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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein
Beschluss verkündet am 24.11.2008
Aktenzeichen: 3 SHa 7/08
Rechtsgebiete: ZPO, ArbGG


Vorschriften:

ZPO § 36 Abs. 1 Ziff. 6
ZPO § 36 Abs. 2
ArbGG § 46 Abs. 2
ArbGG § 48 Abs. 1a
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein Beschluss

Aktenzeichen: 3 SHa 7/08

Im Verfahren zur Bestimmung des örtlich zuständigen Arbeitsgerichts

in dem Rechtstreit

hat die 3. Kammer des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein nach Anhörung der Parteien ohne mündliche Verhandlung am 24.11.2008 durch die Vorsitzende Richterin am Landesarbeitsgericht ... als Vorsitzende

beschlossen:

Tenor:

Als örtlich zuständiges Arbeitsgericht wird das Arbeitsgericht Kiel bestimmt.

Gründe:

I.

Der Kläger nahm am 01.06.2005 bei der Beklagten ein Arbeitsverhältnis als Raumpfleger auf. Er hat den Arbeitsvertrag in Kiel unterschrieben und war stets in Kiel zur Arbeitsleistung eingesetzt. Das ergibt sich allerdings nicht aus dem zur Akte gereichten Arbeitsvertrag. Die Beklagte betreibt eine Niederlassung in Hamburg. Sie sprach am 05.08.2008 eine Kündigung aus, gegen die der Kläger beim Arbeitsgericht Kiel Kündigungsschutzklage erhob. Angaben zur örtlichen Zuständigkeit des Arbeitsgerichts Kiel enthält die Klage nicht.

Mit am Freitag, den 29. August 2008 zur Post gegebener Verfügung hat das Arbeitsgericht Kiel die Parteien darauf hingewiesen, dass der in der Klagschrift angegebene Sitz der Beklagten zum Arbeitsgerichtsbezirk Hamburg gehört. Es wurde Gelegenheit zur Stellungnahme binnen einer Woche gegeben, worauf sich die örtliche Zuständigkeit des Arbeitsgerichts Kiel gründe (Bl. 9 d. A.). Das Schreiben wurde der Beklagten am Montag, den 01.09.2008 zugestellt. Mit Datum vom 08.09.2008 - ein Montag -hat das Arbeitsgericht Kiel sich für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtstreit an das Arbeitsgericht Hamburg verwiesen. Der Beschluss ist am 10.09.2008 ausgefertigt worden. Davor ging in der Nacht vom 08.09.2008 um 22.25 Uhr per Fax die Stellungnahme der Klägervertreterin zur örtlichen Zuständigkeit ein, in der die Anrufung des Arbeitsgerichts Kiel aufrecht erhalten wurde. Es wurde unter anderem darauf hingewiesen, dass der Kläger seinen Arbeitsvertrag seinerzeit in Kiel abgeschlossen hat. Für den Fall, dass das Gericht dennoch zu dem Ergebnis gelangen solle, es sei unzuständig, wurde Antrag auf Verweisung an das zuständige Gericht gestellt. (Bl. 13 d. A.).

Das Arbeitsgericht Hamburg hat die Parteien zum Vorliegen der Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 a ArbGG angehört. Die Beklagte hat schriftsätzlich klargestellt, dass der Kläger stets in Kiel eingesetzt wurde. Daraufhin hat sich das Arbeitsgericht Hamburg mit Beschluss vom 16. Oktober 2008 ebenfalls für örtlich unzuständig erklärt und dem Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein den Rechtstreit zur Bestimmung des örtlich zuständigen Arbeitsgerichts vorgelegt. Das ist im Wesentlichen mit der Begründung geschehen, das Arbeitsgericht Kiel sei entgegen seiner ursprünglichen Annahme unter dem Gesichtspunkt des gewöhnlichen Arbeitsortes im Sinne des § 48 Abs. 1a ArbGG von Anfang an örtlich zuständig gewesen. Die Verweisung an das Arbeitsgericht Hamburg sei offensichtlich gesetzwidrig, da der Verweisungsbeschluss bereits vor Ablauf der Frist zur Stellungnahme erlassen worden sei. Der Beschluss beruhe auf Verletzung rechtlichen Gehörs und gebotener Aufklärungspflicht. Daher sei er offensichtlich gesetzwidrig und ohne Bindungswirkung für das Arbeitsgericht Hamburg. Deshalb sei das wirklich zuständige Gericht zu bestimmen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den ausführlichen Beschluss des Arbeitsgerichts Hamburg vom 18. Oktober 2008 sowie den Akteninhalt verwiesen.

