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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt
Urteil verkündet am 07.11.2002
Aktenzeichen: 8 Sa 166/02
Rechtsgebiete: BAT-O, BAT


Vorschriften:

BAT-O § 19
BAT § 72 A
1. Im Regelungsbereich der Übergangsvorschriften Nr. 2 und 3 zu § 19 BAT-O kommt es nicht auf die "bei demselben Arbeitgeber" i.S.v. § 19 Abs. 1 Unterabs. 1 BAT-O zurückgelegten Zeiten an, sondern auf die Tätigkeitszeiten bei einer sg. Funktionsvorgängereinrichtung in der ehemaligen DDR.

2. Ein "Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis" i.S.v. § 19 Abs. 1 Unterabs. 2 BAT-O erfordert daher im Regelungsbereich der Übergangsvorschriften ein Ausscheiden aus dem entsprechenden Funktionsbereich. Ein bloßer Arbeitgeberwechsel ist für sich genommen unschädlich (entgegen BAG vom 24.05.2000 - 10 AZR 4022/99, ZTR 2001, 30).


Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

8 Sa 166/02

verkündet am: 07. November 2002

In dem Rechtsstreit

hat die 8. Kammer des Landesarbeitsgerichts Sachsen-Anhalt auf die mündliche Verhandlung vom 07. November 2002 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Quecke als Vorsitzenden sowie die ehrenamtlichen Richter Dowald und Willem als Beisitzer

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des ArbG Dessau vom 19.02.2002 - 6 Ca 355/01 - abgeändert.

Das beklagte Land wird verurteilt, an die Klägerin 409,03 Euro brutto nebst 5 % Zinsen über dem Diskontsatz seit dem 23.05.2001 zu zahlen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt das beklagte Land.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Dauer der sogenannten Jubiläumsdienstzeit der Klägerin.

Die 1942 geborene Klägerin ist bei dem beklagten Land Sachsen-Anhalt als Grundschullehrerin beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit der Bundesangestelltentarifvertrag Ost (BAT-O) und die diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträge in ihrer jeweiligen Fassung Anwendung.

Vor dem Beitritt der ehemaligen DDR war die Klägerin zunächst seit dem 01.08.1961 beim Rat des Kreises als Lehrkraft tätig. 1967 und 1970 wurden ihre Kinder geboren. Mit Wirkung vom 15.01.1973 schloss die Klägerin mit dem Rat des Kreises Bernburg einen Aufhebungsvertrag (Bl. 14 d. A.). Darin heißt es u. a.:

"Begründung:

Kollegin M. verzieht nach und nimmt dort eine Tätigkeit im Schuldienst auf."

Seit dem 15.01.1973 war die Klägerin beim Rat des Kreises im Bereich der Volksbildung tätig, zunächst bis zum 31.07.1973 als Erzieherin und seit dem 01.08.1973 fortdauernd bis zur Übernahme in den Dienst des beklagten Landes als Unterstufen- bzw. Grundschullehrern (vgl. Angaben der Klägerin zur Dienstzeitberechnung vom 14.10.1992, Bl. 8 d. A., sowie Vertrag mit dem Rat des Kreises Wittenberg vom 17.04.1974, Bl. 31, 31 R der Akten).

Mit Schreiben vom 14.10.1992 (Bl. 11 d. A.) bescheinigte die Bezirksregierung der Klägerin den Beginn ihrer Beschäftigungs- und Jubiläumsdienstzeit mit dem 01.08.1961 und die Vollendung einer 40-jährigen Dienstzeit mit dem 01.08.2001. Nach Beantragung einer Jubiläumszuwendung für die Klägerin durch ihre Schulleiterin setzte das beklagte Land den Beginn der Beschäftigungs- und Jubiiäumsdienstzeit mit Schreiben vom 19.06.2001 abweichend auf den 15.01.1973 fest (Bl. 10 d. A.). Mit Schreiben vom 20.08.2001 (Bl. 12, 12 R d. A.) machte die Klägerin vergeblich die Anerkennung der Zeit seit dem 01.08.1961 geltend, wobei sie u. a. darauf hinwies, dass das beklagte Land ihr die von seinem Standpunkt aus geschuldete Jubiläumszuwendung für eine 25-jährige Dienstzeit (01.08.1998) in Höhe von 600,00 DM nicht gezahlt habe.

Mit der Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter und macht geltend, dass sie ununterbrochen seitdem 01.08.1961 in der Volksbildung im Bereich des nach dem Beitritt gegründeten beklagten Bundeslandes tätig gewesen sei.

