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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz
Urteil verkündet am 30.05.2008
Aktenzeichen: 9 Sa 806/07
Rechtsgebiete: ArbGG, BGB, KSchG, ZPO, BetrVG


Vorschriften:

ArbGG § 67 Abs. 4
ArbGG § 69 Abs. 2
BGB § 625
KSchG § 4
ZPO § 138 Abs. 1
ZPO § 138 Abs. 2
ZPO § 269 Abs. 1
ZPO § 269 Abs. 3
BetrVG § 102
BetrVG § 102 Abs. 1
BetrVG § 102 Abs. 1 S. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern - Auswärtige Kammern Pirmasens - vom 22.11.2007, Az.: 6 Ca 441/07; in der Kostenentscheidung abgeändert:

Die erstinstanzlichen Kosten des Rechtsstreits tragen die Beklagte zu 80 % und der Kläger zu 20 %.

2. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

3. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten darüber, ob ihr Arbeitsverhältnis durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 04.06.2007 zum 31.12.2007 aufgelöst worden ist.

Der am 14.12.1961 geborene, ledige und keinen Unterhaltspflichten ausgesetzte Kläger ist seit dem 01.09.1980 bei der Beklagten, die ca. 30 Arbeitnehmer ständig beschäftigt, als gewerblicher Arbeitnehmer zu einer Bruttomonatsarbeitsvergütung von ca. 1.818,00 € beschäftigt. Im Betrieb der Beklagten existiert ein Betriebsrat.

Unter dem 16.10.2001 (Bl. 55 d. A.) erhielt der Kläger eine Abmahnung, in welcher dem Kläger vorgehalten wird, trotz entsprechender Aufforderung diversen Unrat nicht beseitigt und seinen Arbeitsplatz nicht gekehrt zu haben. Eine weitere schriftliche Abmahnung erfolgte unter dem 13.03.2002 (Bl. 56 d. A.) mit dem Vorwurf, der Kläger habe Silos der Mahlanlagen nur unzulänglich befüllt. Unter dem 30.11.2006 (Bl. 35 d. A.) wurde dem Kläger vorgehalten, eine Anweisung zur Beseitigung heruntergefallenen Granulats nicht befolgt zu haben. Bezüglich der letztgenannten Abmahnung kam es zu einem arbeitsgerichtlichen Verfahren vor dem Arbeitsgericht Neunkirchen. In diesem Verfahren schlossen die Parteien am 19.04.2007 ausweislich der Sitzungsniederschrift gleichen Datums (Bl. 37 ff. d. A.) einen Vergleich folgenden Inhalts:

"1. Die Beklagte verpflichtet sich, die dem Kläger mit Schreiben vom 30.11.2006 erteilte Abmahnung am 30.11.2007 aus der Personalakte zu entfernen.

2. Die Parteien sind sich darüber einig, dass diese mit Schreiben vom 30.11.2006 erteilte Abmahnung keine präjudizierende Wirkung hat.

3. Die Kosten des Rechtsstreites werden gegeneinander aufgehoben."

Am 09.05.2007 erwartete die Beklagte den Besuch eines Politikers im Betrieb. Der Kläger wurde gegen 8:30 Uhr von Herrn A., dem kaufmännischen Leiter des Betriebs, angewiesen, seine Arbeitsplatzumgebung von heruntergefallenem Granulat zu reinigen. Dies tat der Kläger nicht. Zwischen den Parteien ist streitig, ob es nachfolgend zu dieser Anweisung zu einer hiervon abweichenden Aussage des unmittelbaren Vorgesetzten des Klägers kam mit dem Inhalt, dass die Arbeitsaufgabe des Klägers der Befüllung der Silos mit ausreichendem Material vorgehe.

Nach mündlicher Anhörung des Betriebsrats am 24.05.2007 stimmte dieser einer beabsichtigten ordentlichen Kündigung zu. Die Beklagte kündigte daraufhin das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 04.06.2007 ordentlich zum 31.12.2007. Hiergegen richtet sich die am 21.06.2007 beim Arbeitsgericht Kaiserslautern - Auswärtige Kammern Pirmasens - eingegangene Klage des Klägers.

