Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz
Beschluss verkündet am 06.01.2006
Aktenzeichen: 9 Ta 285/05
Rechtsgebiete: ZPO, ArbGG


Vorschriften:

ZPO § 148
ZPO § 252
ZPO §§ 567 ff.
ArbGG § 78 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Aktenzeichen: 9 Ta 285/05

Entscheidung vom 06.01.2006

Tenor:

1. Auf die sofortige Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Koblenz vom 20.10.2005, Az.: 10 Ca 1682/05 aufgehoben.

2. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Das Arbeitsgericht Koblenz hat mit Urteil vom 16.11.2004 (Az.: 8 Ca 1923/04) festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die außerordentliche vom 29.06.2004 nicht aufgelöst worden ist. Die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten ist mit Urteil des Landesarbeitsgerichtes Rheinland-Pfalz vom 09.05.2005 (Az.: 7 Sa 68/05) zurückgewiesen worden, wobei das Rechtsmittel der Revision zugelassen worden ist. Die Beklagte hat daraufhin Revision gegen die zweitinstanzliche Entscheidung eingelegt.

Mit der vorliegenden, beim Arbeitsgericht Koblenz eingereichten Klage hat der Kläger die Zahlung von Arbeitsentgelt ab dem Monat Juli 2004 sowie seine Weiterbeschäftigung bis zur rechtskräftigen Entscheidung in dem vorausgegangenen Kündigungsschutzprozess verlangt.

Das Arbeitsgericht Koblenz hat mit Beschluss vom 20.10.2005 (Bl. 213 ff. d. A.) den Rechtsstreit bis zur rechtskräftigen Erledigung des Rechtsstreits 8 Ca 1923/04 Arbeitsgericht Koblenz - 7 Sa 68/05 - Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz ausgesetzt; wegen der Aussetzungsgründe wird auf Seite 2 ff. dieses Beschlusses (= Bl. 214 ff. d. A.) verwiesen.

Der Kläger hat am 29.11.2005 sofortige Beschwerde gegen die Aussetzungsentscheidung des Arbeitsgerichtes Koblenz eingelegt.

Der Kläger macht geltend, die rechtlichen Voraussetzungen für eine Aussetzung nach § 148 ZPO seien nicht erfüllt, da nach der Rechtsprechung des großen Senates des Bundesarbeitsgerichtes vom 27.02.1985 der eingeklagte Weiterbeschäftigungsanspruch bis zum rechtskräftigen Ende des Kündigungsschutzprozesses allein schon deshalb bestehe, weil ein die Unwirksamkeit der Kündigung feststellendes Instanzurteil vorliege. Aufgrund dieses Urteiles überwiege sein Beschäftigungsinteresse, zumal die Beklagte keine Umstände vorgetragen habe, welche zu der Ungewissheit des Prozessausganges hinzu kämen und ein überwiegendes Interesse an der Nichtbeschäftigung begründen könnten. Zudem sei nicht mit einer zeitnahen Revisionsentscheidung zu rechnen, da die übliche Verfahrensdauer beim Bundesarbeitsgericht ca. ein Jahr betrage. Die Verfahrensaussetzung widerspreche auch dem Sinn und Zweck des Weiterbeschäftigungsanspruches.

Wegen der weiteren Einzelheiten der Beschwerdebegründung wird auf den Schriftsatz des Klägers vom 29.11.2005 (Bl. 225 ff. d. A.) Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht Koblenz hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz zur Entscheidung vorgelegt.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Akteninhalt und insbesondere auf die von beiden Parteien eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde ist gemäß §§ 78 Satz 1 ArbGG, 252, 567 ff. ZPO zulässig.

Darüber hinaus ist das Rechtsmittel auch begründet, da die rechtlichen Voraussetzungen für eine Verfahrensaussetzung nach § 148 ZPO im vorliegenden Fall nicht erfüllt sind. Nach der genannten gesetzlichen Regelung kann das Gericht, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits auszusetzen sei.

1.