Die Klägerin hat beantragt,

festzustellen, dass das beklagte Land verpflichtet ist, die Zeit vom 01. August 1961 bis zum 14. Januar 1973 als Beschäftigungszeit im Sinne des § 19 BAT-O i. V. m. den Übergangsvorschriften Nr. 1 bis 4 zu § 19 BAT-O anzuerkennen.

Das beklagte Land hat Klageabweisung beantragt und sich insbesondere auf das Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 2405.2000 - 10 AZR 402/99 -, ZTR 2001, 30 f berufen, wonach ein vor dem 01.01.1990 auf eigenen Wunsch erfolgter Arbeitgeberwechsel zwischen in der Übergangsvorschrift Nr. 3 zu § 19 BAT-O genannten Einrichtungen oder Betrieben in der ehemaligen DDR dazu führe, dass die Zeiten vor dem Wechsel nicht als Beschäftigungszeiten bei der Berechnung des Anspruchs auf eine Jubiläumszuwendung nach § 39 BAT-O zu berücksichtigen seien.

Das Arbeitsgericht hat aufgrund mündlicher Verhandlung vom 19.02.2002 mit Urteil vom selben Tage, auf dessen Tatbestand und Entscheidungsgründe Bezug genommen wird, die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es auf den auf eigenen Wunsch der Klägerin erfolgten Arbeitgeberwechsel abgestellt. Eine unbillige Härte im Sinne von § 19 Abs. 1 BAT-O habe die Klägerin nicht dargelegt. Aus der ursprünglichen Mitteilung des Beginns ihrer Beschäftigungszeit (01.08.1961) könne die Klägerin schon deshalb keine Rechte herleiten, weil Beschäftigungszeiten, die über die tariflich anzurechnenden Zeiten hinausgingen, gemäß § 19 Abs. 4 Satz 1 BAT-O nur durch Entscheidung der obersten Dienstbehörde im Einvernehmen mit der für das Personalwesen zuständigen obersten Dienstbehörde angerechnet werden könnten.

Gegen das ihr am 02.04.2002 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 20.03.2002 Berufung eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 16.04.2002 begründet. Der Berufungsbegründungsschriftsatz vom 16.04.2002 ist nicht unterzeichnet; die beigefügte beglaubigte Abschrift weist unter dem Beglaubigungsvermerk die Unterschrift des Prozessbevollmächtigten der Klägerin auf (vgl. Bl. 64, 77, 80, 85 d. A.).

Die Klägerin macht geltend, dass die Nichtanerkennung ihrer Dienstzeiten vom 01.08.1961 bis zum 14.01.1973 eine unbillige Härte im Sinne von § 19 Abs. 1 BAT-O darstelle. Der Arbeitgeberwechsel vom Rat des Kreises zum Rat des Kreises sei familienbedingt notwendig gewesen. Im Zuge der staatlichen Lenkung von Hochschulabsolventen sei ihrem Ehemann seinerzeit eine Arbeitsstelle in einem Chemiebetrieb zugewiesen worden. Zugleich habe sich die Möglichkeit ergeben, dort eine größere Dreiraumwohnung in einem Neubaublock zu beziehen, was in für sie nicht möglich gewesen sei. Unter den Lebensbedingungen in der ehemaligen DDR sei ein Auskommen nur bei Berufstätigkeit beider Eltern gewährleistet gewesen. Zugleich hätten zwei Kinder im Alter von sechs und zwei Jahren versorgt werden müssen. Beides habe den Arbeitgeberwechsel unvermeidlich gemacht. Ein sogenannter dreiseitiger Überleitungsvertrag hätte zum damaligen Zeitpunkt nicht geschlossen werden können, da er erst 1977 mit dem Inkrafttreten des Arbeitsgesetzbuches der ehemaligen DDR eingeführt worden sei. Schließlich verweist die Klägerin auf die Anerkennung ihrer Dienstzeiten beim Rat des Kreises durch den Rat des Kreises die am 12.06.1981 in der Verleihung der sogenannten Pestalozzimedaille als Anerkennung für 20 Jahre Treue und gewissenhafte Pflichterfüllung Ausdruck gefunden habe.

Die Klägerin hat zuletzt beantragt,

das beklagte Land zu verurteilen, an sie einen Betrag in Höhe von 800,00 DM (409,03 Euro) nebst 5 % Zinsen über dem Diskontsatz seit dem 23.05.2001 zu zahlen.

