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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz
Urteil verkündet am 14.01.2004
Aktenzeichen: 9 Sa 1192/03
Rechtsgebiete: BetrVG, BGB


Vorschriften:

BetrVG § 102 Abs. 1 Satz 3
BGB § 611
BGB § 613
BGB § 242
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Aktenzeichen: 9 Sa 1192/03

Verkündet am: 14.01.2004

Tenor:

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen vom 28.05.2003, Az.: 3 Ca 3318/01 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Rechtswirksamkeit einer ordentlichen Kündigung sowie um die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers während des Rechtsstreits.

Der am 11.11.1947 geborene Kläger, der gegenüber seiner Ehefrau und einem Sohn unterhaltspflichtig ist, wird seit dem 22.04.1981 bei der Beklagten, die mit in der Regel mehr als fünf Arbeitnehmern ein Gebäudereinigungsunternehmen betreibt, als Reiniger gegen Zahlung einer monatlichen Arbeitsvergütung in Höhe von 1.789,52 EUR (3.500,00 DM) brutto beschäftigt.

Der Kläger war zumindest während der nachfolgend aufgelisteten Zeiten arbeitsunfähig erkrankt:

 JahrKrankheitstage von bisArbeitstage mit EFZ /ohne EFZKrankheitstage gesamtKrankheitKosten EFZ EUR
199804.05. 22.05.1422Stenokardische Beschwerden, Bypass/ Hyperthropie 
 16.10. 16.10.11Gastritis 
 03.11. 17.11.1111Koronare Herzkrankheit 
 30.11. 18.12.6 915Koronare Herzkrankheit 
Gesamt 32 949 1.895,13
199915.02. 19.02.55Schwindel, de- pressive Stimmung 
 20.05. 26.05.55Paronychie 
 16.09. 24.09.77Allg. Beschwerden 
 11.10. 11.10.11Koronare Herz- Krankheit; akuter Myokard Infarkt 
 01.12. 17.12.1313  
Gesamt 3131 2.258,73
200006.03. 10.03.55Akute Laryngitis (Kehlkopfentzündung) 
 14.09. 20.10.2727Chronische Ichämische Herz- Krankheit, instabile Angina pectoris 
Gesamt 3232 2.369,87
200123.04. 01.06.2828Instabile tatheroskterotische Herzkrankheit; instabile Angina pectoris 
 05.08. 26.08.1515Wie vor 
Gesamt 4343 2.330,43

Mit Schreiben vom 17.10.2001 forderte die Beklagte den Kläger auf, zu seinen Fehlzeiten Stellung zu nehmen und ggf. entsprechende ärztliche Atteste vorzulegen. Der Kläger reagierte hierauf nicht.

Daraufhin leitete die Beklagte die Anhörung des bei ihr errichteten Betriebsrates zu der beabsichtigten ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit Schreiben vom 21.11.2001 (Bl. 20 d.A.) ein. Der Betriebsrat erklärte am 27.11.2001 (vgl. Bl. 21 d.A.) seine Zustimmung zu dieser Personalmaßnahme.

Die Beklagte kündigte sodann mit Schreiben vom 28.11.2001 (Bl. 6 d.A.) welches dem Kläger am 28.11.2001 zuging, das Beschäftigungsverhältnis zum 30.06.2002.

Mit seiner am 04.12.2001 beim Arbeitsgericht Ludwigshafen eingereichten Klage hat sich der Kläger gegen diese Kündigung gewandt und seine Weiterbeschäftigung bis zum Abschluss des Rechtsstreits verlangt.

Der Kläger hat unter anderem geltend gemacht,

soweit die Beklagte weitere Arbeitsunfähigkeitszeiten aus dem Zeitraum von 1988 bis 1997 vortrage, könne er diese, aufgrund des Zeitablaufs nicht mehr beurteilen und bestreite das entsprechende gegnerische Vorbringen mit Nichtwissen. Die Gesundheitsprognose zum Kündigungszeitpunkt sei nicht negativ gewesen, da die orthopädischen Beschwerden aus der Zeit vor 1998 ausgeheilt seien und er auch die 1998 aufgetretenen Herzerkrankungen durch Kontrolle der Risikofaktoren und Befolgung von Therapieempfehlungen im Griff habe. Eine erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen liege nicht vor, da zum einen nur in den Jahren 1992 und 1995 Entgeltfortzahlungskosten aufgetreten seien, die den sechswöchigen Entgeltfortzahlungszeitraum deutlich überschreiten würden. In den Jahren 1993, 1994, 1996 und 1998 bis 2001 sei es lediglich zu geringfügigen Überschreitungen gekommen. Betriebsablaufstörungen seien von der Beklagten im vorliegenden Rechtsstreit nicht in substantiierter Weise dargelegt worden.

