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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein
Urteil verkündet am 01.07.2009
Aktenzeichen: 3 Sa 134/09
Rechtsgebiete: ArbGG, StPO, KSchG, BetrVG


Vorschriften:

ArbGG § 72a
StPO § 170 Abs. 2
KSchG § 1 Abs. 2 S. 1
BetrVG § 102 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein Im Namen des Volkes Urteil

Aktenzeichen: 3 Sa 134/09

Verkündet am 01.07.2009

In dem Rechtsstreit

hat die 3. Kammer des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein auf die mündliche Verhandlung vom 01.07.2009 durch die Vorsitzende Richterin am Landesarbeitsgericht ... als Vorsitzende und d. ehrenamtliche Richterin ...als Beisitzerin und d. ehrenamtliche Richterin ... als Beisitzerin

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Kiel vom 19.02.2009 - öD 2 Ca 1578 c/08 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer fristgemäßen Kündigung anlässlich von Tätlichkeiten im Dienst.

Der Kläger ist am ...1970 geboren, verheiratet und drei Kindern gegenüber zum Unterhalt verpflichtet. Er nahm am 15.05.2006, zunächst im Rahmen eines befristeten Arbeitsverhältnisses, ab 1. Juni 2008 unbefristet eine Tätigkeit als Omnibuseinmannfahrer bei der Beklagten auf.

Mit Datum vom 14.08.2008 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristgemäß zum 30.09.2008. Der Kündigung liegt folgender Vorfall zugrunde:

Am Morgen des 16.07.2008 lenkte der Kläger einen Bus der Linie .... Nachdem er an einer Haltestelle etwa zwei Minuten gewartet hatte, sprang die Ampel auf Grün um. Der Kläger fuhr mit dem Bus los. In diesem Moment liefen drei Jugendliche im Alter von 16 - 17 Jahren auf den Bus zu und riefen: "Wir wollen mitfahren, es ist deine Pflicht, zu halten, du Hurensohn." Der Kläger bemerkte, dass der Bus dabei mit Gegenständen beworfen und getroffen wurde. Womit, ist unklar.

Der Kläger stoppte nach ca. 50 Metern den Bus an der Haltestelle ..., verließ seinen Fahrerplatz, stieg aus in Richtung der drei ebenfalls herannahenden Jugendlichen und stellte diese zur Rede. Sie bauten sich um ihn auf und bezeichneten ihn unter anderem als "Arschloch". Einem der Jugendlichen versetzte der Kläger dann eine Ohrfeige. Anschließend begab er sich wieder zurück in den Bus und fuhr los. Die Jugendlichen beschimpften den Kläger erneut übel.

Die Beklagte hat unstreitig während der Dauer der Beschäftigung des Klägers keinerlei Deeskalationsschulungen im Betrieb durchgeführt.

Der Kläger unterrichtete die Beklagte einen Tag später über diesen Vorfall und entschuldigte sich (Bl. 16 d. A.). Am 05.08.2008 wurde er in Anwesenheit von zwei Betriebsratsmitgliedern angehört (Bl. 17 f. d. A.). Im Zuge dessen gelang es der Beklagten, einen Zeugen, der sich gemeldet hatte aber keinem Vorgang zugeordnet werden konnte, diesem Vorfall zuzuordnen. Er wurde noch am 05.08.2008 um Stellungnahme gebeten.

Am 07.08.2008 hörte die Beklagte den Betriebsrat zum Ausspruch einer beabsichtigten verhaltensbedingten fristgerechten Kündigung an (Anlage B 6, Bl. 35 f. d. A.). Zu diesem Zeitpunkt lag noch keine Rückmeldung des Zeugen vor. Mit Datum vom 12.08.2008 verweigerte der Betriebsrat ausdrücklich die Zustimmung (Anlage B 7; Bl. 21 d. A.). Am gleichen Tage erinnerte die Beklagte den Zeugen an die Hergabe der erbetenen Aussage (Bl. 80 d. A.). Diese ging sodann am 14.08.2008 ein (Bl. 29 d. A.). Am gleichen Tag erhielt der Kläger die streitbefangene fristgemäße Kündigung zum 30.09.2008 (Bl. 4 d. A.).