Das beklagte Land hat Zurückweisung der Berufung beantragt und auf die Entscheidung des BAG vom 24.05.2000 verwiesen. Die Voraussetzungen einer unbilligen Härte im Sinne von § 19 Abs. 1 BAT-O lägen insbesondere mit Blick auf das gut ausgebaute Kinderbetreuungssystem in der ehemaligen DDR nicht vor. Zudem bestreitet das beklagte Land mit Nichtwissen, dass der Ehemann der Klägerin im zeitlichen Zusammenhang mit deren

Die Berufung ist auch begründet.

1. Die Klageänderung in der Berufungsinstanz ist zulässig. Der Wechsel vom Feststellungs- zum Leistungsantrag führte nicht zu einer Änderung des Streitstoffes, sondern konkretisierte den Streitstoff sachdienlich auf die einzige von ihm abhängige Rechtsfolge, nämlich die Zahlung der Jubiläumszuwendung. Demgemäß hat das beklagte Land sich auf die Klageänderung ohne weiteres eingelassen (§§ 525, 263 ZPO). Als Leistungsantrag ist das Zahlungsbegehren der Klägerin im übrigen zulässig.

2. Auch in der Sache ist das Klagebegehren begründet. Die Klägerin kann vom beklagten Land die Zahlung der Jubiläumszuwendung in Höhe von 409,03 Euro gemäß § 39 Abs. 1 BAT-O verlangen. Sie hat mit Ablauf des 31.07.2001 eine 40-jährige Beschäftigungszeit im Sinne von § 19 BAT-O in Verbindung mit Nr. 3 der Übergangsvorschriften zu § 19 BAT-O (im folgenden ÜV) zurückgelegt.

a) Gemäß § 39 Abs. 1 des kraft beiderseitiger Tarifbindung auf das Arbeitsverhältnis Anwendung findenden BAT-O erhält der Angestellte "bei Vollendung einer Beschäftigungszeit (§ 19)" von 40 Jahren als Jubiläumszuwendung 409,03 Euro. Die hiernach einschlägige Vorschrift des § 19 BAT-O nebst Übergangsvorschrift lautet:

Arbeitsplatzwechsel eine neue Stelle in angetreten habe und der Umzug deshalb erforderlich gewesen sei.

Wegen des weiteren Berufungsvorbringens der Parteien wird auf den vorgetragenen Inhalt ihrer vorbereitenden Schriftsätze nebst Anlagen sowie ihre Protokollerklärungen verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig. Insbesondere ist es unschädlich, dass der für die Gerichtsakten bestimmte Berufungsbegründungsschriftsatz vom 16.04.2002 nicht unterzeichnet war. Denn dem Schriftsatz war beigefügt eine beglaubigte Abschrift, deren Beglaubigungsvermerk die Originalunterschrift des Prozessbevollmächtigten der Klägerin trug (Bl. 80 d.A.). Dies genügt dem Schriftformerfordernis für bestimmende Schriftsätze (vgl. BGH vom 25.03.1986 IX ZB 15/86, NJW 1986, 1759, 1760; GmS OBG vom 30.04.1979, BGHZ 75, 340, 350 f). In dieser Form ist der Schriftsatz innerhalb der zweimonatigen Berufungsbegründungsfrist des § 66 I S. 1 ArbGG n. F. beim Landesarbeitsgericht eingegangen (vgl. Eingangsstempel auf dem nicht unterzeichneten Begründungsschriftsatz Bl. 62 d.A. "Anlage dreifach", Eingangsstempel vom 19.04.2002 auf dem beglaubigten Schriftsatz vom 16.04.2002 Bl. 78 d.A. sowie Schriftsalz des beklagten Landes vom 01.08.2002 Bl. 77 d.A.)

"§ 19 BAT-O

Beschäftigungszeit

1. Beschäftigungszeit ist die bei demselben Arbeitgeber nach Vollendung des 18. Lebensjahres in einem Arbeitsverhältnis zurückgelegte Zeit, auch wenn sie unterbrochen ist.

