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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz
Beschluss verkündet am 25.09.2006
Aktenzeichen: 7 TaBV 3/06
Rechtsgebiete: ArbGG, BetrVG


Vorschriften:

ArbGG § 72 Abs. 2
ArbGG § 91
ArbGG § 92 Abs. 2
BetrVG § 5
BetrVG § 5 Abs. 3
BetrVG § 5 Abs. 3 Nr. 3
BetrVG § 5 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1
BetrVG § 5 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3
BetrVG § 99
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Aktenzeichen: 7 TaBV 3/06

Entscheidung vom 25.09.2006

Tenor:

1. Der Beschluss des Arbeitsgerichts Koblenz vom 19.10.2005 - 2 BV 67/04 - wird aufgehoben.

2. Die Einstellung des Mitarbeiters X. als Vertriebsleiter des Vertriebsgebiets Nr. 46, S. mit Wirkung vom 15.05.2004 und als Vertriebsleiter des Vertriebsgebiets T. mit Wirkung vom 01.10.2005 wird aufgehoben.

3. Es wird festgestellt, dass der Mitarbeiter X. kein leitender Angestellter i. S. des § 5, Abs. 3 BetrVG ist.

4. Für jeden Tag der Zuwiderhandlung gegen die Verpflichtung aus Ziff. 2. wird der Beteiligten zu 2) ein Zwangsgeld von 250,00 EUR für jeden Tag der Zuwiderhandlung angedroht.

5. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Die Beteiligten des vorliegenden Beschlussverfahrens streiten darüber, ob ein Mitarbeiter leitender Angestellter ist und ob bei seiner Einstellung das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats verletzt wurde.

Der Antragsteller hat vorgetragen,

Herr X. sei als Vertriebsleiter kein leitender Angestellter. Er sei nicht berechtigt, Einstellungen oder Entlassungen vorzunehmen. Einstellungen könne Herr X. wegen eines Einstellungsstopps nicht vornehmen. Alle Entscheidungen würden von der Zentrale gelenkt. Herr X. sei arbeitsrechtlich zuständig nur für ca. 50 ihm unterstellte Arbeitnehmer. Folglich habe die Antragsgegnerin das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 99 BetrVG zu beachten gehabt; da dies unterblieben sei, liege eine Verletzung dieser Rechtsnorm vor.

Der Antragsteller hat beantragt,

1. es wird festgestellt, dass der Mitarbeiter X. kein leitender Angestellter im Sinne des § 5 III BetrVG ist,

2. die Einstellung des Herrn X. als Vertriebsleiter des Vertriebsgebietes Nr. 46 S. mit Wirkung vom 15.05.2004 wird aufgehoben,

3. für jeden Tag der Zuwiderhandlung gegen die Verpflichtung aus Ziffer 1.) wird der Arbeitgeberin ein Ordnungsgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, angedroht.

Die Antragsgegnerin hat beantragt,

die Anträge zurückzuweisen.

Die Antragsgegnerin hat vorgetragen,

ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats sei vorliegend nicht gegeben, weil Herr X. leitender Angestellter im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes sei. Er sei berechtigt, Einstellungen und Entlassungen vorzunehmen; diesbezüglich werde auf eine zur Akte gereichte Vollmacht verwiesen. Im Rahmen des Personalbudgets treffe Herr X. selbständige Entscheidungen, nach rechtlicher Beratung durch die Tarifkanzlei. Es bestehe auch nicht generell ein Einstellungsstopp.

Herr X. sei auch unter Berücksichtigung der Voraussetzungen des § 5 Abs. 3 Nr. 3 BetrVG leitender Angestellter im Hinblick auf seine Aufgabenwahrnehmung als Vertriebsleiter. Er trage die volle Verantwortung für Umsatz, Kosten, Ergebnisse, Absatz und Qualität und wirke bei der Entscheidung über Filialöffnungen und Schließungen entscheidend mit. Hauptaufgabe des Vertriebsleiters sei die Steuerung und Verantwortung des Vertriebes in den Filialen. Herrn X. seien bislang zumindest 300 Arbeitnehmern unterstellt gewesen und ab 01.10.2005 seien weitere 376 Arbeitnehmer hinzugekommen, für die er verantwortlich und zuständig sei.

Das Arbeitsgericht Koblenz hat die Anträge daraufhin durch Beschluss vom 19.10.2005 - 2 BV 67/04 - zurückgewiesen. Hinsichtlich des Inhalts der Gründe der Entscheidung wird auf Blatt 121 bis 124 der Akte Bezug genommen.

Gegen den ihm am 11.01.2006 zugestellten Beschluss hat der Antragsteller durch am 23.01.2006 beim Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz eingegangenem Schriftsatz Beschwerde eingelegt. Er hat die Beschwerde durch am 11.04.2006 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz begründet, nachdem zuvor auf seinen begründeten Antrag hin durch Beschluss vom 13.03.2006 die Frist zur Einreichung der Beschwerdebegründung bis zum 13.04.2006 einschließlich verlängert worden war.