Ein gegen den Kläger eingeleitetes strafrechtliches Ermittlungsverfahren wurde gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt.

Das Arbeitsgericht hat die fristgemäß erhobene Kündigungsschutzklage abgewiesen. Das ist im Wesentlichen mit der Begründung geschehen, der tätliche Angriff auf einen potentiellen Fahrgast stelle eine gravierende arbeitsvertragliche Pflichtverletzung dar. Die Ohrfeige werde auch durch die zweifelsfrei vorliegende Provokation nicht zur Bagatelle. Der Kläger habe anstelle des Faustrechts die Polizei anrufen müssen. Auseinandersetzungen der vorliegenden Art müssten im Interesse ungehinderter Betriebsabläufe, des Ansehens des Verkehrsbetriebes in der Öffentlichkeit, aber insbesondere auch mit Rücksicht auf die Sicherheit anderer Fahrgäste unterbunden werden. Da der Kläger mit der Ohrfeige deutlich die Grenze überschritten habe, die von ihm als Busfahrer erkennbar einzuhalten gewesen sei, sei eine vorherige Abmahnung entbehrlich gewesen. Die Betriebsratsanhörung sei ordnungsgemäß erfolgt.

Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf Tatbestand, Anträge und Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils vom 19.02.2009 verwiesen. Gegen diese dem Kläger am 24.03.2009 zugestellte Entscheidung hat er am 21.04.2009 Berufung eingelegt, die am Montag, dem 25.05.2009 begründet wurde.

Der Kläger ergänzt und vertieft im Wesentlichen sein erstinstanzliches Vorbringen. Seines Erachtens ist die Kündigung unverhältnismäßig. Der Kläger habe sich in einer Konfliktlage befunden. Er habe den Schaden inspizieren und ggf. den Verursacher feststellen müssen. Deshalb sei er ausgestiegen. Danach sei er bedroht und beleidigt worden. Im Zuge dessen habe er sich leider zu der Ohrfeige hinreißen lassen. Im Rahmen der Interessenabwägung sei zu berücksichtigen, dass der Kläger von den Jugendlichen angegriffen worden sei; er zum Zwecke der Schadensermittlung den Bus habe verlassen müssen und die Beklagte ihm auch keinerlei Deeskalationstraining habe zukommen lassen. Die Betriebsratsanhörung sei zudem unwirksam, da die Beklagte den Eingang der Zeugenaussage habe abwarten müssen.

Der Kläger beantragt,

1. das angefochtene Urteil des Arbeitsgerichts Kiel vom 19.02.2009 abzuändern und festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 14.08.2008 nicht beendet wird.

2. Im Falle des Obsiegens mit dem Antrag zu 1 wird die Beklagte verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Busfahrer weiter zu beschäftigen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil sowohl in tatsächlicher als auch in rechtlicher Hinsicht für zutreffend. Die Beleidigungen der drei Jugendlichen rechtfertigten die Ohrfeige des Klägers nicht. Die fristgemäße Kündigung sei verhältnismäßig. Die Betriebsratsanhörung sei ordnungsgemäß.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens wird auf den mündlich vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die Berufung ist zulässig. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und innerhalb der Berufungsbegründungsfrist auch begründet worden.

II.

In der Sache konnte die Berufung jedoch keinen Erfolg haben. Mit ausführlicher, überzeugender Begründung hat das Arbeitsgericht die Kündigungsschutzklage abgewiesen und insbesondere darauf abgestellt, dass die Ohrfeige, die der Kläger dem Jugendlichen, der ihn beleidigte, gegeben hat, auch unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten zum Ausspruch einer fristgerechten Kündigung berechtigt. Dem folgt das Berufungsgericht. Zur Vermeidung von überflüssigen Wiederholungen wird auf die ausführlichen Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils verwiesen (§ 69 Abs. 2 ArbGG). Lediglich ergänzend und auch auf den neuen Vortrag der Parteien eingehend wird Folgendes ausgeführt:

1. Gemäß § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG ist eine Kündigung ungerechtfertigt, die nicht durch Gründe, die im Verhalten der Person liegen, bedingt ist.

