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Gericht: Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz
Beschluss verkündet am 23.07.2004
Aktenzeichen: 8 Ta 154/04
Rechtsgebiete: KSchG, BetrVG, ArbGG, ZPO


Vorschriften:

KSchG § 1
KSchG § 1 Abs. 5
KSchG § 4
KSchG § 5
KSchG § 5 Abs. 1
KSchG § 5 Abs. 4 Satz 3
BetrVG § 102
BetrVG § 111
ArbGG § 78
ZPO §§ 567 ff.
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Aktenzeichen: 8 Ta 154/04

Verkündet am: 23.07.2004

Tenor:

1. Die sofortige Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Koblenz - Auswärtige Kammern Neuwied - vom 27.05.2003 9 Ca 988/04 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

2. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 4.500,00 € festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Parteien streiten um die nachträgliche Zulassung einer Kündigungsschutzklage.

Dem Kläger, der seit 02.10.1989 als Metallarbeiter mit einer Bruttovergütung von zuletzt 1.500,-- € beschäftigt war, wurde mit am 12.03.2004 übergebenen Schreiben zum 16.04.2004 gekündigt. Unter dem 28.04.2004 erhob der Kläger gegen die Kündigung Kündigungsschutzklage, verbunden mit einer allgemeinen Feststellungsklage und einen durch eidesstattliche Versicherung vom 25.04.2004 (Bl. 17 - 19 d. A.) glaubhaft gemachten Antrag auf nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens und die Anträge wird auf die Gründe I des angefochtenen Beschlusses des Arbeitsgerichts Koblenz - Auswärtige Kammern Neuwied - vom 27.05.2004 zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat im angegriffenen Beschluss zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, die Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 KSchG könnten vorliegend nicht als gegeben angesehen werden. Die bloße Unkenntnis der 3-Wochen-Frist zur Klageerhebung entschuldige im Allgemeinen nicht. Verfüge der Arbeitnehmer nicht über die erforderlichen Kenntnisse der Grundzüge des Kündigungsschutzrechts, so müsse er sich diese Kenntnisse alsbald nach Zugang der Kündigungserklärung bei einer zuverlässigen Stelle verschaffen. Als eine solche sei der Betriebsrat eines Unternehmens nicht anzusehen. Diese sei keine geeignete Stelle zur Rechtsauskunft in individual-rechtlichen Streitigkeiten. Die Rechtsberatung in Kündigungsschutzfragen sei vielmehr ureigenste Aufgabe der hierzu berufenen Rechtspflegeorgane, insbesondere der zur Rechtsberatung niedergelassenen Rechtsanwälte. Soweit der Kläger ergänzend auf Ausführungen des Personalleiters der Beklagten abstelle, sei dieser generell keine zuständige Stelle i. S. des § 5 KSchG, da er "im Lager" des Arbeitgebers stünde und für diesen grundsätzlich keine Verpflichtung zur Aufklärung des Arbeitnehmers über dessen Klagemöglichkeit bzw. eventuelle Erfolgsaussichten der Klage begründet sei. Gegen den am 16.06.2004 zugestellten Beschluss richtet sich die am 29.06.2004 eingelegte sofortige Beschwerde des Klägers.

Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, in der Rechtsprechung sei anerkannt, dass eine falsche Auskunft und fehlerhafte Hinweise, sei es eine fehlerhafte Information über die Klagefrist oder ein Unterlassen, überhaupt auf die Klagefrist hinzuweisen oder eine unzutreffende Beurteilung der Erfolgsaussichten zu einer nachträglichen Zulassung der Kündigungsschutzklage führten, wenn die Auskunft von einer zuverlässigen Stelle erteilt worden sei. Ob ein Betriebsrat als eine zur Auskunftserteilung berufene und geeignete Stelle anzusehen sei, würde in der Rechtsprechung und Literatur unterschiedlich beurteilt. Nach den im Gemeinschaftskommentar zum Kündigungsschutzrecht und sonstigen Kündigungsschutzrechtlichen Vorschriften von Friedrich dargestellten Auffassungen sei auf den jeweiligen Einzelfall abzustellen, wobei in den Situationen, in denen sich der Arbeitnehmer ratsuchend an den Betriebsrat gewandt und eine Falschauskunft erhalten habe, in aller Regel die nachträgliche Zulassung gerechtfertigt sein dürfte, wenn die Klagefrist aufgrund der falschen Auskunft des Betriebsrats versäumt worden sei. Soweit das Arbeitsgericht darauf hinweise, dass der Betriebsrat im Hinblick auf individualrechtliche Ansprüche nur sehr eingeschränkte gesetzliche Möglichkeiten habe, könne dem nicht gefolgt werden. § 102 BetrVG gewähre dem Betriebsrat bei der Kündigung von Mitarbeitern umfangreiche Rechte. Auch durch die Neufassung des Kündigungsschutzgesetzes sei in verstärktem Maße zum Ausdruck gebracht worden, dass der Betriebsrat auch im Rahmen individualrechtlicher, insbesondere kündigungsrechtlicher Auseinandersetzungen maßgeblich sei. Durch die Möglichkeit des § 1 Abs. 5 KSchG bei Kündigungen aufgrund einer Betriebsänderung nach § 111 BetrVG einen Interessenausgleich zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat mit Namensliste zu schließen, würde ebenfalls gezeigt, dass der Betriebsrat in die Beurteilung der Rechtmäßigkeit von Kündigungen einbezogen sei. Das Gericht sei, bezogen auf die vom Arbeitgeber und Betriebsrat gemeinsam vorgenommene Sozialauswahl auch eine Überprüfung auf grobe Fehlerhaftigkeit begrenzt. Zumindest müssten Betriebsräte von Betrieben mit in der Regel mehr als 20 wahlberechtigten Arbeitnehmern als geeignete Stelle auch zur individualrechtlichen Beratung eines Arbeitnehmers im Zusammenhang mit einer Kündigung angesehen werden. Auch müsse dem Umstand Rechnung getragen werden, dass durch die Neufassung des § 4 KSchG nunmehr nahezu sämtliche Unwirksamkeitstatbestände innerhalb der 3-Wochen-Frist geltend gemacht werden müssten. Ferner sei zu berücksichtigen, dass sich der Kläger nicht nur beim Betriebsrat mehrfach habe beraten lassen, sondern dass auch der Arbeitgeber eine fehlerhafte Auskunft erteilt habe. Nach der Rechtsprechung sei anerkannt, dass eine nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage auch dann möglich sei, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer arglistig von der Kündigungsschutzklage abgehalten habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten der Beschwerdebegründung wird auf den Schriftsatz vom 29.06.2004 (Bl. 57 - 61 d. A.) Bezug genommen.

Der Kläger beantragt,

den Beschluss des Arbeitsgerichts Koblenz, Auswärtige Kammern Neuwied, vom 27.05.2004 9 Ca 988/04 abzuändern und die Kündigungsschutzklage zuzulassen.