Eine über das Anhörungsschreiben vom 21.11.2001 hinausgehende mündliche Unterrichtung des Betriebsrates werde bestritten.

Der Kläger hat beantragt,

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die mit Schreiben der Beklagten vom 28.01.2001 - übergeben am gleichen Tage - ausgesprochene Kündigung zum 30.06.2002 nicht aufgelöst ist,

2. für den Fall des Obsiegens die Beklagte zu verurteilen, ihn bis zur rechtskräftigen Entscheidung dieses Rechtsstreits als Reiniger weiter zu beschäftigen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat unter anderem ausgeführt,

in der Zeit von 1988 bis 1997 sei es zu folgenden weiteren Arbeitsunfähigkeitszeiten beim Kläger gekommen:

 JahrKrankheitstage von bisArbeitstage mit EFZ /ohne EFZKrankheitstage gesamtKosten EFZ EUR
198818.05. 17.07.2323 
 03.10. 03.10.11 
 05.12. 16.12610 
Gesamt 3034 
198916.05. 09.06.1919 
 03.08. 11.08.77 
 15.08. 15.08.11 
 03.10. 31.1230 3464 
Gesamt 30 61911.840,10
199001.01. 02.02.2525 
 19.06. 06.07.1414 
Gesamt 393911,81
199126.03. 26.04.2424 
Gesamt 24241.511,79
199205.02. 21.02.1313 
 15.06. 26.06.1010 
 19.10. 20.11.2525 
 07.12. 23.12.1313 
Gesamt 61614.169,56
199319.04. 21.05.2525 
 01.07. 16.07.1212 
Gesamt 37372.556,17
199409.03. 11.03.33 
 04.04. 29.04.2020 
 02.12. 02.12.11 
 13.12. 31.12.1414 
Gesamt 38382.692,42
199501.01. 31.03.16 4965 
 12.05. 19.05.66 
 09.08.....08.09.2323 
 18.09. 01.12.30 2555 
Gesamt 75 741495.318,95
199613.05. 17.05.55 
 01.08. 16.08.1212 
 24.09. 04.10.99 
 05.12. 10.12.44 
 12.12. 13.12.22 
Gesamt 32322.271,56
199710.01. 17.01.66 
 18.02. 16.03.4 19  
 26.03. 26.03.1  
 08.04. 18.04.99 
 17.05. 06.06.1515 
 24.07. 06.08.1010 
 17.10. 24.10.66 
Gesamt 16 5066629,29

Angesichts der Weigerung des Klägers, Angaben zu den Krankheitsursachen zu machen, sei die Gesundheitsprognose zum Zeitpunkt der Kündigungserklärung negativ gewesen. Die Fehlzeiten des Klägers hätten zu Dispositionsschwierigkeiten im Betrieb geführt, da er nur unter Vorbehalt als Reiniger hätte eingeplant werden können. Darüber hinaus seien auch die zukünftig zur erwartenden Entgeltfortzahlungskosten aus der Vergangenheit erheblich und letztlich auch unzumutbar. Bei der Interessenabwägung sei unter anderem auch zu berücksichtigen gewesen, dass der Kläger durch das fehlerhafte Betanken eines Kraftfahrzeuges der Beklagten - Benzin statt Diesel - im Jahr 2001 einen Schaden in Höhe von 2.414,78 DM verursacht habe.

Der Betriebsrat sei über die Krankheitszeiten des Klägers, die Höhe der Entgeltfortzahlungskosten und den Schaden an dem Kraftfahrzeug vor Kündigungsausspruch mündlich unterrichtet worden; dabei sei ihm auch die Personalakte des Klägers vorgelegt worden.