Hat ein Arbeitnehmer gegen Pflichten aus dem Arbeitsvertrag verstoßen, kommt eine verhaltensbedingte Kündigung in Betracht, soweit sie verhältnismäßig ist. Tätlichkeiten im Zusammenhang mit der Verrichtung der Arbeitsleistung stellen regelmäßig eine gewichtige Verletzung der arbeitsvertraglichen Pflichten dar. Der Arbeitgeber ist verpflichtet, dafür zu sorgen, dass potentielle Kunden, Fahrgäste, Vertragspartner keinen Tätlichkeiten, ausgesetzt sind, die von eigenen Arbeitnehmern bei Ausübung ihrer Arbeitsleistung ausgehen. Dabei ist auch eine etwaige Außenwirkung zu berücksichtigen. Derartige Tätlichkeiten, die nicht betriebsintern, vielmehr mit Außenwirkung gegenüber externen Dritten stattfinden, können besonders fatale Auswirkungen für den Arbeitgeber haben. Sie können beispielsweise zu einer kaum noch steuerbaren Rufschädigung führen, sofern der Arbeitgeber Derartiges nicht unterbindet bzw. mit personellen Maßnahmen ahndet.

2. Dem Kläger ist auch selbst klar, dass er eine arbeitsvertragliche Pflichtverletzung begangen hat. Das hat er zweifelsfrei eingeräumt und sich hierfür entschuldigt.

3. Die fristgemäße Kündigung ist vorliegend unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalles auch gerechtfertigt. Sie ist - obgleich der Kläger unstreitig beleidigt und provoziert wurde - verhältnismäßig. Eine vorherige Abmahnung war nicht erforderlich.

Der Kläger ist zwar zweifelsfrei von den Jugendlichen provoziert worden. Er hätte jedoch die weitere Eskalation und damit letztendlich auch die Ohrfeige verhindern können und müssen. Hätte der Kläger den fahrenden Bus nicht noch einmal angehalten, wäre es weder zu weiteren Beleidigungen seitens der Jugendlichen gekommen noch zu der Ohrfeige des Klägers. Seine gewählte Vorgehensweise ist ihm anzulasten, denn sie wäre letztendlich nicht notwendig gewesen. Der Kläger hätte weiterfahren können. Ausgehend von den in der Akte befindlichen und in der Berufungsverhandlung erfolgten Schilderungen des Sachverhalts ist die Kammer davon überzeugt, dass der Kläger ausgestiegen ist, um die Jugendlichen zur Rede zu stellen und nicht, um etwaige Schäden festzustellen. Der Kläger hat nämlich sowohl nach eigener Darstellung als auch nach den Angaben des Zeugen auch nicht ansatzweise damit begonnen, nachzuschauen, welche Gegenstände auf den Bus geworfen wurden und ob diese ggf. Beschädigungen hervorgerufen haben. Er hat vielmehr sofort die Jugendlichen "zur Rede gestellt". Das war daher der maßgebliche Grund des erneuten Anhaltens.

Auch wenn die Kammer mit dem Kläger davon ausgeht, dass niemand zu akzeptieren braucht, von Jugendlichen mit derartigen Beleidigungen beschimpft zu werden, macht es bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit/Steuerbarkeit der Reaktion nach Ansicht der Kammer doch schon einen Unterschied, ob der Arbeitnehmer ohne weitere Überlegungen, quasi in Sekundenschnelle, Schlag auf Schlag auf eine Provokation mit einer Tätlichkeit reagiert hat, oder ob noch objektiv steuerbare Zwischenschritte zwischen der ersten Beleidigung und der Tätlichkeit liegen. Der Kläger hätte vorliegend vermeiden können und vermeiden müssen, dass er weiter provoziert wird. Das wäre ohne weiteres dadurch möglich gewesen, dass er "auf Durchzug" geschaltet hätte und mit dem Bus weiter gefahren wäre.