Zur weiteren Darstellung des unstreitigen Sachverhalts sowie des streitigen erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien wird im Übrigen gem. § 69 Abs. 2 ArbGG Bezug genommen auf das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern - Auswärtige Kammern Pirmasens - vom 22.11.2007, Az.: 6 Ca 441/07.

Nachdem der Kläger in seiner Klageschrift neben der Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 04.06.2007 nicht beendet wird auch die Feststellung beantragt hatte, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungstatbestände endet, sondern auf unbestimmte Zeit fortbesteht und für den Fall des Obsiegens mit einem der genannten Begehren beantragt hatte, die Beklagte zu verurteilen, ihn bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen weiterzubeschäftigen, erhielt er in der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung vom 22.11.2007 nur den erstgenannten Antrag sowie den Antrag auf Weiterbeschäftigung aufrecht.

Mit dem genannten Urteil vom 22.11.2007 hat das Arbeitsgericht festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 04.06.2007 nicht beendet wird und die Beklagte verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen weiterzubeschäftigen. Ferner hat das Arbeitsgericht die Kosten des Rechtsstreits der Beklagten auferlegt.

Zur Begründung hat das Arbeitsgericht - zusammengefasst - im Wesentlichen ausgeführt:

Die Kündigung sei sozial nicht gerechtfertigt. Zwar habe der Kläger seine Arbeitsvertragspflicht schuldhaft verletzt, in dem er die Anweisung des Betriebsleiters A., die Arbeitsplatzumgebung von heruntergefallenem Granulat zu reinigen, nicht befolgt habe. Herr A. sei als Betriebsleiter weisungsbefugt. Auch könne sich der Kläger nicht auf eine Pflichtenkollision berufen, da er bei seinem unmittelbaren Vorgesetzten hätte nachfragen können, welche Arbeiten (Befüllung der Silos oder Säuberung) Vorrang hätten. Es sei auch zu betrieblichen Auswirkungen gekommen, da in der nächsten Schicht ein anderer Arbeitskollege die vom Kläger versäumten Tätigkeiten habe nachholen müssen. Es könne dahin stehen, ob die Abmahnung vom 30.11.2006 wirksam sei. Jedenfalls sei die Kündigung aufgrund der langen Beschäftigungszeit des Klägers unverhältnismäßig. Angesichts der langen Beschäftigungsdauer von über 27 Jahren sei dem Kläger erneut vor Augen zu führen, dass er bei weiteren Missachtungen von Arbeitsanweisungen sein Arbeitsverhältnis gefährde. Infolge der Unwirksamkeit der Kündigung bestehe auch ein Anspruch auf Weiterbeschäftigung für die Dauer des Kündigungsschutzverfahrens. Wegen der Einzelheiten der erstinstanzlichen Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des genannten Urteils verwiesen.

Gegen dieses ihr am 31.01.2008 zugestellte Urteil hat die Beklagte mit einem am 21.12.2007 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese am 26.03.2008 begründet.

Zur Begründung ihrer Berufung und in Erwiderung auf das Berufungsvorbringen des Klägers macht die Beklagte nach Maßgabe ihrer Schriftsätze vom 26.03.2008 und 29.05.2008, auf die ergänzend Bezug genommen wird (Bl. 96 ff., Bl. 120 f. d. A.), im Wesentlichen geltend:

Die Interessenabwägung des Arbeitsgerichts sei fehlerhaft. Die Beschäftigungsdauer stelle nur ein Kriterium im Rahmen der Interessenabwägung dar. Nicht ausreichend gewichtet worden sei, dass das Verhalten des Klägers als Arbeitsverweigerung zu werten sei, wobei die Anweisung zur Beseitigung des Granulats in Ausübung der Fürsorgepflicht im Interesse der Vermeidung von Unfallgefahren erfolgt sei. Dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz sei die Beklagte dadurch gerecht geworden, dass sie im ersten Fall der Missachtung der Arbeitsanweisung nicht gekündigt, sondern vielmehr die Abmahnung mit Datum vom 30.11.2006 ausgesprochen habe. Die Beklagte habe der langen Beschäftigungszeit bereits dadurch Rechnung getragen, dass keine außerordentliche Kündigung ausgesprochen worden sei. Der Ausspruch einer erneuten Abmahnung entspreche nicht ihrem Autoritätsinteresse, wobei zu berücksichtigen sei, dass nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts bei zu zahlreichen Abmahnungen diese ihre Warnfunktion verlieren könnten. Es könne dahin stehen, ob die Abmahnung vom 30.11.2006 wirksam sei. Auch bei Verurteilung zur Entfernung einer Abmahnung aus der Personalakte bleibe die Warnfunktion einer Abmahnung erhalten. Zu berücksichtigen sei schließlich, dass der Vertrauensbereich massiv gestört sei und eine Wiederherstellung dieses Vertrauens nicht zu erwarten sei.

