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Gericht: Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt
Urteil verkündet am 28.05.2002
Aktenzeichen: 8 Sa 759/01
Rechtsgebiete: BAT/BAT-O, BGB


Vorschriften:

BAT/BAT-O § 29 Abschnitt B Abs. 2 Nr. 4
BGB § 242
BGB § 273
1. Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass einem Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes Mittel für den Unterhalt einer in seinem Haushalt aufgenommenen Person zur Verfügung stehen, die den Anspruch auf erhöhten Ortszuschlag der Stufe 2 entfallen lassen (§ 29 Abschn. B Abs. 2 Nr. 4 S. 2 BAT/BAT-O), trägt grundsätzlich der Arbeitgeber. Der Arbeitgeber kann jedoch vom Arbeitnehmer gem. § 242 BGB Auskunft über die zur Verfügung stehenden Mittel verlangen. Kommt der Arbeitnehmer seiner Auskunftspflicht nicht nach, kann der Arbeitgeber die Leistung des erhöhten Ortszuschlages zurückbehalten (§ 273 BGB).

2. Seiner Auskunftspflicht genügt der Arbeitnehmer nicht schon durch Angabe der von ihm tatsächlich in Anspruch genommenen Mittel. "Zur Verfügung" stehen ihm auch solche Mittel, deren Inanspruchnahme weder rechtliche noch tatsächliche Hindernisse entgegenstehen. Eine Vereinbarung über den Verzicht auf oder die Freistellung von Unterhaltsleistungen steht der Inanspruchnahme von Unterhalt nicht entgegen.


Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

8 Sa 759/01

verkündet am: 28. Mai 2002

In dem Rechtsstreit

hat die 8. Kammer des Landesarbeitsgerichts Sachsen-Anhalt auf die mündliche Verhandlung vom 28.05.2002 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Quecke als Vorsitzenden sowie die ehrenamtlichen Richter Plankenbichler und Wend als Beisitzer

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des beklagten Landes wird das Urteil des ArbG Halle vom 24.08.2001 - 6 Ca 1841/01 - abgeändert.

Die Klage wird als zur Zeit unbegründet abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Gewährung des Ortszuschlages der Stufe II gemäß § 29 B Abs. 2 Nr. 4 BAT-O.

Die am 28.02.1957 geborene Klägerin ist seit dem 01.11.1988 bei dem Beklagten Land bzw. dessen Rechtsvorgänger an der Universität als medizinisch-technische Laborassistentin beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet kraft beiderseitiger Organisationszugehörigkeit der BAT-O nebst diesen ersetzenden und ergänzenden Tarifbestimmungen Anwendung.

Die Klägerin ist seit 1989 rechtskräftig geschieden und für ihre noch schulpflichtigen Kinder Katharina (geboren am 27.07.1982) und Alexander (geboren am 01.11.1986) - unterhaltspflichtig. Ausweislich des Scheidungsurteils ist der geschiedene Ehemann zur Zahlung von Unterhalt für die beiden Kinder verpflichtet. Die Klägerin hat mit ihrem geschiedenen Ehemann vereinbart, dass dieser an die Klägerin für beide Kinder insgesamt 700,00 DM Unterhalt zahlt. Seit Volljährigkeit der Tochter erfolgen Zahlungen von 370,00 DM direkt an die Tochter und 350,00 DM an die Klägerin für den Sohn. Diese Zahlungen liegen unterhalb der "Naumburger Tabelle", die bei Unterhaltspflichten im Land Sachsen-" Anhalt als Berechnungsgrundlage herangezogen wird.

Das beklagte Land zahlte an die Klägerin neben einer Grundvergütung nach VG V b bis einschließlich November 2000 u.a. den Ortszuschlag der Stufe 2 gemäß § 29 b Abs. 2 Nr. 4 BAT-O. Mit Schreiben vom 28.09.2000 wies das beklagte Land die Klägerin darauf hin, dass Ortszuschlag nur noch weitergezahlt werde, wenn sie einen aktuellen Unterhaltstitel vorweise. Mit Schreiben vom 21.11.2000 wurde die Klägerin nochmals zur Vorlage eines aktuellen Titels aufgefordert. Gleichzeitig wurde ihr angekündigt, dass sie ab 01.12.2000 nur noch den Ortszuschlag der Stufe 1 erhalte. Die Klägerin machte durch die Einzelgewerkschaft mit Schreiben vom 20.12.2000 und 16.11.2001 den Anspruch auf Ortszuschlag der Stufe 2 geltend. Unter erneutem Hinweis auf einen fehlenden aktuellen Unterhaltstitel wies das beklagte Land mit Schreiben vom 03.01.2001 und 29.01.2001 die Ansprüche zurück.

