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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein
Urteil verkündet am 24.01.2008
Aktenzeichen: 1 Sa 416/07
Rechtsgebiete: TV Lohn/West, TVG


Vorschriften:

TV Lohn/West § 3 Abs. 2
TV Lohn/West § 6
TV Lohn/West § 9
TV Lohn/West § 10
TVG § 3 Abs. 1
TVG § 3 Abs. 3
TVG § 4 Abs. 4 Satz 1
TVG § 4 Abs. 5
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein Im Namen des Volkes Urteil

Aktenzeichen: 1 Sa 416/07

Verkündet am 24.01.2008

In dem Rechtsstreit

hat die 1. Kammer des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein auf die mündliche Verhandlung vom 24.01.2008 durch den Präsident des Landesarbeitsgerichts N.N. als Vorsitzenden und d. ehrenamtliche Richterin N.N. als Beisitzerin und d. ehrenamtliche Richterin NN. als Beisitzerin

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten und unter Zurückweisung der Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Elmshorn vom 20.09.2007 - 3 Ca 961 b/07 - geändert:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Rechtstreits.

Die Revision wird für den Kläger zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Lohnhöhe und darüber, ob eine zwischen den Parteien getroffene Änderungsvereinbarung den Anspruch des Klägers auf den Tariflohn hat entfallen lassen.

Der Kläger macht für die Monate April bis Mai 2007 Ansprüche auf Vergütungsdifferenzen geltend. Er ist bei der Beklagten seit mehreren Jahren als gewerblicher Arbeitnehmer beschäftigt. Die Beklagte betreibt ein Bauunternehmen, sie ist Mitglied im Norddeutschen Baugewerbeverband e.V., seit dem 01.01.2006 als OT-Mitglied. Der Kläger ist Mitglied der IG Bau-Agrar-Umwelt.

Die Beklagte zahlte an die gewerblichen Arbeitnehmer bis vor dem 1. September 2005 aufgrund des Firmensitzes in Sch. Entgelt entsprechend der "Bezirkslohntabelle Hamburg". Eine Regelung betreffend den Abschluss der Lohntabellen war in nahezu allen Landesverbänden seit 2002 nicht mehr umgesetzt worden. Auch zum Sonderlohngebiet Hamburg ist eine Lohntabelle nicht unterschrieben worden. Außerdem erhielt der Kläger bis dahin Lohn nach Lohngruppe 4 des Tarifvertrages zur Regelung der Löhne und Ausbildungsvergütungen im Baugewerbe im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland mit Ausnahme der fünf neuen Bundesländer und des Landes Berlin vom 29.07.2005 (im folgenden: TV Lohn/West).

Am 12.07.2005 unterzeichneten die Parteien eine "Arbeitsvertrags Änderung", wonach der Kläger u.a. mit Wirkung ab 01.09.2005 nur noch den Mindestlohn in Höhe von EUR 12,47 erhalten soll (Abl. B. 6 d.A.). Die Beklagte hatte unstreitig vorher in einem Gespräch der Geschäftsführung und dem Betriebsrat am 02.06.2005 die wirtschaftliche Lage der Beklagten im Einzelnen erläutert. In dem Sitzungsprotokoll (Bl. 100/101 d.A.) heißt es auf S. 2 oben:

Herr K. R. möchte, dass vom BR die Kollegen auf den Baustellen informiert werden. Die Firma wird in Zukunft nicht mehr im Arbeitgeberverband sein.

Die Beklagte zahlt seit dem 1. September 2005 den tariflichen Mindestlohn nach dem Bundestarif entsprechend der Verzichtserklärung vom 12.07.2005. Der für den Lohnanspruch des Klägers maßgebliche TV Lohn-West wurde von der IG Bau zum 31.03.2007 gekündigt.

Der Kläger erhebt in seinen Hauptanträgen Anspruch auf die Vergütungsdifferenzen für die Monate April und Mai 2007 entsprechend der für das Sonderlohngebiet Hamburg gültigen sogenannten "Hamburger Tabelle". Diesbezüglich sind zwischen den Parteien Rechtstreitigkeiten anhängig (3 Ca 1150 b/06, 3 Ca 216 b/07).