Die Kündigung sei auch nicht unter dem Gesichtspunkt fehlerhafter Betriebsratsanhörung rechtsunwirksam. Der Betriebsrat sei über die dem Kläger erteilten Abmahnungen zum Zeitpunkt seiner Beteiligung informiert worden. Der Betriebsrat sei auch über den Rechtsstreit hinsichtlich der am 30.11.2006 erteilten Abmahnung und den am 19.04.2007 abgeschlossenen Vergleich ebenso informiert gewesen, wie auch über die vom Kläger erfolgten Einwendungen gegen diese Abmahnung.

Schließlich rügt die Beklagte die vom Arbeitsgericht getroffene Kostenentscheidung als fehlerhaft. Der Kläger habe einen Teil der Kosten deshalb zu tragen, weil er den in der Klageschrift formulierten allgemeinen Feststellungsantrag nicht mehr weiter aufrechterhalten habe.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern - Auswärtige Kammern Pirmasens - vom 22.11.2007, Az.: 6 Ca 441/07, abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil nach Maßgabe seines Schriftsatzes vom 20.05.2008, auf den ergänzend Bezug genommen wird (Bl. 108 ff. d. A.), als rechtlich zutreffend. Die Interessenabwägung des Arbeitsgerichts sei nicht zu beanstanden. Gesichtspunkte der Fürsorge und der Arbeitssicherheit hätten ausweislich des erstinstanzlichen Vortrags der Beklagten für die Erteilung der Weisung am 09.05.2007 keine Rolle gespielt. Ausschlaggebend sei vielmehr der erwartete Besuch eines Politikers und das Interesse der Beklagten gewesen, diesem einen sauberen Betrieb präsentieren zu können. Der Kläger habe Herrn A. als kaufmännischen Leiter auch als für die Produktion nicht zuständig und nicht als weisungsbefugt angesehen. Er habe sich unmittelbar nach der durch Herrn A. erteilten Arbeitsanweisung an den für die Produktion zuständigen Vorgesetzten, den Betriebsleiter S., gewendet und nachgefragt, ob er die Reinigungsanweisung denn tatsächlich befolgen solle, zumal die Reinigungsarbeiten ansonsten durch einen im Betrieb regelmäßig eingesetzten Leiharbeitnehmer erledigt würden. Herr S. habe geantwortet, dass die Produktion vorgehe, weshalb der Kläger dann die erforderlichen Tätigkeiten in der Produktion fortgesetzt habe. Die Abmahnung vom 18.10.2001 und 13.03.2002 liegen zeitlich lange zurück und hätten deshalb ihre Wirkung vollständig verloren. Auch habe der Kläger nach diesen Abmahnungen innerhalb eines sehr langen Zeitraums hinreichend unter Beweis gestellt, dass er seine Arbeitsaufgaben ordnungsgemäß unter Beachtung der in den genannten Abmahnungen erteilten Hinweise verrichte. Die Beklagte habe in der Abmahnung vom 30.11.2006 ausdrücklich darauf hingewiesen, dass im Wiederholungsfalle Konsequenzen bis hin zur Kündigung eintreten könnten. Hieraus folge, dass der Kläger nicht zwangsläufig mit einer Kündigung habe rechnen müssen. Aufgrund des Inhalts des vor dem Arbeitsgericht Neunkirchen geschlossenen Vergleichs könne nicht davon ausgegangen werden, dass eine einschlägige und wirksame Abmahnung vorliege. Da es um ein steuerbares Verhalten gehe und der Kläger nach den Abmahnungen vom 18.10.2001 und 13.03.2002 gezeigt habe, dass er über Jahre hinweg beanstandungsfrei arbeite, könne von einer Zerstörung des Vertrauensverhältnisses nicht ausgegangen werden.

