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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz
Urteil verkündet am 22.11.2006
Aktenzeichen: 9 Sa 620/06
Rechtsgebiete: BGB, BRTV, ArbGG, ZPO


Vorschriften:

BGB § 247
BGB § 286 Abs. 2 Nr. 1
BGB § 288
BGB § 288 Abs. 1
BRTV § 18 Abs. 6
BRTV § 18 Ziff. 1 S. 1
BRTV § 18 Ziff. 2 S. 2
BRTV § 18 Ziff. 6
BRTV § 18 Ziff. 6 S. 1
BRTV § 18 Ziff. 6 S. 2
ArbGG §§ 64 ff.
ZPO §§ 513 ff.
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Aktenzeichen: 9 Sa 620/06

Entscheidung vom 22.11.2006

Tenor:

1. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen vom 06.07.2006, Az.: 4 Ca 562/06, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2. Die Revision wird, soweit die Berufung bezüglich der Klägerin zu 2) zurückgewiesen wurde, zugelassen; im Übrigen wird die Revision nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Zahlung von restlicher Sonderzuwendung.

Die Klägerin zu 1. ist bei dem Beklagten, der eine Apotheke betreibt, und dessen Rechtsvorgängern seit dem 01.11.1993 als Pharmazeutisch-Technische Assistentin gegen Zahlung eines monatlichen Arbeitentgeltes in Höhe von zuletzt 1.132,88 EUR brutto beschäftigt. Die Parteien haben keinen schriftlichen Arbeitsvertrag geschlossen.

Die Klägerin zu 2. ist bei dem Beklagten und dessen Rechtsvorgängern seit dem 01.04.1966 als Pharmazeutisch-Kaufmännische Assistentin gegen Zahlung eines monatlichen Arbeitsentgeltes in Höhe von zuletzt 2.368,16 EUR brutto beschäftigt. Am 29.12.1997 unterzeichneten sie und der Beklagte einen schriftlichen Arbeitsvertrag (vgl. Bl. 6 f. d. A.).

Beide Klägerinnen bezogen seit Beginn ihrer Beschäftigungsverhältnisse eine jährliche Sonderzuwendung, die vorbehaltlos am 30.11. des jeweiligen Kalenderjahres in Höhe eines übertariflichen Monatsverdienstes gezahlt wurde. Zum 01.01.2005 trat der neue Bundesrahmentarifvertrag vom 02.11.2004, geschlossen vom Arbeitgeberverband Deutscher Apotheken und der Apothekergewerkschaft X. (im Folgenden: BRTV), in Kraft. Dieser Tarifvertrag sah erstmals die Möglichkeit einer Kürzung der tariflichen Sonderzuwendung, die bislang in Höhe eines tariflichen Monatsverdienstes geschuldet war, vor.

Am 17.06.2005 wurden beide Klägerinnen Mitglied in der Apothekergewerkschaft X. Der Beklagte zahlte für das Kalenderjahr 2005 - unter Berufung auf die tarifliche Kürzungsmöglichkeit - an beide Klägerinnen eine Sonderzuwendung in Höhe der Hälfte eines tariflichen Monatsverdienstes. Beide Klägerinnen baten, zusammen mit weiteren Arbeitskolleginnen, den Beklagten mit Schreiben vom 29.11.2005 (Bl. 17 d. A.) um schriftliche Darlegung der wirtschaftlichen Gründe, welche die Kürzung notwendig machten.

Hierauf erwiderte der Beklagte in einem Schreiben ohne Datum (Bl. 20 f. d. A.), dem als Anlage ein Schreiben seines Steuerberaters vom 04.11.2005 (Bl. 18 f. d. A.) nebst einer grafischen Darstellung (Bl. 19 d. A.) beigefügt waren.

