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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein
Urteil verkündet am 19.02.2008
Aktenzeichen: 2 Sa 421/07
Rechtsgebiete: BGB, TVG


Vorschriften:

BGB § 611
TVG § 3
TVG § 4
Schließen die beiderseits tarifgebundenen Arbeitsvertragsparteien zu einem Zeitpunkt, in dem noch nicht abzusehen ist, dass die Tarifbindung enden wird, eine Vereinbarung, mit der die vertraglichen Bedingungen gegenüber dem Tarifvertrag verschlechtert werden, so ist diese Vereinbarung wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot nichtig. Sie lebt auch nicht später nach Ende der Tarifbindung wieder auf.
Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein Im Namen des Volkes Urteil

Aktenzeichen: 2 Sa 421/07

Verkündet am 19.02.2008

In dem Rechtsstreit

hat die 2. Kammer des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein auf die mündliche Verhandlung vom 19.02.2008 durch die Vizepräsidentin des Landesarbeitsgerichts ... als Vorsitzende und die ehrenamtlichen Richter ... und ... als Beisitzer

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufungen beider Parteien gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Elmshorn vom 20.9.2007 - 3 Ca 966 b/07 - werden zurückgewiesen.

Die Kosten der Berufung werden der Beklagten auferlegt.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Frage, ob eine zwischen den Parteien am 12.7.2005 geschlossene Vereinbarung Auswirkungen hat.

Der Kläger wurde am 7.4.1994 bei der Beklagten als gewerblicher Arbeitnehmer eingestellt. Der Kläger ist Mitglied der Gewerkschaft IG BAU. Die Beklagte hat ihren Sitz in S. und ist Mitglied im Norddeutschen Baugewerbeverband e.V., seit dem 1.1.2006 als OT-Mitglied (Bl. 17.d.A.). Die Beklagte beschäftigt ca. 150 Arbeitnehmer. Es ist ein Betriebsrat gebildet.

Am 4.7.2002 schlossen die bundesweit handelnden Tarifvertragsparteien den "Tarifvertrag zur Regelung der Löhne und Ausbildungsvergütungen im Baugewerbe im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland mit Ausnahme der 5 neuen Länder und des Landes Berlin" (im Folgenden: TV Lohn-West) ab, mit dem auch neue Lohnstrukturen eingeführt wurden. Für den Kläger als Spezialfacharbeiter war seither die neue Lohngruppe 4 des TV Lohn-West maßgeblich. Dieser ist am 29.7.2005 mit Wirkung vom 1.9.2005 geändert worden (Bl. 78 d.A.). Er wurde von der IG BAU zum 31.03.2007 gekündigt. Nach dem TV Lohn-West beträgt der Gesamttariflohn der Lohngruppe 4 ab dem 01.04.2006 14,56 EUR pro Stunde beziehungsweise bei Akkord 13,75 EUR pro Stunde.

Seit über 60 Jahren vereinbarten die Landes- bzw. Bezirksorganisationen der bauwirtschaftlichen Tarifvertragsparteien in Hamburg für das dortige Verbandsgebiet Bezirkslohntarifverträge (Lohntabellen). Anlass der Erstellung dieser Bezirkslohntarifverträge war zumeist der Abschluss eines Tarifvertrages der zentralen Tarifvertragsparteien auf Bundesebene. Der letzte Bezirkslohntarifvertrag (Lohntabelle) für Hamburg wurde am 1.4.2001 geschlossen. Der ihm zugrunde liegende bundesweit geltende Lohntarifvertrag wurde zum 31.3.2002 gekündigt. Seither befindet sich die Bezirkslohntabelle des Baugewerbes Hamburg in der Nachwirkung. Ein neuer Bezirkslohntarifvertrag ist nicht mehr abgeschlossen worden. In den vergangenen 30 Jahren lag der Hamburger Spezialbaufacharbeitertariflohn wechselnd zwischen 0,08 DM und 0,09 DM über dem Spezialbaufacharbeiterlohn des TV Lohn-West. Zuletzt betrug der Lohnabstand 0,04 EUR pro Stunde. Die Beklagte zahlte weiterhin ihren Arbeitnehmern einen Lohn, der die bisherigen Besonderheiten des Sonderlohngebietes Hamburg berücksichtigte und der 0,04 EUR über dem entsprechenden Lohn des TV Lohn-West lag.

Soweit hier von Belang enthält der TV Lohn-West folgende Regelungen:

§ 6 Sonderlohngebiet Hamburg

Im Sonderlohngebiet Hamburg ist sicherzustellen, dass die Lohnabstände, die sich aus den bisherigen Regelungen in den zentralen Lohntarifverträgen für das Sonderlohngebiet Hamburg ergeben haben, erhalten bleiben.

§ 9 Bezirkslohntarifverträge

Die Landes- bzw. Bezirksorganisationen der Tarifvertragsparteien sind verpflichtet, unverzüglich die Lohntarifverträge (Lohntabellen) ihres Gebietes nach Maßgabe dieses Tarifvertrages zu erstellen. In diese ist auch eine Sonderlohngruppe für Berufskraftfahrer aufzunehmen.