Das Arbeitsgericht hat entsprechend seinen Beweisbeschlüssen vom 02.05.2002 (Bl. 72 f. d.A.) und 03.04.2003 (Bl. 175 d.A.) Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens und Vernehmung des Zeugen X. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das schriftliche Gutachten der Dres. W und V vom 16.01.2003 (Bl. 125 ff. d.A.) und dem Inhalt des Sitzungsprotokolls vom 28.05.2003 (B. 184 ff. d.A.) verwiesen.

Das Arbeitsgericht Ludwigshafen hat sodann mit Urteil vom 28.05.2003 festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 28.11.2001 nicht beendet worden ist; des weiteren hat es die Beklagte verurteilt, den Kläger bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Rechtsstreits als Reiniger weiterzubeschäftigen. Wegen der Entscheidungsgründe wird auf S. 9 ff. des beiden Parteien zugestellten Urteils (Bl. 197 ff. d.A.) Bezug genommen.

Die Beklagte hat gegen die Entscheidung des Arbeitsgerichts, welche ihr am 28.08.2003 zugestellt worden ist, am 18.09.2003 Berufung zum Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz eingelegt und am 22.10.2003 ihr Rechtsmittel begründet.

Die Beklagte führt aus,

dem medizinischen Sachverständigengutachten vom 16.01.2003 sei eine negative Gesundheitsprognose für den Kündigungszeitpunkt zu entnehmen. Eine erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen der Beklagten folge allein schon aus den Entgeltfortzahlungskosten, die über einen Zeitraum von sechs Wochen jährlich hinaus aufgewendet worden seien. Der Kläger sei von 1988 bis einschließlich des Jahres 2002 lediglich während 75, 59% der Soll-Arbeitstage an seinem Arbeitsplatz gewesen. Aufgrund des eminenten Preisverfalls und Preisdrucks im Bereich des Gebäudereinigerhandwerks - von 1990 bis einschließlich 2002 sei rund 44% der Belegschaft der Beklagten aufgrund dieses Umstandes drastisch reduziert worden - sei sie, die Beklagte nicht in der Lage, eine Personalreserve vorzuhalten. Infolgedessen sei während der Zeit von 1988 bis 2002 auf dem Arbeitsplatz des Klägers keine Vollzeitkraft eingesetzt gewesen, sondern lediglich der Kläger mit einem Anteil von seiner Arbeitskraft.

Bei der Interessenabwägung sei zu Ungunsten des Klägers die Höhe der angefallenen Entgeltfortzahlungskosten berücksichtigt worden, darüber hinaus dass er bereits seit dem Jahr 1988 eine hohe Fehlzeitenquote bis hin zum Kündigungszeitpunkt gehabt habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten der Berufungsbegründung wird auf die Schriftsätze der Beklagten vom 21.10.2003 (Bl. 234 ff. d.A.) und 08.01.2004 (Bl. 284 ff. d.A.) verwiesen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen vom 28.05.2003, zugestellt am 28.08.2003, Az.: 3 Ca 3318/01 abzuändern und die Klage im vollem Umfange abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger macht geltend,

es sei keine ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrates vor Ausspruch der Kündigung erfolgt, da sich weder aus dem Vorbringen der Beklagten noch aus der erstinstanzlich durchgeführten Zeugenvernehmung ergebe, dass dem Betriebsrat mitgeteilt worden sei, ob und in welcher Weise Betriebsabläufe durch die krankheitsbedingten Fehlzeiten des Klägers gestört worden seien. Die zum Kündigungszeitpunkt zu stellende Gesundheitsprognose sei für den Kläger nicht negativ gewesen, zumal sich aus dem vom Arbeitsgericht eingeholten Sachverständigengutachten ergebe, dass die Herzerkrankung des Klägers, trotz seines Nikotinkonsums, der im August 2001 unstreitig noch vorgelegen habe, bereits anlässlich des im August 2001 erfolgten Krankenhausaufenthaltes stabil ausgeheilt gewesen sei. Im Übrigen seien die Krankheitszeiten der letzten drei Jahre bei der Beurteilung der Rechtswirksamkeit der Kündigung zu berücksichtigen. Mithin sei in diesem Zusammenhang unzutreffend, dass der Kläger lediglich an 75,59% der Sollarbeitstage gearbeitet habe. Von 1989 bis 2001 habe er vielmehr an 84,09% der vorgesehenen Arbeitstage seine ArbeitsXung erbracht. Soweit die Beklagte im Kalenderjahr 2001 über sechs Wochen hinaus Entgeltfortzahlung geXet habe, sei dies nicht nachvollziehbar, da die 44 Krankheitstage auf der gleichen Grunderkrankung beruht hätten.