Anschließend haben die Klägerinnen beim Arbeitsgericht Ludwigshafen Klage auf Leistung einer restlichen Sonderzuwendung für das Kalenderjahr 2005 in Höhe der Differenz zwischen einem übertariflichen Monatsverdienst und dem gezahlten Betrag eingereicht.

Wegen der weiteren Einzelheiten des unstreitigen Tatbestandes und hinsichtlich des erstinstanzlichen Parteivorbringens wird auf die Zusammenfassung im Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen vom 06.07.2006 (dort S. 2 - 5 = Bl. 69 - 72 d. A.) verwiesen.

Die Klägerinnen haben beantragt,

1. den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin zu 1. EUR 566,44 brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz gemäß § 247 BGB seit dem 01.12.2005 zu zahlen;

2. den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin zu 2. EUR 879,33 brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz gemäß § 247 BGB seit dem 01.12.2005 zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Arbeitsgericht Ludwigshafen hat den Klagen mit Urteil vom 26.07.2006 (Bl. 68 ff. d. A.) vollumfänglich stattgegeben und die Berufung zugelassen. Wegen der Entscheidungsgründe des Arbeitsgerichtes wird auf Seite 5 ff. seines Urteiles (Bl. 72 ff. d. A.) Bezug genommen.

Der Beklagte hat gegen diese Entscheidung, die ihm am 21.07.2006 zugestellt worden ist, am 08.08.2006 Berufung zum Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz eingelegt und am 06.10.2006 sein Rechtsmittel begründet, nachdem die Berufungsbegründungsfrist bis einschließlich 06.10.2006 verlängert worden war.

Der Beklagte macht geltend,

das Arbeitsgericht habe nicht hinreichend berücksichtigt, dass bei beiden Klägerinnen eine betriebliche Übung schon deshalb nicht habe entstehen können, weil die Vertragsparteien eine Vereinbarung dahingehend getroffen hätten, dass die jährliche Sonderzahlung aufgrund tarifvertraglicher Regelungen erfolge. Im Falle der Klägerin zu 1. hätten sich auch alle sonstigen Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis an dem Tarifvertrag orientiert.

Soweit sich beide Klägerinnen auf eine betriebliche Übung berufen würden, sei dies auch widersprüchlich, da sie mit Schreiben vom 29.11.2005 gegenüber dem Beklagten tarifliche Rechte aus § 18 Ziffer 6 BRTV abgeleitet hätten.

Soweit das Arbeitsgericht bei der Klägerin zu 2. zwischen dem tariflichen und übertariflichen Teil der Sonderzuwendung unterschieden habe, sei dies nicht gerechtfertigt. Denn die Höhe der gesamten Sonderzuwendung der Klägerin zu 2. wie auch die Sonderzuwendung der Klägerin zu 1. seien zu Recht um 50 % vom Beklagten gekürzt worden. Die tariflichen Voraussetzungen aus § 18 Ziffer 6 BRTV seien nämlich erfüllt gewesen. Hiernach sei dem Apothekeninhaber die Möglichkeit eingeräumt, die Sonderzahlung zu reduzieren, wenn es ihm aus wirtschaftlichen Gründen notwendig erscheine. Im Gegenzug erhalte der Arbeitnehmer einen halbjährigen Schutz vor betriebsbedingten Kündigungen. Hierbei handele es sich um ein ausgewogenes Gesamtpaket, bei dem die Kürzungsmöglichkeit bewusst in das weitgehend freie Ermessen des Apothekeninhabers gestellt worden sei und der Arbeitnehmer als Ausgleich eine halbjährige Arbeitsplatzgarantie erhalte. Dem Wortlaut der Tarifregelung sei zu entnehmen, dass man bewusst in Kauf genommen habe, dass die Einschätzung der wirtschaftlichen Gegebenheiten einzig und allein dem Apothekeninhaber ohne Rechtfertigungsgründe nach außen (gegenüber Arbeitnehmern oder Arbeitsgerichten) zukommen solle.

