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Gericht: Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz
Urteil verkündet am 22.11.2006
Aktenzeichen: 9 Sa 621/06
Rechtsgebiete: BRTV, ArbGG, ZPO, BGB


Vorschriften:

BRTV § 18 Ziff. 1 S. 1
BRTV § 18 Ziff. 2 S. 2
BRTV § 18 Ziff. 6
BRTV § 18 Ziff. 6 S. 2
ArbGG §§ 64 ff.
ZPO §§ 513 ff.
BGB § 247
BGB § 286 Abs. 2 Nr. 1
BGB § 288
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Aktenzeichen: 9 Sa 621/06

Entscheidung vom 22.11.2006

Tenor:

1. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen vom 06.07.2006, Az.: 561/06, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Zahlung von restlicher Sonderzuwendung.

Die Klägerin ist bei dem Beklagten, der eine Apotheke betreibt, seit dem 01.12.2004 als Pharmazeutisch-Kaufmännische Assistentin gegen Zahlung eines monatlichen Arbeitsentgeltes in Höhe von zuletzt 1.473,91 EUR brutto beschäftigt. Dem Arbeitsverhältnis liegt der schriftliche Arbeitsvertrag vom 21.10.2004 (Bl. 5 ff.) zu Grunde. Dieser Arbeitsvertrag enthält keine Regelung über eine Sonderzuwendung und unter Ziffer 14. die Vereinbarung, dass im Übrigen die Bestimmungen des Bundesrahmentarifvertrages für Apothekenmitarbeiter in ihrer jeweils gültigen Fassung gelten.

Für das Kalenderjahr 2005 zahlte der Beklagte - unter Berufung auf die im Bundesrahmentarifvertrag vom 02.11.2004, geschlossen vom Arbeitgeberverband Deutscher Apotheken und der Apothekergewerkschaft X. (im Folgenden: BRTV) vorgesehene Kürzungsmöglichkeit - an die Klägerin eine Sonderzuwendung in Höhe der Hälfte eines tariflichen Monatsverdienstes. Nachdem die Klägerin, zusammen mit weiteren Arbeitskolleginnen um schriftliche Darlegung der wirtschaftlichen Gründe, welche die Kürzung notwendig machen, gebeten hatte, erwiderte der Beklagte in einem Schreiben ohne Datum (Bl. 20 f d. A.), dem als Anlage ein Schreiben seines Steuerberaters vom 04.11.2005 (Bl. 15 f d. A.) und eine grafische Darstellung beigefügt waren.

Anschließend hat die Klägerin die vorliegende Klage auf Leistung einer restlichen Sonderzuwendung für das Kalenderjahr 2005 in Höhe eines halben tariflichen Monatsverdienstes beim Arbeitsgericht Ludwigshafen eingereicht.

Wegen der weiteren Einzelheiten des unstreitigen Tatbestandes und hinsichtlich des erstinstanzlichen Parteivorbringens wird auf die Zusammenfassung im Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen vom 06.07.2006 (dort S. 2 - 5 = Bl. 64 - 67 d. A.) verwiesen.

Das Arbeitsgericht Ludwigshafen hat der Klage mit Urteil vom 06.07.2006 (Bl. 63 ff. d. A.) stattgegeben; wegen der Entscheidungsgründe wird auf S. 5 ff. des Urteils (Bl. 67 ff. d. A.) Bezug genommen.

Der Beklagte hat gegen diese Entscheidung, die ihm am 21.07.2006 zugestellt worden ist, am 08.08.2006 Berufung zum Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz eingelegt und am 05.10.2006 sein Rechtsmittel begründet, nachdem die Berufungsbegründungsfrist bis zum 06.10.2006 verlängert worden war.