Die Beklagte hat Zurückweisung der sofortigen Beschwerde beantragt und erwidert, nach dem eigenen Vortrag des Klägers käme eine nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage nicht in Betracht. Der Personalchef, der erklärt habe, statt einer außerordentlichen Kündigung sei lediglich eine ordentliche Kündigung ausgesprochen worden, habe den Kläger keineswegs arglistig von der Erhebung einer Kündigungsschutzklage abgehalten, sondern lediglich zum Ausdruck gebracht, dass er trotz einer nach seiner Ansicht möglichen Ausspruchs einer fristlosen Kündigung entgegenkommender Weise eine ordentliche Kündigung ausgesprochen habe. Auch könne die Äußerung des Betriebsratsvorsitzenden, wonach der Kläger froh sein könne, statt der außerordentlichen, lediglich eine ordentliche Kündigung erhalten zu haben, nicht als arglistiges Abhalten des Klägers von der Erhebung einer Kündigungsschutzklage gesehen werden. Insoweit habe der Betriebsratsvorsitzende lediglich seine Einschätzung mitgeteilt. Der Kläger selbst habe nicht einmal selbst vorgetragen, die dreiwöchige Klagefrist nicht gekannt zu haben. Er habe weder gegenüber dem Personalchef noch gegenüber dem Betriebsratsvorsitzenden um eine Auskunft bezüglich der Klagefrist nachgesucht. Eine falsche Rechtsberatung hätten diese Personen nach dem Eigenvortrag des Klägers nicht erteilt. Personalchef und der Betriebsratsvorsitzende seien im Übrigen auch keine geeigneten zuverlässigen Auskunftspersonen. Insoweit sei auf die Ausführung des Arbeitsgerichts Koblenz im angefochtenen Beschluss zu verweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten der Beschwerdebeantwortung wird auf den Schriftsatz vom 12.07.2004 (Bl. 65 - 67 d. A.) verwiesen. Auf den weiteren Akteninhalt wird insgesamt Bezug genommen.

II.

1.

Die sofortige Beschwerde des Klägers ist gem. § 5 Abs. 4 Satz 3 KSchG, § 78 ArbGG, § 567 ff. ZPO statthaft. Sie ist insbesondere form- und fristgerecht eingelegt, sowie begründet worden und damit insgesamt zulässig.

2.

Die sofortige Beschwerde des Klägers ist jedoch n i c h t begründet.

Das Arbeitsgericht hat den Antrag des Klägers, seine Kündigungsschutzklage gegen die am 12.03.2004 zugegangene Kündigung nachträglich zuzulassen, zu Recht zurückgewiesen, da die Voraussetzung des § 5 Abs. 1 KSchG nicht feststellbar sind.

Das Arbeitsgericht zeigt den Rechtsmaßstab zutreffend auf, in dem es ausführt, dass die nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage voraussetze, dass der Arbeitnehmer sie trotz Anwendung aller ihm nach Lage der Umstände zuzumutenden Sorgfalt nicht fristgerecht erheben konnte. Den Arbeitnehmer darf mithin keinerlei Verschulden an der Versäumung der 3-Wochen-Frist treffen, auch keine leichte Fahrlässigkeit (vgl. KR-Friedrich, Gemeinschaftskommentar zum Kündigungsschutzgesetz und sonstigen kündigungsschutzrechtlichen Vorschriften, 6. Aufl., § 5 KSchG KR Rz 10 m.w.N. LAG R.-P. Beschl. v. 18.09.1995 - 10 Ta 145/95). Für die Beurteilung ist einerseits besonderes Gewicht auf den individuellen Möglichkeiten des betreffenden Arbeitnehmers - subjektiver Maßstab - zu legen, andererseits, wie das Erfordernis der Anwendung "aller" zumutbaren Sorgfalt zeigt, gelten nach wie vor strenge Anforderungen. Diese sind entgegen der Auffassung der Beschwerde trotz der Einfügung von Abs. 5 in § 1 KSchG nicht erleichtert worden. Im Übrigen ist die Mitbeurteilungskompetenz des Betriebsrates vorwiegend auf soziale Gesichtspunkten bei einer betriebsbedingten Kündigung gerichtet. Dies ist zwar mehr als die in § 102 BetrVG vorgesehene Anhörkompetenz des Betriebsrats, sie beschränkt sich aber in § 1 Abs. 5 KSChG vornehmlich auf die Sozialauswahl und damit nur einen Teilaspekt einer Kündigung aufgrund einer Betriebsänderung nach § 111 BetrVG. In jedem Fall ist die Schuldlosigkeit an der verspäteten Klageerhebung unter Berücksichtigung aller Umstände vom Arbeitnehmer schlüssig darzustellen (vgl. Ascheid, Groß-Kommentar zum Kündigungsrecht, § 5 KSchG Rz. 69 m. w. N. auf LAG Köln v. 30.08.1989 LAGE § 542). Insoweit trifft den Arbeitnehmer die volle Darlegungs- und Beweislast (vgl. Kittner/Däubler/Zwanziger, Kündigungsschutz-Kommentar, 4. Aufl., § 5 Rn. 19).