Trotz dieser geringen tariflichen Anforderungen habe im vorliegenden Fall der Beklagte einen Umsatzeinbruch nebst dem Vergleich der Zahlen seit Januar 2004 mit einem Erläuterungsschreiben seines Steuerberaters vorgelegt.

Wegen der weiteren Einzelheiten der Berufungsbegründung wird auf den Schriftsatz des Beklagten vom 06.10.2006 (Bl. 92 ff. d. A.) Bezug genommen.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen vom 06.07.2006, Az.: 4 Ca 562/06 aufzuheben und nach den Schlussanträgen erster Instanz zu erkennen.

Die Klägerinnen beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerinnen führen aus,

eine Bezugnahme auf den jeweils geltenden Tarifvertrag sei mit ihnen weder bei der Einstellung noch in der Folgezeit vereinbart worden. Nicht nur bei den Sonderzahlungen, sondern auch bei sonstigen Rechten und Pflichten aus dem Beschäftigungsverhältnis hätten sich die Parteien nicht an einem Tarifvertrag orientiert. Vielmehr sei allein bei der Klägerin zu 2. erstmals in dem 1997 geschlossenen schriftlichen Arbeitsvertrag auf den geltenden Tarifvertrag verwiesen worden.

Der Beklagte sei - wie das Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt habe - unter Beachtung von § 18 Ziffer 6 BRTV nicht zu einer Leistungskürzung berechtigt gewesen. Soweit er Wirtschaftszahlen zu seinem Apothekenbetrieb vorgetragen habe, ergebe sich hieraus, dass der Gewinn im Jahr 2004 gegenüber jenem aus dem Jahr 2003 gesteigert worden sei; für das Jahr 2005 habe er auf die Vorlage von Zahlen gänzlich verzichtet.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten der Berufungserwiderung wird auf den Schriftsatz der Klägerinnen vom 06.11.2006 (Bl. 106 ff. d. A.) verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist gemäß §§ 64 ff. ArbGG, 513 ff. ZPO zwar zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet.

Beide Klägerinnen haben jeweils einen Anspruch auf Zahlung von restlicher Sonderzahlung für das Jahr 2005 in der erstinstanzlich zuerkannten Höhe.

A.

Der Klägerin zu 1. steht dementsprechend eine Restforderung in Höhe von 566,44 EUR brutto zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.12.2005 zu.

1.

Anspruchsgrundlage für die Hauptforderung sind die Rechtsgrundsätze der betrieblichen Übung. Kraft betrieblicher Übung entsteht ein Gratifikationsanspruch, wenn der Arbeitgeber eine Gratifikation wiederholt und vorbehaltlos gewährt und dadurch für den Arbeitnehmer ein Vertrauenstatbestand des Inhalts entsteht, der Arbeitgeber wolle sich für die Zukunft binden (vgl. DLW/ Dörner C Randziffer 853 m. w. N.). Ein derartiger Vertrauenstatbestand entsteht regelmäßig nach dreimaliger Zahlung der Gratifikation, falls nicht besondere Umstände dagegen sprechen oder der Arbeitgeber bei jeder Zahlung einen Bindungswillen für die Zukunft ausgeschlossen hat (vgl. BAG, Urteil vom 06.03.1956 - 3 AZR 175/55 = AP Nr. 3 zu § 611 BGB, Gratifikation; Urteil vom 26.06.1975 - 5 AZR 412/74 = AP Nr. 86 zu § 611 BGB, Gratifikation). Ein Anspruch des Arbeitnehmers aus betrieblicher Übung wird zum Inhalt des Arbeitsvertrages; er kann deshalb auf individualrechtlichem Wege nach den allgemeinen Regeln des Vertragsrechts ohne die Mitwirkung dieses Arbeitnehmers nicht untergehen (vgl. BAG, Urteil vom 05.02.1971 - 3 AZR 28/70 = AP Nr. 10 zu § 242 BGB, Betriebliche Übung).