Mit seinen Hilfsanträgen macht er für den gleichen Zeitraum die Differenz zwischen dem tariflichen Lohn (Lohngruppe 4 Spezialfacharbeiter) und den ihm entsprechend der Änderungsvereinbarung von der Beklagten ausgezahlten Lohn geltend.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, dass sein Anspruch auf Vergütung nach der "Hamburger Lohntabelle" sich unmittelbar aus § 6 des TV Lohn/West ergebe und dass die Beklagte sich auch während der Zeit der Nachwirkung des TV Lohn-West nicht auf die Vertragsänderung vom 12.07.2005 berufen könne, da diese Vereinbarung nach § 4 Abs. 4 Satz 1 TVG nichtig gewesen sei und nicht wieder aufleben könne.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger Vergütungsdifferenzen für den Monat April 2007 in Höhe von 365,87 EUR brutto, hilfsweise 358,97 EUR brutto zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB ab Rechtshängigkeit zu zahlen,

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger Vergütungsdifferenzen für den Monat Mai 2007 in Höhe von 397,85 EUR brutto zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB ab Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hält die Klage für unbegründet. Hinsichtlich der Hauptanträge sei eine Rechtsgrundlage nicht ersichtlich, § 6 des TV Lohn/West sei keine eigenständige Anspruchsgrundlage. Für die Hilfsanträge sei ebenfalls keine Anspruchsgrundlage ersichtlich, die Vertragsänderung vom 12.07.2005 sei mit Beginn der Nachwirkungsphase in Kraft getreten und entfalte rechtliche Wirkungen. Der Kläger könne daher jedenfalls seit dem 1. April 2007 lediglich den Mindestlohn beanspruchen.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien im Berufungsrechtszug wird auf die eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen, die zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufungen beider Parteien sind zulässig. Sie sind form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. In der Sache hat die Berufung des Klägers keinen Erfolg (I.). Hingegen ist die Berufung der Beklagten begründet (II.).

I.

Die Berufung des Klägers ist ohne Erfolg. Das Arbeitsgericht hat zutreffend festgestellt, dass die Beklagte nicht verpflichtet ist, dem Kläger wegen seiner Zuordnung zum Hamburger Sonderlohngebiet 0,04 Euro mehr pro Stunde zu zahlen. Die erkennende Kammer schließt sich insoweit der Auffassung der 3. Kammer und der 4. Kammer des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein an (Urt. vom 12.02.2007 - 3 Sa 420/06- und Urt. vom 22.03.2007 - 4 Sa 421/06 ) an, die die Berufung in einem Parallelverfahren mit dem entsprechenden Begehren zurückgewiesen haben.

1. Der Kläger hat mit der von ihm unterzeichneten Vereinbarung vom 12. Juli 2005 wirksam darauf verzichtet, dass die Beklagte ihm auch über den 1. September 2005 hinaus mindestens um 0,04 Euro über dem "Bundeslohn" liegenden Lohn zahlt. Insoweit war der Verzicht wirksam, weil die Beklagte ab 1. September 2005 nicht mehr gemäß § 3 Abs. 1 bzw. § 3 Abs. 3 TVG verpflichtet war, ihm einen um 4 Cent höheren Lohn zu zahlen. Die letzte zwischen den Hamburger Tarifvertragsparteien vereinbarten Lohntabelle befand sich seit dem 1. April 2002 in der Nachwirkung, weshalb gemäß § 4 Abs. 5 TVG die Vertragsparteien insoweit bezogen auf die 4 Cent mehr eine andere Abmachung - hier Vereinbarung vom 12. Juli 2005 - treffen konnten. Soweit die Beklagte nach Wirkungszeitraum jeweils einen orientiert an dem "Bundeslohn" um 4 Cent höheren Lohn zahlte, steht dies der Wirksamkeit der Vereinbarung vom 12. Juli 2005 nicht entgegen. Denn insoweit handelte es sich nicht um eine tarifvertragliche Verpflichtung.

