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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt
Urteil verkündet am 09.07.2002
Aktenzeichen: 8 Sa 40/02
Rechtsgebiete: BGB, KSchG


Vorschriften:

BGB § 626
KSchG § 1
KSchG § 9
Der erhebliche Verstoß eines Zeitungsredakteurs gegen das Gebot der Tendenzloyalität kann eine außerordentliche Kündigung grundsätzlich rechtfertigen.

Eine Abmahnung ist aber dann nicht entbehrlich, wenn bei einmaligem Vorfall nicht auszuschließen ist, dass der Tendenzverstoß auf einer zwar eklatanten, aber doch versehentlichen Fehleinschätzung beruht.


Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

8 Sa 40/02

verkündet am: 09. Juli 2002

In dem Rechtsstreit

hat die 8. Kammer des Landesarbeitsgerichts Sachsen-Anhalt auf die mündliche Verhandlung vom 09. Juli 2002 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Quecke als Vorsitzenden sowie die ehrenamtlichen Richter Dr. Hinze und Altekrüger als Beisitzer

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des ArbG Magdeburg vom 06.12.2001 - 10 Ca 3919/01 - wird unter Einschluss des Auflösungsantrages zurückgewiesen.

Die Kosten der Berufung trägt die Beklagte.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten zuletzt noch um die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung sowie eines hilfsweisen Auflösungsantrages der beklagten Arbeitgeberin.

Der am 08.07.1960 geborene Kläger ist seit dem 01.09.1979 bei der Beklagten bzw. ihren Rechtsvorgängern als Redakteur und zuletzt Leiter der Lokalredaktion der von der Beklagten herausgegebenen Tageszeitung beschäftigt. Er erhält Vergütung gemäß der Vergütungsgruppe III c des Gehaltstarifvertrages für Redakteurinnen und Redakteure an Tageszeitungen. Gemäß § 2 des undatierten Arbeitsvertrages der Parteien (Bl. 213 - 216 d.A.) ist der Kläger zur Einhaltung der festgelegten Richtlinien, Grundsätze, Aufgaben und Zielsetzungen der Zeitung verpflichtet. In § 16 des Arbeitsvertrages wird ergänzend auf die für das Unternehmen einschlägigen bestehenden oder künftigen Tarifverträge für Redakteure an Tageszeitungen in ihrer jeweiligen Fassung Bezug genommen. § 14 Ziffer 4 des Manteltarifvertrages für Redakteurinnen und Redakteure an Tageszeitungen (MTV) bestimmt:

"Der Vertrag kann von jedem Teil ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn ein wichtiger Grund vorliegt. Als wichtiger Grund gelten insbesondere grobe Verstöße gegen die vereinbarten Richtlinien (§ 2 Abs. 2 c)."

In § 2 Ziffer 2 c MTV heißt es:

"Bei der Anstellung sind festzulegen: Die Verpflichtung des Redakteurs auf die Innehaltung von Richtlinien für die grundsätzliche Haltung der Zeitung."

Die Beklagte hat "publizistische Grundsätze und Leitlinien der für Verlag, Chefredaktion und Redaktion aufgestellt (Bl. 82 - 83 d.A.). Gemäß Nr. I Abs. 3 dieser Leitlinien müssen sich die Leser ständig und zuverlässig in der wieder begegnen können. Die Zeitung spiegelt und vertieft die Erfahrungen und Lebensumstände ihrer Leser. Nach Nr. II Abs. 2 der Leitlinien bemüht sich die vor dem Hintergrund der geschichtlichen Erfahrungen mit totalitären politischen Systemen um Aufklärung und objektive Darstellung und Bewertung der jüngeren deutschen Geschichte, um die politische Gestaltung der Zukunft in Freiheit zu ermöglichen. In Nr. III der Leitlinien heißt es u.a.: "Die berichtet über alle Bereiche des öffentlichen Lebens so umfassend, wahrheitsgemäß und unvoreingenommen wie möglich. Die beachtet streng die Trennung von Nachricht und Kommentar."

In der jüngeren Vergangenheit änderte die Beklagte ihre betrieblichen Strukturen. Zwischen Chefredaktion und Lokalredaktion wurde eine zusätzliche horizontale Hierarchieebene geschaffen, auf der vier verantwortliche Regionalredakteure für die in ihrer Region jeweils befindlichen Lokalredaktionen zuständig sind. Infolge dieser Maßnahme wurde der Kläger in die Vergütungsgruppe III c herabgruppiert (unter Wahrung seines Besitzstandes).

