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Gericht: Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz
Urteil verkündet am 22.02.2006
Aktenzeichen: 9 Sa 917/05
Rechtsgebiete: ArbGG, KSchG, ZPO, BetrVG


Vorschriften:

ArbGG §§ 64 ff.
ArbGG § 69 Abs. 2
KSchG § 1 Abs. 1
KSchG § 1 Abs. 2
KSchG § 1 Abs. 3
KSchG § 1 Abs. 3 S. 1
KSchG § 1 Abs. 5 S. 2
KSchG §§ 17 ff.
KSchG § 17 Abs. 1
KSchG § 18
ZPO §§ 512 ff.
BetrVG § 111
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Aktenzeichen: 9 Sa 917/05

Entscheidung vom 22.02.2006

Tenor:

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz - Auswärtige Kammern Neuwied - vom 12.07.2005, Az. 5 Ca 2056/04 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Rechtswirksamkeit einer ordentlichen Kündigung sowie um die Weiterbeschäftigung der Arbeitnehmerin für die Dauer des Kündigungsrechtsstreits.

Die am 25.04.1965 geborene, geschiedene Klägerin, die eine 18-jährige Tochter hat, ist seit dem 04.10.1995 bei der Beklagten, die mit ca. 460 Arbeitnehmern pharmazeutische Produkte herstellt, als Produktionsarbeiterin gegen Zahlung einer monatlichen Arbeitsvergütung in Höhe von 1.552,00 EUR brutto beschäftigt.

Am 26.04.2004 vereinbarte die Beklagte mit dem bei ihr errichteten Betriebsrat einen Interessenausgleich (Bl. 23 ff. d. A.), wonach 41 Arbeitsplätze wegen eines zu erwartenden Umsatzrückgangs abgebaut und hierbei auch betriebsbedingte Kündigungen erklärt werden sollten. Dem Interessenausgleich war als Anlage eine Namensliste der von der Kündigung betroffenen Arbeitnehmer beigefügt, in der unter anderem auch der Name der Klägerin enthalten ist.

Mit Schreiben vom 27.08.2004 (Bl. 35 ff. d. A.) hörte die Beklagte den bei ihr errichteten Betriebsrat zu der gegenüber der Klägerin beabsichtigten ordentlichen Kündigung an. Nachdem der Betriebsart am 30.08.2004 seine Zustimmung schriftlich erklärt hatte (Bl. 36 d. A.) kündigte die Beklagte das bestehende Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 30.08.2004 (Bl. 9 d. A.) zum 30.11.2004.

Am 17.09.2004 ist die hiergegen gerichtete Kündigungsklage der Klägerin beim Arbeitsgericht Koblenz - Auswärtige Kammern Neuwied - eingegangen.

Von einer wiederholenden Darstellung des erstinstanzlichen Parteivorbringens wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen und auf die Zusammenfassung im Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz - Auswärtige Kammern Neuwied - vom 12.07.2005 (dort S. 4 - 7 = Bl. 90 - 93 d. A.) Bezug genommen.

Die Klägerin hat beantragt,

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung vom 30.08.2004, zugegangen am 31.08.2004, nicht zum 30.11.2004 aufgelöst worden ist,

2. im Falle des Obsiegens mit dem Antrag zu 1. die Beklagte zu verurteilen, sie zu unveränderten Arbeitsbedingungen als Produktionsarbeiterin weiterhin tatsächlich zu beschäftigen.

Das Arbeitsgericht Koblenz - Auswärtige Kammern Neuwied - hat mit Urteil vom 12.07.2005 (Bl. 87 ff. d. A.) der Klage vollumfänglich stattgegeben. Zur Begründung dieser Entscheidung hat das Arbeitsgericht unter anderem ausgeführt, die ordentliche Kündigung vom 30.08.2004 sei wegen eines Verstoßes gegen § 17 Abs. 1 KSchG rechtsunwirksam, da die Beklagte eine Massenentlassung vorgenommen habe, ohne vorher eine entsprechende Anzeige gegenüber der Agentur für Arbeit zu machen. Da mithin dem Klageantrag zu 1. stattzugeben gewesen sei, sei die Beklagte unter Beachtung des Urteiles des Großen Senates des Bundesarbeitsgerichts vom 27.02.1985 darüber hinaus zur Weiterbeschäftigung für die Dauer des Kündigungsrechtsstreites zu verurteilen gewesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten der Entscheidungsgründe des Arbeitsgerichtes wird auf Seite 7 ff. des Urteils vom 12.07.2005 (= Bl. 93 ff. d. A.) verwiesen.