Der Antragsteller wiederholt sein erstinstanzliches Vorbringen und hebt insbesondere hervor, Herr X. sei nicht als leitender Angestellter anzusehen, denn auf Niederlassungsebene dürfe keine Führungskraft, schon gar nicht Kräfte in zweiter oder dritter Führungsebene eigenständig Einstellungen vornehmen. Nur die Regionalleitung sei berechtigt, Personalbesetzungen vorzunehmen. Herr X. sei lediglich für eine geringe Anzahl von maximal 50 Arbeitnehmern zuständig. Zudem fehle es insbesondere am Tatbestandsmerkmal der Selbständigkeit bei der Einstellung- und Entlassungsbefugnis. Herr X. nehme auch keine unternehmerischen Teilaufgaben im Sinne des § 5 BetrVG war. Aufgrund dieser Umstände sei vorliegend eine Verletzung des Mitbestimmungsrechts des § 99 BetrVG gegeben. Zur weiteren Darstellung der Auffassung des Antragstellers wird auf die Beschwerdebegründungsschrift vom 11.04.2006 (Bl. 160 - 169 d. A.) Bezug genommen.

Der Antragsteller beantragt,

1. Der Beschluss des Arbeitsgerichts Koblenz - 2 BV 67/04 - vom 19. Oktober 2005 wird aufgehoben.

2. Es wird festgestellt, dass der Mitarbeiter X. kein leitender Angestellter im Sinne des § 5 Abs. 3 BetrVG ist.

3. Die Einstellung des Mitarbeiters X. als Vertriebsleiter des Vertriebsgebiets Nummer 46, S., mit Wirkung vom 15. Mai 2004 wird aufgehoben.

4. Für jeden Tag der Zuwiderhandlung gegen die Verpflichtungen aus Ziff. 1) wird der Arbeitgeberin ein Ordnungsgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, angedroht.

Die Antragsgegnerin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Die Antragsgegnerin verteidigt die angefochtene Entscheidung unter Wiederholung ihres erstinstanzlichen Vorbringens und hebt insbesondere hervor, Herr X. sei als Vertriebsleiter zur Einstellung und Entlassung der ihm unterstellten Beschäftigten berechtigt und nehme auch unternehmerische Teilaufgaben von entscheidender Bedeutung wahr. Zur weiteren Darstellung der Auffassung der Antragsgegnerin wird auf ihren Schriftsatz vom 12.06.2006 (Bl. 187 - 190 d. A.) Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der Schriftsätze der Beteiligten, die Gegenstand der mündlichen Anhörung waren, sowie die zu den Akten gereichten Schriftstücke verwiesen.

Schließlich wird Bezug genommen auf das Sitzungsprotokoll vom 25.09.2006.

II.

Die Beschwerde ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, erweist sich also als statthaft und ist auch im Übrigen zulässig.

Das Rechtsmittel der Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg.

Denn entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts ist der Mitarbeiter der Antragsgegnerin, Herr X., kein leitender Angestellter, so dass dies festzustellen und seine Einstellung aufzuheben war. Daraus folgt auch die Rechtsgrundlage für die Androhung eines Zwangsgeldes.

Gemäß § 5 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BetrVG ist leitender Angestellter, wer nach Arbeitsvertrag und Stellung im Unternehmen und im Betrieb zur selbständigen Einstellung und Entlassung von im Betrieb oder in der Betriebsabteilung beschäftigten Arbeitnehmern berechtigt ist. Hintergrund dieser Regelung ist die Überlegung, dass der Gesetzgeber davon ausgeht, dass der Arbeitnehmer dann als Unternehmensvertreter die Funktion des Arbeitgebers ausübt und somit in einem natürlichen Interessengegensatz zu den beschäftigten Arbeitnehmern steht. Für ihn ist das Betriebsverfassungsgesetz deshalb nicht anwendbar.

Im Arbeitsvertrag mit dem Mitarbeiter X. ist von einer selbständigen Einstellungs- und Entlassungsbefugnis nicht die Rede. Kurz vor Anhängigwerden des vorliegenden Beschlussverfahrens wurde Herr X. eine Vollmacht "zur Neueinstellung und Versetzung der Filialmitarbeiter/innen, Erteilung von Abmahnungen sowie zur Änderung und Kündigung von Arbeitsverträgen der Filialmitarbeiter/innen mit Wirkung zum 11.08.2004 ..." erteilt. Die Vollmacht erfolgte allerdings widerruflich.

Zwar schadet der Umstand, dass diese Befugnisse nicht schon im Arbeitsvertrag aufgeführt wurden, vorliegend nicht. Die Bevollmächtigung alleine reicht jedoch nicht aus. Ein Arbeitnehmer kann nur dann leitender Angestellter sein, wenn er auch tatsächlich - im Innenverhältnis - die Aufgaben und Befugnisse ausübt, die seinen Status als leitenden Angestellten begründen können. Die tatsächlichen Verhältnisse müssen mit den arbeitsvertraglichen Grundlagen übereinstimmen. Gelegentliche oder vertretungsweise Wahrnehmung der Aufgaben genügt insoweit nicht, weil sie nicht die "Stellung" im Unternehmen kennzeichnen. Für einen leitenden Angestellten muss sich seine leitende Position eben nicht nur aus dem Arbeitsvertrag, sondern auch aus der tatsächlichen Stellung im Unternehmen oder Betrieb ergeben. Die Einstellungs- und Entlassungsbefugnis muss im Innen- wie auch im Außenverhältnis bestehen.