Der Beklagte macht geltend,

die Sonderzuwendung für das Jahr 2005 sei von ihm zu Recht um 50% gekürzt worden, da die tariflichen Voraussetzungen aus § 18 Ziffer 6 BRTV erfüllt seien. Hiernach sei dem Apothekeninhaber die Möglichkeit eingeräumt worden, die Sonderzahlung zu reduzieren, wenn es ihm aus wirtschaftlichen Gründen notwendig erscheine. Im Gegenzug erhalte der Arbeitnehmer einen halbjährigen Schutz vor betriebsbedingten Kündigungen. Hierbei handele es sich um ein ausgewogenes tarifliches Gesamtpaket, bei dem die Kürzungsmöglichkeit bewusst in das weitgehend freie Ermessen des Apothekeninhabers gestellt worden sei und der Arbeitnehmer als Ausgleich eine halbjährige Arbeitsplatzgarantie erhalte. Dem Wortlaut der Tarifregelung sei zu entnehmen, dass man bewusst in Kauf genommen habe, dass die Einschätzung der wirtschaftlichen Gegebenheiten einzig und allein dem Apothekeninhaber, ohne Rechtfertigungsgründe nach außen (gegenüber Arbeitnehmern oder Arbeitsgerichten), zukommen solle.

Über diese geringen tariflichen Anforderungen hinausgehend habe der Beklagte im gegebenen Fall einen Umsatzeinbruch nebst Vergleich der Zahlen seit Januar 2004 mit einem Erläuterungsschreiben seines Steuerberaters vorgelegt.

Wegen der weiteren Einzelheiten der Berufungsbegründung wird auf den Schriftsatz des Beklagten vom 04.10.2006 (Bl. 84 ff. d. A.) Bezug genommen.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen vom 06.07.2006, Az.: 4 Ca 561/06 abzuändern und nach den Schlussanträgen erster Instanz zu erkennen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin führt aus,

der Beklagte sei - wie das Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt habe - unter Beachtung von § 18 Ziffer 6 BRTV nicht zu einer Leistungskürzung berechtigt gewesen. Aus den vorgelegten Wirtschaftszahlen des Beklagten ergebe sich, dass er den Gewinn im Jahr 2004 gegenüber dem Jahr 2003 gesteigert habe; für das Jahr 2005 habe er auf die Vorlage von Zahlen im vorliegenden Verfahren gänzlich verzichtet.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten der Berufungserwiderung wird auf den Schriftsatz der Klägerin vom 06.11.2006 (Bl. 102 ff. d. A.) verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist gemäß §§ 64 ff. ArbGG, 513 ff. ZPO zwar zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet.

Die Klägerin hat einen Anspruch auf Zahlung von restlicher Sonderzuwendung für das Jahr 2005 in der erstinstanzlich zuerkannten Höhe. Dementsprechend steht ihr eine Restforderung in Höhe von 666,65 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.12.2005 zu.

1.

Anspruchsgrundlage für die Hauptforderung ist § 18 Ziffer 1 S. 1 BRTV, da die Prozessparteien in dem schriftlichen Arbeitsvertrag, ohne dass darin eine spezielle Regelung über eine Sonderzuwendung enthalten wäre, unter Ziffer 14. vereinbart haben, dass im Übrigen die Bestimmungen des Bundesrahmentarifvertrages für Apothekenmitarbeiter in ihrer jeweils gültigen Fassung gelten. § 18 Ziffer 1 S. 1 BRTV lautet:

"Jeder Mitarbeiter erhält jährlich eine Sonderzahlung in Höhe von 100% seines tariflichen Monatsverdienstes."

Demnach stand der Klägerin für das Kalenderjahr 2005 ein tariflicher Sonderzahlungsanspruch in Höhe von 1.333,30 EUR brutto - dies entspricht einem monatlichen Tarifgehalt aus dem Jahr 2005 - zu, wovon der Beklagte lediglich die Hälfte gezahlt hat.

Der Beklagte war nicht berechtigt, den tariflichen Sonderzahlungsanspruch für das Kalenderjahr 2005 um 50% zu kürzen, da die tariflichen Voraussetzungen hierfür nicht erfüllt sind. In § 18 Ziffer 6 ist eine Kürzungsmöglichkeit wie folgt geregelt:

"Der Apothekeninhaber ist für jedes Jahr berechtigt, die Sonderzahlung auf bis zu 50% des tariflichen Mindestverdienstes zu kürzen, sofern sich dies dem Apothekeninhaber aus wirtschaftlichen Gründen als notwendig darstellt."

