Kläger betreut wurde.

In den Abrechnungen für die Pflegesatzpauschale für die Monate Juli, August, September 2003 wurden keine Abwesenheitszeiten für den Jugendlichen X seitens des Klägers eingetragen. Insoweit ist die Beklagte darlegungs- und beweispflichtig dafür, dass der Jugendliche X nicht anwesend war. Denn sie trägt insgesamt die Darlegungs- und Beweislast für das tatsächliche Vorliegen der von ihr behaupteten Kündigungsgründe. Dieser ist sie vorliegend nicht nachgekommen. Auch insoweit folgt die Kammer dem Arbeitsgericht.

Die Ehefrau des Klägers hat insoweit erklärt, dass X während seines Praktikums und der Ausbildung täglich zu Hause gewesen sei, bei ihm gegessen habe und das seine Wäsche gewaschen worden sei. Nach dem Abbruch der Ausbildung habe er bis mittags geschlafen und sei dann zu seiner Freundin gefahren. Er habe nur gelegentlich bei seiner Freundin geschlafen. Der Zeuge W hat erklärt, dass er X ein- bis zweimal heimgefahren und ihn dort auch bei einem Besuch angetroffen habe. Gleiches hat die Zeugin S bestätigt, die ausgesagt hat, dass sie den Jugendlichen X mehrmals bei dem Kläger zu Hause angetroffen habe. Dagegen hat der Zeuge X erklärt, dass er ab August/September und Oktober die ganze Zeit bei Herrn U und nur kurzzeitig bei der Familie C. gewesen sei. Er habe bei Herrn U gewohnt, gegessen und geschlafen. Ebenso hat der Zeuge U erklärt, dass Herr X ca. zweieinhalb bis drei Monate bei ihm gewesen sei, so ab Oktober. Er habe bei ihm gegessen, geschlafen und die Wäsche gemacht. Der Vermieter habe aufgrund dieses Umstandes 30,00 € mehr an Nebenkosten verlangt.

Aufgrund dieser widersprüchlichen Aussagen lässt sich mit dem Arbeitsgericht keine volle Überzeugung in irgendeiner Weise finden, ob und an welchen Tagen der Jugendliche X überhaupt nicht anwesend war. Keiner der getätigten Aussagen ist derart einleuchtend und überzeugend, dass sie andere widersprüchliche Aussagen zu widerlegen geeignet wäre. Dabei ist vorliegend im besonderen Maße zu berücksichtigen, dass es hinsichtlich des Hauptgegenstandes der vertraglich geschuldeten Tätigkeit des Klägers um die Betreuung von durchaus "schwierigen" jugendlichen geht, denen ein eigener Wille bei der Gestaltung des jeweiligen Aufenthaltes nicht mehr abgesprochen werden kann bzw. es gerade angesichts des Alters als eines der typischen Erziehungsziele angesehen werden muss, mehr und mehr je nach dem Entwicklungsstand des Jugendlichen auch Selbstbestimmung zuzulassen. Eine Aufteilung von Abwesenheitszeiten nach Stunden, Nächten, Tagen gestaltet sich daher ausgesprochen schwierig, zumal bezweifelt werden darf, dass für eine entsprechende Buchhaltung die arbeitsvertraglich geschuldete Zeit des Klägers ausreicht. Von daher teilt die Kammer die Auffassung des Arbeitsgerichts, dass eine Entscheidung allein nach Beweislastgrundsätzen möglich ist. Die Beklagte hat insoweit die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der Kläger Pflegesatzpauschalen abgerechnet hat, obwohl der Jugendliche X nicht anwesend war. Dies hat sie nicht vermocht. Zwar hat der Kläger eingeräumt, dass der Jugendliche X während der Praktikums- und Ausbildungszeit bei seinem Freund U geschlafen hat, jedoch soll er weiterhin bei dem Kläger gegessen haben und die Wäsche gewaschen bekommen haben. Dem steht auch nicht entgegen, dass der Zeuge U erklärt hat, seine Nebenkosten seien um 30,00 € erhöht worden, wegen des erhöhten Strom- und Wasserverbrauchs, da der Zeuge U diese Vorfälle zeitlich in die kalte Jahreszeit legte, so ab Oktober. Demgegenüber soll sich nach der Darstellung der Beklagten der Jugendliche bereits ab August/September dort befunden haben. Ab Oktober wurden aber keine Pflegesatzpauschalen mehr abgerechnet.