Ist der Angestellte aus seinem Verschulden oder auf eigenen Wunsch aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden, so gilt die vor dem Ausscheiden liegende Zeit nicht als Beschäftigungszeit, es sei denn, dass er das Arbeitsverhältnis wegen eines mit Sicherheit erwarteten Personalabbaues oder wegen Unfähigkeit zur Fortsetzung der Arbeit infolge einer Körperbeschädigung oder in Ausübung oder in Folge seiner Arbeit erlittenen Gesundheitsschädigung aufgelöst hat oder die Nichtanrechnung der Beschäftigungszeit aus sonstigen Gründen eine unbillige Härte darstellen würde.

...

4. Andere als die vorgenannten Zeiten dürfen bei Bund und Ländern nur durch die Entscheidung der obersten Dienstbehörde im Einvernehmen mit der für das Personalwesen (Tarifrecht) zuständigen obersten Dienstbehörde als Beschäftigungszeiten angerechnet werden.

Übergangsvorschriften für Zeiten vor dem 01. Januar 1991:

1. Als Übernahme im Sinne des Abs. 2 gilt auch die Überführung von Einrichtungen nach Artikel 13 des Einigungsvertrages.

2. Ist infolge des Beitritts der DDR der frühere Arbeitgeber weggefallen, ohne dass eine Überführung nach Artikel 13 des Einigungsvertrages erfolgt ist, gelten als Beschäftigungszeit nach Maßgabe des Abs. 1

...

b) für Angestellte der Länder:

Zeiten der Tätigkeit bei zentralen oder örtlichen Staatsorganen und ihren nachgeordneten Einrichtungen oder sonstigen Einrichtungen oder Betrieben, soweit das Land deren Aufgaben bzw. Aufgabenbereiche derselben ganz oder überwiegend übernommen hat,

...

3. Für die Anwendung des § 39 werden auch die nicht unter die vorstehenden Nrn. 1 und 2 fallenden Zeiten der Tätigkeit bei zentralen oder örtlichen Staatsorganen und ihren nachgeordneten Einrichtungen oder sonstigen Einrichtungen oder Betrieben, deren Aufgaben bzw. Aufgabenbereiche derselben ein Arbeitgeber ganz oder überwiegend übernommen hat, der unter den BAT-O fällt, und Zeiten der Tätigkeit bei der Deutschen Reichsbahn und bei der Deutschen Post nach Maßgabe des Abs. 1 der als Beschäftigungszeit berücksichtigt, es sei denn, dass diese Zeiten nach Nr. 4 oder einer entsprechenden Regelung nicht anzurechnen wären."

b) Danach ist zunächst die Beschäftigungszeit der Klägerin vom 15.01.1973 für die Jubiläumsdienstzeit zu berücksichtigen. Das folgt für die Zeit ab dem 01.08.1973 aus Nr. 2 ÜV, da sie von der Klägerin beim Rat des Kreises Wittenberg in der Funktion einer Lehrerin zurückgelegt wurde und damit bei einer Institution im Sinne von Nr. 2 b) ÜV, deren Aufgabe das Land als Schulträger übernommen hat (sog. Funktionsnachfolge). Für die Zeit vom 15.01. bis 31.07.1973 folgt es aus Nr. 2, sofern die Klägerin als Erzieherin in einem Aufgabenbereich tätig war, den das beklagte Land übernommen hat (etwa Hortbereich); sofern die Klägerin als Erzieherin in der Volksbildung in einem Bereich tätig war, den zwar nicht das beklagte Land, wohl aber ein Arbeitgeber übernommen hat, "der unter den BAT-O fällt" (Gemeinde oder Landkreis), folgt es aus Nr. 3 ÜV. Hiervon gehen die Parteien übereinstimmend aus.

c) Darüber hinaus ist auch die davor liegende Zeit ab dem 01.08.1961, welche die Klägerin als Lehrerin beim Rat des Kreises verbracht hat, für die Anwendung des § 39 BAT-O zu berücksichtigen. Hierbei handelt es sich, wovon auch die Parteien ausgehen, um Zeiten der Tätigkeit bei einer Institution im Sinne von Nr. 2 b ÜV, deren Aufgaben das beklagte Land als Schulträger ebenfalls übernommen hat.