Es bestehen bereits erhebliche Zweifel, ob im vorliegenden Einzelfall der von den Parteien geführte Kündigungsrechtsstreit, der zur Zeit noch beim Bundesarbeitsgericht anhängig ist, gegenüber dem vom Arbeitsgericht ausgesetzten Rechtsstreit überhaupt vorgreiflich ist. Soweit das Arbeitsgericht in diesem Zusammenhang darauf verwiesen hat, dass der vom Kläger geltend gemachte Weiterbeschäftigungsanspruch von der Frage des Fortbestehens des Arbeitsverhältnisses abhänge und damit vom Ausgang des Kündigungsschutzprozesses, ist dies nur dann richtig, wenn man davon ausgeht, dass das von den Parteien geführte Revisionsverfahren nicht zu einer rechtskräftigen Beendigung des Kündigungsrechtsstreites führt. Denn falls insoweit eine rechtskräftige Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes ergeht, würde der Weiterbeschäftigungsanspruch des Klägers nicht vom Inhalt dieser Entscheidung abhängen. Vielmehr bildet die rechtskräftige Entscheidung im Kündigungsschutzprozess in jedem Fall das Ende jenes Zeitraumes, für den der Kläger den streitigen Weiterbeschäftigungsantrag gestellt hat. Für den Fall, dass man also von einer rechtskräftigen Revisionsentscheidung im Kündigungsprozess ausgeht, bestünde dementsprechend keine Vorgreiflichkeit.

Da aber nicht im Vorhinein ausgeschlossen werden kann, dass das Bundesarbeitsgericht unter Abänderung des zweitinstanzlichen Urteiles den Kündigungsrechtsstreit zur weiteren Sachaufklärung an das Landesarbeitsgericht zurückverweist und infolgedessen noch keine formelle Rechtskraft eintritt, kann der Revisionsentscheidung vorgreifliche Wirkung zukommen.

2.

Wenn hiervon ausgehend eine Vorgreiflichkeit bejaht wird, ist aber im vorliegenden Fall von einer fehlerhaften Ermessensausübung des Arbeitsgerichtes auszugehen, da es die Verfahrensaussetzung im Wesentlichen damit begründet hat, es habe im Rahmen der Weiterbeschäftigungsklage über den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses als Vorfrage, unabhängig von den bisher vorliegenden Entscheidungen im Kündigungsrechtsstreit, zu befinden. Eine bloße Übernahme der Kündigungsschutzentscheidung aus dem Vorrechtsstreit ohne erneute Sach- und Rechtsprüfung würde zu einer Pflichtverletzung des Arbeitsgerichtes führen. Diese Ermessenserwägungen sind nicht zutreffend, da der Weiterbeschäftigungsanspruch eines Arbeitnehmers bis zur rechtskräftigen Beendigung eines Kündigungsprozesses nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes (Beschluss des Großen Senates vom 27.02.1985) lediglich voraussetzt, dass ein die Unwirksamkeit einer Kündigung feststellendes Instanzurteil vorliegt und keine zu der Ungewissheit des Prozessausganges hinzukommenden Umstände gegeben sind, aus denen sich im Einzelfall ein überwiegendes Interesse des Arbeitgebers ergibt, den Arbeitnehmer nicht zu beschäftigen.

Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichtes Berlin (vgl. Beschluss vom 11.02.1988 - 19 Ca 135/87 = NZA 1988 Seite 745 ff. - GS 1/84 = AP Nr. 14 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht) findet sich keinerlei Anhaltspunkt in dem Beschluss des Großen Senates des Bundesarbeitsgerichtes, der darauf hindeutet, dass für die Beurteilung der zu einem günstigen Kündigungsschutzurteil hinzutretenden zusätzlichen Umstände nur dasjenige Gericht in Frage kommen könne, welches im Falle einer objektiven Klagehäufung zunächst über die Wirksamkeit der Kündigung entscheide. Dies ergibt sich weder ausdrücklich, noch auch nur andeutungsweise aus dem Beschluss des Bundesarbeitsgerichtes. Denn das Bundesarbeitsgericht hat ganz abstrakt lediglich darauf abgehoben, ob ein obsiegendes Urteil in einem Kündigungsrechtsstreit vorliegt oder nicht ("liegt ein die Unwirksamkeit der Kündigung feststellendes Instanzurteil vor, ..."). Hierauf deutet im Übrigen auch folgende Feststellung des Bundesarbeitsgerichtes hin: "Der Weiterbeschäftigungsanspruch kann ebenso wie der Vergütungsanspruch des gekündigten Arbeitnehmers bereits während des Kündigungsprozesses geltend gemacht werden. Das kann im Wege objektiver Klagehäufung (§ 260 ZPO) in dem Kündigungsprozess geschehen oder in einem anderen Prozess." Diesen Ausführungen ist zu entnehmen, dass den Erwägungen des Bundesarbeitsgerichtes der Fall einer Klagehäufung nur als eine von mehreren Möglichkeiten bewusst war. Im Übrigen wäre es auch mit der rechtlichen Begründung des prozessualen Weiterbeschäftigungsanspruches, die das Bundesarbeitsgericht gegeben hat, nicht vereinbar, wenn das Arbeitsgericht im Rahmen der Prüfung eines isoliert geltend gemachten Weiterbeschäftigungsanspruches das Vorliegen einer für den Arbeitnehmer positiven Kündigungsschutzentscheidung ignorieren und eine eigene Prüfung der Sach- und Rechtslage insoweit nochmals anstellen würde. Denn nach den Ausführungen des Bundesarbeitsgerichtes wird bei der Entstehung des prozessualen Weiterbeschäftigungsanspruches der allgemeine Beschäftigungsanspruch in seinem Bestand materiellrechtlich von der jeweiligen Interessenlage der Vertragsparteien beeinflusst, so dass das Anhängigwerden eines Rechtsstreites materiellrechtliche Auswirkungen hat, wenn sich infolge der dadurch hervorgerufenen Ungewissheit und Unsicherheit die Interessenlage verschiebt. Für die Verschiebung der Interessenlage kommt es dementsprechend nur auf das Anhängigwerden eines Kündigungsrechtsstreites sowie auf das Vorliegen einer daraus hervorgehenden gerichtlichen Entscheidung an.

Die Ermessenserwägungen des Arbeitsgerichtes sind mit dem Beschluss des Großen Senates des Bundesarbeitsgerichtes mithin nicht vereinbar. Im Übrigen bedeutet die Aussetzung bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Kündigungsschutzprozess praktisch eine klageabweisende Entscheidung in der Sache. Der Anspruch auf Weiterbeschäftigung ist nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes begrenzt auf den Zeitraum zwischen erstinstanzlichem positiven Feststellungsurteil im Kündigungsschutzprozess und dessen rechtskräftiger Beendigung; er besteht daher nach dem Ende der Aussetzungswirkung nicht mehr. Wird daher das Verfahren insoweit bis zum Abschluss des Kündigungsschutzprozesses ausgesetzt, so wird dem Kläger die Möglichkeit einer gerichtlichen Geltendmachung des Beschäftigungsanspruches überhaupt genommen. Eine Verfahrensaussetzung kommt daher nur in Ausnahmefällen in Betracht (vgl. Beschluss des LAG Köln vom 17.05.1991 - 5 Ta 107/91 - = LAGE § 148 ZPO Nr. 23). Die Aussetzungsentscheidung des Arbeitsgerichtes konnte daher nicht aufrechterhalten werden, so dass das erstinstanzliche Verfahren fortzusetzen ist.

Über die Kosten des Beschwerdeverfahrens war nicht zu entscheiden, da die hier entstandenen Kosten Teil der Prozesskosten und ggf. bei der Hauptsacheentscheidung zu berücksichtigen sind (vgl. Zöller, ZPO, 24. Auflage, § 252 Rz. 3).

Die rechtlichen Voraussetzungen für eine Zulassung der Rechtsbeschwerde waren unter Beachtung von §§ 78 Satz 2, 72 Abs. 2 ArbGG nicht erfüllt.

Ende der Entscheidung

Zurück