Mit Schreiben vom 21.01.1998 erteilte die Beklagte durch ihren damaligen Chefredakteur dem Kläger eine Abmahnung. Anlass war der Report eines Volontärs über einen Halberstädter Taxifahrer mit dem Titel "Hier wird geschissen, gekotzt und gevögelt". Dem Kläger wurde u.a. vorgeworfen, er habe als verantwortlichen Kreisredakteur gegen die journalistische Verantwortung verstoßen und zugelassen, dass das Ansehen der beschädigt wurde. Die Abmahnung wurde am 24.06.1999 wegen "guter Leistung" und "vorbildlichen Einsatzes" zurückgenommen.

Wenige Tage vor dem 40. Jahrestag des Mauerbaus (13.08.2001) erschien am 09.08.2001 im Halberstädter Lokalteil der unter der Oberzeile "Gedanken zur Schriftenreihe Halberstädter Garnisonsgeschichte von Werner Hartmann" ein Beitrag des Oberst a.D. der DDR-Grenztruppen W L mit der Überschrift "Halberstadt war für Tausende zeitweilige Soldatenheimat". Dem Beitrag waren folgende Einleitungssätze vorangestellt:

"Halberstadt von 1623 - 1994 zeitweilige Soldatenheimat" lautet der Untertitel der Schriftenreihe von Werner Hartmann zur Halberstädter Garnisonsgeschichte. W L, Oberst a.D. der DDR-Grenztruppen, äußert dazu seine Gedanken.

In dem Beitrag, der sich über etwas mehr als eine halbe Zeitungsseite erstreckte und mit zwei größeren Fotografien exerzierender Grenztruppen bestückt war, heißt es u.a.:

"Der kalte Krieg hat zum Glück nur wenigen Grenzsoldaten und Zivilpersonen das Leben gekostet...

Unter normalen Verhältnissen weiß man nie, wer ungesetzlich die Grenze in beiden Richtungen passieren will, sind es Kriminelle, sind es Mörder, die sich der Verantwortung entziehen wollen. An jeder Objektgrenze der Bundeswehr stehen auch heute Tafeln: "Achtung Schusswaffengebrauch".

Die Schusswaffe war immer das allerletzte Mittel, um Kontrollen von Personen zu erzwingen, wie in jedem anderen Grenzschutz auch ...

Als 1990 die Konservativen an die Macht kamen, erhielten viele DDR-Bürger als "Dank" dafür Strafrenten, Gerichtsprozesse, Gefängnis und Diskriminierungen."

Der Beitrag war vom Kläger angenommen, redigiert, mit Fotografien ausgestattet und ohne Kommentar oder Stellungnahme der Redaktion veröffentlicht worden. Vor seiner Veröffentlichung hatte eine Redakteurin der Lokalredaktion Bedenken geäußert wegen des Passus "Machtergreifung durch die Konservativen" und gemeint, dass der Beitrag deutlicher als Leserreaktion kenntlich gemacht werden müsse.

Der Abdruck des Beitrages führte zu zahlreichen kritischen Leserreaktionen. U.a. nahm auch das Mitglied der SPD-Landtagsfraktion in Sachsen-Anhalt, MdL A L, Stellung und sprach von einer "Verhöhnung der 866 brutal ermordeten Menschen, die nichts weiter als die Freiheit wollten". Weiter heißt es in der Stellungnahme: "Der Artikel ist eine Ohrfeige für alle anständigen und aufrichtigen Menschen, die trotz 40 Jahre Unterdrückungsstaat Gott sei Dank immer noch die Mehrheit waren.... Für solche Zwecke darf sich die nicht zum Sprachrohr machen... Im Vorfeld des 13. August einen Artikel solchen Inhalts unkommentiert abzudrucken, kann ich nicht akzeptieren. Ich verlange von der Chefredaktion der entsprechende Konsequenzen zu ziehen und dafür zu sorgen, dass die Generation, die diesen Teil der Geschichte nicht selbst miterlebt hat, über die Medien eine objektive Darstellung unserer Geschichte mit auf den Weg bekommt". Als Verteiler der Stellungnahme (Bl. 148-149 d.A.) waren neben der angegeben ARD, MDR, ZDF und Spiegel.