Entscheidend ist nach Auffassung der Beschwerdekammer nicht, ob es sich bei dem vom Antragsteller unstreitig angegangenen Betriebsrat um eine zur Erteilung von Rechtsauskünften geeignete und zuverlässige Stelle gehandelt hat, sondern mit welchem konkreten Auskunftsbegehren bezüglich einer Klageerhebung der Kläger an den Betriebsrat herangetreten ist und welche (falsche) Auskunft ihm von dort erteilt worden ist. Nach der vorgelegten eidesstattlichen Versicherung vom 25.04.2004 (Bl. 18 d. A.) ist nicht hinreichend belegt, dass der Kläger Unkenntnis von der 3-Wochen-Frist hatte und er darüber hinaus auch deutlich gefragt hat, ob er etwas gegen die Kündigung unternehmen könne, sondern nur, ob er etwas unternehmen solle. Nur so ist die Antwort des Betriebsratsvorsitzenden erklärbar, wonach der Kläger froh und dankbar sein müsse, dass eine Kündigung unter Einhaltung der Frist zum 17.04. ausgesprochen worden sei und die Gefahr einer fristlosen Kündigung bestünde, wenn der Kläger sich gegen die Kündigung wenden würde. Es handelt sich hierbei nicht zwingend um eine Erklärung des Betriebsratsvorsitzenden dazu, dass es keine Möglichkeit der Erhebung einer Kündigungsschutzklage gäbe, sondern dass bei einer eventuellen Klage Erfolglosigkeit eintreten könne. Auf der gleichen Ebene bewegt sich die durch eidesstattliche Versicherung weiter dargestellten Aussage zu einer Auskunft des Betriebsratsvorsitzenden Ende März; auch hier wird auf die mangelnde Erfolgsaussicht abgestellt; nicht jedoch ist feststellbar, dass der Kläger falsch darüber belehrt worden ist, welche Schritte er gegen die Kündigung erheben könne. Entscheidend bleibt - und dies ist durch die eidesstattliche Versicherung ebenfalls nicht belegt - dass der Kläger nicht vorgetragen hat, ihm sei eine fehlerhafte Information über die Klagefrist erteilt worden.

Soweit der Kläger weiter die Auffassung vertritt, der Arbeitgeber habe ihn arglistig von der Erhebung einer Klage abgehalten, ist allein zutreffend, dass bei Vorliegen eines solchen Tatbestandes eine nachträgliche Zulassung nicht ausgeschlossen werden kann. Prämisse einer solchen, von der Rechtsprechung anerkannten, nachträglichen Zulassung ist jedoch, dass der Kläger Kenntnis von der 3-Wochen-Frist hatte und er etwa durch taktische Vergleichsgespräche veranlasst wurde, nicht innerhalb der gesetzlichen Klagefrist gegen die Kündigung vorzugehen. Hierzu fehlt ein entsprechender Sachvortrag.

Im Übrigen nimmt die Kammer Bezug auf die zutreffenden Ausführungen des Arbeitsgerichts im angefochtenen Beschluss und sieht hier von weiteren Darstellungen ab.

III.

Aus vorgenannten Gründen war die sofortige Beschwerde, mit der sich aus § 97 Abs. 1 ZPO ergebenden Kostenfolge zurückzuweisen. Die Festsetzung des Beschwerdewertes beruht auf § 3 ZPO. Von der Zulassung einer weiteren Beschwerde sah die Kammer ab, da es angesichts fehlenden schlüssigen Vortrags für den gestellten Antrag auf die von der Beschwerde aufgeworfene Rechtsfrage zur Geeignetheit des Betriebsrats als Auskunftsstelle nicht ankam. Von daher scheidet eine weitere Anfechtbarkeit dieses Beschlusses aus.

Ende der Entscheidung

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