4. Die Kammer verkennt nicht, dass kein Mensch perfekt ist. Insoweit sieht die Kammer Anlass, die Beklagte nachdrücklich anzuhalten, den Arbeitnehmern wieder ein Deeskalationstraining zur Verfügung kommen zu lassen. Als Arbeitgeberin kann die Beklagte heute angesichts steigender Aggressivität, Distanzlosigkeit und zunehmender dreister, beleidigender Provokationen unter Außerachtlassung jeglicher menschlicher Wertschätzung seines Gegenübers, den Busfahrern nach Einweisung nicht nur schlicht abverlangen, dass sie mit Provokationen und Beleidigungen immer rational umgehen können und sich nicht provozieren lassen. Es ist unter Fürsorgegesichtspunkten vielmehr heute mehr denn je geboten Arbeitnehmern, die im Publikumsverkehr regelmäßig solchen Provokationen ausgesetzt sind, ein Deeskalationstraining zukommen zu lassen, damit es nicht ihrem Charakter und ihrer aktuellen persönlichen Befindlichkeit und "Schmerzgrenze" überlassen ist, ob es zu provozierten Reaktionen kommt. Hier sieht die Kammer Defizite bei der Beklagten. Auch sie steht insoweit als Arbeitgeberin in der Pflicht, es nicht dem Zufall zu überlassen, ob ihre Arbeitnehmer derartigen Situationen gewachsen sind. Sie hat insoweit unter Fürsorgegesichtspunkten vielmehr schulend einzugreifen.

5. Dass sie dieses unterlassen hat, wirkt sich vorliegend nur deshalb nicht auf die Rechtmäßigkeit der Kündigung aus, weil der Kläger nicht mehr nur "spontan", aus dem Augenblick heraus nach der ersten Provokation mit der Ohrfeige reagiert hat, vielmehr noch einmal durch das Anhalten und Aussteigen direkt in den Konflikt gegangen ist. Damit aber ist die Grenze, die der Kläger als Busfahrer hätte einhalten müssen, in jedem Fall deutlich überschritten worden, zumal keine Schadensaufklärung begonnen wurde. Diese erscheint der Kammer eher als Schutzbehauptung.

Angesichts dessen war auch unter Berücksichtigung der Betriebszugehörigkeit und der Unterhaltspflichten sowie der vorangegangenen Provokation die fristgemäße Kündigung des Arbeitsverhältnisses berechtigt.

6. Auch die Betriebsratsanhörung ist gemäß § 102 Abs. 1 BetrVG ordnungsgemäß erfolgt. Die Mitteilungspflicht des Arbeitgebers bei der Betriebsratsanhörung ist subjektiv determiniert. Der Arbeitgeber ist lediglich verpflichtet, dem Betriebsrat die Kündigungsgründe und die Informationen mitzuteilen, die er seinem Kündigungsentschluss zugrundelegt. Die Beklagte hat den Kündigungsentschluss jedoch bereits zu einem Zeitpunkt gefasst, als die Zeugenaussage noch nicht vorlag. Sie hat die Kündigungsentscheidung damit nicht vom Inhalt der Zeugenaussage abhängig gemacht. Angesichts dessen war es auch nicht notwendig, den Betriebsrat erst anzuhören, nachdem die Zeugenaussage vorlag.

7. Aus den genannten Gründen ist die Kündigungsschutzlage zu Recht abgewiesen worden. Die Berufung war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.

Die Voraussetzungen des § 72 Abs. 2 ArbGG liegen nicht vor, so dass die Revision nicht zuzulassen war. Vorliegend handelt es sich ausschließlich um eine Einzelfallentscheidung.

Ende der Entscheidung

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