Aus den dargestellten Gründen kann auch in der Erlaubnis, bei Freunden zu übernachten, keine gravierende Aufsichtsverletzung gesehen werden, die an sich geeignet ist, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Gelegentliche Übernachtungen bei Freunden sind für Jugendliche im Alter des X vollkommen üblich. Insoweit wusste der Kläger auch, wo sich der Jugendliche aufhielt. Zudem stellt die Erlaubnis, bei Freunden zu übernachten, keine Beurlaubung im Sinne der Regelung der Außenwohngruppe dar. Auch lässt sich dem vorliegenden Sachvortrag der Beklagten nicht entnehmen, dass es sich um einen eher kasernierten Zwangsaufenthalt gehandelt haben soll, bei dem der Besuch von Freunden einschließlich von Übernachtungen - durchaus altersadäquat - untersagt gewesen sein soll.

Auch das Vorbringen der Beklagten im Berufungsverfahren rechtfertigt keine abweichende Beurteilung des hier maßgeblichen Lebenssachverhaltes. Soweit sich die Beklagte gegen die Beweiswürdigung durch das Arbeitsgericht wendet, folgt die Kammer dem nicht. Es ist eher normal als ungewöhnlich, dass Zeugen in Detailfragen widersprüchliche, missverständliche oder möglicherweise letztlich auch unrichtigen Angaben machen, weil die Erinnerung je nach dem zeitlichen Abstand zum fraglichen Ereignis schlicht nachlässt. Die Ausführungen der Beklagten sind vor allem nicht geeignet, eine volle Überzeugung der Kammer an ihrem Tatsachenvortrag zu begründen. Denn ausschlaggebend ist, worauf das Arbeitsgericht zutreffend in der angefochtenen Entscheidung hingewiesen hat, dass die Beklagte die Darlegungs- und Beweislast trägt. Die Beweisaufnahme hätte also zum Ergebnis haben müssen, dass ohne vernünftige Zweifel ihr Sachvortrag als nachgewiesen hätte angesehen werden müssen. Davon kann keinesfalls, auch nicht nach dem Sachvortrag im Berufungsverfahren, soweit er die Beweiswürdigung betrifft, ausgegangen werden. Es mag sein, dass wegen des sozialadäquaten auswärtigen Übernachtens des Jugendlichen sich im Hinblick auf die Aufwandsentschädigungen eine gewisse Grauzone ergibt, in der für Arbeitnehmer und Arbeitgeber letztlich nicht eindeutig klar ist, was im Sinne der arbeitsvertraglichen Verpflichtungen rechtens und was nicht rechtens ist. Derartige Zweifel mögen bestanden haben, führen aber vorliegend keineswegs dazu, dass der Beklagten der Nachweis eines vorsätzlichen und schuldhaften Verhaltens zum Nachteil der Beklagten gelungen ist. Nichts anderes folgt aus der Darstellung eines weiteren Vorganges der Beklagten in ihrer Berufungsbegründungsschrift (Seite 6 = Bl. 92 d. A.), den Hausverwalter Herrn Q betreffend. Insoweit handele es sich um keinen neuen Tatsachenvortrag, sondern lediglich um eine Erläuterung von bereits im erstinstanzlichen Urteil berücksichtigten Umständen, die Erhöhung der Nebenkosten für Herrn U betreffend. Auch dies rechtfertigt keine abweichende Beurteilung des maßgeblichen Lebenssachverhaltes.