Die Beklagte, der die Entscheidung des Arbeitsgerichtes am 12.07.2005 zugestellt worden ist, hat am 09.11.2005 Berufung zum Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz eingelegt und am 16.11.2005 ihr Rechtsmittel begründet.

Die Beklagte macht geltend,

sie habe keine Massenentlassung im Sinne von § 17 KSchG vorgenommen, so dass auch keine Verpflichtung zu einer Anzeige gegenüber der Bundesagentur für Arbeit bestanden habe. Sie habe nämlich zum Ende des Monats September 2004 dreizehn Arbeitnehmer, zum Ende des Monats Oktober 2004 neun Arbeitnehmer, zum Ende des Monats November 2004 drei Arbeitnehmer, zum Ende des Monats Dezember 2004 fünf Arbeitnehmer, zum Ende des Monats Januar 2005 vier Arbeitnehmer, zum Ende des Monats Februar 2005 drei Arbeitnehmer und zum Ende des Monats März 2005 weitere drei Arbeitnehmer entlassen. Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichtes liege eine Entlassung im Sinne von § 17 KSchG erst zum Zeitpunkt des Endes des Arbeitsverhältnisses vor und nicht schon bei Erklärung der Kündigung. Soweit der Europäische Gerichtshof in seiner Entscheidung vom 27.01.2005 die gegenteilige Auffassung vertreten habe, wirke sich dies auf das vorliegende Arbeitsverhältnis zum einen nicht aus und zum anderen habe die Beklagte zum Zeitpunkt der Kündigungserklärungen auf die damals geltende Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes vertrauen dürfen.

Die streitgegenständliche Kündigung sei auch nicht wegen einer fehlerhaften Sozialauswahl rechtsunwirksam, da die Klägerin nach dem Punktesystem, welches die Beklagte bei der Sozialauswahl angewandt habe, lediglich auf 47 Punkte gekommen sei. Das Punktesystem sei wie folgt geregelt:

- Bis zehn Dienstjahre je Dienstjahr einen Punkt

- Ab dem elften Dienstjahr je Dienstjahr zwei Punkte

- Lebensalter, für jedes volle Lebensjahr einen Punkt (es werden maximal 55 Lebensjahre berücksichtigt, so dass über das Lebensjahr maximal 55 Punkte erzielt werden können)

- Je unterhaltsberechtigtem Kind und sonstigen gesetzlichen Unterhaltsberechtigten: vier Punkte

- Für einen unterhaltsberechtigten Ehepartner: acht Punkte

- Eine Schwerbehinderung bis 50 % Erwerbsminderung: fünf Punkte; über 50 % Erwerbsminderung je 10 % Erwerbsminderung ein weiterer Punkt (bei 100 % Schwerbehinderung können maximal 10 Punkte erreicht werden).

Die Klägerin sei im Rahmen der Sozialauswahl mit anderen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die als Maschinenbediener/Konfektionierung eingesetzt gewesen seien, verglichen worden. Aus dieser Gruppe sei gegenüber allen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern eine betriebsbedingte Kündigung ausgesprochen worden, die weniger als 62 Punkte aufgewiesen hätten. Die Tochter der Klägerin, die nach dem Vortrag der Klägerin zum Kündigungszeitpunkt in ihrem Haushalt gewohnt habe, sei bei der Sozialauswahl nicht berücksichtigt worden, da die Beklagte hiervon keine Kenntnis gehabt habe. Die Tochter sei nämlich auf der Lohnsteuerkarte der Klägerin zu diesem Zeitpunkt nicht mehr eingetragen gewesen, wohingegen im Jahr 2002, als die Klägerin eine Verdienstbescheinigung bei der Beklagten für die Kreisverwaltung D-Stadt angefordert habe, die Tochter noch auf der Lohnsteuerkarte eingetragen gewesen sei. Infolge dessen habe ihr, der Beklagten, allein aufgrund der Verdienstbescheinigung, auch nicht bewusst sein können, dass zum Kündigungszeitpunkt die Tochter von der Klägerin noch unterhalten werde.