Bestritten bleibe die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats. Insbesondere werde mit Nichtwissen bestritten, dass dem Betriebsrat die dem Kläger erteilten Abmahnungen zum Zeitpunkt der Einleitung des Anhörungsverfahrens bekannt gewesen sein sollen. Jedenfalls sei unstreitig, dass dem Betriebsrat bzw. dessen Vorsitzenden der gerichtliche Vergleich vom 19.04.2007 unbekannt war. Damit fehle es an der notwendigen Mitteilung entlastender Umstände.

Da der Kläger nach Ablauf der Kündigungsfrist von der Beklagten weiterbeschäftigt worden sei, gelte das Arbeitsverhältnis im Übrigen nach § 625 BGB als auf unbestimmte Zeit verlängert.

Auch im Übrigen wird ergänzend auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I. Die Berufung der Beklagten ist zulässig. Das Rechtsmittel ist an sich statthaft. Die Berufung wurde auch form- und fristgerecht eingelegt und begründet. Insbesondere ist unschädlich, dass die Beklagte die Berufung vor Zustellung des vollständig abgefassten erstinstanzlichen Urteils eingelegt hat (vgl. Schwab/Weth, ArbGG, 2. Aufl., § 66 RZ. 30 m. w. N.).

II. In der Sache hat die Berufung jedoch nur insoweit Erfolg, als die Beklagte die Fehlerhaftigkeit der erstinstanzlichen Kostenentscheidung gerügt hat. Im Übrigen ist die Berufung nicht begründet.

1. Auf die Berufung der Beklagten war das erstinstanzliche Urteil hinsichtlich der Kostenentscheidung - wie aus dem Tenor ersichtlich - abzuändern. Der Kläger hatte mit der Klageschrift neben dem Kündigungsschutzantrag i. S. d. § 4 KSchG einen allgemeinen Feststellungsantrag erhoben. Es handelte sich hierbei um einen selbständigen und selbständig begründeten Feststellungsantrag. Der Kläger hat diesen Antrag ausweislich des Protokolls der erstinstanzlichen Kammerverhandlung nicht weiter verfolgt. Hierin liegt eine teilweise Rücknahme der Klage i. S. d. § 269 Abs. 1 ZPO. Eine Klagerücknahme kann auch konkludent erklärt werden, soweit der Rücknahmewille eindeutig feststellbar ist (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 26. Aufl., § 269 RZ. 12 m. w. N.). So verhält es sich im vorliegenden Fall. Die Nicht-Weiterverfolgung des allgemeinen Feststellungsantrags erfolgte offensichtlich vor dem Hintergrund, dass weitere Beendigungstatbestände außer der streitgegenständlichen Kündigung zum Zeitpunkt der letzten erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung nicht erkennbar waren, so dass ein Feststellungsinteresse nicht bestand. Hierauf hatte die Beklagte bereits erstinstanzlich hingewiesen. Der Kläger hat auch im Berufungsverfahren nicht geltend gemacht, dass das Arbeitsgericht den allgemeinen Feststellungsantrag unzulässiger Weise übergangen habe. Infolge der damit vorliegenden Teil-Klagerücknahme war dies bei der Kostenentscheidung gem. § 269 Abs. 3 ZPO zu berücksichtigen und die Kostenentscheidung des Arbeitsgerichts daher wie geschehen abzuändern.

2. Im Übrigen hat die Berufung der Beklagten keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht ist im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass die streitgegenständliche Kündigung rechtsunwirksam ist und daher das Arbeitsverhältnis nicht beendet hat und deshalb auch ein Weiterbeschäftigungsanspruch des Klägers bis zum rechtskräftigen Abschluss des vorliegenden Kündigungsschutzverfahrens besteht.

a) Die streitgegenständliche Kündigung der Beklagten ist bereits nach § 102 Abs. 1 BetrVG rechtsunwirksam.