II.

1. Die Zuständigkeit des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein zur Bestimmung des örtlich zuständigen Arbeitsgerichts ergibt sich aus §§ 36 Abs. 1 Ziff. 6, 36 Abs. 2 ZPO i. V. m. § 46 Abs. 2 ArbGG. Arbeitsgericht Kiel und Arbeitsgericht Hamburg haben sich jeweils für örtlich unzuständig erklärt. Das nächst höhere gemeinschaftliche Gericht dieser Arbeitsgerichte wäre das Bundesarbeitsgericht. Daher ist gemäß § 36 Abs. 2 ZPO das zuständige Gericht durch das Rechtsmittelgericht zu bestimmen, zu dessen Bezirk das zuerst mit der Sache befasste Gericht gehört.

2. Örtlich zuständig ist das Arbeitsgericht Kiel. Dessen Verweisungsbeschluss bindet das Arbeitsgericht Hamburg nicht.

a) Zwar sind rechtskräftige Verweisungsbeschlüsse für das Gericht, an das der Rechtstreit verwiesen wird, grundsätzlich bindend. Das ergibt sich aus § 48 Abs. 1 Ziff. 1 ArbGG i. V. m. § 17 a Abs. 2 S. 3 GVG. Diese bindende Wirkung ist auch im Bestimmungsverfahren des § 36 Ziff. 6 ZPO zu beachten. Nur so kann der Zweck des § 17 a Abs. 2 S. 3 GVG erreicht werden, unnötige und zu Lasten der Parteien gehende Zuständigkeitsstreitigkeiten zu vermeiden. Das bedeutet: Regelmäßig ist dasjenige Gericht als zuständig zu bestimmen, an das die Sache durch den ersten Verweisungsbeschluss gelangt ist (vergl. nur BAG vom 14.01.1994 - 5 AS 22/93 - zitiert nach JURIS, Rz. 8 m. w. N.). Das wäre das Arbeitsgericht Hamburg.

b) Auch fehlerhafte Verweisungsbeschlüsse sind grundsätzlich bindend. Lediglich eine offensichtlich gesetzwidrige Verweisung kann diese Bindungswirkung nicht entfalten (BAG a. a. O.). Offensichtlich gesetzwidrig ist ein Verweisungsbeschluss dann, wenn er jeder Rechtsgrundlage entbehrt, willkürlich gefasst ist oder auf der Versagung rechtlichen Gehörs gegenüber den Verfahrensbeteiligten oder einem von ihnen beruht (BAG vom 1. Juli 1992 - 5 AS 4/92; BAG vom 14. Januar 1994 - 5 AS 22/93, Rz. 9 - jeweils zitiert nach JURIS, mwN).

c) Vor diesem rechtlichen Hintergrund erweist sich der Verweisungsbeschluss des Arbeitsgerichts Kiel als offensichtlich gesetzwidrig.

aa) Grundsätzlich konnte sowohl das Arbeitsgericht Kiel als auch das Arbeitsgericht Hamburg als für den vorliegenden Kündigungsrechtstreit örtlich zuständiges Gericht angerufen werden. Die Beklagte hat ihren Sitz in Hamburg, so dass das Arbeitsgericht Hamburg gemäß § 17 ZPO zuständig wäre. Die Zuständigkeit des Arbeitsgerichts Kiel ergibt sich nach der Zuständigkeit des gewöhnlichen Arbeitsortes aus § 48 Abs. 1 ArbGG und darüber hinaus gegebenenfalls aus der Zuständigkeit des Erfüllungsortes nach § 29 ZPO, was vorliegend dahingestellt sein kann.

Gemäß § 48 Abs. 1 a ArbGG ist das Arbeitsgericht auch für Streitigkeiten zuständig, in dessen Bezirk der Arbeitnehmer gewöhnlich seine Arbeit verrichtet oder zuletzt gewöhnlich verrichtet hat. Unerheblich ist, ob an dem Ort der Arbeitsleistung eine räumliche Verfestigung der Betriebsstruktur des Arbeitgebers besteht. Arbeitsort ist der Ort, der tatsächlicher Mittelpunkt der Berufstätigkeit des Arbeitnehmers ist.

bb) Der tatsächliche Arbeitseinsatz des Klägers hat stets in Kiel in der ... schule S. stattgefunden. Dort hat er auch seinen Arbeitsvertrag unterschrieben. Damit liegen die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 a ArbGG vor.