a) Im vorliegenden Fall bezog die Klägerin jährlich von 1994 bis 2004 eine Sonderzuwendung in Höhe einer übertariflichen Monatsvergütung, ohne das eine arbeitsvertragliche oder tarifvertragliche Anspruchsgrundlage hierfür gegeben war. Wenn der Beklagte sich demgegenüber in seiner Berufungsbegründung darauf beruft, die Arbeitsvertragsparteien hätten mündlich die Vereinbarung getroffen, dass die Sonderzahlung auf tariflicher Grundlage erfolge, wurde dies von der Klägerin - wie bereits im erstinstanzlichen Verfahren - bestritten. Der Beklage als darlegungs- und beweispflichtige Partei hat, trotz der hierzu im erstinstanzlichem Urteil enthaltenen Hinweise, auch im Berufungsverfahren weder seinen pauschalen Sachvortrag zu der behaupteten Vereinbarung substantiiert noch entsprechenden Beweis angeboten. Mithin kann nicht von einer mündlichen Vereinbarung der Tarifbestimmungen über die Sonderzuwendung ausgegangen werden.

Besondere Umstände, die gegen die Entstehung eines Vertrauenstatbestandes für zukünftige Leistungen sprechen würden, sind von dem Beklagten weder vorgetragen worden noch sonstwie ersichtlich. Die Zahlungen erfolgten auch nicht unter einem Vorbehalt, so dass aus Sicht der Klägerin ein Bindungswille bei ihrem Arbeitgeber bestand.

b) Der Umstand, dass die Klägerin am 17.06.2005 in die Apothekergewerkschaft X. eintrat, führte zwar, aufgrund gleichzeitiger Mitgliedschaft des Beklagten im Tarifvertrag schließenden Arbeitgeberverband, zur Anwendbarkeit des BRTV ab dem 17.06.2005. Durch die tarifliche Regelung einer Sonderzuwendung unter § 18 Ziffer 6 BRTV wurde aber der individualvertragliche Anspruch der Klägerin nicht berührt. Denn dieser Anspruch ist für die Arbeitnehmerin günstiger, so dass es sich um eine vom Tarifvertrag abweichende Abmachung handelt, an welche der Arbeitgeber gebunden bleibt (vgl. § 4 Abs. 3 TVG).

c) Entgegen der im zweitinstanzlichen Verfahren geäußerten Auffassung des Beklagten ist die Berufung der Klägerin auf die Grundsätze der betrieblichen Übung auch unter Berücksichtigung des von ihr und ihren Arbeitskolleginnen verfassten Schreibens vom 29.11.2005 nicht widersprüchlich oder treuwidrig. Soweit in diesem Schreiben der Beklagte um Darlegung der tariflichen Gründe für eine Kürzung der Sonderzuwendung gebeten wurde, schloss dies eine spätere Berufung auf eine betriebliche Übung nicht aus. Denn hierdurch wurde weder zum Ausdruck gebracht, dass auf außertarifliche Anspruchsgrundlagen verzichtet werde, noch konnte beim Beklagten, aufgrund sonstiger Umstände, ein dahingehendes Vertrauen entstehen.

2.

Die zugesprochenen Zinsen ergeben sich aus §§ 286 Abs. 2 Nr. 1, 288 Abs. 1, 247 BGB, zumal die Leistung der Sonderzuwendung zum 30.11.2005, kraft vorausgegangener betrieblicher Übung, fällig wurde.

B.

Die Klägerin zu 2. hat einen Anspruch auf restliche Sonderzuwendung in Höhe von 879,33 EUR brutto zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.12.2005.

1.