Wie bereits das Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, lässt die Formulierung "..., sofern sich dies dem Apothekeninhaber aus wirtschaftlichen Gründen als notwendig darstellt." mehrere Möglichkeiten des Verständnisses und der Deutung zu; dies zeigen bereits die unterschiedlichen Auffassungen dieser Vorschrift durch die Prozessparteien. Mithin bedarf es einer Auslegung der Tarifregelung.

Der normative Teil eines Tarifvertrages ist nach den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln auszulegen. Zunächst ist vom Tarifwortlaut auszugehen. Zu ermitteln ist der maßgebliche Sinn der Erklärung, ohne an den Buchstaben zu haften. Über den reinen Wortlaut hinaus ist jedoch der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und der damit von ihnen beabsichtigte Zweck der Tarifnormen zu berücksichtigen, sofern und soweit dieser Wille in den Tarifnormen seinen Niederschlag gefunden hat. Hierzu ist auch auf den tariflichen Gesamtzusammenhang abzustellen, weil häufig nur aus ihm und nicht aus der einzelnen Tarifnorm auf den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien geschlossen und nur bei Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs der Sinn und Zweck zutreffend ermittelt werden kann. Noch verbleibende Zweifel können ohne Bindung an eine Reihenfolge mittels weiterer Kriterien wie der Entstehungsgeschichte des Tarifvertrags, ggf. auch der praktischen Tarifübung geklärt werden. Im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (vgl. BAG, Urteil vom 18.05.2006 - 6 AZR 631/05 = AP Nr. 1 zu § 8 TV-SozSich m. w. N.). Die Einholung einer Auskunft der Tarifparteien erübrigt sich, falls Wortlaut und Zusammenhang der tariflichen Bestimmungen keinen Anhaltspunkt für eine gegenteilige Auskunft der Tarifparteien bieten (vgl. BAG, Urteil vom 12.10.2005 - 10 AZR 630/04 = AP Nr. 1 zu § 1 TVG, Tarifverträge: Sanitärhandwerk).

Im vorliegenden Fall ist hinsichtlich des Tarifwortlautes in § 18 Ziff. 6 BRTV aus Sicht der Berufungskammer zweierlei von wesentlicher Bedeutung:

Zum einen kann der Hinweis auf die Sicht des Apothekeninhabers - entgegen der Auffassung des Beklagten - nicht bedeuten, dass die Kürzung im unüberprüfbaren, subjektiven Ermessen des Apothekeninhabers steht. Ansonsten wäre die Verknüpfung mit dem weiteren Wortlaut "... aus wirtschaftlichen Gründen als notwendig...." vollkommen bedeutungslos. Dementsprechend kann es nur darauf ankommen, ob aus der Sicht eines objektiv an Stelle des konkreten Apothekeninhabers entscheidenden Arbeitgebers die wirtschaftlichen Gründe für eine Kürzung gegeben sind. Mithin ist auch nicht auf die durchschnittliche wirtschaftliche Belastung aller Apotheken in Deutschland für die Tarifauslegung abzustellen.

Zum anderen müssen sich die wirtschaftlichen Gründe nach dem Tarifwortlaut als "notwendig", also zur Abwendung einer Not darstellen. Dieser Wortgebrauch weist darauf hin, dass nicht jeder beliebige wirtschaftliche Grund zur Begründung einer Zahlungskürzung herangezogen werden kann. Vielmehr deutet der Wortlaut auf das Erfordernis einer letzten Möglichkeit zur Abwendung einer Not (ultima-ratio-prinzip) hin.

Dieses Verständnis der Tarifregelung wird darüber hinaus auch durch den tariflichen Gesamtzusammenhang bestätigt. § 18 Ziffer 6 S. 2 BRTV sieht eine Nachzahlung der ursprünglich gekürzten Sonderzuwendung vor, falls binnen 6 Monaten nach der Zahlung eine betriebsbedingte Kündigung erfolgt. Die Beschränkung der Nachzahlungspflicht auf den Kündigungsgrund der Betriebsbedingtheit lässt erkennen, dass die Kürzungsmöglichkeit zumindest auch der Vermeidung solcher Kündigungen dienen soll. Wäre es den Tarifparteien nur um den Gedanken der zusätzlichen Abgeltung von Arbeitsleistung bei späterer Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegangen, so hätten sie zumindest auch personenbedingte Kündigungsgründe in die Regelung aufgenommen.