§ 10 Durchführung dieses Vertrages

(1) Die Tarifvertragsparteien verpflichten sich, ihren Einfluss zur Durchführung und Aufrechterhaltung dieses Vertrages und der damit in Zusammenhang stehenden Lohn- und sonstigen Tarifverträge einzusetzen.

Die Beklagte unterrichtete den Betriebsrat am 23.6.2005 darüber, dass sie künftig nicht mehr Mitglied im Arbeitgeberverband sein werde. Gleichzeitig legte sie dar, dass sich die wirtschaftliche Lage des Unternehmens verschlechtert habe. Es bestehe entweder die Möglichkeit, die Hälfte der Belegschaft zu entlassen und zum Ende des Jahres den Betrieb vollständig zu schließen oder die Mitarbeiter auf Basis des tariflichen Mindestlohnes weiter zu beschäftigen. Der Betriebsrat wurde gebeten, die Mitarbeiter auf den Baustellen zu unterrichten (Protokoll der Sitzung Bl. 101 d.A.). Am 12.7.2005 unterzeichnete der Kläger folgende Erklärung: (Bl. 16 d.A.):

Arbeitsvertrags Änderung

auf Grund der wirtschaftlichen Situation in unserem Betrieb sind wir an den Betriebsrat herangetreten, um über mögliche Veränderungen innerhalb der Lohn und Kostenstrukturen unserer Firma zu sprechen. Ziel der diversen Gespräche war es die Lohn- und Lohnnebenkosten zu senken, um unsere Wettbewerbsfähigkeit auf dem Hamburger Markt zu erhalten. Bei dieser Maßnahme sind wir auf Ihr Verständnis und Ihre Mithilfe angewiesen. Um den Fortbestand der Firma und insbesondere Ihren Arbeitsplatz zu gewährleisten, bieten wir Ihnen diese einvernehmliche Arbeitsvertrags Änderung an,

Es wird einvernehmlich wie folgt geändert:

Inkrafttreten der Änderung: 01. September 2005

Ab diesem Zeitpunkt erklären Sie sich bereit, mit einem

Mindestlohn ML II von z. Zt. EUR 12,47

Lohnverzicht der Zahlung des 13. Monatseinkommen und bezahlte längere Arbeitszeit Freitag um 3 Stunden (während der Sommermonate)

zu ansonsten unveränderten Bedingungen weiter für uns tätig zu sein.

Bitte teilen Sie uns bis Dienstag, den 26. Juli 2005 mit, ob Sie dieser Änderung zustimmen.

Nach Unterzeichnung der Erklärung vom 12.7.2005 zahlte die Beklagte lediglich den tariflichen Mindestlohn. Nachdem der Kläger sich auf seine Gewerkschaftsmitgliedschaft berufen hat, hat sie bis einschließlich März 2007 (Ende der Kündigungsfrist des TV Lohn-West) auf Basis der Lohngruppe 4 Spezialfacharbeiter gezahlt. Den hier ebenfalls strittigen Lohnabstand von 0,04 EUR je Stunde für das Sonderlohngebiet Hamburg zahlte sie nicht. Zwischen den Parteien sind deshalb mehrere Rechtsstreitigkeiten geführt worden.

Mit seiner am 1.6.2007 erhobenen Klage hat der Kläger Zahlung der Vergütungsdifferenzen entsprechend der für das Sonderlohngebiet Hamburg gültigen sog. "Hamburger Tabelle" für die Monate April bis Juni 2007 verlangt und ausgeführt, der Anspruch ergebe sich aus § 6 des Lohntarifvertrages Bauhauptgewerbe West vom 29.07.2005. Weiter hat er für denselben Zeitraum Zahlung des Tariflohns nach dem TV Lohn-West gefordert und die Auffassung vertreten, die Beklagte könne sich auch während der Zeit der Nachwirkung des TV Lohn-West nicht auf die Vertragsänderung vom 12.7.2005 berufen. Der Kläger hat beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger Vergütungsdifferenzen für den Monat April 2007 in Höhe von 327,23 EUR brutto, hilfsweise 321,06 EUR brutto zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB ab Rechtshängigkeit zu zahlen,

2. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger Vergütungsdifferenzen für den Monat Mai 2007 in Höhe von 280,12 EUR brutto, hilfsweise 274,86 EUR brutto zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB ab Rechtshängigkeit zu zahlen,

3. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger Vergütungsdifferenzen für den Monat Juni 2007 in Höhe von 364,15 EUR brutto, hilfsweise 357,31 EUR brutto zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB ab Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen. Sie hat vorgetragen, die Vertragsänderung vom 12.7.2005 sei mit Beginn der Nachwirkungsphase in Kraft getreten. Die tarifvertragliche Regelung sei damit abgelöst worden. Der Kläger könne damit nur noch den tariflichen Mindestlohn verlangen. Hinsichtlich der 0,04 EUR je Stunde sei eine Rechtsgrundlage nicht vorhanden. § 6 des TV Lohn-West stelle nicht eine eigenständige Anspruchsgrundlage dar.

Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 20.9.2007 die Beklagte verurteilt, an den Kläger für April 2007 321,06 EUR brutto, für Mai 20007 274,86 EUR brutto und für Juni 2007 357,31 EUR brutto nebst Zinsen zu zahlen, die Klage im Übrigen, d.h. hinsichtlich der 0,04 EUR Lohnabstand, abgewiesen und die Berufung zugelassen. Gegen dieses dem Kläger am 4.10. und der Beklagten am 8.10.2007 zugestellte Urteil haben beide Parteien rechtzeitig Berufung eingelegt und diese begründet.

Der Kläger wiederholt und vertieft sein erstinstanzliches Vorbringen. Weiter trägt er vor, sein Anspruch auf weitere 0,04 Euro pro Stunde ergebe sich ungeachtet des Fehlens einer tarifvertraglichen Lohntabelle für das Sonderlohngebiet Hamburg im streitgegenständlichen Zeitraum direkt aus § 6 TV Lohn-West. Der Wortlaut des § 6 TV Lohn-West sei so zu verstehen, dass mit dieser Vorschrift automatisch der Abstand zwischen den für das gesamte Bundesgebiet nach diesem Tarifvertrag gültigen Stundenlöhnen und den Stundenlöhnen des Sonderlohngebietes Hamburg entsprechend den bisherigen Abständen bewirkt werde. Diese Vorschrift stelle eine eigene anspruchsbegründende Norm dar und benötige keine weitere Konkretisierung in anderen Tarifverträgen. Die Löhne im Sonderlohngebiet Hamburg würden nach dieser Vorschrift automatisch entsprechend ihrem bisherigen Abstand angepasst. Die Regelung entspreche auch dem Bestimmtheitsgrundsatz. Da die Löhne auf Bundesebene festgelegt seien und für die einzelnen Lohngruppen Lohnabstände bestimmt seien, sei es möglich, den entsprechenden Lohn für das Sonderlohngebiet Hamburg zu errechnen. Auch werde aus § 6 TV Lohn-West deutlich, dass Normadressat der einzelne Arbeitnehmer beziehungsweise Arbeitgeber sei. Hätten die Tarifvertragsparteien etwas anderes gewollt, dann hätten sie, wie in § 9 TV Lohn-West geschehen, die Landes- beziehungsweise Bezirksorganisationen der Tarifvertragsparteien als Normadressaten benannt. Die §§ 9, 10 TV Lohn-West hätten wegen der speziellen Vorschrift in § 6 TV Lohn-West für das Sonderlohngebiet Hamburg keine Bedeutung. Sie bezögen sich ausschließlichen auf solche Bezirkslohntarifverträge bzw. Lohntabellen, in denen Sonderlöhne und Sonderlohngruppen enthalten und geregelt seien. Diese Sonderlöhne und Sonderlohngruppen beträfen die Löhne, die für bestimmte Berufsgruppen außerhalb der Bundeslohntabellen geregelt seien. Darum gehe es aber bei § 6 TV Lohn-West nicht, denn dort seien eigene Lohngruppen nicht eingeführt. Die Vorschrift diene nur dazu, Regelungen für bestehende Lohngruppen im Vergleich zu Bundeslöhnen zu treffen. Zwischen den Tarifvertragsparteien habe Einigkeit bestanden, dass die Höhe des Lohnabstandes nicht verhandelbar sei. Letztlich spreche auch die Systematik des Tarifvertrages für das Ergebnis. Wäre § 6 TV Lohn-West lediglich als Aufforderung an die regionalen Tarifvertragsparteien zu verstehen, dann hätte diese Vorschrift ihren Platz zwischen den §§ 9, 10 TV Lohn-West finden müssen. Er habe deshalb für die Monate April bis Juni 2007 Anspruch auf weitere 18,27 EUR brutto.

Der Kläger beantragt

das Urteil des Arbeitsgerichtes Elmshorn vom 20.09.2007 Az: 3 Ca 966 b/07 im Wege der Berufung insoweit aufzuheben und abzuändern, als die vom Kläger verfolgten Zahlungsanträge abgewiesen wurden und die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger den nach den Schlussanträgen der I. Instanz noch nicht zuerkannten Differenzbetrag für den Zeitraum April 2007 bis Juni 2007 von insgesamt 18,27 EUR brutto zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB ab Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil, soweit die Klage abgewiesen worden ist und trägt weiter vor, aufgrund der Verzichtserklärung vom 12.7.2005 habe der Kläger keinen Anspruch mehr auf die von ihm begehrten weiteren 0,04 EUR pro Stunde. Ein Anspruch ergebe sich nicht aus § 6 TV Lohn-West. Es handele sich lediglich um eine Sicherstellungsverpflichtung, deren Umsetzung durch Bezirkstarifverträge erfolgen könne. Normadressaten dieser Verpflichtung seien die Tarifvertragsparteien, nicht die Arbeitnehmer. §§ 9, 10 TV Lohn-West stellten lediglich eine Verpflichtung für die Tarifvertragsparteien dar, unverzüglich Bezirkstarifverträge zu schließen und dabei auch § 6 TV Lohn-West einzuhalten. Ferner könne angesichts des wechselnden Abstandes nicht von einem regelmäßigen Stundenlohnabstand zwischen dem TV Lohn-West und dem Sonderlohngebiet Hamburg in Höhe von generell EUR 0,04 pro Stunde ausgegangen werden.