Die Rechtsgrundlage für die Hauptforderung ist zum einem - bis zur Höhe des tariflichen Monatsverdienstes - § 18 Ziffer 1 S. 1 BRTV und zum andern sind es - hinsichtlich des darüber hinausgehenden übertariflichen Teiles der Sonderzuwendung - die Grundsätze der betrieblichen Übung.

a) § 18 Ziffer 1 S. 1 BRTV ist Anspruchsgrundlage, da die Klägerin zu 2. am 29.12.1997 einen schriftlichen Arbeitsvertrag geschlossen hat, der unter anderem folgende Regelung enthält:

"Im übrigen gelten die Bestimmungen des Bundesrahmentarifvertrages für Apothekenmitarbeiter in ihrer jeweils gültigen Fassung."

Soweit in den Jahren, die dieser arbeitsvertraglichen Vereinbarungen vorausgingen, der Klägerin ein Anspruch auf Sonderzahlung in übertariflicher Höhe aus dem Gesichtspunkt der betrieblichen Übung erwachsen war, wurde der Anteil hieran, soweit er ab dem 29.12.1997 tariflich geschuldet war, den Bestimmungen des BRTV unterworfen. Denn der schriftliche Arbeitsvertrag enthält selbst keine spezielle Regelung über eine jährliche Sonderzahlung.

Der Beklagte war allerdings nicht berechtigt, den tariflichen Anteil an der Sonderzuwendung für das Kalenderjahr 2005 um 50 % zu kürzen, da die tariflichen Voraussetzungen hierfür nicht erfüllt sind. In § 18 Ziffer 6 ist eine Kürzungsmöglichkeit wie folgt geregelt:

"Der Apothekeninhaber ist für jedes Jahr berechtigt, die Sonderzahlung auf bis zu 50 % des tariflichen Monatsverdienstes zu kürzen, sofern sich dies dem Apothekeninhaber aus wirtschaftlichen Gründen als notwendig darstellt. Die Sonderzahlung ist nachträglich ungekürzt zu zahlen, sofern der Apothekenleiter binnen einer First von 6 Monaten nach der Zahlung eine betriebsbedingte Kündigung ausspricht und mit Ausspruch der Kündigung zur Zahlung fällig."

Wie bereits das Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, lässt die Formulierung "..., sofern sich dies dem Apothekeninhaber aus wirtschaftlichen Gründen als notwendig darstellt." mehrere Möglichkeiten des Verständnisses und der Deutung zu; dies zeigen bereits die unterschiedlichen Auffassungen dieser Vorschrift durch die Prozessparteien. Mithin ist eine Auslegung der Tarifregelung erforderlich.

Der normative Teil eines Tarifvertrages ist nach den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln auszulegen. Zunächst ist vom Tarifwortlaut auszugehen. Zu ermitteln ist der maßgebliche Sinn der Erklärung, ohne an den Buchstaben zu haften. Über den reinen Wortlaut hinaus ist jedoch der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und der damit von ihnen beabsichtige Zweck der Tarifnormen zu berücksichtigen, sofern und soweit dieser Wille in den Tarifnormen seinen Niederschlag gefunden hat. Hierzu ist auch auf den tariflichen Gesamtzusammenhang abzustellen, weil häufig nur aus ihm und nicht aus der einzelnen Tarifnorm auf den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien geschlossen und nur bei Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs der Sinn und Zweck zutreffend ermittelt werden kann. Noch verbleibende Zweifel können ohne Bindung an einer Reihenfolge mittels weiterer Kriterien wie der Entstehungsgeschichte des Tarifvertrags, ggfs. auch der praktischen Tarifübung geklärt werden. Im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (vgl. BAG, Urteil vom 18.05.2006 - 6 AZR 631/05 = AP Nr. 1 zu § 8 TV-SozSich). Die Einholung einer Tarifauskunft erübrigt sich, falls Wortlaut und Zusammenhang der tariflichen Bestimmungen keinen Anhaltspunkt für eine gegenteilige Auskunft der Tarifparteien bieten (vgl. BAG, Urteil vom 12.10.2005 -10 AZR 630/04 = AP Nr. 1 zu § 1 TVG, Tarifverträge: Sanitärhandwerk).