Die Klägerin hat vorgetragen, dass ihr der erhöhte Ortszuschlag der Stufe 2 nach § 29 B Abs. 2 Nr. 4 BAT-O zustehe, weil für ihre Kinder keine Mittel zur Verfügung stünden, die jeweils den 6-fachen Unterschiedsbetrag zwischen Stufe 1 und Stufe 2 des Ortszuschlages der Tarif klasse I c übersteigen.

Die Klägerin hat beantragt,

festzustellen, dass das beklagte Land verpflichtet ist, der Klägerin über den 30.11.2000 hinaus den erhöhten Ortszuschlag der Stufe 2 nach § 29 B Abs. 2 Nr. 4 BAT-O zuzüglich 5 % Verzugszinsen auf die rückständigen Nettodifferenzbeträge nach § 1 des DÜG seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Das beklagte Land hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Es hat die Ansicht vertreten, die Klägerin habe rechtsmissbräuchlich den ihren Kindern zustehenden Unterhalt nicht geltend gemacht. Bei ordnungsgemäßer Geltendmachung stünden ihr Mittel zur Verfügung, die das 6-fache des Unterschiedsbetrages zwischen Stufe 1 und Stufe 2 des Ortszuschlages der Tarifklasse I c übersteigen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage mit Urteil vom 24.08.2001 statt gegeben. Es hat zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, dass die Klägerin zwar die Beweislast dafür trage, dass der Unterhalt für die nicht nur vorübergehend in die Wohnung aufgenommene Person die Eigenmittelgrenze nicht übersteige. Dieser Beweislast sei die Klägerin aber durch die Vortage von Kontoauszügen nachgekommen. Fiktive Unterhaltsansprüche seien nach dem allein maßgeblichen Willen der Tarifparteien nicht zu berücksichtigen.

Das beklagte Land hat gegen das am 21.09.2001 zugestellte Urteil mit einem am Montag, den 22.10.2001 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese am 22.11.2001 begründet Es vertritt die Auffassung, fiktive Ansprüche könnten nicht generell unberücksichtigt bleiben. Es sei der Klägerin zumutbar gewesen, die Unterhaltsansprüche zugunsten der Kinder zu titulieren. Ein freiwilliger Verzicht auf die gesetzlichen Unterhaltsansprüche könne nach Treu und Glauben nicht dazu führen, dass die Beklagte zur "Auffüllung" in Anspruch genommen werde. Die Klägerin müsse sich anrechnen lassen, was sie bei regelgerechter Leistung des Kindesvaters an Unterhalt erhalten hätte.

Das beklagte Land beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Halle vom 24.08.2001 - 6 Ca 1841/01 - abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie vertritt im Übrigen die Ansicht, sie müsse sich fiktive Unterhaltsansprüche nicht anrechnen lassen. Diese Auffassung werde auch von den Tarifvertragsparteien geteilt. Das ergebe sich aus der Arbeitgeberbesprechung der BAT-Kommission vom 15.09.1993. Das beklagte Land werde auch nicht zur "Auffüllung" in Anspruch genommen, weil der Betrag des begehrten Ortszuschlages deutlich geringer sei als die Differenz zu den Unterhalts-- Sätzen gemäß der "Naumburger Tabelle". Wegen der weiteren Einzelheiten des Berufungsvorbringens wird auf die in zweiter Instanz gewechselten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig und begründet.

Die Klägerin hat zur Zeit keinen Anspruch auf Zahlung eines erhöhten Ortszuschlages der Stufe 2 über den 30.11.2000 hinaus.

1.

Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit der BAT-O Anwendung. Gemäß § 29 B Abs. 2 Nr. 4 Satz 1 BAT-O besteht ein Anspruch auf Zahlung von Ortszuschlag der Stufe 2

"für Angestellte, die eine andere Person nicht nur vorübergehend in ihre Wohnung aufgenommen haben und ihr Unterhalt gewähren, weil sie gesetzlich oder sittlich dazu verpflichtet sind oder aus beruflichen oder gesundheitlichen Gründen ihrer Hilfe bedürfen."

In Satz 2 des § 29 B Abs. 2 Nr. 4 BAT-O heißt es unmittelbar anschließend:

"Dies gilt... nicht, wenn für den Unterhalt der aufgenommenen Person Mittel zur Verfügung stehen, die bei einem Kind einschließlich des gewährten Kindergeldes und des Kinderbezogenen Ortszuschlages das 6-fache des Unterschiedsbetrages zwischen der Stufe 1 und der Stufe 2 des Ortszuschlages der Tarifklasse l c übersteigen."

2.

Die Voraussetzungen des § 29 B Abs. 2 Nr. 4 Satz 1 BAT-O liegen zwar vor: Die geschiedene Klägerin ist eine "andere Angestellte" i.S.d. § 29 BAT-O. Denn andere Angestellte sind u.a. solche Angestellte, deren Ehe geschieden ist, soweit diese Angestellten nicht bereits von § 29 B Abs. 2 Nr. 3 BAT erfasst werden (Böhm/Spiertz/Sponer/Steinherr, BAT-Kommentar, Stand November 2000, § 29 Rdnr. 41). Die Klägerin lebt in häuslicher Gemeinschaft mit ihren Kindern Katharina und Alexander, denen sie gesetzlich Unterhaltspflichtig ist.

3.

Dennoch besteht zur Zeit kein Anspruch auf Gewährung des erhöhten Ortszuschlages der Stufe 2. Die Klägerin hat bislang nicht in ausreichendem Maße Auskunft über die zur Verfügung stehenden Mittel i.S.v. § 29 B Abs. 2 Nr. 4 Satz 2 BAT-O gegeben, sodass dem Beklagten Land ein Zurückbehaltungsrecht bezüglich der über den 30.11.2000 hinausreichenden Zahlung des erhöhten Ortszuschlages zusteht.

a)

Die Darlegungs- und Beweislast für die Voraussetzungen des §§ 29 B Abs. 2 Nr. 4 Satz 2 BAT-O trägt allerdings nicht die Klägerin, sondern das beklagte Land. Zwar hat die BAT-Kommission in ihrer Sitzung vom 15.09.1993 darauf hingewiesen, dass grundsätzlich der Angestellte die Beweislast dafür zu tragen hat, dass der Unterhalt für die nicht nur vorübergehend in die Wohnung aufgenommene Person die Eigenmittelgrenze nach Satz 2 nicht übersteigt (mitgeteilt in Böhm/Spiertz/Sponer/Steinherr, aaO, § 29 Rdnr. 51 a). Doch steht dieser Ansicht der eindeutige Wortlaut der Norm entgegen. Die Tarifvertragsparteien haben in § 29 B Abs. 2 Nr. 4 Satz 2 BAT-O die Formulierung "das gilt... nicht, wenn... Mittel zur Verfügung stehen" verwendet. Diese Formulierung ist nach üblichem rechtlichen Verständnis eine Einwendung (vgl. Thomas/Putzo, 2PO, 23. Aufl., 2001, vor § 284 Rdnr. 23). Das beklagte Land nimmt die Rechtsfolge dieser Norm in Anspruch, muss also auch die Voraussetzung dieser Einwendung darlegen und beweisen. Hätte den Arbeitnehmer als Gläubiger des Anspruchs die Darlegungs- und Beweislast treffen sollen, hätte es heißen müssen: "Das gilt... nur, wenn... Mittel nicht zur Verfügung stehen." Diese Grundsätze gelten auch dann, wenn die Auslegung eines Tarifvertrages in Rede steht. Denn grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Tarifvertragsparteien mit der Verwendung von bestimmten Begriffen und Formulierungen das meinen, was seit jeher darunter verstanden wird (BAG AP Nr. 13 zu § 1 TVG-Auslegung; BAG NZA 1992, 416 f; BAG AP Nr. 3 zu § 1 TVG-Tarifverträge: Apotheken). Nur wenn den Tarifvorschriften selbst zu entnehmen ist, dass die Tarifvertragsparteien der üblichen Formulierung eine andere Bedeutung beimessen wollten, kann von diesem Grundsatz abgerückt werden (BAG AP Nr. 3 zu § 55 BAT zu II d der Gründe). Dafür sind im vorliegenden Fall keine Anhaltspunkte ersichtlich. Außerdem stehen Sinn und Zweck der Regelung, die in der Unterstützung von besonders schutzbedürftigen, regelmäßig allein erziehenden Angestellten zu sehen sind, dagegen, die Darlegungs- und Beweislast entgegen dem Wortlaut der Norm auf die eigentlich geschützte Person zu verlagern.