Am 11.08.2001 entschuldigte sich der stellvertretende Chefredakteur in der gegenüber den Lesern für die Veröffentlichung des Beitrages.

Mit Schreiben vom 17.08.2001 hörte der Geschäftsleiter der Magdeburger Dienstleistungs GmbH, die aufgrund eines Dienstleistungsvertrages mit der Beklagten seit dem Jahr 1996 für diese die Personalverwaltung ausführt, im Auftrag des Geschäftsführers der Beklagten den bei dieser bestehenden Betriebsrat zu einer beabsichtigten außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung an. Das Anhörungsschreiben nahm u.a. Bezug auf die im Jahre 1998 ausgesprochene Abmahnung. Der Betriebsrat "widersprach" der Kündigung mit Schreiben vom 20.08.2001. Zum einen wies er die Anhörung als "rechtlich irrelevant" zurück, da er keine Kenntnis von einer Vertretungsbefugnis des Geschäftsleiters der für die Beklagte habe; zum anderen machte er geltend, dass der Vorgang kein ausreichendes Gewicht für eine außerordentliche oder ordentliche Kündigung habe, zumal die Abmahnung vom 21.01.1998 zurückgenommen worden sei. Mit Schreiben vom 21.08.2001 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien fristlos sowie vorsorglich fristgerecht zum 31.03.2002.

Mit der am 31.08.2001 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage wendet sich der Kläger gegen die außerordentliche, wie auch die ordentliche Kündigung. Zur Begründung hat er vorgetragen, dass der Artikel nicht seine Meinung darstelle. Im Übrigen sei es erst nach der Entschuldigung des stellvertretenden Chefredakteurs zu kontroversen Leserreaktionen gekommen. Zudem sei die Betriebsratsanhörung durch die nicht ordnungsgemäß erfolgt.

Der Kläger hat beantragt,

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die fristlose noch durch die von der Beklagten auf den 21.08.2001 datierte fristgerechte Kündigung mit dem 31.03.2002 endet.

2. Für den Fall des Obsiegens mit den Antrag zu 1 die Beklagte zu verurteilen, ihn zu den bisherigen Bedingungen bis zur rechtskräftigen Beendigung des Rechtsstreits weiterzubeschäftigen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger habe mit der Veröffentlichung des Artikels gegen die Grundsätze und Leitlinien der sowie den Pressekodex verstoßen. Vor Veröffentlichung hätte der Kläger Rücksprache bei seinem Dienstvorgesetzten nehmen müssen. Dies sei insbesondere bei kontroverser Meinung innerhalb der Redaktion üblich. Auch hätte der Kläger durch die Abmahnung aus dem Jahr 1998 sensibilisiert sein müssen.

Mit Urteil vom 06.12.2001, auf dessen Tatbestand und Entscheidungsgründe Bezug genommen wird, hat das Arbeitsgericht dem Feststellungsantrag stattgegeben und den Weiterbeschäftigungsantrag zurückgewiesen.

Gegen das ihr am 21.12.2001 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 18.01.2002 Berufung eingelegt und diese am 18.02.2002 begründet. Seine gegen die Zurückweisung des Weiterbeschäftigungsantrages zunächst eingelegte und begründete Anschlussberufung hat der Kläger in der letzten mündlichen Verhandlung mit Zustimmung der Beklagten zurückgenommen.

Die Beklagte beanstandet, das Arbeitsgericht habe das Gewicht des dem Kläger zur Last gelegten Vorwurfs verkannt. Der Beitrag verstoße eklatant gegen die publizistischen Grundsätze und Leitlinien der. Der Kläger habe den Beitrag des Herrn bewusst reißerisch präsentiert und in den Mittelpunkt der Zeitung gerückt. Es liege eine Pflichtverletzung im Vertrauensbereich vor. Die Bedeutung grober Tendenzverstöße für das Arbeitsverhältnis von Redakteuren werde in § 14 Ziffer 4 MTV deutlich. Wenn auch die Beklagte einen Schaden nicht beziffern könne, sei doch eine erhebliche Rufschädigung, etwa durch das Schreiben des MdL und dessen Weiterleitung an andere Rundfunk- und Presseorgane, zu besorgen. Dies gelte insbesondere angesichts der Geschichte der "Volksstimme" als früheres SED-Organ. Zumindest sei das Arbeitsverhältnis hilfsweise aufzulösen, da der Kläger nach eigenem Bekunden im Rechtsstreit die Kernaussagen des Beitrages des Herrn nach wie vor als "tragbar" ansehe. Auch sei im Rahmen eines Auflösungsantrages nach § 9, 10 KSchG der Tendenzschutz zu berücksichtigen, den die Beklagte als Presseunternehmen genieße.