2. Die Arbeitsvertragsänderung vom 12. Juli 2005 ist auch unter Beachtung von § 6 TV Lohn / West vom 29.07.2005 wirksam. Auch unter Beachtung dieser Vorschrift verletzt die Arbeitsvertragsänderung vom 12. Juli 2005 bezogen auf die streitgegenständlichen 4 Cent / Stunde kein Tarifrecht. Denn der TV Lohn / West enthält in seinem § 6 keinen unmittelbaren Anspruch des im Sonderlohngebiet Hamburg arbeitenden Klägers auf Zahlung der begehrten weiteren 0,04 Euro / Stunde. Bei § 6 TV Lohn / West handelt es sich nicht um eine Inhaltsnorm. Diese Vorschrift stellt lediglich eine zwischen den Tarifvertragsparteien schuldrechtlich wirkende Tarifsvertragsregelung dar. Auch durch Auslegung dieses Tarifvertrages ergibt sich nichts anderes. Dazu hat bereits die 3. Kammer des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein im Urteil vom 12. Februar 2007 ausgeführt:

1.

a) Nach den allgemeinen für Tarifverträge anzuwendenden Auslegungsgrundsätzen ist auszugehen vom Wortlaut und dem durch ihn vermittelten Wortsinn. Darüber hinaus kommt es auf den Gesamtzusammenhang und die Systematik der Bestimmung an. Von besonderer Bedeutung sind ferner Sinn und Zweck der Regelung. Der tatsächliche Wille der Betriebsparteien ist zu berücksichtigen, soweit er in dem Regelungswerk seinen Niederschlag gefunden hat. Im Zweifel gebührt derjenigen Auslegung der Vorzug, die zu einem sachgerechten zweckorientierten, praktisch brauchbaren und gesetzeskonformen Verständnis der Regelung führt (vgl. BAG vom 12.11.2002 - 1 AZR 632/01; BAG vom 22.03.2005 - 1 AZR 3/04; BAG vom 22.11.2005 - 1 AZR 458/04 - jeweils zitiert nach JURIS).

b) Der Wortlaut des § 6 TV Lohn/West enthält keine Regelung, die für das Sonderlohngebiet Hamburg und dort die Lohngruppe 4 einen Stundenlohn von 14,82 EUR bzw. 14,00 EUR im Akkord festschreibt. Dort heißt es lediglich, dass im Sonderlohngebiet Hamburg sicherzustellen ist, dass die Lohnabstände, die sich aus den bisherigen Regelungen in den zentralen Lohntarifverträgen für das Sonderlohngebiet Hamburg ergeben haben, erhalten bleiben. Ein bestimmter Lohnabstand, den im Sonderlohngebiet Hamburg beschäftigte Arbeitnehmer allgemein zu beanspruchen haben, wird - anders als in § 3 Abs. 2 TV Lohn/West - in § 6 TV Lohn/West nicht festgelegt.

c) Sinn und Zweck des § 6 TV Lohn/West ist es vielmehr, den regionalen, traditionell auf Landes- bzw. Bezirksebene verhandelnden Tarifvertragsparteien Verhandlungsvorgaben für die von ihnen in Umsetzung des Bundestarifvertrages zu führenden Tarifverhandlungen zu machen. Traditionell fanden im bauwirtschaftlichen Bereich seit Jahrzehnten zunächst ausschließlich, später jeweils im Nachgang zu bundesweit zentralen Tarifverhandlungen quasi in Ausführung der Bundestarifverträge ergänzende regionale Tarifverhandlungen statt, in denen die Landes- bzw. Bezirksorganisationen die regionalen Besonderheiten speziell berücksichtigten und ihnen Rechnung trugen. Das geschah im Bereich des Bezirkslohntarifvertrages (Lohntabelle) für Hamburg u. a. regelmäßig mit der Festlegung eines höheren tariflichen Stundenlohnes für dieses Sonderlohngebiet. Vor diesem traditionellen Hintergrund kann § 6 TV Lohn/West nur dahingehend verstanden werden, dass an die Bezirksorganisationen ein diesbezüglicher Verhandlungsauftrag "Besitzstandswahrung" der im Sonderlohngebiet Hamburg beschäftigten Arbeitnehmer festgeschrieben werden sollte. Mehr als ein solcher Verhandlungsauftrag kann dem § 6 TV Lohn/West nicht entnommen werden.