Wegen der weiteren Einzelheiten der Berufungserwiderung wird auf den Schriftsatz des Klägers vom 12.12.2003 (Bl. 276 ff. d.A.) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist gemäß §§ 64 ff. ArbGG, 512 ff. ZPO zwar zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet.

Das Arbeitsgericht Ludwigshafen hat mit Urteil vom 28.05.2003 im Ergebnis zu Recht festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die ordentliche Kündigung vom 28.11.2001 nicht beendet worden ist (A) und der Kläger bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Kündigungsprozesses als Reiniger weiterbeschäftigt werden muss (B).

A.

Die ordentliche Kündigung vom 28.11.2001 hat das Beschäftigungsverhältnis nicht beendet, da diese Kündigung nach § 1 Abs. 1 des vollumfänglich anwendbaren Kündigungsschutzgesetzes, mangels sozialer Rechtfertigung, rechtsunwirksam ist. Sozial ungerechtfertigt ist die Kündigung im vorliegenden Zusammenhang, wenn sie nicht durch Gründe, die in der Person des Arbeitnehmers liegen, bedingt ist (§ 1 Abs. 2 KSchG). Ein personenbezogener Kündigungsgrund kann auch der Anfall von krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeitszeiten sein. Eine krankheitsbedingte Kündigung ist allerdings nur dann sozial gerechtfertigt, wenn aufgrund objektiver Umstände (insbesondere bisheriger Fehlzeiten) mit weiteren entsprechenden Arbeitsunfähigkeitszeiten in der Zukunft zu rechnen ist (negative Gesundheitsprognose); die entstandenen und prognostizierten Fehlzeiten zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen des Arbeitgebers führen, also betriebliche Ausführungen haben und sich im Rahmen der umfassenden Interessenabwägung im Einzelfall eine unzumutbare betriebliche oder wirtschaftliche Belastung des Arbeitgebers ergibt (vgl. DLW/Dörner, 3. Aufl., D/ Rdnr. 1106).

Eine erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen des Arbeitgebers liegt dann vor, wenn die häufige Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers zu nicht vermeidbaren Störungen des Betriebsablaufs führt, zum Beispiel zu Maschinenstillständen, Produktionsausfall, Materialverlust. Der in diesem Zusammenhang darlegungspflichtige Arbeitgeber hat die aufgetretenen Störungen nach Ort, Datum, Verlauf und Auswirkungen konkret zu schildern (vgl. DLW/Dörner, 3. Aufl., D, Rdnr. 1189).

Eine erhebliche Beeinträchtigung von betrieblichen Interessen kann sich unabhängig hiervon auch daraus ergeben, dass eine wirtschaftliche Belastung des Arbeitgebers durch Entgeltfortzahlungskosten eintritt, die für einen Zeitraum von mehr als 6 Wochen aufzuwenden sind. Dies gilt auch dann, wenn die Fehlzeiten des Arbeitnehmers zu keinen Betriebsablaufstörungen führen und der Arbeitgeber keine Personalreserve vorhält (BAG, Urt. v. 29.07.1993 - 2 AZR 155/93 = EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 40).

Die krankheitsbedingte Kündigung ist allerdings letztendlich nur dann sozial gerechtfertigt, wenn sich im Einzelfall nach Maßgabe einer umfassenden Interessenabwägung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, aufgrund der prognostizierten Belastung eine unzumutbare betriebliche oder wirtschaftliche Belastung des Arbeitgebers ergibt (vgl. BAG, Urt. v. 07.11.1985 - 2 AZR 657/84 = EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 17). Von maßgeblicher Bedeutung sind bei der Interessenabwägung die Kriterien Alter, Betriebszugehörigkeit, das Ausmaß der Unterhaltsverpflichtungen (vgl. BAG, Urt. v. 20.01.2000 2 AZR 378/99 = EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 47) und auf Seiten des Arbeitgebers die Höhe der erheblichen Entgeltfortzahlungskosten sowie die belastenden Auswirkungen von weiteren Betriebsablaufstörungen (vgl. DLW/Dörner, 3. Aufl., D, Rdnr. 1141).