b)

Doch war die Klägerin verpflichtet, dem beklagten Land Auskünfte über die zur Verfügung stehenden Eigenmittel i.S.d. § 29 B Abs. 2 Nr. 4 Satz 2 BAT-O zu geben. Diese Auskunftspflicht ergibt sich gemäß § 242 BGB aus Treu und Glauben. Für den Arbeitnehmer bestehen im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses Auskunfts- und Mitteilungspflichten über persönliche Verhältnisse als vertragliche Nebenpflichten aus dem Schuldverhältnis (Künzel in: Kasseler Handbuch zum Arbeitsrecht, Band 1, 2. Aufl., 2000, 2.1. Rdnr. 52). Voraussetzung dafür ist, dass der Arbeitgeber in entschuldbarer Weise über das Bestehen oder den Umfang eines Rechts im Ungewissen ist und der Verpflichtete die zur Beseitigung der Ungewissheit erforderliche Auskunft unschwer geben kann (BAG, EzA § 242 BGB Auskunftspflicht Nr. 4; BAG EZA § 242 BGB Auskunftspflicht Nr. 5; Künzel aaO). Unter Anwendung dieser Grundsätze besteht eine Auskunftspflicht, weil das beklagte Land die Einwendung des § 29 B Abs. 2 Nr. 4 Satz 2 BAT-O, wonach zur Verfügung stehende Mittel bei Erreichen einer bestimmten Höhe des Anspruch ausschließen, nicht ohne weiteres erheben kann. Das beklagte Land war auf die Auskünfte der Klägerin angewiesen. Dagegen kann die Klägerin die geforderten Auskünfte unproblematisch geben. Dieser Auskunftspflicht ist die Klägerin bislang nicht in ausreichendem Maße nachgekommen. Das Bestehen einer Auskunftspflicht ändert zwar nicht die durch § 29 B Abs. 2 Nr. 4 Satz 2 BAT-O normierte Darlegungs- und Beweislast, doch kann das beklagte Land derzeit ein Zurückbehaltungsrecht gemäß § 273 BGB bis zur vollständigen Erteilung der Auskunft geltend machen.

aa)

Die Klägerin war gemäß § 242 BGB verpflichtet, Auskunft darüber zu erteilen, welche Eigenmittel den Kindern zur Verfügung stehen. Eigenmittel der aufgenommenen Person, die angerechnet werden, sind neben öffentlichen Leistungen wie Kindergeld und kinderbezogenem Teil des Ortszuschlags u.a. auch Geldbeträge und Sachleistungen von dritter Seite (Dassau/Wiesend-Rothbrust, BAT-Kompaktkommentar 1. Aufl., 2001, § 29 A Rdnr. 27 f.). Zu den Geldbeträgen und Sachleistungen von dritter Seite zählen auch Unterhaltsverpflichtungen des anderen Elternteils, soweit diese durchsetzbar sind (Dassau/Wiesend-Rothbrust, aaO, Rdnr. 27). Das beklagte Land hatte keine Informationen darüber, ob und in welcher Höhe den Kindern Unterhaltsleistungen ihres Vaters zur Verfügung stehen. Die Klägerin war demzufolge verpflichtet, darüber Auskunft zu erteilen. Zwar hat sie das beklagte Land informiert, in welcher Höhe sie Unterhaltszahlungen erhält. Da diese Zahlungen aber weit unter der für die Unterhaltszahlungen maßgeblichen "Naumburger Tabelle" lagen, erstreckt sich die von der Klägerin zu erteilende Auskunft über die ihren Kindern "zur Verfügung stehenden" Mittel auch darauf, ob tatsächliche oder rechtliche Hindernisse einer weiteren Inanspruchnahme entgegenstehen.