d) Hätten die Bundestarifvertragsparteien einen unmittelbaren Zahlungsanspruch der im Sonderlohngebiet Hamburg tätigen Arbeitnehmer für das Sonderlohngebiet Hamburg im Wege der Aufstellung einer Inhaltsnorm festschreiben wollen, hätten sie § 6 anders formulieren müssen und auch anders formuliert. Dort, wo unmittelbare Anspruchsgrundlagen für Arbeitnehmer aufgestellt wurden, haben die Tarifvertragsparteien im TV Lohn/West Formulierungen gewählt, wie " ...beträgt der Ecklohn...EUR" (§ 2 Abs. 1 und Abs. 2); "gelten nachstehende Löhne.." (§ 2 Abs. 7,8); " erhält der Arbeitnehmer ..."(§ 2 Abs. 3, § 3 Abs. 1 und Abs. 1, § 4 Abs. 1, § 7 Abs. 1 und Abs. 2); "wird der Lohn festgelegt auf....."(§ 4 Abs. 2); "haben Anspruch auf...."( § 4 Abs. 3, § 5 Abs. 4). Demgegenüber haben die Tarifvertragsparteien aber in § 6 TV Lohn/West lediglich normiert, dass "sicherzustellen ist, dass die Lohnabstände ... erhalten bleiben". Insoweit ist davon auszugehen, dass die Tarifvertragsparteien hier gezielt unterschiedliche Formulierungen gewählt haben, weil den Tarifregelungen unterschiedliche Wirkung gegeben werden sollte.

e) Allein die Formulierung "sicherstellen" macht zudem deutlich, dass es sich insoweit um einen Verhandlungsauftrag an die nachfolgenden Bezirkslohntarifvertragsparteien des Sonderlohngebietes Hamburg handelt. Das Wort "sicherstellen" verlangt naturgemäß ein Handeln. Ohne eine solche Aktivität, ein solches Handeln, kann nichts sichergestellt werden.

f) Auch aus dem Gesamtzusammenhang und der Systematik des TV Lohn/West ergibt sich, dass § 6 lediglich als schuldrechtliche Bestimmung eingeordnet werden kann.

Insoweit ist zunächst auf § 3 Abs. 2 TV Lohn/West hinzuweisen. Dort ist ausdrücklich ein Sonderlohnanspruch für bestimmte Arbeitnehmer in einem bestimmten Baubereich in einer bestimmten Höhe normiert. Dort heißt es: "Im Sonderlohngebiet Hamburg erhalten Arbeitnehmer in Fertigbaubetrieben einen jeweils um 0,04 EUR erhöhten Tarifstundenlohn bzw. Gesamttarifstundenlohn". Diese Formulierung haben die Tarifvertragsparteien in § 6 TV Lohn/West jedoch für die sonstigen, nicht in Fertigbaubetrieben tätigen Arbeitnehmer des Sonderlohngebietes Hamburg gerade nicht gewählt. Sie haben insoweit nur eine abgeschwächte Vorgabe für einen Verhandlungsauftrag an die Bezirkslohntarifvertragsparteien gemacht, nämlich sicherzustellen, dass die Lohnabstände - in welcher ausgestalteten Höhe auch immer - erhalten bleiben.