Im vorliegenden Fall ist hinsichtlich des Tarifwortlautes von § 18 Abs. 6 BRTV aus Sicht der Berufungskammer zweierlei von wesentlicher Bedeutung: Zum einen kann der Hinweis auf die Sicht des Apothekers - entgegen dem Verständnis des Beklagten - nicht bedeuten, dass die Kürzung im unüberprüfbaren, subjektiven Ermessen des Apothekeninhabers steht. Ansonsten wäre die Verknüpfung mit dem weiteren Wortlaut "aus wirtschaftlichen Gründen als notwendig" vollkommen bedeutungslos. Dementsprechend kann es nur darauf ankommen, ob aus der Sicht eines objektiv an Stelle des konkreten Apothekeninhabers entscheidenden Arbeitgebers die wirtschaftlichen Gründe für eine Kürzung gegeben sind oder nicht. Mithin ist auch nicht auf die durchschnittliche wirtschaftliche Belastung aller Apotheken in Deutschland für die Tarifauslegung abzustellen.

Zum anderen müssen sich die wirtschaftlichen Gründe nach dem Tarifwortlaut als "notwendig", also zur Abwendung einer Not darstellen. Dieser Wortgebrauch weist darauf hin, dass nicht jeder beliebige wirtschaftliche Grund zur Begründung einer Zahlungskürzung herangezogen werden kann. Vielmehr deutet der Wortlaut auf das Erfordernis einer letzten Möglichkeit zur Abwendung einer Not (ultima-ratzio-prinzip) hin.

Dieses Verständnis der Tarifregelung wird darüber hinaus auch durch den tariflichen Gesamtzusammenhang bestätigt. § 18 Ziffer 6 S. 2 BRTV sieht eine Nachzahlung der ursprünglich gekürzten Sonderzuwendung dann vor, wenn binnen sechs Monaten nach der Zahlung eine betriebsbedingte Kündigung erfolgt. Die Beschränkung der Nachzahlungspflicht auf den Kündigungsgrund der Betriebsbedingtheit lässt erkennen, dass die Kürzungsmöglichkeit zumindest auch der Vermeindung derartiger Kündigungen dienen soll. Wäre es den Tarifvertragsparteien nur um den Gedanken der zusätzlichen Abgeltung von Arbeitsleistung bei späterer Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegangen, so hätten sie auch personenbedingte Kündigungsgründe in die Regelung aufgenommen.

Der Zusammenhang zwischen notwendigen wirtschaftlichen Gründen und der Vermeidung von betriebsbedingten Kündigungen legt nahe, dass die Kürzung der Sonderzuwendung Bestandteil eines Sanierungsgesamtkonzeptes sein muss, das von dem Apothekeninhaber zu erstellen ist. Hierfür spricht auch, dass das finanzielle Gesamtvolumen, welches durch die 50 % Kürzung von Sonderzuwendungen in der Regel zu gering sein dürfte, um allein eine wirtschaftliche Schieflage wie sie bei oft kleinen oder mittelständischen Apothekenbetrieben betriebsbedingten Kündigungen vorausgeht, zu korrigieren.

Wenn der Beklagte dem entgegen hält, die Tarifregelung in § 18 Ziffer 6 BRTV enthalte ein ausgewogenes Paket, das die Interessen beider Arbeitsvertragsparteien berücksichtige, indem dem Apothekeninhaber "in einem vereinfachten Verfahren" eine Kürzungsmöglichkeit eröffnet werde und der Arbeitnehmer bei einer betriebsbedingten Kündigung einen Nachzahlungsanspruch erhalte, folgt dem die Berufungskammer nicht. Der Beklagte sieht dabei nämlich letztlich die Nachzahlungspflicht als Gegenleistung für freies Kürzungsermessen an. Ein dahingehendes Verständnis des Tarifwortlautes ist aber - wie oben bereits ausgeführt - nicht durch hinreichend konkrete Anhaltspunkte in § 18 Ziffer 6 BRTV zu belegen.