aa) Entgegen der Auffassung des beklagten Landes steht der Anrechnung dieser Zeiten nicht die Ausnahmevorschrift des § 19 Abs. 1 Unterabs. 2 BAT-O entgegen. Gemäß Nr. 2 und Nr. 3 ÜV sind zwar die dort genannten Beschäftigungszeiten nur "nach Maßgabe des Abs. 1 als Beschäftigungszeit" zu berücksichtigen. Damit nehmen die Vorschriften auf den § 19 Abs. 1 BAT-O mit allen darin enthaltenen Regelungen Bezug (BAG vom 24.05.2000, a. a. O.). Nach § 19 Abs. 1 Unterabs. 2 BAT-O gelten frühere Beschäftigungszeiten beim selben Arbeitgeber ausnahmsweise u. a. dann nicht als Beschäftigungszeit, wenn der Angestellte "auf eigenen Wunsch aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden" ist, es sei denn, dass die Nichtanrechnung der Beschäftigungszeit eine unbillige Härte i.S.v. § 19 Abs. 1 Unterabs. 2 BAT-O darstellt. Die Klägerin ist jedoch nicht im Sinne dieser Vorschrift auf eigenen Wunsch aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden. Im Regelungsbereich der Übergangsvorschriften hat das "Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis" eine andere Bedeutung als den bloßen förmlichen Wechsel des Arbeitgebers, zumal dies unter den Verhältnissen der ehemaligen DDR ohnehin oft kaum feststellbar ist. Die Tarifauslegung ergibt vielmehr, dass jedenfalls dann, wenn ein Arbeitnehmer der ehemaligen DDR ohne Unterbrechung im Bereich der Funktionsnachfolge seines heutigen Arbeitgebers tätig gewesen ist, ein schädlicher Arbeitgeberwechsel i. S. v. § 19 Abs. 1 Unterabs. 2 BAT-O i.V.m. Nr. 2 ÜV unabhängig von den rechtlichen Verhältnissen in der ehemaligen DDR nicht vorliegen kann. Das gleiche gilt gemäß Nr. 3 ÜV für die Anwendung des § 39 BAT-O bei einem nahtlosen Wechsel des Aufgabenbereichs in der ehemaligen DDR, soweit für beide Aufgabenbereiche ein Arbeitgeber die Funktionsnachfolge angetreten hat, der unter den BAT-O fällt. Damit kommt es weder darauf an, ob die Klägerin 1973 auf eigenen Wunsch zum Rat des Kreises gewechselt ist noch ob die Nichtanrechnung ihrer Beschäftigungszeiten beim Rat des Kreises eine unbillige Härte darstellt. Der gegenteiligen Auffassung des BAG in seiner Entscheidung vom 24.05.2000 ( a. a. O.) folgt die Berufungskammer nicht.

bb) Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages folgt nach der ständigen Rechtsprechung des BAG den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Auszugehen ist zunächst vom Tarifwortlaut. Zu erforschen ist der maßgebliche Sinn der Erklärung, ohne am Buchstaben zu haften (§ 133 BGB). Der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und damit der von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnorm sind mit zu berücksichtigen, soweit sie in den tariflichen Normen ihren Niederschlag gefunden haben. Auch auf den tariflichen Gesamtzusammenhang ist abzustellen. Verbleiben noch Zweifel, können weitere Kriterien wie Tarifgeschichte, praktische Tarifübung und Entstehungsgeschichte des jeweiligen Tarifvertrages ohne Bindung an eine bestimmte Reihenfolge berücksichtigt werden. Im Zweifel ist die Tarifauslegung zu wählen, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Lösung führt (BAG vom 20.04.1994 - 10 AZR 276/93 -, AP-Nr. 11 zu §§ 22, 23 BAT Zulagen m.w.N.).

cc) Bei Anwendung dieser Grundsätze ist die Maßgabe-Verweisung der Nrn. 2 und 3 ÜV in den oben dargestellten Sinn auszulegen. Schon der Wortlaut spricht hierfür. Eine wörtliche Anwendung des § 19 Abs. 1 BAT-O im Regelungsbereich der Übergangsvorschriften scheidet bereits deshalb aus, weil § 19 Abs. 1 BAT-O ausnahmslos Zeiten bei "demselben Arbeitgeber" betrifft; auf dieses Arbeitsverhältnis (bei demselben Arbeitgeber) stellt auch der Unterabs. 2 ab. Dagegen regelt die Übergangsvorschrift in Nr. 2 und 3 gerade Zeiten bei einer bloßen Funktionsvorgängerinstitution des jetzigen Arbeitgebers (Nr. 2) bzw. eines heutigen Arbeitgebers, der unter den BAT-O fällt (Nr. 3).

