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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz
Urteil verkündet am 23.06.2006
Aktenzeichen: 8 Sa 210/06
Rechtsgebiete: ArbGG, ZPO, KSchG


Vorschriften:

ArbGG § 64 Abs. 1
ArbGG § 64 Abs. 2 lit. (c)
ArbGG § 64 Abs. 6
ArbGG 66 Abs. 1
ZPO § 519
ZPO § 520
KSchG § 1
KSchG § 1 Abs. 2
KSchG § 1 Abs. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Aktenzeichen: 8 Sa 210/06

Entscheidung vom 23.06.2006 Tenor:

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern - Auswärtige Kammern Pirmasens - vom 10.01.2006 - 5 Ca 963/05 - wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen. 2. Die Revision wird nicht zugelassen. Tatbestand:

Die Parteien streiten um die soziale Rechtfertigung einer von der Beklagten am 28.09.2005 zum 31.03.2006 ausgesprochenen Kündigung. Der am 16.09.1958 geborene Kläger, der seiner Ehefrau gegenüber unterhaltspflichtig ist, war seit 08.09.1976 bei der Beklagten zuletzt in deren Sägerei mit dem Absägen und Entgraten von Stäben beschäftigt. Die Bruttomonatsvergütung belief sich auf 2.500,00 €. Am 20.09.2005 kam es zum Abschluss eines Interessenausgleichs und Sozialplans. Der Interessenausgleich enthält u.a. folgende Regelung: "Präambel

Das Unternehmen konzentriert sich am Standort U.-Stadt als Technologie- und Servicezentrum. Kundenorientierte Automatisierung, Entwicklung, Konstruktion sowie Service bilden zukünftig die Schwerpunkte am Standort in Deutschland. Dies bedeutet gesicherte Arbeitsplätze durch höhere Technologie für die Zukunft. Die Produktion wird nach T.-Land verlagert und von unserer Tochterfirma V. übernommen. § 1 Gegenstand

Aus wirtschaftlichen Gründen und zur Sicherung der verbleibenden Arbeitsplätze werden die nachfolgend angeführten Abteilung im Werk U.-Stadt aufgelöst bzw. teilweise verlagert: Abteilung Sägerei