Zur eigenen Berufung trägt sie vor, der Kläger müsse sich - zumindest seit dem 1.4.2007 - an seiner Verzichtserklärung vom 12.7.2005 festhalten lassen. Die Regelungen des TV Lohn-West hätten seit Beginn der OT-Mitgliedschaft lediglich nach § 3 Abs. 3 TVG weiter gegolten. Nach Ende der Kündigungsfrist am 31.3.2007 wirke der TV Lohn-West nur noch nach, so dass er durch eine andere Vereinbarung abgelöst werden könne. Damit trete die Vereinbarung vom 12.7.2005 in Kraft und der Kläger habe nur noch Anspruch auf einen Lohn von 12,47 EUR. Dass die Vereinbarung dann wieder auflebe, sei durch die Rechtsprechung (BAG 1 AZR 454/88) und Literatur anerkannt. Sie habe bei Abschluss der Vereinbarung nicht Kenntnis von der Mitgliedschaft des Klägers in der IG BAU gehabt. Da der Tarifvertrag kündbar gewesen sei, sei seine Laufzeit nicht völlig ungewiss gewesen. Auch spreche Sinn und Zweck der Nachwirkung nicht gegen das Aufleben der Vereinbarung. Das Arbeitsverhältnis werde durch die Regelungen den allgemein verbindlichen BRTV-Bau und den ebenfalls allgemein verbindlichen Mindestlohntarifvertrag bestimmt. Es sei daher nicht zu befürchten gewesen, dass das Arbeitsverhältnis inhaltsleer geworden wäre. Während der Laufzeit des TV Lohn-West bis zum 31.3.2007 sei die Vereinbarung vom 12.7.2005 verdrängt gewesen. Mit dem Wechsel der Beklagten in die OT-Mitgliedschaft und der durch Kündigung bedingten Beendigung des TV Lohn-West zum 31.3.2007 sei sie zu diesem Zeitpunkt wieder aufgelebt. Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Elmshorn - 3 Ca 966 b/07 - abzuändern und

die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Er trägt vor, zumindest bis 31.12.2005 sei der TV Lohn-West kraft unmittelbarer Tarifbindung beider Parteien für das Arbeitsverhältnis gültig gewesen. Die Arbeitsvertragsänderung vom 12.7.2005 verstoße gegen ein gesetzliches Verbot, da der Verzicht nicht durch einen von den Tarifvertragsparteien gebilligten Vergleich zustande gekommen sei. Sie sei daher nichtig. Der TV Lohn-West habe nach Wechsel in die OT-Mitgliedschaft weiter gegolten. Auch die Kündigung des TV Lohn-West zum 31.3.2007 und der Abschluss eines neuen TV Lohn-West vom 20.8.2007 ändere nichts an der Nachwirkung. Die Vereinbarung vom 12.7.2005 sei nicht eine andere Abmachung i.S.v. § 4 Abs. 5 TVG, denn sie sei nicht nur schwebend unwirksam gewesen.

Ergänzend wird auf den Inhalt der Akten, insbesondere die wechselseitigen Schriftsätze mit Anlagen und Erklärungen zu Protokoll Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufungen beider Parteien sind zulässig. Die Berufung des Klägers ist auf Grund Zulassung statthaft, die der Beklagten nach dem Beschwerdewert. Die Begründung beider Parteien ist form- und fristgerecht erfolgt, §§ 64 Abs. 2 lit. b; 66 Abs. 1 ArbGG; § 519 ZPO.

In der Sache selbst haben beide Berufungen nicht Erfolg.

I.

Die Berufung des Klägers ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat zu Recht festgestellt, dass der Kläger für den - hier streitgegenständlichen - Zeitraum von April bis Juni 2007 nicht Anspruch auf einen um 0,04 EUR erhöhten Stundenlohn nach der Hamburger Lohntabelle hat. Die erkennende Kammer schließt sich insoweit der Auffassung der 3. Kammer und der 4. Kammer des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein an (Urteile vom 12.2.2007 - 3 Sa 420/06 und 22.3.2007 - 4 Sa 421/06 - [n. rkr.]) an, die jeweils die Berufungen in Parallelverfahren mit dem entsprechenden Begehren zurückgewiesen haben.

1. Der Kläger hat mit der von ihm unterzeichneten Vereinbarung vom 12.7.2005 wirksam darauf verzichtet, dass die Beklagte ihm auch über den 1.9.2005 hinaus einen mindestens um 0,04 EUR über dem "Bundeslohn" liegenden Lohn zahlt. Der Verzicht war wirksam, weil die Beklagte ab 1.9.2005 nicht mehr gem. § 3 Abs. 1 bzw. § 3 Abs. 3 TVG verpflichtet war, ihm einen um EUR 0,04 höheren Lohn zu zahlen. Die letzte zwischen den Hamburger Tarifvertragsparteien vereinbarte Lohntabelle befindet sich unstreitig seit dem 1.4.2002 in der Nachwirkung. Die Tarifbindung der Hamburger Lohntabelle endet damit zu jenem Zeitpunkt, § 3 Abs. 3 TVG. Ab diesem Zeitpunkt waren die Parteien tarifrechtlich nicht mehr gehindert, auf den erhöhten Lohn nach der Hamburger Lohntabelle durch eine andere Abmachung nach § 4 Abs. 5 TVG zu verzichten. Soweit die Beklagte im Nachwirkungszeitraum jeweils einen orientiert an dem "Bundeslohn" um 0,04 EUR höheren Lohn zahlte, steht dies der Wirksamkeit der Vereinbarung vom 12.7.2005 nicht entgegen. Denn hierbei handelte es sich nicht um eine tarifvertragliche Verpflichtung.