g) Etwas anderes ergibt sich entgegen der Ansicht des Klägers auch nicht aus der Anordnung des TV Lohn/West, insbesondere der Tatsache, dass § 6 TV Lohn/West nicht unmittelbar vor §§ 9 und 10 des TV Lohn/West steht. Letztere legen zweifelsfrei eine Verpflichtung der Landes- bzw. Bezirksorganisationen der Tarifvertragsparteien fest, unverzüglich die Lohntarifverträge (Lohntabellen) ihres Gesetzes nach Maßgabe dieses Tarifvertrages zu erstellen. Aus ihnen ergibt sich - was spätestens nach der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 25.01.2006 (4 AZR 552/04) nicht weiter zu vertiefen sein dürfte - eine Verpflichtung zur Führung von regionalen Tarifverhandlungen mit eigenständigem Gestaltungsspielraum. Das setzt voraus, dass in dem Sonderlohngebiet selbst gestaltende Regelungen über die Vergütung getroffen werden und nicht nur der Inhalt des TV Lohn/West für das Sonderlohngebiet neu dokumentiert wird. Auch bezüglich der §§ 9 und 10 des TV Lohn/West besteht kein Zweifel, dass sich diese Tarifregelungen an die Tarifvertragsparteien wenden, mithin schuldrechtlicher Natur sind. Auch § 6 TV Lohn/West gewährt den regionalen Tarifvertragsparteien diesen erwähnten Gestaltungsspielraum. Vor diesem inhaltlichen Hintergrund kann aus dem Standort des § 6 TV Lohn/West und der fehlenden unmittelbaren gestalterischen Nähe zu §§ 9 und 10 des TV Lohn/West nicht geschlussfolgert werden, es handele sich entgegen Wortlaut, Systematik, Sinn und Zweck um eine Norm, die unmittelbare Ansprüche der Arbeitnehmer habe begründen sollen.

Dem schließt sich auch die erkennende Berufungskammer in vollem Umfang an und nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen darauf ausdrücklich Bezug.

II.

Auf die Berufung der Beklagten war das Urteil des Arbeitsgerichts abzuändern, soweit der Klage stattgegeben worden ist.

Die Klage auf Zahlung des tariflichen Entgelts für die Monate April und Mai 2007 nach den TV Lohn-West ist jedenfalls nach dem unstreitigen Sachverhalt in der Berufungsinstanz unbegründet. Der Kläger hat auf Grund des Änderungsvertrages vom 12.07.2005 keinen Anspruch auf Vergütung aus dem im Anspruchszeitraum lediglich nachwirkenden Tarifvertrag.

1. Richtig ist, dass die Änderungsvereinbarung vom 12. Juli 2005, durch den die Parteien einen niedrigeren als den tariflichen Lohn vereinbart haben, im Zeitpunkt ihres Abschlusses rechtsunwirksam war, da sie gegen den Grundsatz der Unabdingbarkeit (§ 4 Abs. 3 TVG) verstoßen hat. Der TV Lohn-West war zu diesem Zeitpunkt in kraft und ist erst zum 31. März 2007 von der Gewerkschaft gekündigt worden. Beide Parteien waren zu diesem Zeitpunkt auch tarifgebunden. Die Tarifbindung der Beklagten hat auch trotz ihrer OT-Mitgliedschaft seit 01.01.2006 bis zum Auslaufen des Tarifvertrages am 31.03.2007 kraft Nachbindung (§ 3 Abs. 3 TVG) fortbestanden.

2. Die Parteien haben aber durch die Vertragsänderung vom 12.07.2005 für den Nachwirkungszeitraum ab 01.04.2007 eine rechtswirksame andere Abmachung im Sinne von § 4 Abs. 5 TVG, nämlich auf Zahlung eines niedrigeren Lohnes als im TV Lohn/West geregelt, getroffen. Diese Vereinbarung ist auch nicht unheilbar nichtig, weil sie noch während der Tarifbindung und vor dem Beginn der Nachwirkung abgeschlossen worden ist.