Unter Berücksichtigung dieser Rechtsgrundsätze ist die streitgegenständliche Kündigung sozial ungerechtfertigt.

1.

Die zum Kündigungszeitpunkt zu erstellende Gesundheitsprognose kann von der erkennenden Kammer insoweit als negativ unterstellt werden, als beim Kläger seit 1996 krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeitszeiten aufgetreten sind. Diese Arbeitsunfähigkeitszeiten beruhen nämlich im Wesentlichen auf einer Herzerkrankung des Klägers. Dass es auch in Zukunft zu hierdurch verursachten Fehlzeiten kommt, kann deshalb unterstellt werden, weil dies letztlich an der fehlenden sozialen Rechtfertigung der Kündigung nichts ändert.

Soweit Arbeitsunfähigkeitszeiten aus der Zeit vor 1998 von der Beklagten vorgetragen worden sind, können auch diese Zeiten - trotz des Bestreitens durch den Kläger - als zutreffend unterstellt werden. Allerdings waren sie - soweit die Zeit vor 1996 betroffen ist - für die im Kündigungszeitpunkt aktuell anzustellende Gesundheitsprognose nicht mehr relevant, da der Kläger hierzu erstinstanzlich unwidersprochen vorgetragen hatte, diese Arbeitsunfähigkeitszeiten seien im Wesentlichen auf orthopädische Beschwerde zurückzuführen gewesen, die zwischenzeitlich ausgeheilt seien.

Ab 1996 ergaben sich mithin folgende Arbeitsunfähigkeitszeiten des Klägers:

1996 32 Arbeitstage, alle entgeltfortzahlungspflichtig

1997 66 Arbeitstage, davon 16 entgeltfortzahlungspflichtig

1998 49 Arbeitstage, davon 32 entgeltfortzahlungspflichtig

1999 31 Arbeitstage, alle entgeltfortzahlungspflichtig

2000 32 Arbeitstage, alle entgeltfortzahlungspflichtig

2001 43 Arbeitstage, alle entgeltfortzahlungspflichtig

Bei der Ermittlung dieser Zeiten wurden von der Berufungskammer die rechnerisch zutreffend Einzelzeiten, ohne Berücksichtigung von Feiertagen - unter Abweichung vom Rechenwerk der Beklagten - zugrunde gelegt. So ergaben sich - entgegen der Rechnung der Beklagten - für die Zeit von 04.05. bis 22.05.1998 14 Arbeitstage und vom 23.04. bis 01.06.2001 28 Arbeitstage.

2.

Erhebliche betriebliche Beeinträchtigungen vermochte die Beklagte nur im Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Belastung durch Entgeltfortzahlungskosten vorzutragen. Betriebsablaufstörungen wurden hingegen nur unsubstantiiert behauptet, in dem auf Dispositionsschwierigkeiten beim Einsatz des Klägers, der nur zu seiner Sollarbeitszeit präsent gewesen sei, hingewiesen wurde. Diesem Hinweis sind aber konkrete Betriebsablaufstörungen und deren Auswirkungen nicht zu entnehmen.

Entgeltfortzahlungskosten sind in erheblichem Umfang, also über sechs Wochen jährlich hinaus, während des die negative Gesundheitsprognose begründenden Zeitraumes gezahlt worden.

Die Höhe dieser erheblichen Kosten errechnet sich aus den rechnerisch berichtigten, aber im Übrigen unstreitigen Angaben der Beklagten wie folgt:

1996 141,97 EUR (2.271,56 EUR : 32 Arbeitstage x 2 Arbeitstage)

1997 ,00 EUR

1998 118,44 EUR (1.895,13 EUR : 32 Arbeitstage x 2 Arbeitstage)

1999 72,86 EUR (2.258,73 EUR : 31 Arbeitstage x 1 Arbeitstag)

2000 148,11 EUR (2.369,87 EUR : 32 Arbeitstage x 2 Arbeitstage)

2001 704,54 EUR (2.330,43 EUR : 43 Arbeitstage x 3 Arbeitstage)

3.

Im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung überwog zum Kündigungszeitpunkt unter Berücksichtigung der vorstehend festgestellten und im Übrigen teilweise zu Lasten des Klägers unterstellten Tatsachen, das Interesse des Klägers am Fortbestand des Arbeitsverhältnisses gegenüber dem Interesse der Beklagten an dessen Auflösung.