Soweit die Klägerin geltend mache, Frau X. (geb. 25.03.1977, verheiratet, Alleinernährerin der Familie, da der Ehemann ohne Beschäftigung sei; Eintritt: 13.09.1999) sei weniger sozial schutzwürdig als sie selbst, sei dies ohne Belang. Denn Frau X. besitze spezielle Kenntnisse für die Inprozesskontrolltätigkeiten an den Nikotin-, Stanz- und Siegelmaschinen, insbesondere für die Beuteldichtigkeitsprüfung nebst Prüfflüssigkeiten. Sie sei als Leistungsträgerin mit der Klägerin nicht vergleichbar und für die Beklagte eine unverzichtbare Mitarbeiterin. In der Anhörung des Betriebsrates seien diese Umstände erörtert worden. Außerdem sei Frau X. im Betäubungsmittelbereich eingesetzt, wo sie sich beim Einführen und Umsetzen des Methylenblautests an den NIC-Anlagen sehr verdient gemacht habe, so dass ihre Kenntnisse auf diesem Gebiet weiterhin benötigt werden würden. All diese Tätigkeiten könnten von der Klägerin nicht ausgeführt werden.

Wegen der weiteren Einzelheiten der Berufungsbegründung wird auf die Schriftsätze der Beklagten vom 21.12.2005 (Bl. 113 ff. d. A.) und 15.02.2006 (Bl. 151 ff. d. A.) Bezug genommen.

Die Beklagte beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Koblenz - Auswärtige Kammern Neuwied - vom 12.07.2005 die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin führt aus,

die Beklagte habe eine Massenentlassung vorgenommen und hierbei §§ 17 ff. KSchG nicht beachtet. Eine Entlassung liege bereits bei Erklärung der Kündigung und nicht erst am zeitlichen Ende des Arbeitsverhältnisses vor.

Darüber hinaus habe die Beklagte Frau X. aus der Sozialauswahl ausgenommen, ohne hierüber den Betriebsrat entsprechend informiert zu haben. Frau X. sei mit der Klägerin vergleichbar, da beide Arbeitnehmerinnen gleich eingesetzt worden seien. Auch bei der Klägerin seien die speziellen Kenntnisse für die Inprozesskontrolltätigkeit an den Nikotin-, Stanz- und Siegelmaschinen, insbesondere für die Beuteldichtigkeitsprüfung nebst Prüfflüssigkeiten vorhanden. Frau X. sei im Übrigen auch keine unverzichtbare Mitarbeiterin für die Beklagte. Die Klägerin sei zwar nicht in dem Betäubungsmittelbereich eingesetzt gewesen, sei aber in der Lage nach einer ca. zweitägigen Einarbeitung Methylenblautests an den NIC-Anlagen durchzuführen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten der Berufungserwiderung wird auf die Schriftsätze der Klägerin vom 30.01.2006 (Bl. 145 ff. d. A.) und 20.02.2006 (Bl. 158 ff. d. A.) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist gemäß §§ 64 ff. ArbGG, 512 ff. ZPO zwar zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet.

1.

Das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis wurde durch die Kündigung vom 23.08.2004 nicht aufgelöst, da diese Kündigung gemäß § 1 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3 und Abs. 5 S. 2 des voll umfänglich anwendbaren KSchG rechts unwirksam ist.