a) Das Bundesarbeitsgericht lässt in seinem Urteil vom 23.02.2005 - 4 AZR 186/04 (AP Nr. 42 zu § 4 TVG Nachwirkung) ablösende abweichende Vereinbarungen im Sinne von § 4 Abs. 5 TVG auch vor Ablauf des Tarifvertrages zu. Es sei kein rechtlich tragfähiger Grund dafür erkennbar, dass eine die Nachwirkung beendende arbeitsvertragliche Vereinbarung erst nach Eintritt der Nachwirkung getroffen werden könne. Von der Privatautonomie erfasst seien grundsätzlich auch Verträge, die erst in der Zukunft Wirkung entfalten sollen. Das müsse auch für eine Vereinbarung gelten, die auf die Ablösung einer Nachwirkung des Tarifvertrages gerichtet sei. Maßgeblich sei, dass die Vereinbarung dahin ausgelegt werden könne, dass sie - zumindest auch - die Nachwirkung des Tarifvertrages beseitigen solle.

b) Die Auffassungen im Schrifttum sind geteilt. Nach Däubler/Bepler (§ 4 TVG Rz. 908) sind ablösende einzelvertragliche Vereinbarungen nur im Nachwirkungszeitraum möglich, Kempert/Zachert/Stein (§ 4 TVG Rz. 16) gehen von einem Wiederaufleben der Vereinbarung aus, allerdings erst zum Ende des Nachwirkungszeitraums. Nach Wiedemann/Wank (§ 4 TVG Rz. 371 f.) ist im Wege der Auslegung zu ermitteln, ob die Vereinbarung wieder auflebt. Die Auslegung des Tarifvertrages werde im Zweifel ergeben, dass der Tarifvertrag die einzelvertragliche Vereinbarungen nur verdrängen wolle, hingegen werde die Auslegung des Einzelarbeitsvertrages in der Regel Nichtigkeit der Vereinbarung ergeben. Entgegen dieser Auslegungsregel könnten die Vertragsparteien - auch konkludent - verabreden, dass der Einzelarbeitsvertrag weiter gelten solle.

c) Das Berufungsgericht folgt der Auffassung des Bundesarbeitsgerichts. Mit einer gegen den zwingenden Tarifvertrag verstoßenden Vereinbarung erreichen die Vertragsparteien zwar, solange Tarifbindung für beide Seiten besteht, nicht das Ziel, ungünstigere Arbeitsbedingungen wirksam zu vereinbaren. Deswegen ist die Vereinbarung aber nicht unheilbar nichtig. Vielmehr wird mit der Vereinbarung erkennbar, dass die Vertragsparteien abweichende Vereinbarungen treffen wollten, soweit das tarifrechtlich möglich ist.

Die Auslegung der Änderungsvereinbarung vom 12.07.2005 und die näheren Umstände vor und bei der Unterzeichung bestätigen dieses Ergebnis. Die Beklagte wollte erkennbar eine Vereinbarung für den Fall des Wegfalls der Tarifbindung und damit auch der Nachwirkung des Tarifvertrages erreichen. Die Beklagte hat - wie sich aus dem "Sitzungsprotokoll" vom 23.06.2005 ergibt - vor Abschluss der Vereinbarung den Betriebsrat ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Beklagte zukünftig nicht mehr im Arbeitgeberverband sein werde und den Betriebsrat gebeten, die Belegschaft hierüber zu unterrichten. In den einleitenden Sätzen der Änderungsvereinbarung weist die Beklagte auf ihre schwierige wirtschaftliche Situation hin. Ziel der Vereinbarung sei es Lohn- und Lohnnebenkosten zu senken, um die Wettbewerbsfähigkeit der Beklagten zu erhalten. Aus diesen Umständen wird nach Auffassung des Berufungsgerichts hinreichend deutlich, dass die Beklagte in jedem Fall wenn nicht ausdrücklich, so doch konkludent den Ausstieg aus dem Tarifvertrag zum rechtlich nächstmöglichen Zeitpunkt erreichen wollte. Das war hier der Zeitpunkt des Eintritts der Nachwirkung.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 Abs. 1 ZPO.

Die Revision ist wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache (§ 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG) zugelassen worden.

Ende der Entscheidung

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