cc) Der Kläger hat mit der Einreichung der Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht Kiel den Gerichtsstand des gewöhnlichen Arbeitsortes gewählt, auch wenn er zu dieser Wahl - zunächst - keine näheren Ausführungen gemacht hat. Unter mehreren zuständigen Gerichten hat der Kläger die Wahl (§ 35 ZPO). Die Ausübung der Wahl erfolgt durch Klagerhebung. Die fehlerfrei getroffene Wahl ist bindend.

d) Der gleichwohl vom Arbeitsgericht Kiel anscheinend mangels detaillierter Darlegung des Vorliegens der Zuständigkeitsvoraussetzungen des § 48 Abs. 1 a ArbGG erlassene Verweisungsbeschluss entfaltet keine Bindungswirkung, weil er offensichtlich gesetzwidrig ist. Er beruht auf der Versagung rechtlichen Gehörs gegenüber dem Kläger.

aa) Es verstößt grundsätzlich gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn ein Gericht - auch versehentlich - vor Ablauf einer einem Beteiligten gesetzten Äußerungsfrist entscheidet (Bundesverfassungsgericht vom 30.06.1976 - 2 BVR 164/76 - zitiert nach JURIS). Ein Gericht muss eine von ihm selbst gesetzte Frist auch dann abwarten, wenn ihm die Sache entscheidungsreif erscheint (Bundesverfassungsgericht vom 24.01.1961 - 2 BVR 402/60 - zitiert nach JURIS).

bb) Das Arbeitsgericht Kiel hat gegen Art. 103 Abs. 1 GG verstoßen, indem es den Rechtstreit an das Arbeitsgericht Hamburg verwiesen hat, ohne die Frist abgewartet zu haben, die es beiden Parteien selbst zur Begründung der örtlichen Zuständigkeit gesetzt hatte. Die Anfrage vom 28.08.2008 bezüglich etwaiger Gründe für eine Zuständigkeit des Arbeitsgerichts Kiel ist beiden Parteien sowohl unter tatsächlichen als auch unter rechtlichen Gesichtspunkten erst am Montag, den 1. September 2008 zugegangen. Damit lief die vom Arbeitsgericht Kiel gesetzte Frist zur Stellungnahme von einer Woche frühestens am Montag, den 8. September 2008 um 24.00 Uhr ab (§ 193 BGB). Der Verweisungsbeschluss ist bereits am 8. September 2008 vor Ablauf dieser Frist erlassen worden und hat damit dem Kläger sein Recht auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG abgeschnitten. Das gilt auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass nach der richterlichen Entscheidungsfindung, aber vor der Ausführung des Verweisungsbeschlusses die schriftsätzliche Stellungnahme der Klägervertreterin einging und zur Akte gelangte. Der Akte und der Verfügung des Vorsitzenden vom 09.09.2008 lässt sich keinerlei Anhaltspunkt entnehmen, dass das schriftsätzliche Vorbringen nach seiner Entscheidungsfindung von ihm noch berücksichtigt wurde.

cc) Zudem hätte selbst dann angesichts etwaiger verbleibender restlicher Unklarheiten gemäß § 139 Abs. 1 S. 2 ZPO i. V. m. § 46 Abs. 2 ArbGG die Verpflichtung zur Aufklärung verbleibender Zweifel an der Zuständigkeit bestanden. Es war aktenkundig, dass der Kläger in Kiel wohnt. Es war seit dem 08.09.2008 - 22.22 Uhr - auch aktenkundig, dass der Kläger seinen Arbeitsvertrag in Kiel abgeschlossen hat. Es war ebenso aktenkundig, dass der Kläger als Raumpfleger gearbeitet hat. Es war damit greifbar naheliegend, dass der Kläger den Arbeitsvertrag an seinem Arbeitsort unterschrieben hat, denn eine offizielle Niederlassung der Beklagten existiert in Kiel nicht und es widerspricht jeder Lebenserfahrung, dass die Arbeitgeberin dem Kläger den Arbeitsvertrag zur Unterzeichnung von Hamburg aus in die Wohnung gebracht haben könnte.

dd) Daher beruht auch der Verweisungsbeschluss auf der Verletzung rechtlichen Gehörs gegenüber dem Kläger. Das Arbeitsgericht Kiel durfte sich nicht über die vom Kläger im Zusammenhang mit der Klagerhebung getroffene und nochmals mit Schriftsatz vom 08.09.2008 erläuterte Auswahl des örtlich zuständigen Gerichtes hinwegsetzen.

Aus diesen Gründen ist das Arbeitsgericht Kiel als das gemäß § 78 Abs. 1 a ArbGG zuständige Gericht zu bestimmen.

Gegen diesen Beschluss ist ein Rechtsmittel nicht gegeben. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen nicht vor.

Ende der Entscheidung

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