Nach § 102 Abs. 1 S. 1 BetrVG ist der Betriebsrat vor jeder Kündigung zu hören. Nach Satz 3 der Norm ist eine ohne Anhörung des Betriebsrats ausgesprochene Kündigung unwirksam, wobei die Rechtsfolge der Unwirksamkeit nicht nur dann eintritt, wenn der Betriebsrat überhaupt nicht beteiligt wurde, sondern auch dann, wenn der Arbeitgeber den Betriebsrat nicht richtig beteiligt hat, vor allem seiner Unterrichtungspflicht nach § 102 Abs. 1 BetrVG nicht ausführlich genug nachgekommen ist (vgl. etwa BAG 06.10.2005 - 2 AZR 316/04 - EZA § 102 BetrVG 2001 Nr. 16). Hinsichtlich der i. S. d. § 102 BetrVG ordnungsgemäßen Anhörung des Betriebsrats gilt dabei eine abgestufte Darlegungslast: Im Prozess hat der Arbeitnehmer zunächst die für ihn günstige Tatsache vorzutragen, dass überhaupt ein Betriebsrat besteht und deshalb vor Ausspruch einer Kündigung dessen Anhörung erforderlich war. Auf einen entsprechenden Sachvortrag des Arbeitnehmers hin obliegt dem Arbeitgeber darzulegen, dass der Betriebsrat ordnungsgemäß angehört worden ist. Da die Betriebsratsanhörung nach § 102 BetrVG Wirksamkeitsvoraussetzung der Kündigung ist, trifft die Darlegungs- und Beweislast grundsätzlich insoweit den Arbeitgeber. Auf einen entsprechenden Prozessvortrag des Arbeitgebers hin darf sich der Arbeitnehmer allerdings dann nicht mehr darauf beschränken, die ordnungsgemäße Betriebsratsanhörung pauschal mit Nichtwissen zu bestreiten. Er hat sich vielmehr nach § 138 Abs. 1 und 2 ZPO vollständig über den vom Arbeitgeber vorgetragenen Sachverhalt zu erklären und im Einzelnen zu bezeichnen, ob er rügen will, der Betriebsrat sei entgegen der Behauptung des Arbeitgebers überhaupt nicht angehört worden, oder in welchen einzelnen Punkten er die tatsächlichen Erklärungen des Arbeitgebers über die Betriebsratsanhörung für falsch oder die dem Betriebsrat mitgeteilten Tatsachen für unvollständig hält (BAG 23.06.2005 - 2 AZR 193/04 - EZA § 102 BetrVG 2001 Nr. 12).

Der Kläger hat erstinstanzlich bereits in der Klageschrift zunächst die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats mit Nichtwissen bestritten. Die Beklagte hat darauf hin in ihrem Schriftsatz vom 10.09.2007 im Hinblick auf die Betriebsratsanhörung behauptet, dem Betriebsrat seien die Kündigungsabsicht und die Sozialdaten des Klägers nebst Kündigungssachverhalt und Kündigungsfrist mitgeteilt worden, ohne allerdings darzulegen, ob dem Betriebsrat auch die dem Kläger gegenüber erteilten Abmahnungen und im Hinblick auf die Abmahnung vom 30.11.2006 auch der diesbezügliche gerichtliche Vergleich vor dem Arbeitsgericht Neunkirchen mitgeteilt worden ist bzw. dies dem Betriebsrat bekannt war. Der Kläger seinerseits hat sodann in seinem Schriftsatz vom 17.10.2007 ausdrücklich gerügt, dass die Anhörung des Betriebsrats deshalb unvollständig sei, da keine Information über die Abmahnungen und insbesondere auch nicht über den hinsichtlich der Abmahnung vom 30.11.2006 geschlossenen gerichtlichen Vergleich vom 19.04.2007 erfolgt sei. An dieser inhaltlich näher präzisierten Rüge hat der Kläger auch im Rahmen des Berufungsverfahrens festgehalten. Die Beklagte ihrerseits hat erstinstanzlich insoweit ergänzend in ihrem Schriftsatz vom 20.11.2007 ergänzend lediglich behauptet, dem Betriebsrat seien die dem Kläger erteilten Abmahnungen zum Zeitpunkt seiner Beteiligung bekannt gewesen und hat im Rahmen des Berufungsverfahrens diesen Sachvortrag in ihrem Schriftsatz vom 29.05.2008 dahin gehend ergänzt, der Betriebsrat sei über den Rechtsstreit bezüglich der am 30.11.2006 erteilten Abmahnung, den am 19.04.2007 abgeschlossenen Vergleich und die vom Kläger erfolgten Einwendungen gegen die Abmahnung vom 20.11.2006 informiert gewesen.