2. Die Arbeitsvertragsänderung vom 12.7.2005 verletzt § 6 TV Lohn-West vom 29.7.2005 nicht. Die Vertragsänderung vom 12.7.2005 verletzt, soweit die streitgegenständlichen 0,04 Euro pro Stunde betroffen sind, nicht Tarifrecht. Der TV Lohn-West begründet in § 6 nicht einen unmittelbaren Anspruch des Klägers, der im Sonderlohngebiet Hamburg arbeitet, auf Zahlung der weiteren 0,04 Euro pro Stunde. § 6 TV Lohn-West stellt nicht eine Inhaltsnorm dar. Vielmehr stellt diese Vorschrift eine zwischen den Tarifvertragsparteien lediglich schuldrechtlich wirkende Tarifvertragsregelung dar. Die Auslegung dieses Tarifvertrages führt nicht zu einem anderen Ergebnis. Dazu hat bereits die 3. Kammer des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein im Urteil vom 12.02.2007 (3 Sa 420/06 n. rk., anhängig beim BAG 4 AZR 217/07) ausgeführt:

"a) Nach den allgemeinen für Tarifverträge anzuwendenden Auslegungsgrundsätzen ist auszugehen vom Wortlaut und dem durch ihn vermittelten Wortsinn. Darüber hinaus kommt es auf den Gesamtzusammenhang und die Systematik der Bestimmung an. Von besonderer Bedeutung sind ferner Sinn und Zweck der Regelung. Der tatsächliche Wille der Betriebsparteien ist zu berücksichtigen, soweit er in dem Regelungswerk seinen Niederschlag gefunden hat. Im Zweifel gebührt derjenigen Auslegung der Vorzug, die zu einem sachgerechten zweckorientierten, praktisch brauchbaren und gesetzeskonformen Verständnis der Regelung führt (vgl. BAG vom 12.11.2002 - 1 AZR 632/01; BAG vom 22.03.2005 - 1 AZR 3/04; BAG vom 22.11.2005 - 1 AZR 458/04 - jeweils zitiert nach JURIS).

b) Der Wortlaut des § 6 TV Lohn-West enthält keine Regelung, die für das Sonderlohngebiet Hamburg und dort die Lohngruppe 4 einen Stundenlohn von 14,82 EUR bzw. 14,00 EUR im Akkord festschreibt. Dort heißt es lediglich, dass im Sonderlohngebiet Hamburg sicherzustellen ist, dass die Lohnabstände, die sich aus den bisherigen Regelungen in den zentralen Lohntarifverträgen für das Sonderlohngebiet Hamburg ergeben haben, erhalten bleiben. Ein bestimmter Lohnabstand, den im Sonderlohngebiet Hamburg beschäftigte Arbeitnehmer allgemein zu beanspruchen haben, wird - anders als in § 3 Abs. 2 TV Lohn-West - in § 6 TV Lohn-West nicht festgelegt.

c) Sinn und Zweck des § 6 TV Lohn-West ist es vielmehr, den regionalen, traditionell auf Landes- bzw. Bezirksebene verhandelnden Tarifvertragsparteien Verhandlungsvorgaben für die von ihnen in Umsetzung des Bundestarifvertrages zu führenden Tarifverhandlungen zu machen. Traditionell fanden im bauwirtschaftlichen Bereich seit Jahrzehnten zunächst ausschließlich, später jeweils im Nachgang zu bundesweit zentralen Tarifverhandlungen quasi in Ausführung der Bundestarifverträge ergänzende regionale Tarifverhandlungen statt, in denen die Landes- bzw. Bezirksorganisationen die regionalen Besonderheiten speziell berücksichtigten und ihnen Rechnung trugen. Das geschah im Bereich des Bezirkslohntarifvertrages (Lohntabelle) für Hamburg u. a. regelmäßig mit der Festlegung eines höheren tariflichen Stundenlohnes für dieses Sonderlohngebiet. Vor diesem traditionellen Hintergrund kann § 6 TV Lohn-West nur dahingehend verstanden werden, dass an die Bezirksorganisationen ein diesbezüglicher Verhandlungsauftrag "Besitzstandswahrung" der im Sonderlohngebiet Hamburg beschäftigten Arbeitnehmer festgeschrieben werden sollte. Mehr als ein solcher Verhandlungsauftrag kann dem § 6 TV Lohn-West nicht entnommen werden.