Abteilung Stahlbau/Schweißerei

Abteilung Dreherei

Abteilung Fräserei

Abteilung Bohrwerk

Abteilung Lager

Abteilung Lackiererei

Abteilung Brüniererei

Abteilung Instandhaltung

Abteilung Service

Abteilung Projektierung [...]" Hinsichtlich des erstinstanzlichen Sachvortrages und der Anträge wird auf den umfassenden Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Kaiserslautern - Auswärtige Kammern Pirmasens - vom 10.01.2006 - 5 Ca 963/05 - (Bl. 34 bis 36 d. A.), ergänzt um das nachfolgend dargestellte Berufungsvorbringen, Bezug genommen. Das Arbeitsgericht hat die Unwirksamkeit der ordentlichen Kündigung der Beklagten vom 28.09.2005 festgestellt und zur Weiterbeschäftigung verurteilt. Zur Begründung wurde im Wesentlichen darauf abgestellt, dass es der Beklagten nicht gelungen sei, dringende betriebliche Erfordernisse darzulegen und insbesondere, wie verbleibende Restarbeiten von fünf Stunden aus dem Tätigkeitsbereich des Klägers zustande kämen. Es sei auch kein Konzept dargelegt, wie die verbleibende Arbeit auf die übrigen Arbeitnehmer verteilt würde. Aus diesen Gründen sei auch die Betriebsratsanhörung fehlerhaft. Nach der im Kammertermin vorgelegten Anhörung sei von einem Entfallen des Arbeitsplatzes durch Betriebsverlagerung die Rede. Gegen das der Beklagten am 14.02.2006 zugestellte Urteil richtet sich ihre am 06.03.2006 eingelegte und am 02.05.2006 begründete Berufung nach entsprechender Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist. Die Beklagte bringt zweitinstanzlich weiter vor, vor Ausspruch der Kündigung sei die unternehmerische Entscheidung getroffen worden, spätestens Ende des ersten Quartals 2006 die komplette Maschinenfertigung in U.-Stadt einzustellen und durch eine T.-Firma ausführen zu lassen. Die im Logistikbereich anfallende Produktion würde ebenfalls nicht mehr in U.-Stadt ausgeführt. Hier käme es nur noch zu einer Fertigung von Ersatzteilen. Der Beschäftigungsbedarf für den Kläger sei derart gering, dass er entfallen sei. Für die Tätigkeit des Klägers würden 150 Stunden jährlich bzw. 3,26 Stunden pro Woche bzw. 0,652 Stunden pro Tag anfallen (Beweis: Zeugnis R.). Die Arbeiten würden von den verbleibenden Facharbeitern miterledigt. Die Sozialauswahl sei nicht zu beanstanden. Der Mitarbeiter Q. würde aufgrund seiner Ausbildung als Maschinenschlosser künftig in der Montageabteilung beschäftigt. Außerdem sei dieser Mitarbeiter älter und länger beschäftigt. Der Mitarbeiter P. sei mit dem Kläger nicht vergleichbar. Er habe die Entgeltgruppe 08, während der Kläger in die Entgeltgruppe 07 eingestuft sei. Dieser Mitarbeiter führe Schreinerarbeiten durch und habe spezifische Kenntnisse im Hinblick auf die Transportsicherheit. Ebenfalls nicht vergleichbar sei der Kläger mit dem Mitarbeiter O., da dieser ausgebildeter Schweißer sei, der im Rahmen der Ersatzteilfertigung Schweißerarbeiten durchführe. Die Betriebsratsanhörung sei ebenfalls korrekt, da im Rahmen der Interessenausgleichsverhandlungen auch besprochen worden sei, dass der minimale Beschäftigungsbedarf von fünf Arbeitsstunden in der Sägerei von den verbleibenden Facharbeitern mit erledigt werden könne (Beweis: Zeugnis N., R.). Die Beklagte hat zweitinstanzlich beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Kaiserslautern - Auswärtige Kammern Pirmasens - vom 10.01.2006 - 5 Ca 963/05 - wird die Klage abgewiesen. Der Kläger hat