Dabei waren folgende Umstände zu Gunsten des Beendigungsinteresses der Beklagten zu berücksichtigen:

Das Arbeitsverhältnis bestand lediglich 7 Jahre ungestört; seit 1988 traten durchgehend in jedem Jahr krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeitszeiten beim Kläger auf. Des weiteren wird im Rahmen der Interessenabwägung unterstellt, dass der Kläger zum allein maßgeblichen Kündigungszeitpunkt noch Raucher und in Folge dessen damals zu erwarten war, dass hierdurch künftige Krankheitszeiten durch ihn mit verursacht würden. Die von 1996 bis zur Kündigung angefallenen und in die Zumutbarkeitsabwägung einzustellenden Entgeltfortzahlungskosten, die jährlich über sechs Wochen hinaus gezahlt wurden, belaufen sich auf insgesamt 1.185,92 EUR. Zudem ist zu Gunsten der Beklagten zu berücksichtigen, dass die Entgeltfortzahlungsmehrkosten im Jahr der Kündigung gegenüber den vorausgegangenen Jahren um ein Mehrfaches angestiegen waren. Schließlich war das Arbeitsverhältnis im Jahr 2001 dadurch belastet worden, dass der Kläger an einem Betriebsfahrzeug einen Schaden in Höhe von 2.414,78 DM dadurch verursachte, dass er dieses Fahrzeug mit Benzin statt Diesel betankte.

Demgegenüber begründen - zumindest bezogen auf den maßgeblichen Kündigungszeitpunkt - folgende Umstände das Überwiegen des Fortbestandsinteresses des Klägers: Sein Lebensalter von 54 Jahren, zwei Unterhaltsverpflichtungen und die lange Beschäftigungszeit bei der Beklagten von insgesamt 20 Jahren. Entscheidend kommt hinzu, dass in der Zeit vor der Kündigung zwar erhebliche wirtschaftliche Belastungen bei der Beklagten aufgetreten sind, diese aber - insbesondere angesichts der Dauer des Arbeitsverhältnisses - noch nicht als unzumutbar zu werten waren. Denn seit 1996, also seit dem Auftreten der Herzerkrankung bei dem Kläger, belief sich der jährliche Entgeltfortzahlungsmehrbetrag im jährlichen Durchschnitt auf 197,65 EUR (1.185,92 EUR: 6 Jahre). Selbst unter Berücksichtigung aller sonstigen Einzelfallumstände war es für die Beklagte daher im Kündigungszeitpunkt zumutbar, die weitere Entwicklung etwaiger Fehlzeiten des Klägers abzuwarten und das Beschäftigungsverhältnis fortzusetzen.

Nach alledem konnte dahingestellt bleiben, ob die ordentliche Kündigung auch wegen einer fehlerhaften Anhörung des Betriebsrates gemäß § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG rechtsunwirksam ist.

B.

Der Kläger hat unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des großen Senates des Bundesarbeitsgerichtes auch einen Anspruch auf Weiterbeschäftigung als Reiniger bis zum rechtskräftigen Abschluss des vorliegenden Kündigungsrechtsstreites. Nach dieser Rechtsprechung besteht der aus §§ 611, 613 BGB in Verbindung mit § 242 BGB abgeleitete Beschäftigungsanspruch, der für die Dauer des Arbeitsverhältnisses gegeben ist, grundsätzlich auch für die Dauer eines Kündigungsschutzprozesses, wenn die umstrittene Kündigung des Arbeitgebers unwirksam ist und das Arbeitsverhältnis deshalb auch während des Kündigungsschutzprozesses fortbesteht (vgl. BAG GS, Beschl. v. 27.02.1985 - GS 1/84 = EzA § 611 Beschäftigungspflicht Nr. 9). Die Beklagte war dementsprechend zur vertragsgemäßen Weiterbeschäftigung des Klägers während des Kündigungsschutzprozesses zu verurteilen, zumal die ordentliche Kündigung vom 28.11.2001 das Arbeitsverhältnis nicht beendete.

Nach alledem war die Berufung der Beklagten mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.

Für die Zulassung der Revision fehlt es unter Berücksichtigung von § 72 Abs. 2 ArbGG an einem gesetzlich begründeten Anlass.



Ende der Entscheidung

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