Ausgehend von diesem wechselseitigen Sachvortrag ergibt sich, dass die Beklagte ihrer Darlegungslast hinsichtlich der Ordnungsgemäßheit der Betriebsratsanhörung nicht gerecht geworden ist. Der Kläger ist seiner Vortragslast nach § 138 Abs. 1, 2 ZPO gerecht geworden, da er nach der ursprünglichen Darlegung der Betriebsratsanhörung durch die Beklagte seinerseits im Einzelnen gerügt hat, in welchen einzelnen Punkten er die dem Betriebsrat mitgeteilten Tatsachen für unvollständig hielt. Ihrer damit ausgelösten weitergehenden Darlegungslast ist die Beklagte ihrerseits nicht gerecht geworden.

Bei einer verhaltensbedingten Kündigung muss der Arbeitgeber dem Betriebsrat die Vorfälle genau bezeichnen, die die Kündigung rechtfertigen sollen und ihm ggf. auch mitteilen, dass und warum der Arbeitnehmer abgemahnt wurde (KR-KSchG/Etzel, 8. Aufl., § 102 BetrVG, RZ. 64). Zwar muss der Arbeitgeber nach § 102 Abs. 1 BetrVG dem Betriebsrat nur diejenigen Gründe mitteilen, die nach seiner subjektiven Sicht die Kündigung rechtfertigen und für seinen Kündigungsentschluss maßgebend sind. Diesen Kündigungssachverhalt muss er in der Regel unter Angabe von Tatsachen, aus denen der Kündigungsentschluss hergeleitet wird, so beschreiben, dass der Betriebsrat ohne zusätzliche eigene Nachforschungen die Stichhaltigkeit der Kündigungsgründe prüfen kann (BAG 06.10.2005, a. a. O.).

Auch unter Berücksichtigung dieses sogenannten Grundsatzes subjektiver Determination war die Mitteilung der Abmahnung, insbesondere auch die Mitteilung der Abmahnung mit Datum vom 30.11.2006 erforderlich. Ausweislich bereits ihres erstinstanzlichen Schriftsatzes vom 06.09.2007 beruhte der Kündigungsentschluss der Beklagten maßgeblich darauf, dass der Kläger trotz dieser Abmahnung vom 30.11.2006 nur wenige Monate später erneut eine Anweisung zur Beseitigung von Granulat nicht befolgt haben soll.

Eine Information des Betriebsrats über die Abmahnung mit Datum vom 30.11.2006 war daher im Rahmen der Anhörung des Betriebsrats nach § 102 BetrVG erforderlich. Ebenso aber musste die Beklagte den Betriebsrat über den Inhalt des gerichtlichen Vergleichs vor dem Arbeitsgericht Neunkirchen informieren. Der Grundsatz vertrauensvoller Zusammenarbeit gebietet es, dem Betriebsrat auch Umstände mitzuteilen, die gegen den Ausspruch einer Kündigung sprechen. So ist etwa anerkannt, dass im Anhörungsverfahren ggf. auch eine Gegendarstellung des Arbeitnehmers zu einer Abmahnung mitzuteilen ist (BAG 17.02.1994 - 2 AZR 673/93 - RzK II 2 Nr. 7; KR-KschG, a. a. O., RZ. 64), da dies für eine Beschlussfassung des Betriebsrats von Bedeutung sein kann.

Entsprechendes gilt aber nach Auffassung der Berufungskammer im vorliegenden Fall auch für den Inhalt des vor dem Arbeitsgericht Neunkirchen geschlossenen Vergleichs. Ziffer 1 und 2 des genannten Vergleichs relativieren das Gewicht dieser Abmahnung erheblich, wobei Ziffer 2 des genannten Vergleiches, der zu Folge die Abmahnung vom 30.11.2006 "keine präjudizierende Wirkung" hat, die Auslegung zulässt, dass diese Abmahnung eine kündigungsrechtliche Vorbereitungswirkung nicht zukommen solle.