d) Hätten die Bundestarifvertragsparteien einen unmittelbaren Zahlungsanspruch der im Sonderlohngebiet Hamburg tätigen Arbeitnehmer für das Sonderlohngebiet Hamburg im Wege der Aufstellung einer Inhaltsnorm festschreiben wollen, hätten sie § 6 anders formulieren müssen und auch anders formuliert. Dort, wo unmittelbare Anspruchsgrundlagen für Arbeitnehmer aufgestellt wurden, haben die Tarifvertragsparteien im TV Lohn-West Formulierungen gewählt, wie " ...beträgt der Ecklohn...EUR" (§ 2 Abs. 1und Abs. 2); "gelten nachstehende Löhne.."(§ 2 Abs. 7,8); " erhält der Arbeitnehmer ..."(§ 2 Abs. 3, § 3 Abs. 1 und Abs. 1, § 4 Abs. 1, § 7 Abs. 1 und Abs. 2); "wird der Lohn festgelegt auf....."(§ 4 Abs. 2); "haben Anspruch auf...."( § 4 Abs. 3, § 5 Abs. 4). Demgegenüber haben die Tarifvertragsparteien aber in § 6 TV Lohn-West lediglich normiert, dass "sicherzustellen ist, dass die Lohnabstände ... erhalten bleiben". Insoweit ist davon auszugehen, dass die Tarifvertragsparteien hier gezielt unterschiedliche Formulierungen gewählt haben, weil den Tarifregelungen unterschiedliche Wirkung gegeben werden sollte.

e) Allein die Formulierung "sicherstellen" macht zudem deutlich, dass es sich insoweit um einen Verhandlungsauftrag an die nachfolgenden Bezirkslohntarifvertragsparteien des Sonderlohngebietes Hamburg handelt. Das Wort "sicherstellen" verlangt naturgemäß ein Handeln. Ohne eine solche Aktivität, ein solches Handeln, kann nichts sichergestellt werden.

f) Auch aus dem Gesamtzusammenhang und der Systematik des TV Lohn West ergibt sich, dass § 6 lediglich als schuldrechtliche Bestimmung eingeordnet werden kann.

Insoweit ist zunächst auf § 3 Abs. 2 TV Lohn-West hinzuweisen. Dort ist ausdrücklich ein Sonderlohnanspruch für bestimmte Arbeitnehmer in einem bestimmten Baubereich in einer bestimmten Höhe normiert. Dort heißt es: "Im Sonderlohngebiet Hamburg erhalten Arbeitnehmer in Fertigbaubetrieben einen jeweils um 0,04 EUR erhöhten Tarifstundenlohn bzw. Gesamttarifstundenlohn". Diese Formulierung haben die Tarifvertragsparteien in § 6 TV Lohn-West jedoch für die sonstigen, nicht in Fertigbaubetrieben tätigen Arbeitnehmer des Sonderlohngebietes Hamburg gerade nicht gewählt. Sie haben insoweit nur eine abgeschwächte Vorgabe für einen Verhandlungsauftrag an die Bezirkslohntarifvertragsparteien gemacht, nämlich sicherzustellen, dass die Lohnabstände - in welcher ausgestalteten Höhe auch immer - erhalten bleiben.

g) Etwas anderes ergibt sich entgegen der Ansicht des Klägers auch nicht aus der Anordnung des TV Lohn-West, insbesondere der Tatsache, dass § 6 TV Lohn-West nicht unmittelbar vor §§ 9 und 10 des TV Lohn-West steht. Letztere legen zweifelsfrei eine Verpflichtung der Landes- bzw. Bezirksorganisationen der Tarifvertragsparteien fest, unverzüglich die Lohntarifverträge (Lohntabellen) ihres Gesetzes nach Maßgabe dieses Tarifvertrages zu erstellen. Aus ihnen ergibt sich - was spätestens nach der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 25.01.2006 (4 AZR 552/04) nicht weiter zu vertiefen sein dürfte - eine Verpflichtung zur Führung von regionalen Tarifverhandlungen mit eigenständigem Gestaltungsspielraum. Das setzt voraus, dass in dem Sonderlohngebiet selbstgestaltende Regelungen über die Vergütung getroffen werden und nicht nur der Inhalt des TV Lohn-West für das Sonderlohngebiet neu dokumentiert wird. Auch bezüglich der §§ 9 und 10 des TV Lohn-West besteht kein Zweifel, dass sich diese Tarifregelungen an die Tarifvertragsparteien wenden, mithin schuldrechtlicher Natur sind. Auch § 6 TV Lohn-West gewährt den regionalen Tarifvertragsparteien diesen erwähnten Gestaltungsspielraum. Vor diesem inhaltlichen Hintergrund kann aus dem Standort des § 6 TV Lohn-West und der fehlenden unmittelbaren gestalterischen Nähe zu §§ 9 und 10 des TV Lohn-West nicht geschlussfolgert werden, es handele sich entgegen Wortlaut, Systematik, Sinn und Zweck um eine Norm, die unmittelbare Ansprüche der Arbeitnehmer habe begründen sollen."

Dem schließt sich die erkennende Berufungskammer vollständig an und nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen darauf ausdrücklich Bezug.

II.

Die Berufung der Beklagten ist ebenfalls unbegründet. Das Arbeitsgericht hat der Zahlungsklage bezogen auf den Hilfsantrag zu Recht stattgegeben. Der Kläger kann für die Monate April bis einschließlich Juni 2007 Vergütung nach Entgeltgruppe 4 des TV Lohn-West vom 29.7.2005 verlangen.