Die Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen

sowie hilfsweise

das Arbeitsverhältnis zum 31.03.2002 gemäß § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG aufzulösen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Er gesteht zu, dass die Veröffentlichung des Beitrages in dieser Form und Aufmachung einen Fehler dargestellt habe. Dieser sei jedoch nicht gewichtig genug, das seit 22 Jahren im Wesentlichen unbeanstandet bestehende Arbeitsverhältnis kündigen zu können. Zudem sei der Betriebsrat fehlerhaft angehört worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Berufungsvorbringens wird auf die in zweiter Instanz gewechselten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie ihre Protokollerklärungen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet. Das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien ist, wie das Arbeitsgericht zu Recht erkannt hat, weder durch die außerordentliche noch durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 21.08.2001 aufgelöst worden. Auch der hilfsweise gestellte Auflösungsantrag ist unbegründet.

I.

Weder für die außerordentliche noch für die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses liegen hinreichende Gründe vor.

1.

Das Arbeitsverhältnis wurde nicht durch die außerordentliche Kündigung aufgelöst. Zwar liegt eine Pflichtverletzung des Klägers vor, die grundsätzlich einen Grund zur außerordentlichen Kündigung darstellen kann. Doch ist mangels vorheriger Abmahnung eine außerordentliche Kündigung unverhältnismäßig.

a)

Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Der grobe Verstoß eines Redakteurs gegen die publizistischen Grundsätze seines Verlegers stellt eine grobe Vertragspflichtverletzung dar und kann somit einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung bilden. Ein Presseunternehmen - wie das der Beklagten - ist als Unternehmen der Berichterstattung und Meinungsäußerung ein Tendenzbetrieb (BAG Urteil vom 09.12.1975 AP Nr. 7 zu § 118 BetrVG 1972; BAG Urteil vom 19.05.1981 AP Nr. 18 zu § 118 BetrVG 1972, BAG Urteil vom 31.05.1981 AP Nr. 27 zu § 118 BetrVG 1972). Das Arbeitsverhältnis wird gerade in einem Tendenzbetrieb von besonderen Loyalitätsobliegenheit geprägt, deren Verletzung eine verhaltensbedingte Kündigung nach sich ziehen kann (Becker in Kittner/Zwanziger, ArbR, Handbuch für die Praxis, 2001, § 154 Rdnr. 22 f.; MünchnArbR/Berkowsky, 2. Aufl., 2002, § 146 Rdnr. 11). Die Arbeitspflicht der Redakteure ist geprägt durch das Gebot der Tendenzloyalität (ErfK/Dieterich Art. 5 GG Rz. 75; Becker aaO Rz. 24). Diesem Gebot kann der Redakteur nicht abweichende eigene Überzeugungen unter Berufung auf seine Meinungs- und Gewissensfreiheit entgegenhalten, weil er auf diese Freiheiten bei Abschluss des Arbeitsvertrages im Rahmen der ihm bekannten Tendenz bis auf ein grundrechtlich gebotenes Mindestmaß verzichtet hat (ErfK/Dieterich aaO Rz. 75, 76).

Als Leiter der Lokalredaktion ist der Kläger Tendenzträger der. Das Gebot der Tendenzloyalität ist in § 2 des Arbeitsvertrages durch Bezugnahme auf die Grundsätze und Leitlinien der sowie durch den in § 16 des Arbeitsvertrages in Bezug genommenen § 14 Abs. 4 MTV ausdrücklich vereinbart worden. Zwar vermag § 14 Abs. 4 mit der Bestimmung, dass als wichtiger Grund für eine Vertragskündigung insbesondere grobe Verstöße gegen die vereinbarten Richtlinien gelten, keine sogenannten "absoluten Kündigungsgründe" zu schaffen; dies verstieße gegen den zwingenden Schutz der §§ 626 BGB, 1 KSchG (BAG vom 11.03.1976 AP Nr. 1 zu § 95 BetrVG 1972). Doch hat die Norm für die Bestimmung von Inhalt und Gewicht der Vertragspflichten eines Redakteurs und damit auch mittelbar für die Rechtfertigung einer entsprechenden Kündigung Bedeutung (ähnlich zu vereinbarten "absoluten" Kündigungsgründen Hueck/v. Hoyningen-Huene, KSchG, 12. Aufl., § 1 Rz. 8).