Denselben Arbeitgeber i. S. v. § 19 Abs. 1 Satz 1 BAT-O gibt es im Regelungsbereich dieser Vorschriften nicht. Daher kann es auf das Arbeitsverhältnis "bei demselben Arbeitgeber hier ebensowenig ankommen wie auf das Arbeitsverhältnis bei irgendeinem bestimmten Arbeitgeber in der ehemaligen DDR. Die "Maßgabe" in Nm. 2 und 3 ÜV führt vielmehr notgedrungen zu einer nur sinngemäßen Anwendung des § 19 Abs. 1 BAT-O.

Da es "denselben Arbeitgeber" i.S.v. § 19 Abs. 1 BAT-O im Regelungsbereich der Übergangsvorschrift nicht gibt, können die Regelungen des Abs. 1 denknotwendig nur eine sinngemäße Maßgabe für die Übergangsvorschrift darstellen. Da sie im Gegensatz zu § 19 Abs. 1 BAT-O nicht auf die Zeiten bei demselben Arbeitgeber, sondern auf die Zeiten bei einem Funktionsvorgänger des Arbeitgebers (Nr. 2) bzw. eines Arbeitgebers, der unter den BAT-O fällt (Nr. 3), abstellen, erschließt sich der Sinn der Maßgabe in Bezug auf § 19 Abs. 1 Unterabs. 1 BAT-O ohne weiteres zwanglos dahin, dass die bei einem Funktionsvorgänger nach Vollendung des 18. Lebensjahres zurückgelegte Zeit als Beschäftigungszeit gilt, auch wenn sie unterbrochen ist. Auf einen bestimmten Arbeitgeber kommt es insoweit nach allgemeiner Meinung nicht an.

Das gleiche gilt ohne weiteres auch für das "Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis" i.S.v. Unterabs. 2. Gemeint ist "dasselbe Arbeitsverhältnis" i.S.v. Unterabs. 1. Dieses existiert im Regelungsbereich der Übergangsvorschriften nicht, wie dargelegt. Es kann daher auch für Unterabs. 2 nicht auf ein bestimmtes Arbeitsverhältnis zu einem bestimmten Arbeitgeber ankommen, sondern nur auf "Zeiten der Tätigkeit" im Funktionsbereich des jetzigen Arbeitgebers bzw. eines heutigen Arbeitgebers, der unter den BAT-O fällt. Wurde dieser Funktionsbereich vom Angestellten aus eigenem Verschulden oder auf eigenen Wunsch verlassen, so gelten gemäß Unterabs. 2 die vorherliegenden Zeiten nicht als Beschäftigungszeit. Wurde er dagegen nicht verlassen, sind sie anzurechnen, ohne dass es auf einen bestimmten Arbeitgeber oder einen Arbeitgeberwechsel ankommt. Der BAT-O will nicht die Betriebstreue zu einem unbekannten Arbeitgeber der ehemaligen DDR honorieren, sondern die Tätigkeit im Funktionsbereich des heutigen Arbeitgebers (Nr. 2) bzw. eines heutigen Arbeitgebers, der den BAT-O anwendet (Nr. 3). Nr. 2 ÜV stellt nicht auf einen Arbeitgeber ab, sondern auf eine Tätigkeit im Bereich des Funktionsvorgängers. Bei welchem Arbeitgeber der ehemaligen DDR sie zurückgelegt wurde, ist unerheblich. So entspricht es allgemeiner Meinung und wird auch von den Parteien des vorliegenden Rechtsstreits nicht in Frage gestellt, dass eine Lehrertätigkeit beim Rat des Kreises "ebenso wie eine solche beim Rat des Kreises Wittenberg grundsätzlich die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Beschäftigungszeit gemäß Nr. 2 ÜV erfüllen. Es macht dann keinen Sinn, bei einem auf eigenen Wunsch erfolgten nahtlosen Wechsel von einem Arbeitgeber der ehemaligen DDR zu einem anderen die früheren Beschäftigungszeiten nicht anzuerkennen, wenn der heutige Arbeitgeber Funktionsnachfolger im Bezug auf die Tätigkeit vor und nach dem Wechsel ist.

Es ist systemwidrig, im Geltungsbereich der Übergangsvorschriften im Bezug auf den Unterabs. 1 des § 19 Abs. 1 BAT-O auf den Funktionsbereich des heutigen Arbeitgebers, hiervon abweichend beim Unterabs. 2 aber auf einen bestimmten Arbeitgeber und die ihm erwiesene Treue abzustellen. Ein bestimmter Arbeitgeber kann im Geltungsbereich der Übergangsvorschriften keine Rolle spielen, er ist prinzipiell unbekannt. Eine Vielzahl von früheren Arbeitgebern in der ehemaligen DDR sind beispielsweise Funktionsvorgänger des beklagten Landes. Alle dort zurückgelegten Zeiten sind daher grundsätzlich gemäß Nr. 2 als Beschäftigungszeiten berücksichtigungsfähig, sowohl solche beim Rat des Kreises Bernburg als auch solche beim Rat des Kreises Wittenberg.