Zurückweisung der Berufung beantragt und hilfsweise,

die Beklagte wird verurteilt, das Angebot des Klägers auf Abschluss eines Arbeitsvertrages als Lagerarbeiter zu den Bedingungen des bisherigen Arbeitsvertrages der Parteien anzunehmen. Die Beklagte hat

die Abweisung des Hilfsantrages

beantragt. Der Kläger erwidert,

die unternehmerische Entscheidung der Beklagten sei - auch im Interessenausgleich - weder nach Zeit und Ort bzw. der beteiligten Personen konkretisiert. Im Interessenausgleich sei nicht zu erkennen, welcher der aufgeführten Abteilungen aufgelöst oder verlagert werden sollten; es bliebe völlig offen, welche Alternativen gelten sollten. Die Entstehung eines Personalüberhanges von den 16 Personen sei nicht nachvollziehbar. Es sei auch nicht ersichtlich, wer konkret welche Anteile der Tätigkeit des Klägers übernehmen solle und, dass überobligatorische Leistungen ausgeschlossen seien. Die Sägerei sei auch nicht geschlossen worden, sondern voll ausgelastet (Beweis: Zeugnis M., L.). Er - der Kläger - würde derzeit auch vollschichtig beschäftigt. Die verbleibenden Stundenzahl und Grundlagen der Berechnungen seien dem Betriebsrat im Anhörverfahren nicht mitgeteilt worden. Auch sei die Sozialauswahl nicht zutreffend. Die Eingruppierung des vergleichbaren Arbeitnehmers P. sei irrelevant, da dessen Einstufung nur auf dessen besondere Belastungen abstelle. Aufgrund seiner früheren Tätigkeit in der Verpackerei könne er die bei diesem Mitarbeiter vorhandenen Kenntnisse innerhalb einer Woche erreichen. Herr O. wurde als Fahrer der Klasse III eingesetzt. Auch diese Tätigkeit könne er übernehmen. Im Rahmen der Betriebsratsanhörung sei dem Vorbringen zu fünf verbleibenden Arbeitsstunden nicht zu entnehmen, auf welchen Zeitraum sie sich bezögen. Die Grundlagen zur Berechnung der Stunden fehlten. Im Übrigen sei die Beklagte zur Angebotsannahme auf Abschluss eines Arbeitsvertrages als Lagerarbeiter verpflichtet, da gegenüber dem Schweißer K. die betriebsbedingte Kündigung zurückgenommen worden und daher die Notwendigkeit des Einsatzes des Mitarbeiters O. für Schweißertätigkeit entfallen sei, sodass der Kläger mit dessen Aufgaben betraut werden könne. Zur Berufungsbegründung wird auf den Schriftsatz der Beklagten vom 02.05.2006 (Bl. 61 bis 64 d. A.) sowie sämtliche vorgelegten Unterlagen, bezüglich der Berufungsbeantwortung auf den Schriftsatz des Klägers vom 08.06.2006 (Bl. 72 bis 78 d. A.) und den Schriftsatz vom 21.06.2006 Bezug genommen. Zugleich wird auf die Feststellungen in der Sitzungsniederschrift des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 23.06.2006 (Bl. 84 bis 88 d. A.) Bezug verwiesen. Entscheidungsgründe:

I.

Das Rechtsmittel der Berufung der Beklagten ist gemäß § 64 Abs. 1, 2 lit. (c) ArbGG statthaft. Die Berufung ist gemäß §§ 64 Abs. 6, 66 Abs. 1 ArbGG i.V.m. §§ 519, 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegt sowie begründet worden. Sie ist somit zulässig. II.

Die Berufung der Beklagten ist jedoch nicht begründet. Das Arbeitsgericht Kaiserslautern - Auswärtige Kammern Pirmasens - hat zutreffend festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die Kündigung vom 28.09.2005 zum 31.03.2006 beendet worden ist und der zugleich mitverfolgte Weiterbeschäftigungsanspruch besteht. Die ordentliche, betriebsbedingte Kündigung ist nach § 1 Abs. 2, 3 des vorliegend anwendbaren Kündigungsschutzgesetzes (KSchG) u.a. dann sozial gerechtfertigt, wenn dringende betriebliche Gründe vorliegen, die aufgrund außerbetrieblicher Umstände oder infolge innerbetrieblicher Maßnahmen zu einem Rückgang des Arbeitsanfalls im Beschäftigungsbereich des Arbeitnehmers führt, der betroffene Arbeitnehmer von allen vergleichbaren Arbeitnehmern der sozial Stärkste ist und eine Interessenabwägung nach ordnungsgemäßer Sozialauswahl nicht ausnahmsweise zu einem Überwiegen der Interessen des Arbeitnehmers an der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses gegenüber dem des Arbeitgebers an dessen Beendigung führt (vgl. Scherr/Kohl/Dikob, Arbeitszeitrecht von A-Z, Betriebsbedingte Kündigung, KSchG 20, m.w.N. auf DLW-Dörner, Handbuch Arbeitsrecht D 1076). Hinsichtlich der Darlegungs- und Beweislast ist zwischen der sogenannten selbstbindenden und der gestaltenden Unternehmerentscheidung zu differenzieren. Bei der - vorliegend gegebenen - gestaltenden Unternehmerentscheidung muss der Arbeitgeber dartun, dass und welche unternehmerische Entscheidung er gefasst hat, das er diesen Entschluss umgesetzt hat und wie sich die Umsetzung unter Berücksichtigung der Betriebs- und Vertragsfaktoren auf welche Beschäftigungsmöglichkeiten ausgewirkt hat (vgl. Ascheid, Erfurter Kommentar, 6. Auflage, § 1 KSchG, Rz. 423). Der Vortrag der Beklagten ist - wie das Arbeitsgericht im Ergebnis zutreffend sieht - zivilprozessual nicht ausreichend, um die vom Gesetz und der Rechtsprechung aufgestellten Voraussetzungen anzunehmen. Bereits die unternehmerische Entscheidung der Beklagten ist weder nach ihrer zeitlichen Abfolge noch nach den betreffenden Arbeitnehmern hinreichend konkretisiert. Dem Vortrag der Berufung ist lediglich zu entnehmen, dass vor Ausspruch der Kündigung spätestens Ende des ersten Quartals 2006 die komplette Maschinenfertigung eingestellt und diese von einer T.-Firma ausgeführt würde sowie, dass man sich auf die Fertigung von Ersatzteilen beschränkt habe. Dieser Vortrag wird unter ablaufbezogenen Aspekten nicht durch den vorgelegten Interessenausgleich vom 20.09.2005 konkretisiert. § 1 des Interessenausgleichs vom 20.09.2005 spricht lediglich davon, dass "nachfolgend aufgeführte Abteilungen im Werk U.-Stadt aufgelöst bzw. teilweise verlagert" werden. Für die anschließend aufgeführte Abteilung Sägerei, in welcher der Kläger beschäftigt war, und aufgrund vereinbarter Prozessbeschäftigung noch ist, kann für die Berufungskammer nicht ansatzweise erkannt werden, welche unternehmerischen Schritte zu welchem Zeitpunkt hinsichtlich einer Auflösung oder Verlagerung von der Beklagten verfolgt werden. Auch das Volumen der nach Behauptung der Beklagten nur noch anfallenden Tätigkeiten im Beschäftigungsbereich des Klägers bleibt ohne nachvollziehbare Eckpunkte. Für die Berufungskammer ist nicht feststellbar, wie die Beklagte für die vom Kläger ausgeübte Tätigkeit in der Sägerei auf nur noch verbleibende 150 Stunden kommt. Der Umfang der anfallenden Tätigkeiten im Rahmen der Ersatzteilfertigung ist nicht konkret auszumachen. Die Vernehmung des angebotenen Zeugen R. würde hier zu einer unzulässigen Ausforschung führen. Gleiches gilt für die Behauptung der Beklagten, dass die Arbeiten der Abteilung Sägerei von verbleibenden Facharbeitern miterledigt würden. Ob und warum diese Verteilung der Arbeit möglich ist, kann dem Sachstand im Berufungsverfahren nicht entnommen werden. Fehlt es aus den dargetan Gründen an der Möglichkeit des Gerichts festzustellen, dass die unternehmerische Entscheidung der Beschäftigungsmöglichkeit des Klägers die Grundlage entzogen hat, kann die rechtlich geforderte Dringlichkeit im Sinne von § 1 Abs. 2 KSchG für die Gestaltungserklärung der Beklagten nicht angenommen werden. Die Kündigung ist als sozialwidrig anzusehen. Der weitere rechtliche Aspekt der Einhaltung der Sozialauswahl, der nach § 1 Abs. 3 KSchG vom Gericht zu überprüfen ist, kann dahinstehen. Einer Befassung mit dem diesbezüglichen Berufungsvorbringen bedarf es nicht. Gleiches gilt hinsichtlich des vom Kläger weiter geltend gemachten Unwirksamkeitsgrundes einer fehlerhaften Anhörung des Betriebsrats (vgl. zu den Anforderungen: BAG, Urteil vom 06.10.2005 - 2 AZR 316/04 -). Der vom Arbeitsgericht zuerkannte Weiterbeschäftigungsanspruch besteht im Zusammenhang mit der Konsequenz aus den Feststellungen zur fehlenden sozialen Rechtfertigung der ausgesprochenen Kündigung. Auf den in der Berufungsinstanz gestellten Hilfsantrag war nicht mehr einzugehen. III.

Nach alledem war die Berufung mit der Kostenfolge des § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen. Für die Zulassung der Revision bestand angesichts der gesetzlichen Kriterien des § 72 Abs. 2 ArbGG keine Notwendigkeit. Die bisher entwickelten Rechtsprechungsgrundsätze des Bundesarbeitsgerichts reichen für eine abschließende Bewertung des vorliegenden Falls vollkommen aus.

Ende der Entscheidung

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