Auch die Pressefreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 GG findet aber ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze (Art. 5 Abs. 2 GG). Die Kündigung wegen eines Verstoßes gegen das Gebot der Tendenzloyalität darf daher nicht den das Kündigungsrecht beherrschenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen.

b)

Der Kläger hat als Leiter der Lokalredaktion H mit der Veröffentlichung des Beitrages des Oberst a.D. der DDR-Grenztruppen erheblich gegen seine Pflicht zu tendenzloyalem Verhalten verstoßen. Nach ihren "publizistischen Grundsätzen und Leitlinien" wendet sich die Volksstimme vor dem Hintergrund der geschichtlichen Erfahrungen mit totalitären politischen Systemen energisch gegen jede Form des Extremismus von links wie rechts und bemüht sich um Aufklärung durch objektive Darstellung und Bewertung der jüngeren deutschen Geschichte, um die politische Gestaltung der Zukunft in Freiheit zu ermöglichen. Gemäß Nr. III der Grundsätze berichtet die über alle Bereiche des öffentlichen Lebens so umfassend, wahrheitsgemäß und unvoreingenommen wie möglich. Die Veröffentlichung des Beitrages des Oberst a.D. der DDR-Grenztruppen verstieß gegen diese Grundsätze.

Der Beitrag befasst sich u.a. mit dem Bau der Mauer und den Todesopfern an der innerdeutschen Grenze in einseitiger und verzerrender Weise. Er rechtfertigt die DDR-Grenzpolitik und verharmlost ihre Opfer durch unsachliche Vergleiche ("Krieg", "Kriminelle"). Die Entstellung betrifft zugleich einen für die Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit zentralen und symbolischen Gegenstand, den Mauerbau und seine Opfer.

Vor dem Hintergrund der besonderen Vergangenheit der "Volksstimme" als SED-Organ sowie dem bevorstehenden 40. Jahrestag des Mauerbaus hatte die Darstellung besondere Brisanz. In der gewählten Aufmachung - Umfang, Fotos, fehlende Distanzierung - verstieß sie deshalb auch als Fremdbeitrag gegen die publizistischen Grundsätze der. Einer einseitigen und extremen Darstellung zu einem politisch hochbrisanten Thema solchen Raum zu geben, lässt sich nicht mit dem Hinweis auf das weitere publizistische Ziel der begegnen, Spiegel der Lesermeinung zu sein. Angesichts der Aufmachung als redaktioneller Eigenbeitrag genügte der bloße Hinweis im zweiten Einleitungssatz darauf, dass es sich um "Gedanken des Oberst a.D. der DDR-Grenztruppen" handele, nicht.

c)

Unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile erscheint der Vertragsverstoß des Klägers letztlich aber nicht von solchem Gewicht, dass er eine Kündigung ohne Abmahnung rechtfertigen könnte.

Zwar handelte es sich, wie soeben dargestellt, um einen erheblichen Verstoß gegen die Pflicht des Klägers zur Wahrung der Tendenzloyalität. Dies dokumentiert augenscheinlich die nachfolgende Entschuldigung des stellvertretenden Chefredakteurs bei den Lesern. Auch hatte eine Kollegin des Klägers im Vorfeld vergeblich Bedenken wegen der Veröffentlichung des Beitrages angemeldet. Der Kläger nahm dies auch nicht zum Anlass, sich bei der übergeordneten Regional- oder Chefredaktion zu vergewissern, auch wenn eine entsprechende eindeutige Anweisung insoweit nicht existierte. Der Abdruck erfolgte schließlich auch nicht unter Zeitdruck, noch war der Kläger als Redakteur und Leiter der Lokalredaktion unerfahren.

