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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein
Urteil verkündet am 01.06.2006
Aktenzeichen: 1 Sa 110/06
Rechtsgebiete: BetrVG


Vorschriften:

BetrVG § 102
BetrVG § 102 Abs. 1
BetrVG § 102 Abs. 1 Satz 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein Im Namen des Volkes Urteil

Aktenzeichen: 1 Sa 110/06

Verkündet am 01.06.2006

In dem Rechtsstreit

hat die 1. Kammer des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein auf die mündliche Verhandlung vom 01.06.2006 durch den Präsidenten des Landesarbeitsgerichts ... als Vorsitzenden und die ehrenamtlichen Richter ... und ... als Beisitzer

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Lübeck vom 03.02.2006 - 3 Ca 3173/05 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung.

Der Kläger war seit dem 27.09.1994 als Elektromaschinenbauer bei der w... electric GmbH gegen eine Vergütung von zuletzt durchschnittlich 2.250,00 EUR brutto monatlich beschäftigt. Die w... electric GmbH betrieb ein Werk in L... und eines in E.... Sie versetzte den Kläger im November 2002 nach einer gerichtlichen Auseinandersetzung wegen einer verhaltensbedingten Kündigung von L... nach E.... Für beide Betriebsstätten war ein gemeinsamer Betriebsrat gewählt worden.

Die seinerzeit in vorläufiger Insolvenz befindliche w... electric GmbH und der bei ihr gebildete Betriebsrat schlossen unter dem 27.09.2005 einen Interessenausgleich, den der Beklagte als vorläufiger Insolvenzverwalter mit abzeichnete; wegen des Inhalts wird auf die Ablichtung Bl. 33 - 37 d. A. Bezug genommen. Mit Wirkung zum 01.10.2005 hat das Amtsgericht das Insolvenzverfahren eröffnet und den Beklagten als Insolvenzverwalter eingesetzt. Ebenfalls zum 01.10.2005 kaufte die Firma V... den Betriebsteil in L.... Von den 50 Arbeitnehmern in E... unterzeichneten 48 die Aufhebungsverträge mit dem Beklagten. Lediglich der Kläger und der Arbeitnehmer F... lehnten dies ab.

Der Beklagte hörte daraufhin den Betriebsrat mit Schreiben vom 10.10.2005 zu den beabsichtigten ordentlichen Kündigungen dieser beiden Arbeitnehmer an; wegen des Inhalts der Anhörung wird auf das Schreiben vom 10.10.2005 Bezug genommen.

Mit undatiertem Schreiben kündigte der Beklagte sodann das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger mit Wirkung zum 31.01.2006 (Abl. Bl. 7 d. A.).

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Kündigung sei unwirksam und beruft sich darauf, dass Kündigungsgründe nicht vorlägen, insbesondere bestreite er die Stilllegungsabsicht. Auch habe eine soziale Auswahl mit den Arbeitnehmern in L... nicht stattgefunden. Schließlich sei der Betriebsrat nicht ordnungsgemäß angehört.

Der Kläger hat beantragt,

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die schriftliche, undatierte Kündigung des Beklagten nicht aufgelöst wird, sondern zu unveränderten Bedingungen gemäß dem Arbeitsvertrag vom 27. September 1994 auch über den 31. Januar 2006 hinaus fortbesteht.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hat sich auf die unternehmerische Entscheidung, den Betriebsteil L... zu veräußern und den Betriebsteil E... stilllegen zu wollen, berufen. Die Stilllegungsabsicht folge bereits aus dem Interessenausgleich. Die Stilllegung sei auch Grundlage aller Verhandlungen zwischen Betriebsrat und Geschäftsführung gewesen. Eine Sozialauswahl der Arbeitnehmer habe er weder in E... noch mit denen in L... treffen müssen. Die Betriebsratsanhörung genüge den gesetzlichen Anforderungen, weil dem Betriebsrat der Kündigungsgrund bekannt gewesen sei.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben und dies wie folgt begründet:

Die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt, weil dringende betriebliche Gründe für eine Kündigung nicht erkennbar seien. Vielmehr stelle sich die Kündigung als Reaktion des Beklagten auf die Weigerung des Klägers dar, den gemäß Interessenausgleich angebotenen Aufhebungsvertrag abzuschließen. Hierzu sei der Kläger nicht verpflichtet gewesen.

Voraussetzung für die betriebsbedingte Kündigung sei gewesen, dass bei Zugang der Kündigung der Entschluss festgestanden habe, den Betrieb in E... spätestens zum 31.01.2006 zu schließen. Dass ein entsprechender Stilllegungsbeschluss vorgelegen habe, habe aber der Beklagte nicht vorgetragen. Dagegen spreche auch die Kündigungsbegründung in dem Schreiben zur Anhörung des Betriebsrats. Danach habe er das Unternehmen mit reduzierter Belegschaft weiterführen wollen. Das entspreche den Vereinbarungen mit dem Betriebsrat in einem Interessenausgleich.