bb)

Die so bestimmte Auskunftspflicht hält sich im Rahmen der tarifvertraglichen Grenzen. Sie überschreitet insbesondere nicht den Rahmen der "zur Verfügung stehenden Mittel" i.S.v. § 29 B Abs. 2 Nr. 4 Satz 2 BAT-O, Hierzu gehören nämlich nicht nur tatsächlich in Anspruch genommene Mittel, sondern auch solche, deren tatsächlicher Inanspruchnahme weder rechtliche noch tatsächliche Hindernisse entgegenstehen.

Die Auslegung der normativen Teils eines Tarifvertrages folgt der Auslegung von Gesetzen. Danach ist vom Tarifwortlaut unter Berücksichtigung des maßgeblichen Sinnes auszugehen (BAG AP Nr. 3 zu § 1 TV-Tarifverträge: Apotheken). Der Wortlaut des § 29 B Abs. 2 Nr. 4 Satz 2 BAT-O ist bezüglich der Frage, welche Mittel angerechnet werden sollen, offen. Mittel, die zur Verfügung stehen, können nach dem Wortlaut sowohl tatsächlich in Anspruch genommene als auch solche sein, deren tatsächliche Inanspruchnahme nichts entgegensteht. Ist der Wortlaut offen, sind Sinn und Zweck der Tarifnormen sowie der tarifliche Gesamtzusammenhang zu berücksichtigen (BAG NZA 1994, 712). Dabei ist dem Willen der Tarifvertragsparteien ein maßgebliches Gewicht einzuräumen. Zwar ging die BAT-Kommission in ihrer Arbeitgeberbesprechung vom 15.09.1993 davon aus, dass nur tatsächlich zur Verfügung stehende Eigenmittel der aufgenommen Person Berücksichtigung finden können. Eine fiktive Heranziehung möglicher Unterhaltsansprüche der aufgenommenen Person gegen Dritte führe nicht zu sachgerechten Ergebnissen (Böhm/ Spiertz/Sponer/Steinherr, BAT-Kommentar, aaO, § 29 Rdnr. 51 a). Doch kann diese Auffassung nicht ausnahmslos und abschließend gelten. Die BAT-Kommission ist offensichtlich nur vom Regelfall ausgegangen, wonach der Angestellte gerade dann schutzbedürftig ist, wenn aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen bestehende Unterhaltsansprüche nicht geltend gemacht werden können. Nach Sinn und Zweck der Vorschrift dürfen deshalb Unterhaltsansprüche, die nicht durchsetzbar sind, grundsätzlich keine Berücksichtigung finden (vgl. dazu Dassau/Wiesend/Rothbrust, BAT-Kompaktkommentar, 1. Aufl., 2001, § 29 A Rdnr. 27 ff.). Von diesem Regelfall, in dem der Angestellte besonders schutzbedürftig ist, muss die hier vorliegende Situation unterschieden werden. Es geht gerade nicht um die Anrechnung von nicht durchsetzbarem Unterhalt. Vielmehr steht im Streit, ob sich die Klägerin allein auf die Vereinbarung mit ihrem geschiedenen Ehemann zurückziehen kann, wonach dieser nur Beträge von 350,00 DM bzw. 370,00 DM zahlt, die unter den Beträgen der "Naumburger Tabelle" liegen.

cc)