Für seine diese Systematik durchbrechende Auslegung führt das BAG als einziges Argument an, dass für § 19 Abs. 1 Unterabs. 2 im Bereich der Nr. 3 ÜV sonst nur ein äußerst eingeschränkter Anwendungsbereich verbliebe. Da sich in der ehemaligen DDR ein für die Berechnung von Beschäftigungszeiten nach § 19 BAT-O relevanter Arbeitgeberwechsel sehr häufig als ein Wechsel zwischen den in der ÜV Nr. 3 genannten Einrichtungen oder Betrieben darstelle, wäre es nur dann zu einem "Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis" i.S.d. § 19 Abs. 1 Unterabs. 2 BAT-O gekommen, wenn der Angestellte zu einem in der ehemaligen DDR kaum existierenden privaten Arbeitgeber oder zu nicht der Übergangsvorschrift Nr. 3 unterfallenden Einrichtungen oder Betrieben gewechselt wäre. Für eine auf derartige Ausnahmefälle beschränkte Anwendbarkeit seien im BAT-O Anhaltspunkte nicht erkennbar.

Das überzeugt nicht Wie dargelegt sprechen sowohl Wortlaut, systematischer Zusammenhang und Sinn der Tarifregelung für den Anwendungsbereich der Ausnahmevorschrift im hier vertretenen Sinn. Weitere tarifliche "Anhaltspunkte" sind somit entbehrlich. Aber auch der Hinweis auf den sonst drohenden "äußerst eingeschränkten Anwendungsbereich" der Vorschrift geht fehl. Zum einen handelt es sich bei § 19 Abs. 1 Unterabs. 2 BAT-O um eine Ausnahmevorschrift, wie auch das BAG anerkennt. Ein beschränkter Anwendungsbereich entspräche dem Charakter einer Ausnahmevorschrift. Zum anderen ist der Anwendungsbereich der Vorschrift tatsächlich aber durchaus nicht "äußerst eingeschränkt". Der Umstand, dass in der ehemaligen DDR kaum private Arbeitgeber existierten, hat in diesem Zusammenhang keine größere Bedeutung. Denn nach Nr. 2 b und Nr. 3 ÜV gelten nicht alle Tätigkeiten für die dort genannten Institutionen als tarifliche Beschäftigungszeit, sondern gerade nur solche Tätigkeiten bei solchen Institutionen, deren Funktionsnachfolge der Arbeitgeber bzw. ein Arbeitgeber, der unter den BAT-O fällt, angetreten hat. Damit deckt sich der Anwendungsbereich der Vorschriften grundsätzlich mit den entsprechenden Regelungen des BAT-West. Im Bereich der Nr. 3 ÜV findet etwa entsprechend der Regelung in § 20 BAT jede Tätigkeit Berücksichtigung, die funktional dem (heutigen) öffentlichen Dienst zugeordnet ist, unabhängig vom jeweiligen Arbeitgeber. Schädlich ist ein Wechsel aus diesem Funktionsbereich heraus, sei es zu einem der in der ehemaligen DDR seltenen privaten Arbeitgeber, sei es in einen anderen der weiten Funktionsbereiche des öffentlichen Dienstes der ehemaligen DDR, der heute nicht mehr in den Bereich des öffentlichen Dienstes fällt, sei es aus einer Arbeitnehmertätigkeit überhaupt. Damit deckt sich der Anwendungsbereich des § 19 Abs. 1 Unterabs. 2 BAT-O im Bereich der Übergangsvorschriften exakt mit den entsprechenden Vorschriften der §§ 19, 20 BAT (West); er ist nicht "äußerst beschränkt".