Die Kündigung sei im Übrigen auch gem. § 102 Abs. 1 BetrVG unwirksam, da der Beklagte den Betriebsrat nicht ordnungsgemäß zu den im Kündigungsschutzverfahren geltend gemachten Kündigungsgründen angehört habe. Er habe sich dem Betriebsrat gegenüber nicht auf eine geplante Betriebsschließung, sondern auf eine beabsichtigte Reduzierung der Belegschaft berufen. Es könne auch nicht davon ausgegangen werden, dass der Betriebsrat gewusst habe, dass der Arbeitgeber die beabsichtigte Kündigung auf die nicht ausdrücklich genannten und dem Betriebsrat bekannten Gründe habe stützen wollen.

Gegen dieses ihm am 10.02.2006 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 10.03.2006 durch Telekopie und am 13.03.2006 durch Originalschriftsatz Berufung eingelegt und diese sogleich begründet.

Der Beklagte meint, das Arbeitsgericht sei von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen. Er, der Beklagte, sei zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung entschlossen gewesen, den Betrieb stillzulegen. Dieser Entschluss sei dem Betriebsrat auch bekannt gewesen.

Der Investor sei erstmals nach Ausspruch der Kündigung, nämlich Anfang November, aufgetreten. Zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung habe er, der Beklagte, davon ausgehen müssen, dass er den Betrieb stillzulegen habe und habe dementsprechend in Ausübung seiner Stilllegungsentscheidung den beiden Arbeitnehmern - u. a. dem Kläger - gekündigt. Seine Stilllegungsabsicht sei Grundlage aller Gespräche mit dem Betriebsrat gewesen. Hierzu habe er auch im ersten Rechtszug auf Seite 2 des Schriftsatzes vom 05.01.2006 vorgetragen.

Auch der Betriebsrat sei ordnungsgemäß angehört worden. Der Betriebsrat habe gewusst, dass der Betrieb habe stillgelegt werden sollen. Im Übrigen komme es hierauf auch nicht an, da der Betriebsrat der Kündigung wegen Fortführung des Betriebes mit reduzierter Belegschaft zugestimmt habe. Damit habe er erst recht der Kündigung für die Betriebsstilllegung zugestimmt. Schließlich meint der Beklagte, dass er eine Sozialauswahl nicht habe durchführen müssen.

Der Beklagte beantragt

die Klage unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts L... Az. 3 Ca 3173/05 vom 03.02.2006 abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

hilfsweise,

den Beklagten zu verurteilen, das Angebot des Klägers auf Abschluss eines Arbeitsvertrages als Elektromaschinenbauer gemäß den bisherigen Bedingungen des Arbeitsvertrages vom 27.09.1994 anzunehmen.

Der Kläger verteidigte die Entscheidungsgründe des Arbeitsgerichts und trägt vor:

Er bestreite weiterhin, dass überhaupt ein Beschluss oder eine Entscheidung des Beklagten zu einer Stilllegung vorliege. Die Kündigung stelle sich lediglich als Reaktion des Beklagten auf seine, des Klägers, Weigerung dar, den Aufhebungsvertrag abzuschließen. Gegen die Behauptung des Beklagten, den Betrieb zum 31.01.2006 schließen zu wollen, spreche auch die Tatsache, dass er gegenüber den anderen verbliebenen Arbeitnehmern nicht von der Möglichkeit Gebrauch gemacht habe, diese Arbeitsverhältnisse aufgrund seines Bestimmungsrechts zum 31.01.2006 zu beenden. Er bestreite, dass der ungarische Investor erstmals Anfang November 2005 aufgetreten sei. Bestritten werde auch, dass der Betriebsrat gewusst habe, dass der Betrieb zum 31.01.2006 habe stillgelegt werden sollen.

Hilfsweise berufe er sich auf einen Wiedereinstellungsanspruch. Diesen habe außergerichtlich mit Schreiben vom 06.01.2006 geltend gemacht.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien Im Berufungsrechtszug wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze, die zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig; sie ist dem Wert der Beschwer nach statthaft und form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. In der Sache ist sie jedoch nicht gerechtfertigt.

Das Arbeitsgericht hat der Klage zu Recht stattgegeben. Die Angriffe der Berufung rechtfertigen keine abweichende Entscheidung.