Entscheidend für das Erfordernis einer Abmahnung vor Ausspruch der Kündigung spricht jedoch, dass es sich um einen einmaligen Vorfall gehandelt hat. Die Beklagte hat aus den vergangenen zwölf Jahren, in denen sie als freies Presseunternehmen nach dem Beitritt der ehemaligen DDR agierte, nicht einen einzigen ähnlich liegenden Vorfall geschildert. Es lässt sich nicht eine Tendenz zu Einseitigkeit und zur Abweichung von den publizistischen Grundsätzen der beim Kläger feststellen. Die einzige Abmahnung, die dem Kläger gegenüber ausgesprochen worden ist, betraf eine anders gelagerte Fehlleistung und war überdies - unstreitig - wegen "guter Leistungen" und "vorbildlichen Einsatzes" zurückgenommen worden. Bei diesem Bild lässt sich nicht feststellen, dass der Kläger mit der Veröffentlichung des Beitrages vorsätzlich gegen die publizistischen Grundsätze der verstoßen hat. Die Einmaligkeit des Vorgangs spricht eher für eine vereinzelte, wenn auch eklatante Fehleinschätzung durch den Kläger. Zumindest lässt sich das Gegenteil nicht mit der erforderlichen Gewissheit feststellen. In der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht hat der Kläger dargelegt, dass er als Lokalredakteur nach dem Grundsatz gehandelt habe: "Nie wieder nur eine Meinung." Zum Abdruck könnte er auch durch Nr. 1 Abs. 3 der publizistischen Grundsätze bewegt worden sein, wonach die Leser "sich ständig und zuverlässig in der Volksstimme wieder begegnen können" müssen und die Zeitung die Erfahrungen und Lebensumstände ihrer Leser widerspiegelt. Als Lokalredakteur in einer ehemaligen Grenz- und Garnisonsstadt, in der die PDS bei Landtagswahlen über deutlich mehr als 20 % der Stimmen verfügt, könnte er auch durch diese Grundsätze irrtümlich zum Abdruck des Beitrages in der gewählten Aufmachung verleitet worden sein, zumal der Beitrag nicht dem bevorstehenden Jahrestag des Mauerbaus, sondern einer Schriftenreihe zur Garnisonsgeschichte der Stadt gewidmet war.

Bei der Abwägung der beiderseitigen Interessen ist schließlich zu würdigen, dass es sich um den Beitrag in einem nur begrenzten Lokalteil der handelte. Zwar haben die Wellen, wie insbesondere die Leserreaktion des MdL L zeigt, hoch geschlagen und insbesondere den lokalen Raum überschritten. Doch war der Beitrag nur im Bereich der Lokalredaktion zu lesen. Auch hat die Kritik aus der Leserschaft sich nicht an der Person des Klägers entzündet oder darauf fokussiert. Eine Drucksituation kann die Beklagte daher nicht zur Rechtfertigung der Kündigung anführen. Schließlich handelte es sich um eine Fehlleistung des Klägers, die typischerweise nicht im Verborgenen oder heimlich stattfindet, sondern einer Leistungskontrolle zugänglich ist. Der Beklagten ist es daher insbesondere im Hinblick auf die neue Führungsstruktur möglich, über ihre Regionalredaktionen Einfluss und Kontrolle dahin auszuüben, dass derartige Vorkommnisse ein Einzelfall bleiben. Hierzu erscheint eine Abmahnung als geeignetes Mittel. Das gilt selbst dann, wenn man, wie von der Beklagten vertreten, in dem Verhalten des Klägers einen Bezug zum so genannten Vertrauensbereich sehen will. Auch bei Handlungsweisen, die den Vertrauensbereich betreffen, ist eine Abmahnung erforderlich, wenn ein steuerbares Verhalten in Rede steht und es erwartet werden kann, dass das Vertrauen wieder hergestellt wird (BAG Urteil vom 04.06.1997, NZA 1997, 1281; BAG Urteil vom 12.08.1999, NZA 2000, 421, 426). Angesichts des seit 22 Jahren bestehenden Arbeitsverhältnisses gilt dies in besonderem Maße.

2.