Die außerordentliche Kündigung ist entgegen der Auffassung der Beklagten auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer außerordentlichen Verdachtskündigung gerechtfertigt. Zwar hat die Beklagte im Kündigungsschreiben die Kündigung gerade wegen des Verdachts des Abrechnungsbetruges in mehreren Fällen erklärt und auch zumindest im Berufungsverfahren die Kündigung ausdrücklich auf den Gesichtspunkt der Verdachtskündigung gestützt.

Zwar folgt die Kammer nicht aus Überzeugung, sondern aus Gründen der Rechtseinheitlichkeit, der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgericht (vgl. zuletzt 26.09.2002 EzA § 626 BGB 2002 Verdacht strafbarer Handlungen Nr. 1 = NZA 2003 951 Leitsatz; 27.03.2003 EzA § 611 BGB 2002 Persönlichkeitsrecht Nr. 1; vgl. ausführlich Ascheid/Preiss/Schmidt, a.a.O. (APS-Dörner) § 626 BGB Rz. 345 ff., 2. Auflage 2004), dass auch der Verdacht einer Straftat oder eines sonstigen Fehlverhaltens ein an sich zur außerordentlichen Kündigung berechtigender Umstand sein kann. Voraussetzung ist aber, dass ein dringender Tatverdacht gegeben ist (APS-Dörner, a.a.O., Rz. 357 m.w.N.). Das setzt voraus, dass der Verdacht dringend ist, d. h. es muss eine große, zumindest überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass der Arbeitnehmer eine Straftat begangen hat, obwohl der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen zur Sachverhaltsaufklärung unternommen hat.

Aus den im Einzelnen dargestellten Umständen folgt aber vorliegend ohne weiteres, dass auch von einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit statt von einer vollständigen Gewissheit unter Ausschluss letzter Zweifel, was das Vorliegen eines entsprechenden Fehlverhaltens der Klägerin angeht, nicht ausgegangen werden kann. Von daher kommt auch eine Wirksamkeit der streitgegenständlichen Kündigung unter dem Gesichtspunkt einer außerordentlichen oder ordentlichen Verdachtskündigung nicht in Betracht.

Aus den selben Gründen kommt, wie vom Arbeitsgericht zutreffend erkannt, auch eine ordentliche verhaltensbedingte Kündigung unter dem Gesichtspunkt einer Tatkündigung nicht in Betracht. Auch insoweit ist die Beklagte darlegungs- und beweispflichtig für ein schuldhaftes Fehlverhalten des Klägers. Die Beklagte ist beweisfällig geblieben, ob zum einen der Kläger Pflegesatzpauschalen abgerechnet hat, obwohl der Jugendliche X nicht anwesend war oder ob zum anderen gravierende Fürsorgepflichtverletzungen seitens des Klägers erfolgt sind.

Nach alledem war die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Der im Berufungsverfahren erstmals gestellte Auflösungsantrag des Klägers ist unbegründet. Denn vorliegend sind die gesetzlichen Voraussetzungen für die Auflösung des Arbeitsverhältnisses gemäß §§ 9, 10 KSchG gegen Zahlung einer Abfindung nicht gegeben.

Gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 KSchG hat das Arbeitsgericht auf Antrag des Arbeitnehmers dann, wenn es festgestellt hat, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung des Arbeitgebers nicht aufgelöst, die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses dem Arbeitnehmer jedoch nicht zuzumuten ist, das Arbeitsverhältnis aufzulösen und den Arbeitgeber zur Zahlung einer angemessenen Abfindung zu verurteilen.

Notwendige Voraussetzung ist dabei zunächst die Feststellung der Sozialwidrigkeit der Kündigung im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG. Ist die Kündigung nicht nur sozialwidrig, sondern auch aus anderen Gründen unwirksam, so kann vom Arbeitnehmer die Auflösung allerdings auch dann beantragt werden, wenn die Behauptung der Unwirksamkeit der Kündigung nicht ausschließlich auf die Sozialwidrigkeit gestützt wird, wenn das Arbeitsgericht nur die Sozialwidrigkeit feststellt (vgl. Hertzfeld NZA 2004, 298 ff.; Dörner/Luczak/Wildschütz, Handbuch Arbeitsrecht, 4. Auflage, DLW-Dörner D Rz. 866 = Seite 1413).