Der Zusammenhang zwischen notwendigen wirtschaftlichen Gründen unter Vermeidung von betriebsbedingten Kündigungen legt nahe, dass die Kürzung der Sonderzuwendung Bestandteil eines Sanierungsgesamtkonzeptes sein muss, das von dem Apothekeninhaber zu erstellen ist. Hierfür spricht auch, dass das finanzielle Gesamtvolumen, welches durch die 50 % Kürzung von Sonderzuwendungen entsteht, in der Regel zu gering sein dürfte, um allein eine wirtschaftliche Schieflage, wie sie bei einem oft kleinen oder mittelständischen Apothekenbetrieb betriebsbedingten Kündigungen vorausgeht, zu korrigieren.

Wenn der Beklagte dem entgegenhält, die Tarifregelung in § 18 Ziffer 6 BRTV verkörpern ein ausgewogenes Paket, das die Interessen beider Arbeitsvertragsparteien berücksichtige, indem dem Apothekeninhaber "in einem vereinfachten Verfahren" eine Kürzungsmöglichkeit eröffnet werde und der Arbeitnehmer bei einer betriebsbedingten Kündigung einen Nachzahlungsanspruch habe, folgt dem die Berufungskammer nicht. Der Beklagte sieht dabei nämlich letztlich die Nachzahlungspflicht als Gegenleistung für freies Kürzungsermessen. Ein dahingehendes Verständnis des Tarifwortlautes ist aber, wie oben bereits ausgeführt, nicht durch hineichend konkrete Anhaltspunkte in § 18 Ziffer 6 BRTV zu belegen.

Im Übrigen ist auch nicht ersichtlich, weshalb die von den Tarifparteien erstmals vereinbarte Kürzungsmöglichkeit nicht an objektiven, gerichtlich nachprüfbaren Voraussetzungen - neben der vereinbarten Nachzahlungspflicht für bestimmte Fälle - gebunden sein sollte. Auch dies wäre im Vergleich zu dem vorausgehen den Tarifzustand - vor 1995 überhaupt keine Kürzungsmöglichkeit - nicht als unausgewogen zu bezeichnen.

Die Berufungskammer hat angesichts der vorstehend getroffenen Feststellungen auf die Einholung einer Auskunft der Tarifparteien verzichtet, da Tarifwortlaut und Zusammenhang keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine sachbezogene gegenteilige Auskunft boten.

Aus dem Sachvortrag des darlegungsbelasteten Beklagten ergibt sich kein Anhaltspunkt dafür, dass die Kürzung der Sonderzuwendungen aus der Sicht eines objektiven Apothekeninhabers aus wirtschaftlichen Gründen notwendig war. Insbesondere hat er nicht eine wirtschaftliche Lage dargelegt, die - im Falle des Unterbleibens einer Leistungskürzung - betriebsbedingte Kündigungen notwendig machen würde. Im Schreiben des Beklagten ohne Datum und jenem seines Steuerberaters vom 04.11.2005 sind weder aussagekräftige betriebliche Wirtschaftsdaten für das Jahr 2005 noch ein Sanierungskonzept zu entnehmen.

2.

Die auf die Hauptforderung zuerkannten Zinsen beruhen auf §§ 286 Abs. 2 Nr. 1, 288, 247 BGB i. V. m. § 18 Ziffer 2 S. 2 BRTV.

In Ergänzung der vorstehenden Ausführungen wird auf die vollumfänglich zutreffenden Entscheidungsgründe aus dem Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen vom 06.07.2006 (S. 5 ff. = Bl. 67 ff. d. A.) Bezug genommen.

Nach alledem war die Berufung mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.

Die Revision war unter Beachtung von § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zuzulassen, da die Prozessparteien um die Auslegung einer bundesweit geltenden Tarifregelung streiten.

Ende der Entscheidung

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