Die Beklagte hat weder erst- noch zweitinstanzlich inhaltlich ausreichend darlegen können, dass sie diesen Informationspflichten gegenüber dem Betriebsrat ausreichend nachgekommen ist. Die Beklagte hat erstinstanzlich - wie ausgeführt - lediglich behauptet, dem Betriebsrat seien die Abmahnungen bekannt gewesen. Die Beklagte hat damit erstinstanzlich nicht behauptet, dass dem Betriebsrat auch der Inhalt des gerichtlichen Vergleiches vom 19.04.2007 bereits bekannt gewesen ist oder diesem im Rahmen der Anhörung mitgeteilt worden sei. Ebenso hat die Beklagte hinsichtlich der Kenntnis des Betriebsrates von den Abmahnungen überhaupt lediglich pauschal und ohne Mitteilung näherer Umstände behauptet, diese seien dem Betriebsrat bekannt gewesen. Hieraus wird nicht deutlich, wann und ggf. mit welchem genauen Inhalt dem Betriebsrat der Inhalt und das Vorliegen der Abmahnungen im Rahmen des Anhörungsverfahrens mitgeteilt worden sein soll oder aufgrund welcher Tatsachen beim Betriebsrat zum Zeitpunkt der Anhörung bereits eine entsprechende Vorkenntnis vorgelegen haben soll. Keine andere rechtliche Beurteilung ergibt sich auch unter Berücksichtigung des Berufungsvorbringens der Beklagten. Zwar hat die Beklagte im Berufungsverfahren ergänzend behauptet, dem Betriebsrat seien im Hinblick auf die Abmahnung vom 30.11.2006 auch der Inhalt des gerichtlichen Vergleichs sowie die Einwendungen des Klägers gegen diese Abmahnung bekannt gewesen, ohne allerdings im Einzelnen mitzuteilen, wie und zu welchem Zeitpunkt eine entsprechende Information des Betriebsrats erfolgte. So bleibt offen, ob die Beklagte sich darauf berufen will, dem Betriebsrat sei dies bereits aufgrund früherer, vor Beginn des Anhörungsverfahrens übermittelter Information bekannt gewesen oder aber erst im Rahmen des Anhörungsverfahrens mitgeteilt worden. Im vorliegenden Fall hätte umso mehr Veranlassung zu substantiiertem Sachvortrag bestanden, als sich der Kläger bereits erstinstanzlich dezidiert darauf berufen hat, dem Betriebsrat sei der Inhalt des gerichtlichen Vergleiches nicht bekannt gewesen.

Der zweitinstanzliche Sachvortrag der Beklagten insoweit ist im Übrigen auch jedenfalls i. S. d. § 67 Abs. 4 ArbGG verspätet. Nachdem der Kläger bereits erstinstanzlich auf die genannten Mängel der Betriebsratsanhörung hingewiesen hatte, hätte die Beklagte - spätestens - im Rahmen der Berufungsbegründung hierzu ergänzenden Sachsvortrag halten müssen. Die Beklagte hat die behauptete Kenntnis des Betriebsrats auch über den Inhalt des gerichtlichen Vergleiches allerdings erst mit einem am Vortag der Berufungsverhandlung eingegangenen Schriftsatz in den Prozess eingeführt. Nachdem der Kläger in der Berufungsverhandlung vom 30.05.2008 zulässiger Weise bestritten hat, dass dem Betriebsratsvorsitzenden der Inhalt des Vergleichs vor dem Arbeitsgerichts Neunkirchen bekannt gewesen sei, hätte es - eine ausreichende inhaltliche Präzisierung des Sachvortrags der Beklagten unterstellt - insoweit einer Beweisaufnahme bedurft, was zu einer Verzögerung des Rechtsstreits i. S. d. § 67 Abs. 4 ArbGG geführt hätte, die durch prozessleitende Maßnahmen des Gerichts angesichts des zeitlichen Ablaufs nicht zu vermeiden gewesen wäre. Gründe, die die Verspätung dieses Sachvortrags ausreichend entschuldigen könnten, sind nicht ersichtlich und nicht dargelegt.