Im Übrigen ist auch nicht ersichtlich, weshalb die von den Tarifparteien für das Jahr 2005 erstmals vereinbarte Kürzungsmöglichkeit nicht an objektive, gerichtlich nachprüfbare Voraussetzungen - neben der vereinbarten Nachzahlungspflicht für bestimmte Kündigungsfälle - gebunden sein sollte. Auch dies wäre im Vergleich zu dem vorausgegangenen Tarifzustand - überhaupt keine Kürzungsmöglichkeit - nicht als unausgewogen zu bezeichnen.

Die Berufungskammer hat angesichts der vorstehend getroffenen Feststellungen auf die Einholung einer Auskunft der Tarifparteien verzichtet, da Tarifwortlaut- und zusammenhang keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine sachbezogene gegenteilige Auskunft bieten.

Aus dem Sachvortrag des darlegungsbelasteten Beklagten ergibt sich kein Anhaltspunkt dafür, dass die Kürzung der Sonderzuwendung aus der Sicht eines objektiv handelnden Apothekeninhabers aus wirtschaftlichen Gründen notwendig gewesen wäre. Insbesondere hat er weder eine wirtschaftliche Lage dargelegt, die - im Falle des Unterbleibens einer Leistungskürzung - betriebsbedingte Kündigungen notwendig machen würde. Dem Schreiben des Beklagten ohne Datum und jenem seines Steuerberaters vom 04.11.2005 sind weder aussagekräftige, betriebliche Wirtschaftsdaten für das Jahr 2005 noch ein Sanierungskonzept zu entnehmen.

b) Soweit der Beklagte nach Abschluss des schriftlichen Arbeitsvertrages vom 29.12.1997 bis in das Kalenderjahr 2004 über die tariflich geschuldete Sonderzuwendung hinaus eine übertarifliche Leistung erbrachte, ist dies, kraft betrieblicher Übung, zum Vertragsinhalt geworden. Denn der Beklagte hat diese Leistung zumindest dreimal vorbehaltlos erbracht. Zu seinem Einwand, auch mit der Klägerin zu 2. sei bereits vor 1997 mündlich die Geltung des Tarifvertrages für die Sonderzahlungen vereinbart worden, gelten die zu demselben Einwand hinsichtlich der Klägerin zu 1. gemachten Ausführungen der Berufungskammer.

Ob der übertarifliche Teil der geschuldeten Sonderzuwendung der tariflichen Kürzungsregelung unterliegt, worauf sich der Beklagte beruft, kann dahinstehen. Denn eine tarifliche Kürzungsmöglichkeit wäre auch in diesem Zusammenhang, mangels Vorliegens der Voraussetzungen aus § 18 Ziffer 6 S. 1 BRTV, ausgeschlossen.

2.

Die auf die Hauptforderung zuerkannten Zinsen beruhen auf §§ 286 Abs. 2 Nr. 1, 288, 247 BGB i. V. m. § 18 Ziffer 2 S. 2 BRTV und der, im Übrigen kraft betrieblicher Übung, zum 30.11.2005 vereinbarten Fälligkeit.

In Ergänzung der vorstehenden Ausführungen wird auf die vollumfänglich zutreffenden Entscheidungsgründe aus dem Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen vom 06.07.2006 (S. 5 ff. = Bl. 72 ff. d. A.) Bezug genommen.

Nach alledem war die Berufung mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.

Soweit sich die Zurückweisung der Berufung auf die Klägerin zu 2. bezieht war die Revision unter Beachtung von § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zuzulassen, da um die Auslegung einer bundesweit geltenden Tarifregelung gestritten wird. Im Übrigen liegt unter Beachtung von § 72 Abs. 2 ArbGG ein gesetzlich begründeter Anlass für die Zulassung der Revision nicht vor.

Ende der Entscheidung

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