Selbst wenn man die Verpflichtung des Arbeitsgerichts zu einer entsprechenden Feststellung vorliegend mit dem Kläger unterstellen würde, führt dies gleichwohl nicht zur Begründetheit des Antrages, weil die weiteren Voraussetzungen der Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht gegeben sind.

An die Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses sind zwar geringere Anforderungen zu stellen, als an eine arbeitnehmerseitige fristlose Kündigung (BAG 26.11.1981 EzA § 9 KSchG n.F. Nr. 11; DLW-Dörner a.a.O. D Rz. 867 m. w. N.). Denn § 626 BGB schützt auch den Arbeitgeber vor einer unberechtigten außerordentlichen Kündigung des Arbeitnehmers. Die in § 9 Abs. 1 Satz 1 KSchG vorgesehene Lösungsmöglichkeit dient demgegenüber allein dem Schutz des Arbeitnehmers vor einer Weiterarbeit unter unzuträglichen Arbeitsbedingungen. Der alleine in seinem Interesse geschaffene Bestandsschutz des Arbeitsverhältnisses soll nur so lange aufrechterhalten werden, als ihm die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zumutbar ist. Das Merkmal der Unzumutbarkeit bezieht sich daher nicht wie bei § 626 BGB auf einen zeitlich begrenzten Zeitraum, sondern auf die gesamte zukünftige Dauer des Arbeitsverhältnisses.

Die Zumutbarkeitserwägungen sind im Rahmen einer langfristigen Prognose anzustellen. Gleichwohl ist zu beachten, dass die Auflösungsmöglichkeit durch das Arbeitsgericht eine Ausnahme darstellt, weil der Zweck des Kündigungsschutzgesetzes gerade in der Gewährung von Bestandsschutz besteht. Deshalb kann in einer sozialwidrigen Kündigung alleine noch kein Auflösungsgrund gesehen werden. Als Auflösungsgründe kommen nur solche Umstände in Betracht, die in einem inneren Zusammenhang mit der vom Arbeitgeber erklärten sozialwidrigen Kündigung stehen oder die im Laufe des Kündigungsschutzrechtsstreits entstanden sind. Zu beachten ist dabei allerdings, dass praktisch durch jede Kündigung Spannungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer auftreten. Diese allein vermögen den Auflösungsantrag noch nicht zu rechtfertigen. Die Unzumutbarkeit muss sich vielmehr aus weiteren - vom eigentlichen Kündigungsvorwurf losgelösten - Gründen ergeben, die der Arbeitgeber setzt, wobei die Unzumutbarkeitsgründe noch in einem inneren Zusammenhang mit der Kündigung oder dem Kündigungsschutzprozess stehen müssen (LAG Schleswig-Holstein 26.11.2002 EzA - SD 1/03, Seite 7). Folglich liegt ein Auflösungsgrund auch nicht schon darin, dass der Arbeitgeber nach erstinstanzlichem Verlust des Kündigungsschutzprozesses erneut kündigt und grundsätzlich entschlossen ist, die unternehmerische Entscheidung, die der ersten, sozialwidrigen Kündigung zugrunde lag, mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln, notfalls einer erneuten, nunmehr aus seiner Sicht sozial gerechtfertigen Kündigung durchzusetzen (BAG 27.03.2003 EzA § 9 KSchG neue Fassung Nr. 47).

Andererseits kann auch die durch Tatsachen begründete Befürchtung, dass der Arbeitnehmer im Falle einer Wiederaufnahme der Arbeit durch seine Arbeitskollegen nicht ordnungsgemäß behandelt werden wird, unter Umständen die Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung begründen. Dies kann z. B. dann angenommen werden, wenn der Arbeitnehmer den Kündigungsschutzrechtsstreit alleine wegen eines Fehlers bei der sozialen Auswahl gewonnen hat und wenn aufgrund dessen die durch Tatsachen begründete Besorgnis besteht, dass dies im Falle der Rückkehr in den Betrieb zu Spannungen mit den Arbeitskollegen führen wird (vgl. DLW-Dörner a.a.O. D Rz. 1869).