3. Die Kündigung ist aber auch deshalb rechtsunwirksam, weil die Kündigung sozial nicht gerechtfertigt ist. Selbst wenn die Berufungskammer davon ausgeht, dass der Kläger die ihm zur Last gelegte Pflichtverletzung tatsächlich begangen hat, teilt die Berufungskammer im Ergebnis die vom Arbeitsgericht vorgenommene Interessenabwägung.

Selbst wenn die Berufungskammer unterstellt, der Kläger habe am 09.05.2007 tatsächlich eine entsprechende Anweisung zur Entfernung von Granulat trotz vorliegender Abmahnungen vom 16.10.2001, 13.03.2002 und 30.11.2006 verletzt, überwiegt im Rahmen der Interessenabwägung unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes das Interesse des Klägers an einer Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses. Wie auch das Arbeitsgericht berücksichtigt die Berufungskammer zu Gunsten des Klägers den langjährigen Bestand des Arbeitsverhältnisses, wobei Anhaltspunkte dafür, dass es vor Ausspruch der ersten Abmahnung am 16.10.2001 zu Störungen des Arbeitsverhältnisses gekommen ist, nicht bestehen. Die Berufungskammer berücksichtigt ferner, dass offensichtlich die Abmahnung vom 13.03.2002 dazu geführt hat, dass der Kläger sodann mehrere Jahre offensichtlich beanstandungsfrei seine arbeitsvertraglichen Pflichten erfüllt hat, so dass diese Abmahnung zu einer Verhaltensänderung des Klägers geführt hat. Zwar ist nicht zu verkennen, dass die sodann erteilte Abmahnung vom 30.11.2006 zum einen inhaltlich eine Arbeitspflichtverletzung zum Gegenstand hatte, die der nunmehr im Rahmen der Kündigung dem Kläger zur Last gelegten Pflichtverletzung inhaltlich entspricht und das behauptete Fehlverhalten des Klägers vom 09.05.2007 in zeitlicher Nähe zu dieser Abmahnung vorgefallen sein soll, so dass dem Kläger nicht verborgen bleiben konnte, welche Pflichten er zu erfüllen hatte. Ferner ist auch die Berufungskammer mit der Beklagten der Auffassung, dass die Durchsetzung der Befolgung von Weisungen von Vorgesetzten auch im Interesse der Betriebsdisziplin ein berechtigtes Interesse eines Arbeitgebers darstellt. Im Rahmen der Interessenabwägung zu Gunsten des Klägers ist aber zu berücksichtigen, dass die Abmahnung vom 30.11.2006 durch den Inhalt des vor dem Arbeitsgericht Neunkirchen geschlossenen Vergleichs, insbesondere durch Ziffer 2 in ihrer kündigungsvorbereitenden Funktion nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes wenn nicht gar vollständig aufgehoben, so doch aber in ihrer kündigungsvorbereitenden Wirkung erheblich abgeschwächt wurde. Wie ausgeführt, lässt Ziffer 2 des gerichtlichen Vergleichs ohne Weiteres die Auslegung zu, dass dem genannten Schreiben vom 30.11.2006 die einer Abmahnung üblicher Weise zukommenden Funktionen (Rüge- und Warnfunktion) gerade nicht zukommen sollten. Unter Berücksichtigung dessen, dass die vorangegangenen Abmahnungen vom 16.10.2001 und 13.03.2002 erhebliche Zeit zurückliegen und zudem zu einer Verhaltensänderung des Klägers geführt haben, ist die Kammer mit dem Arbeitsgericht der Auffassung, dass noch nicht von einer Zukunftsprognose des Inhalts ausgegangen werden kann, dass der Kläger auch zukünftig arbeitsvertragliche Pflichten nicht oder nicht ausreichend erfüllen wird.

III. Die Kosten der Berufung hat nach § 97 ZPO die Beklagte zu tragen. Die Abänderung der Kostenentscheidung erster Instanz rechtfertigt nicht die Auferlegung einer Kostenquote zu Lasten des Klägers für das Berufungsverfahren. Dies folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Die genannte Bestimmung ist ohne Weiteres auch entsprechend im Rechtsmittelverfahren anzuwenden (vgl. Zöller/Greger, a. a. O., § 92, RZ. 11). Ein Grund zur Zulassung der Revision i.S.d. § 72 Abs. 2 ArbGG besteht nicht.

Ende der Entscheidung

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