1. Die Kündigung ist sozial ungerechtfertigt und damit rechtsunwirksam (§ 1 Abs. 1 und 2 KSchG). Der Beklagte hat sich auf dringende, betriebliche Erfordernisse, nämlich die behauptete Absicht zur Stilllegung zum Zeitpunkt der Kündigung, berufen. Hierzu hat er auch im Berufungsrechtszug nicht ausreichend vorgetragen. Er beruft sich insoweit auf die Verhandlungen über den Interessenausgleich und dessen Inhalt. Daraus ergibt sich jedoch lediglich, dass die Stilllegung "nach dem jetzigen Stand" stattfinden sollte. Eine endgültige Stilllegungsabsicht ergibt sich daraus nicht. Insoweit hätte es noch einer Konkretisierung des Entschlusses durch den Beklagten bedurft. Dass und ggf. wann das geschehen ist, ist nicht dargelegt.

2. Der Beklagte kann sich überdies prozessrechtlich nicht darauf berufen, dass die Kündigung auf die Stilllegung des Betriebs bzw. Betriebsteils in E... gestützt werden soll.

a) Zwar ist die Anhörung des Betriebsrates insoweit, entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts, ordnungsgemäß, da der Beklagte konkrete Kündigungsgründe mitgeteilt hat. Der Beklagte kann sich jedoch in Grundsätzen des unzulässigen Nachschiebens von Kündigungsgründen nicht darauf berufen, dass die Kündigung aufgrund eines Stilllegungsentschlusses ausgesprochen worden ist.

b) Nach § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG muss der Arbeitgeber dem Betriebsrat diejenigen Gründe mitteilen, die nach seiner subjektiven Sicht die Kündigung rechtfertigen und für seinen Kündigungsentschluss maßgebend sind (Grundsatz der subjektiven Determination). Diesen Kündigungssachverhalt muss er unter Angabe von Tatsachen, aus denen der Kündigungsentschluss hergeleitet wird, so beschreiben, dass der Betriebsrat ohne zusätzliche eigene Nachforschungen die Stichhaltigkeit der Kündigungsgründe prüfen kann. Teilt der Arbeitgeber objektiv kündigungsrechtlich erhebliche Tatsachen dem Betriebsrat deshalb nicht mit, weil er darauf die Kündigung nicht oder zunächst nicht stützen will, dann ist die Anhörung ordnungsgemäß, weil eine nur bei objektiver Würdigung unvollständige Mitteilung der Kündigungsgründe nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung nach § 102 BetrVG führt. Eine in diesem Sinne objektiv unvollständige Anhörung verwehrt es dem Arbeitgeber allerdings, im Kündigungsschutzprozess Gründe nachzuschieben, die über die Erläuterung des mitgeteilten Sachverhalts hinausgehen (st. Rechtspr, des Bundesarbeitsgerichts, zuletzt Urteil vom 06.10.2005 - 2 AZR 316/04 - AP Nr. 150 zu § 102 BetrVG).

c) Der Beklagte hat den Betriebsrat über einen anderen Kündigungsgrund, nämlich die beabsichtigte Fortführung des Betriebs bzw. Betriebsteils in E... mit reduzierter Belegschaft, unterrichtet. Allein auf diesen Kündigungsgrund kann er sich im Rahmen des Kündigungsschutzprozesses berufen. Unerheblich ist, ob der Betriebsrat von einer beabsichtigten Stilllegung Kenntnis hatte. Abgesehen davon, dass der Beklagte auch hierzu nicht ausreichend vorgetragen hat, ergibt sich bereits daraus, dass der Beklagte den Betriebsrat über einen anderen Kündigungsgrund unterrichtet hat. Nach dem Grundsatz der subjektiven Determination kommt es nicht darauf an, ob der Betriebsrat Kenntnis von möglichen objektiven Kündigungsgründen hat. Vielmehr muss der Betriebsrat wissen, auf welche Gründe der Arbeitgeber die Kündigung bei der Anhörung stützen will. Hat der Arbeitgeber den Tatsachenkomplex umrissen, auf den er die Kündigung stützen will, kann er im Prozess alle dazu gehörigen Tatsachen vortragen, die er entweder dem Betriebsrat mitgeteilt hat oder die dem Betriebsrat bekannt waren (vgl. hierzu Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 11.12.2003 - 2 AZR 536/02 -, AP Nr. 65 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl), er kann aber nicht - wie hier - den Kündigungsgrund auswechseln.

d) Dem Beklagten kann auch nicht darin gefolgt werden, dass sich aus der Zustimmung des Betriebsrats zur Kündigung wegen Reduzierung der Belegschaft im Erstrecht-Schluss ergebe, dass damit auch die Zustimmung zur Kündigung wegen einer Betriebsstilllegung erteilt sei. Abgesehen davon, dass damit die Nichtanhörung des Betriebsrats zur Stilllegungsabsicht nicht geheilt würde, stellt die Stilllegung gegenüber der Fortführung des Betriebes mit eingeschränkter Belegschaft kein "Minus" dar.

Die Berufung war aus den dargelegten Gründen mit der Kostenfolge aus § 97 ZPO zurückzuweisen.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Sache keine grundsätzliche Bedeutung hat.

Ende der Entscheidung

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