Führt lediglich eine Freistellungsvereinbarung dazu, dass das sechsfache des Unterschiedsbetrages zwischen der Stufe 1 und der Stufe 2 des Ortszuschlages der Tarifklasse I c nicht erreicht wird, muss in Höhe des freigestellten Betrages eine Anrechnung als Eigenmittel im Tarifsinne erfolgen. Einer solchen "fiktiven" Anrechnung von Unterhaltsansprüchen steht auch nicht der Wille der Tarifvertragsparteien entgegen. Es ist nicht zu erkennen, dass die BAT-Kommission auch legitimieren wollte, dass zu Lasten des öffentlichen Arbeitgebers und damit zu Lasten des Steuerzahlers rechtsmissbräuchlich Unterhaltsverzichts- bzw. Freistellungsvereinbarungen getroffen werden. Gemäß § 1614 BGB kann auf gesetzliche Unterhaltsleistungen nicht verzichtet werden (MünchKomm BGB/Born, 4. Aufl. 2002, § 1614 Rdnr. 1). Derartige Vereinbarungen sind gemäß § 134 BGB nichtig (Palandt/Diederichsen, 61. Aufl. 2002, § 1614 Rdnr. 1). Doch hat die Klägerin nicht auf ihren eigenen Unterhalt verzichtet, sondern Vereinbarungen in Bezug auf den Kindesunterhalt getroffen. Solche Vereinbarungen führen zwar nicht zur Nichtigkeit wegen Verstoßes gegen das Verzichtsverbot (BGH FamRZ 1985,1073; OLG Stuttgart, FamRZ 1992, 716). Doch ist eine Freistellungsvereinbarung bezüglich des Unterhalts zwischen den Eltern im Außenverhältnis zum Kind unwirksam (OLG Stuttgart, FamRZ 1992, 716). Der Unterhaltsanspruch der Kinder kann weiterhin durchgesetzt werden (MünchKomm BGB/Born, 4. Aufl. 2002, § 1614 Rdnr. 13). Kann also auf den Unterhalt der Kinder nicht - wirksam verzichtet werden, stehen diese Mittel den Kindern auch weiterhin i.S.v. § 29 B Abs. 2 Nr. 4 Satz 2 BAT-O "zur Verfügung". Derjenige, der Freistellungsvereinbarungen schließt, kann dies zwar zu seinen eigenen Lasten tun, aber weder zu Lasten der eigenen Kinder noch zu Lasten des Arbeitgebers oder der öffentlichen Hand (BGH FamRZ 1987, 40, 42 f.). Wenn der Angestellte sich freiwillig der Mittel begibt, vor deren Anrechnung er grundsätzlich geschützt werden soll, ist er schließlich auch nicht schutzbedürftig. Sinn und Zweck der grundsätzlichen Nichtanrechnung von fiktivem Einkommen werden in diesem Fall nicht tangiert.

dd)

Ob tatsächlich eine unwirksame Freistellungsvereinbarung vorliegt, die zur Anrechnung als Eigenmittel führt, ist derzeit nicht erkennbar. Die Klägerin hat eine diesbezügliche Auskunft bislang nicht gegeben. Unstreitig ist nur, dass eine "Vereinbarung" zwischen den Klägerin und ihrem geschiedenen Mann vorliegt. Somit war das beklagte Land berechtigt, die Gewährung des Ortszuschlages der Stufe 2 zurückzuhalten, bis die Klägerin Auskunft darüber gegeben hat, warum keine weiteren Unterhaltszahlungen erfolgen.

Sollte die Klägerin in der Folgezeit darlegen, dass sie gegenüber ihrem geschiedenen Ehemann keine Freistellungsvereinbarung getroffen hat, sondern der Geltendmachung tatsächliche oder rechtliche Hindernisse entgegenstehen, ist ihr der erhöhte Ortszuschlag der Stufe 2 über den 30.11.2000 hinaus zu gewähren. Dem steht auch nicht der Gesichtspunkt der Verwirkung entgegen. Zwar hat das beklagte Land bereits mehrfach dazu aufgefordert, aktuelle Unterhaltstitel vorzulegen. Doch ist aus einem aktuellen Titel nicht ersichtlich, ob die Ansprüche auch durchsetzbar sind. Allein dies ist nach den oben dargelegten Grundsätzen aber entscheidend. Daher kann dem Anspruch auf Ortszuschlag der Stufe 2 nicht im Wege der Verwirkung entgegengehalten werden, dass die Klägerin dem Verlangen des beklagten Landes nicht nachgekommen ist. Denn auch zukünftig ist kein aktueller Titel erforderlich, sondern die Auskunft, warum Unterhaltsansprüche in Höhe der Beträge der "Naumburger Tabelle" trotz der im Scheidungsurteil festgestellten Unterhaltspflicht des geschiedenen Ehemanns nicht bestehen oder aber nicht durchgesetzt werden können.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache hat das Berufungsgericht die Revision gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zugelassen.

Ende der Entscheidung

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