Nach § 1 Abs. 1 KSchG ist die Kündigung des Arbeitsverhältnisses gegenüber einem Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis in demselben Betrieb oder Unternehmen ohne Unterbrechung länger als sechs Monate bestanden hat, rechtsunwirksam, wenn sie sozial ungerechtfertigt ist. Sozial ungerechtfertigt ist die Kündigung, wenn sie nicht durch Gründe, die in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, oder durch dringende betriebliche Erfordernisse, die eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen, bedingt ist (§ 1 Abs. 2 KSchG). Ist einem Arbeitnehmer aus dringenden betrieblichen Erfordernissen im Sinne des Abs. 2 gekündigt worden, so ist die Kündigung trotzdem sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat. In die soziale Auswahl nach S. 1 sind Arbeitnehmer nicht einzubeziehen, deren Weiterbeschäftigung, insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebes, im berechtigten betrieblichen Interesse liegt (§ 1 Abs. 3 KSchG). Sind bei einer Kündigung aufgrund einer Betriebsänderung nach § 111 BetrVG die Arbeitnehmer, denen gekündigt werden soll, in einem Interessenausgleich zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat namentlich bezeichnet, so kann die soziale Auswahl der Arbeitnehmer nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden (§ 1 Abs. 5 KSchG). Bei der Überprüfung der Ordnungsgemäßheit einer Sozialauswahl trägt der Arbeitnehmer die Darlegungs- und Beweislast für die Tatsachen, die die Kündigung als sozial ungerechtfertigt im Sinne des § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG erscheinen lassen (§ 1 Abs. 3 letzter Satz KSchG). Demgegenüber hat der Arbeitgeber, falls er vergleichbare Arbeitnehmer nicht in die soziale Auswahl einbezieht, darzulegen und notfalls zu beweisen, dass deren Weiterbeschäftigung, insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung einer ausgewogenen Sozialstruktur des Betriebes, im berechtigten betrieblichen Interesse liegt. Bei Vorliegen eines Interessenausgleichs mit Namensliste kann auch die sich aus dem entsprechenden Vortrag ergebende soziale Auswahl nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden. Grob fehlerhaft im Sinne des § 1 Abs. 5 S. 2 KSchG ist eine soziale Auswahl, wenn ein evidenter Fehler vorliegt (vgl. LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 08.11.2005 - 5 Sa 651/05 = JURIS).

Hat der Arbeitgeber im Rahmen der Betriebsratsanhörung den Betriebsrat nicht vollständig unterrichtet, so ist es ihm verwehrt, im Kündigungsschutzprozess Gründe nachzuschieben, die über die Erläuterung des dem Betriebsrat mitgeteilten Sachverhaltes hinausgehen. Dies führt mittelbar zur Unwirksamkeit der Kündigung, wenn der verwertbare Sachverhalt die Kündigung nicht trägt (vgl. DLW/Dörner, 4. Auflage, D Randziffer 294 m. w. N.).

Im vorliegenden Fall ist unter Berücksichtigung dieser Rechtsgrundsätze festzustellen, dass die von der Beklagten vorgenommene Sozialauswahl grob fehlerhaft ist. Der Maßstab der groben Fehlerhaftigkeit war heranzuziehen, da die Beklagte mit dem bei ihr errichteten Betriebsrat am 26.04.2004 einen Interessenausgleich mit Namensliste vereinbart hat, wobei der Name der Klägerin in dieser Liste enthalten ist.

Die Klägerin ist mit Frau X. vergleichbar, da beide Arbeitnehmerinnen unstreitig zu der Gruppe der Maschinenbediener/Konfektionierung gehören. Die Klägerin ist sozial schutzwürdiger als Frau X.; dies gilt selbst dann, wenn das von der Beklagten angewandte Punktesystem bei der Sozialauswahl zugrunde gelegt wird. Frau X. kommt nämlich nach diesem Punktesystem auf insgesamt 39 Sozialpunkte (4 Punkte für vier vollendete Dienstjahre, 27 Punkte für das Lebensalter, 8 Punkte für einen unterhaltsberechtigten Ehepartner). Demgegenüber hat die Klägerin - selbst wenn die bei ihr lebende Tochter unberücksichtigt bleibt - 47 Sozialpunkte unstreitig erreicht.