1. Der Anspruch ist zwar nicht mehr aus § 3 Abs. 1 und Abs. 3 TVG i. V. m. dem TV Lohn-West begründet. Denn die Beklagte wird seit dem 1.1.2006 nur noch als OT-Mitglied im Baugewerbeverband geführt. Aufgrund der Kündigung des TV LohnWest endete die tarifliche Nachbindung nach § 3 Abs. 3 TVG zum 31.03.2007.

2. Der Kläger kann den Tariflohn entsprechend dem TV Lohn-West vom 29.7.2005 in der bis zum 31.3.2007 geltenden Höhe auch über den 31.3.2007 hinaus verlangen, da der Tarifvertrag nunmehr gem. § 4 Abs. 5 TVG nachwirkt. Auch bei einem Verbandsaustritt schließt sich die Nachwirkung nach § 4 Abs. 5 TVG an das Ende der Tarifgebundenheit nach § 3 Abs. 3 TVG an (st. Rspr. d. BAG, z.B. BAG vom 23.2.2005 - 4 AZR 186/04 - EzA TVG § 3 Nr. 2 Verbandsaustritt = AP Nr. 42 zu § 4 TVG "Nachwirkung" m.w.N.; BVerfG vom 3.7.2000 - 1 BvR 945/00 - EzA TVG § 4 Nr. 29 Nachwirkung = AP Nr. 36 zu § 4 TVG "Nachwirkung"). Von dieser gefestigten Rechtsprechung abzuweichen besteht nicht Anlass.

3. Der Nachwirkung des TV Lohn-West steht auch nicht die einzelvertragliche Arbeitsvertragsänderung vom 12.7.2005 entgegen. Diese Vereinbarung ist nach § 4 Abs. 3 TVG unwirksam (a). Sie stellt auch nicht eine "andere Abmachung" gem. § 4 Abs. 5 TVG dar, soweit der Nachwirkungszeitraum des beendeten TV Lohn-West vom 29.7.2005 betroffen ist, dar (b).

a) Der Kläger konnte am 12.7.2005 weder auf seine damals aktuellen Rechte aus dem TV Lohn-West noch auf die aus einem späteren Nachfolgetarifvertrag rechtswirksam verzichten. Der Verzicht des Klägers mit Wirkung ab 1.9.2005 auf tarifliche Rechte aus dem TV Lohn-West war wegen der beiderseitigen Tarifbindung gesetzeswidrig. Nach § 4 Abs. 3 TVG sind Abmachungen, die zu Ungunsten des Arbeitnehmers getroffen werden, nur zulässig, wenn der Tarifvertrag dies gestattet oder die Tarifvertragsparteien dem zugestimmt haben. Beide Ausnahmetatbestände liegen hier nicht vor. Damit verstieß die Vereinbarung gegen ein gesetzliches Verbot mit der Folge der Nichtigkeit, § 134 BGB. Da es regelmäßig nicht dem Willen des Arbeitnehmers entspricht, eine tarifwidrige Vereinbarung nach längerer Zeit mit der Beendigung des Tarifvertrages wieder zum Aufleben gelangen zu lassen (vgl. Wiedemann/Wank, TVG, 7. Aufl., Rn. 372 zu § 4), ist der Änderungsvertrag vom 12.7.2005 nicht schwebend unwirksam, sondern nichtig.

b) Entgegen der Auffassung der Beklagten haben die Parteien mit der Vereinbarung vom 12.7.2005 auch nicht eine "andere Abmachung" getroffen, soweit der am 1.4.2007 beginnende Nachwirkungszeitraum des TV Lohn-West vom 29.7.2005 betroffen ist.

§ 4 Abs. 5 TVG sieht vor, dass die Rechtsnormen eines Tarifvertrages nach dessen Ablauf so lange weiter gelten, bis sie durch eine andere Abmachung ersetzt worden sind. Die Regelungen des Tarifvertrages gelten damit infolge der gesetzlichen Regelung weiter. Eine andere Abmachung i.S. der Vorschrift kann auch eine einzelvertragliche Vereinbarung sein (BAG v. 23.2.2005 - 4 AZR 186/04 - EzA TVG § 3 Nr. 2 Verbandsaustritt). Sie kann ausdrücklich, aber auch konkludent geschlossen werden und sogar durch Änderungskündigung erzwungen werden (LAG Baden-Württemberg vom 1.9.1997 - 15 Sa 14/97 - LAGE TVG § 4 Nr. 5 Nachwirkung). Der nicht tarifgebundene Arbeitgeber ist frei, mit seinen Arbeitnehmern andere, untertarifliche Arbeitsbedingungen zu vereinbaren. Das gilt nicht nur für neu eingestellte, sondern auch bereits angestellte Arbeitnehmer (BAG vom 27.9.2001 - 2 AZR 236/00 - EzA KSchG § 2 Nr. 44; ErfK/Franzen, Rn. 63 zu § 4 TVG).