Diese Voraussetzungen sind vorliegend nach Maßgabe des Sachvortrages des Klägers im Berufungsverfahren nicht gegeben.

Zwar ist anerkannt, dass gerade dann, wenn der Arbeitgeber eine letztlich rechtsunwirksame Kündigung auf die Begehung von Straftaten bzw. den dringenden Verdacht der Begehung von Straftaten durch den Arbeitnehmer gestützt hat, eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses auf Antrag des Arbeitnehmers eher in Betracht zu ziehen ist, als z. B. im Rahmen von personen- oder betriebsbedingten Kündigungen. Andererseits ist aber für die Überprüfung des Auflösungsantrages nur das Tatsachenmaterial zu berücksichtigen, sind die Gründe einer Überprüfung zu unterziehen, auf die der Arbeitnehmer den Auflösungsantrag ausdrücklich gestützt hat.

Dies sind aber lediglich die Umstände, die auf Seite 3 des Schriftsatzes vom 02.11.2004 (Bl. 113 d. A.), sowie die, die im Schriftsatz vom 28.12.2004 (Bl. 127, 128 d. A.) enthalten sind. Diese stützen sich gerade weniger auf einen unterstellten Abrechnungsbetrug, sondern auf das Verhalten der Beklagten nach Ausspruch der Kündigung. Dieses Verhalten, dem Kläger aufgrund ihrer Einschätzung der Sachlage zunächst die Betreuung von Jugendlichen zu entziehen, rechtfertigt aber den Auflösungsantrag nicht. Es ist die nahe liegende Konsequenz aus den erklärten Kündigungen. Hätte die Beklagte ein anderes Verhalten an den Tag gelegt, hätte sie sich im vorliegenden Verfahren fragen lassen müssen, woraus sich denn die Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auch nur bis zum Ablauf der Kündigungsfrist ergeben solle. Insofern wäre jedes andere Verhalten der Beklagten völlig unverständlich gewesen. Wie sich die Beklagte zukünftig verhalten wird, lässt sich damit nicht prognostizieren. Es kann gerade nicht davon ausgegangen werden, dass im Falle der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger die erforderliche Unterstützung nicht mehr gewährleistet wäre. Vielmehr liegt es wesentlich näher, dass die Parteien, wie bereits im Einzelnen dargelegt, in Zukunft derartige Grauzonen im Spannungsfeld zwischen der Betreuung von Jugendlichen und der Leistung von Pauschalen, die den tatsächlichen Verhältnissen eigentlich kaum gerecht werden, durch entsprechende Absprachen klären. Das Kündigungsschutzgesetz ist in erster Linie kein Abfindungsgesetz, sondern gewährleistet normativen Bestandsschutz. Auch hat sich die Beklagte nicht in einer Weise verhalten, die eine ordnungsgemäße Behandlung des Klägers in Zukunft ausschließt. Sie hat aufgrund von Umständen, die nach Auffassung der Kammer letztlich keine volle Überzeugung begründen, zwei Kündigungen erklärt, die die Kammer für rechtsunwirksam erachtet. Allein der Umstand des Ausspruches unwirksamer Kündigungen rechtfertigt aber keine Auflösung eines Arbeitsverhältnisses. Der Umstand, dass der Kläger eine selbständige Tätigkeit in Erwägung zieht, ist gleichfalls offenkundig nicht geeignet, die Auflösung des Arbeitsverhältnisses zu rechtfertigen.

Nach alledem war der Auflösungsantrag zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 97, 91, 92 ZPO.

Für eine Zulassung der Revision war angesichts der gesetzlichen Kriterien des § 72 ArbGG keine Veranlassung gegeben.

Ende der Entscheidung

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