Das Arbeitsverhältnis wurde auch nicht durch die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung aufgelöst. Diese ist gemäß § 1 Abs. 2 KSchG sozialwidrig und daher gemäß § 1 Abs. 1 KSchG unwirksam.

a)

Die Kündigung ist nicht durch Gründe im Verhalten des Arbeitnehmers bedingt. Auch der Ausspruch einer ordentlichen verhaltensbedingten Kündigung bedarf nämlich regelmäßig einer vorherigen Abmahnung (BAG Urteil vom 26.01.1995, EzA § 1 KSchG, verhaltensbedingte Kündigung Nr. 46). Wie oben gezeigt, war vor Ausspruch der Kündigung eine Abmahnung erforderlich. Daher konnte auch die ordentliche Kündigung keinen Bestand haben.

b)

Die Beklagte hat ferner nicht dargelegt, dass die Kündigung durch Gründe in der Person des Klägers bedingt wäre. Angesichts des seit 22 Jahren im Wesentlichen unbeanstandet bestehenden Arbeitsverhältnisses lässt der einmalige Vorgang, mit dem die Beklagte die Kündigung begründet, auch nicht auf grundlegend fehlende Eignung des Klägers für die Tätigkeit eines Leiters der Lokalredaktion schließen. Die Beklagte selbst hat ersichtlich die Kündigung daher auch nicht mit Eignungsmängeln begründet.

3.

Danach kommt es nicht mehr darauf an, ob die Kündigung wegen Fehlern bei der Anhörung des Betriebsrates gemäß § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam war.

II.

Der hilfsweise gestellte Auflösungsantrag der Beklagten ist ebenfalls unbegründet. Stellt das Gericht fest, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist, liegen jedoch Gründe vor, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht erwarten lassen, so hat das Gericht auf Antrag des Arbeitgebers das Arbeitsverhältnis aufzulösen und den Arbeitgeber zur Zahlung einer angemessenen Abfindung zu verurteilen. Das gilt nach herrschender Meinung auch, wenn der Arbeitgeber außerordentlich und nur hilfsweise ordentlich gekündigt hat, sofern das Gericht die Feststellung trifft, dass die außerordentliche Kündigung unwirksam und die ordentliche sozialwidrig ist (BAG vom 26.10.1979 AP Nr. 5 zu § 9 KSchG 1969; ErfK/ Ascheid, 2. Aufl., § 9 KSchG Rz. 19). Voraussetzung für den Auflösungsantrag des Arbeitgebers ist, dass die Kündigung allein wegen fehlender sozialer Rechtfertigung unwirksam ist. Ist sie außerdem aus einem anderen Grund unwirksam, besteht kein Anlass, dem Arbeitgeber eine Auflösungsmöglichkeit zuzubilligen (ErfK/Ascheid, 2. Aufl., § 9 KSchG Rz. 18m.w.N.).

Es kann auch hier dahingestellt bleiben, ob die Kündigung wegen Fehlern bei der Anhörung des Betriebsrates gemäß § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG und damit noch aus einem anderen Grund unwirksam ist. Denn die Beklagte hat keine Tatsachen vorgetragen, die auf Gründe schließen lassen, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit mit dem Kläger nicht erwarten lassen. Der grundrechtlich gebotene Tendenzschutz, den die Beklagte als Presseunternehmen genießt, mag - wie die Beklagte meint - die Begründungsschwelle für einen von ihr gestellten Auflösungsantrag herabsenken; entfallen lässt sie ihn jedoch nicht. Der von der Beklagten allein angeführte Auflösungsgrund, dass der Kläger nach wie vor im Rechtsstreit die Kernaussagen des Beitrages des Oberst a.D. der DDR-Grenztruppen als "tragbar" ansehe, trifft nicht zu. Das von der Beklagten hierzu angeführte Zitat aus dem Schriftsatz des Klägers vom 04.07.2002, Seite 7 unter Punkt 12 sowie dem weiteren Schriftsatz vom 03.04.2002, Seite 8 letzter Absatz besagt ausdrücklich, dass der Kläger die in dem Beitrag wieder gegebene Meinung "als noch im Sinne eines breiten Spektrums verschiedener veröffentlichter Meinungen als tragbar beurteilt hat". Damit stellt der Kläger gerade seine damalige, zur Kündigung führende und von ihm zwischenzeitlich selbst als Fehler eingestufte Einschätzung dar, nicht aber, wie die Beklagte glauben macht, seine derzeitige Meinung. Die Begründung der Beklagten vermag daher den Auflösungsantrag nicht zu rechtfertigen.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 72 ArbGG bestanden nicht.

Gegen diese Entscheidung ist ein Rechtsmittel nicht gegeben. Auf die Möglichkeit, gemäß § 72 a ArbGG gegen die Nichtzulassung der Revision Beschwerde einzulegen, wird hingewiesen.

Ende der Entscheidung

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