Der Vereinbarung vom 12.7.2005 kann allerdings nicht entnommen werden, dass die Parteien die Absicht hatten, eine Regelung - zumindest auch - für den Zeitraum einer tariflichen Nachbindung zu treffen. Die Parteien haben vereinbart, dass die Änderung am 1.9.2005 in Kraft treten sollte. Dass sie statt dessen viel später greifen sollte, ergibt sich aus der Vereinbarung nicht. Auch unter Berücksichtigung der Begleitumstände kann dies nicht so verstanden werden, dass die Parteien bereits den tariflichen Nachwirkungszeitraum ab 1.4.2007 regeln wollten.

Hinzu kommt, dass der Wortlaut des § 4 Abs. 5 TVG "bis sie durch eine andere Abmachung ersetzt werden" dafür spricht, dass die andere Vereinbarung erst nach Wegfall der Tarifbindung getroffen werden kann. Das führt dazu, dass frühere während der Wirksamkeit des Tarifvertrages getroffene, ungünstigere, einzelvertragliche Vereinbarungen im Nachwirkungszeitraum nicht wieder aufleben und das Arbeitsverhältnis ab diesem Zeitraum gestalten (Däubler/ Bepler, TVG, 2. Aufl. Rn.908 zu § 4; ErfK, 8. Aufl., Rn. 78 zu § 4 TVG).

Eine Geltung der Vereinbarung vom 12.7.2005 kommt auch nicht deshalb in Betracht, weil sie erst zu einem späteren Zeitpunkt wirken sollten. Es ist zwar auch möglich, schon vor dem Nachwirkungszeitraum eine "andere Abmachung" zu treffen. Die Tarifautonomie gestattet es den Parteien eines Arbeitsvertrages, Verträge mit Wirkung für die Zukunft abzuschließen, auch um die Nachwirkung eines Tarifvertrages zu beseitigen (BAG v. 23.02.2005 - 4 AZR 186/04 - a.a.O.). Dann ist aber erforderlich, dass sich aus der Vereinbarung dieser eindeutige Regelungswille der Parteien ergibt, d.h. die Parteien müssen bei Abschluss einer derartigen Vereinbarung auch den konkreten Nachwirkungszeitraum ins Auge gefasst haben. Dies kann hier nicht festgestellt werden. Weder der Wortlaut noch die Begleitumstände des Abschlusses der Vereinbarung vom 12.7.2005 lassen dies erkennen.

Die Parteien haben vereinbart, dass die Änderung bereits ab dem 1.9.2005 gelten solle. Dies spricht dagegen, dass sie eine Regelung für eine spätere Zukunft treffen wollten. Der Beginn des Nachwirkungszeitraums stand nicht unmittelbar bevor, sondern lag in - unsicherer - Ferne. Vielmehr wurde erst nach Abschluss der Vereinbarung eine Tarifvertragsänderung beschlossen. Der Wortlaut der Vereinbarung vom 12.7.2005 spricht hingegen dafür, dass die Regelung im Hinblick auf die wirtschaftliche Situation der Beklagten abgeschlossen wurde. Dass die Beklagte die Absicht hatte, ihre Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband in eine OT-Mitgliedschaft umzuwandeln oder die Tarifbindung durch vollständigen Verbandsaustritt zu beenden, ist dort nicht festgehalten. Ob die wirtschaftliche Situation der Beklagten auch später, hier 1,5 Jahre später, noch so sein würde, war für den Kläger im Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch gar nicht absehbar. Ein Anlass, zum Erhalt des Arbeitsplatzes so frühzeitig wegen einer erst Jahre später wegfallenden Tarifbindung der Beklagten auf dann erst nachwirkende Tarifrechte zu verzichten, bestand nicht.

Dem Kläger kann auch nicht Rechtsmissbrauch vorgehalten werden. Die Beklagte hat den Kläger zu einem Zeitpunkt, in dem beide Arbeitsvertragsparteien tarifgebunden waren, zu einem Verzicht auf tarifvertragliche Ansprüche veranlasst. Dieser Verzicht verstieß gegen eindeutig geltendes Recht, damals §§ 3 Abs. 3, 4 Abs. 4 TVG.

Der TV Lohn-West vom 29.7.2005 wirkt daher weiterhin für das Arbeitsverhältnis nach. Er ist nicht durch eine andere Abmachung i. S. v. § 4 Abs. 5 TVG abgelöst worden. Dem Kläger stehen deshalb auch nach Wegfall der Tarifbindung über den 31.3.2007 hinaus die Ansprüche und Rechte aus dem TV Lohn-West vom 29.7.2005, nicht jedoch aus künftigen Tariferhöhungen, zu. Die Höhe der geltend gemachten Differenzbeträge ist für den streitbefangenen Zeitraum zwischen den Parteien unstreitig.

Der Zinsanspruch beruht auf §§ 291, 288 BGB.

III.

Die Kosten der Berufung sind der Beklagten gem. §§ 97, 92 Abs. 2 ZPO aufzuerlegen. Die Zuvielforderung des Klägers war verhältnismäßig geringfügig.

Die Revision ist wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Streitsache und, bezogen auf die Berufung der Beklagten, wegen Abweichung von dem Urteil des LAG Schleswig-Holstein vom 24.01.2008 (1 Sa 416/07) zuzulassen, § 72 Abs. 2, Ziff. 1 und 2 ArbGG.

Ende der Entscheidung

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