Soweit sich die Beklagte darauf beruft, Frau X. sei als Leistungsträgerin aus der Sozialauswahl herauszunehmen gewesen, da sie über spezielle Kenntnisse für die Inprozesskontrolltätigkeiten an den Nikotin-, Stanz- und Siegelmaschinen, insbesondere für die Beuteldichtigkeitsprüfung nebst Prüfflüssigkeiten besitze, ist nicht nachvollziehbar, worin der Unterschied zu den Kenntnissen der Klägerin liegen soll. Denn diese hat, ohne das dies von der Beklagten bestritten worden wäre, vorgetragen, dass sie über die gleichen Kenntnisse verfüge. Mithin ist dies offensichtlich keine Tatsache, welche die Herausnahme von Frau X. aus der Sozialauswahl zu begründen vermag.

Wenn die Beklagte des weiteren vorgetragen hat, Frau X. sei im Betäubungsmittelbereich eingesetzt worden und habe sich im Einführen und Umsetzen des Methylenblautests an den NIC-Anlagen sehr verdient gemacht, wobei ihre Kenntnisse auf diesem Gebiet weiterhin benötigt würden, kann letztlich dahinstehen, ob nicht die Klägerin - wie von ihr in der mündlichen Berufungsverhandlung vorgetragen - nach einer zweitägigen Einarbeitung über die gleichen Kenntnisse verfügen könnte oder nicht. Denn es ist nicht ersichtlich, dass die Beklagte den bei ihr errichteten Betriebsrat im Rahmen der Anhörung zur gegenüber der Klägerin beabsichtigten Kündigung darüber unterrichtet hätte, dass Frau X. mit der Klägerin vergleichbar ist und wegen ihrer speziellen Kenntnisse im Betäubungsmittelbereich bei der Sozialauswahl nicht berücksichtigt werde. In dem Schreiben vom 27.08.2004, mit welchem die Beklagte den Betriebsrat zur beabsichtigten Kündigung der Klägerin anhörte, wird Frau X. noch nicht einmal erwähnt. Auf Nachfrage des Gerichtes während er mündlichen Berufungsverhandlung konnte die Personalleiterin der Beklagten nicht konkret darlegen, wann, wie und mit welchem konkreten Inhalt die Beklagte den Betriebsrat mündlich über die Herausnahme von Frau X. aus der Sozialauswahl unterrichtet haben will. Die Personalleiterin vermochte lediglich hierzu auszuführen, dass sämtliche Personen, welche - trotz Vergleichbarkeit - nicht in die Sozialauswahl einbezogen worden seien, mit dem Betriebsrat erörtert worden seien. Mit einer derartigen Angabe erfüllt die Beklagte aber nicht die ihr obliegende Darlegungslast im Zusammenhang mit § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG. Aufgrund der deutlich höheren sozialen Schutzwürdigkeit der Klägerin sowie der Tatsache, dass Gründe für die Herausnahme von Frau X. aus der Sozialauswahl nicht dargetan sind, muss von einer offensichtlichen Unrichtigkeit der Sozialauswahl und mithin von einer groben Fehlerhaftigkeit ausgegangen werden.

Nach alle dem bedurfte es keiner Klärung der weiteren in diesem Rechtsstreit aufgeworfenen Rechtsfragen, insbesondere im Zusammenhang mit §§ 17, 18 KSchG.

2.

Der Klägerin steht für die Dauer des Kündigungsrechtsstreits ein Anspruch auf Weiterbeschäftigung zu den bisherigen Arbeitsbedingungen zu. Nachdem auch im Berufungsverfahren festgestellt wurde, dass die ordentliche Kündigung vom 30.08.2004 das Arbeitsverhältnis nicht beendet hat, überwiegt unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Großen Senates des Bundesarbeitsgerichtes (Beschluss vom 27.02.1985 - GS 1/84 = AP Nr. 14 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht) das Weiterbeschäftigungsinteresse der Klägerin gegenüber dem Nichtbeschäftigungsinteresse der Beklagten; besondere Umstände, welche für eine Nichtbeschäftigung sprechen würden, hat die Beklagte nicht vorgetragen.

Nach alledem war die Berufung mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.

Gegen die vorliegende Entscheidung ist kein Rechtsmittel gegeben. Für die Zulassung der Revision fehlte es unter Berücksichtigung von § 72 Abs. 2 ArbGG an einem gesetzlich begründeten Anlass.

Ende der Entscheidung

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