Die Antragsgegnerin hat insoweit trotz des substantiierten Tatsachenvortrages der Antragstellerin keine geeigneten Unterlagen, insbesondere Einstellungs- oder Auflösungsverträge oder Kündigungsschreiben vorgelegt, die die Unterschrift des Herrn X. tragen. Sie hat auch nicht vorgetragen, welche Einstellungen bzw. Entlassungen er bisher vorgenommen hat. Von daher kann vom Vorliegen der gesetzlichen Merkmale des § 5 Abs. 3 BetrVG insoweit nicht ausgegangen werden.

Auch die Voraussetzungen des § 5 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 BetrVG sind vorliegend nicht gegeben. Danach ist leitender Angestellter, "wenn er nach Arbeitsvertrag und Stellung im Unternehmen oder im Betrieb regelmäßig sonstige Aufgaben wahrnimmt, die für den Bestand und die Entwicklung des Unternehmens oder eines Betriebes von Bedeutung sind und deren Erfüllung besondere Erfahrungen und Kenntnisse voraussetzt, wenn er dabei entweder die Entscheidungen im wesentlichen frei von Weisungen trifft oder sie maßgeblich beeinflusst; dies kann auch bei Vorgaben insbesondere aufgrund vor Rechtsvorschriften, Plänen oder Richtlinien sowie bei Zusammenarbeit mit anderen leitenden Angestellten gegeben sein".

Es muss insoweit eine gewisse Breite der Aufgaben oder Teilaufgaben vorliegen. Darüber hinaus muss bei der Aufgabenerfüllung ein eigener, erheblicher Handlungsspielraum gegeben sein. Es muss sich um Leitungsaufgaben handeln. Deshalb genügt es nicht, wenn der Angestellte nur bei der rein arbeitstechnischen, vorprogrammierten Durchführung von unternehmerischen Entscheidungen eingeschaltet wird. Stets muss er aufgrund seiner leitenden Funktion maßgeblichen Einfluss auf die Unternehmensführung ausüben, sei es, dass er selbst diese Entscheidungen trifft, sei es, dass er kraft seiner Schlüsselposition Voraussetzungen schafft, an denen die Unternehmensleitung schlechterdings nicht vorbeigehen kann.

Unter Beachtung dieser Grundsätze kann vorliegend nicht davon ausgegangen werden, dass nach dem Sachvortrag der Beteiligten feststeht, dass die Voraussetzungen für einen "sonstigen leitenden Angestellten" in der Person des Vertriebsleiters Herr X. gegeben ist. Die Antragsgegnerin hat vorgetragen, die Vertriebsleiter trügen Verantwortung für den Einsatz der zu vertreibenden Produkte und die dabei erzielten Ergebnisse und verursachten Kosten. Sie hätten die Steuerung des Vertriebs zu leiten mit Hilfe der vorgegebenen personellen und tatsächlichen Ressourcen. Inwieweit insoweit ein maßgeblicher Einfluss auf die Unternehmensführung ausgeübt wird, ist für die Kammer nicht erkennbar. Unstreitig erhalten die Vertriebsleiter verbindliche Vorgaben, nicht nur bezüglich der jeweiligen Produkte und Vertriebsziele, sondern auch im Detail, z. B. hinsichtlich der Arbeitnehmerzahl, Betriebsstruktur, Produktpalette, Dienstleistungen, sachlichen Mitteln und Kosten. Sie haben ein Personal- und Sachmittelbudget, innerhalb dessen sie nur agieren können. Die strategischen Ziele werden ihnen vorgegeben. Es ist deshalb nicht von einer beachtlichen eigenständigen Entscheidungskompetenz auszugehen, sondern nur von einer Umsetzung unternehmerischer Ziele und Entscheidungen. Aufgabe der Vertriebsleiter ist es, im operativen Geschäft das Management zu betreiben, um die unternehmerischen Ziele umzusetzen. Entscheidungen insoweit werden zuvor auf höherer Ebene getroffen. Insoweit folgt die Kammer ausdrücklich der Auffassung des Landesarbeitsgerichts Saarland (Beschluss vom 23.03.2005 - 1 TaBV 3/04 -) für zwei andere Vertriebsleiter der Antragsgegnerin.

Nach alledem war die angefochtene Entscheidung aufgrund der Beschwerde des Antragstellers aufzuheben, festzustellen, dass Herr X. kein leitender Angestellter ist, seine Einstellung aufzuheben und ein Zwangsgeld anzudrohen.

Für die Zulassung der Rechtsbeschwerde war angesichts der gesetzlichen Kriterien des § 92 Abs. 2 in Verbindung mit § 72 Abs. 2 ArbGG keine Veranlassung gegeben.

Ende der Entscheidung

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