Nr. 3 ÜV erweitert für die Anwendung des § 39 BAT-O den Kreis der berücksichtigungsfähigen Tätigkeitszeiten auch auf solche, deren Funktionsnachfolge nicht der derzeitige Arbeitgeber angetreten hat, sondern überhaupt ein Arbeitgeber, der unter den BAT-O fällt; darüber hinaus bezieht er ausdrücklich auch Zeiten einer Tätigkeit bei der Deutschen Reichsbahn und der Deutschen Post ein. Damit wird im Regelungsbereich der Nr. 3 ÜV gerade ein Arbeitgeberwechsel in der ehemaligen DDR als Regelfall vorausgesetzt und für unschädlich erklärt, sofern nur die frühere Tätigkeit auch heute noch von einem Arbeitgeber, der unter den BAT-O fällt, ausgeübt wird. Würde ein solcher Arbeitgeberwechsel nur dann nach Nr. 3 ÜV zu berücksichtigen sein, wenn er, so das BAG, nicht auf eigenen Wunsch erfolgt ist, würde die Regelvorschrift der Nr. 3 wegen der Ausnahmevorschrift des § 19 Abs. 1 Unterabs. 2 BAT-O tatsächlich nur einen Ausnahmecharakter erlangen und damit die Tarifregelung auf den Kopf gestellt.

Neben Wortlaut, Systematik sowie Sinn und Zweck der Übergangsvorschriften spricht noch ein weiteres Argument für das hier vertretene Verständnis der in ihnen enthaltenen "Maßgabe": Die Auslegung des BAG hätte zur Konsequenz, dass die hier streitigen Dienstzeiten der Klägerin als Lehrerin in Sachsen-Anhalt zwar nicht in ihrem eigenen Bundesland oder in einem der anderen neuen Bundesländer, also im Geltungsbereich des BAT-O, als Jubiläumsdienstzeit anerkannt würden, wohl aber gemäß § 72 A II Nr. 1 i.V.m. § 20 Abs. 3 Satz 2 BAT (West) in sämtlichen alten Bundesländern. § 72 BAT erhielt die hier maßgebliche Fassung durch den 67. Änderungstarifvertrag zum BAT vom 04.11.1992 mit Wirkung zum 01.01.1992 (dort § 1 Nr. 13, abgedruckt in Crisolli u. a., BAT, Teil VIII Seite 348). Er knüpfte an die einen Monat zuvor am 01.12.1991 in Kraft getretene Regelung der § 19 und 21 BAT-O nebst den hierzu ergangenen Übergangsvorschriften an. Es erscheint vor diesem Hintergrund ausgeschlossen, dass die zum Teil identischen Tarifvertragsparteien eine Regelung schaffen wollten, die bestimmte Dienstzeiten in der ehemaligen DDR zwar in den alten Bundesländern, nicht aber in den neuen Bundesländern selbst anerkennt.

d) Nach alledem kommt es nicht mehr auf die Frage der unbilligen Härte sowie des Rechtscharakters und der Rechtsverbindlichkeit (§ 19 Abs. 4 BAT-O) der ursprünglichen Dienstzeitberechnung an. Die Klägerin hat Anspruch auf Anerkennung einer lückenlos seit dem 01.08.1961 im Bereich der Funktionsnachfolge des beklagten Landes bzw. eines Arbeitgebers, der unter den BAT-O fällt, zurückgelegten Jubiläumsdienstzeit. Mit Ablauf des 31.07.2001 konnte sie daher vom beklagten Land die Zahlung einer Jubiläumszuwendung bei Vollendung einer Beschäftigungszeit von 40 Jahren in Höhe von heute 409,03 Euro verlangen. Die Klägerin hat ihren Anspruch mit Schreiben vom 20.08.2001 rechtzeitig geltend gemacht. Indem sie mit diesem Schreiben ausdrücklich die Anerkennung einer 40-jährigen Dienstzeit begehrte, machte sie hinreichend deutlich, dass sie vom beklagten Land die Zahlung der Jubiläumszuwendung verlangte. Denn eine andere Rechtsfolge hat die Anerkennung einer 40-jährigen Dienstzeit für sie erkennbar nicht. Zudem war der Streit über die Frage der Berechnung ihrer Dienstzeit gerade unmittelbar zuvor dadurch entstanden, dass die Schulleiterin mit Schreiben vom 23.05.2001 die Jubiläumszuwendung für die Klägerin beantragt hatte (Bl. 9 d. A.). Damit war für das beklagte Land der geltend gemachte Anspruch nach Grund, Inhalt und Höhe ausreichend erkennbar geworden.

e) Der Zinsanspruch folgt aus §§ 284, Abs. 1, 285, 288 Abs. 1 BGB a.F.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

IV.

Die Revision war gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG zuzulassen.

Ende der Entscheidung

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