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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein
Urteil verkündet am 08.10.2008
Aktenzeichen: 3 Sa 254/08
Rechtsgebiete: TVG, TV Lohn/West Bauhauptgewerbe


Vorschriften:

TVG § 4 Abs. 1
TV Lohn/West Bauhauptgewerbe § 2 Abs. 5
1. Für die nicht regionalspezifischen Sonderlohngruppen des Bauhauptgewerbes ist der jeweilige Bundestarifvertrag im Baugewerbe TV Lohn/West anzuwenden, soweit und solange ein gekündigter Bezirkslohntarifvertrag für das Bauhauptgewerbe im Land Schleswig-Holstein nicht durch einen neu gefassten Bezirkslohntarifvertrag ersetzt wird.

2. Aufgrund des Anwendungstarifvertrages vom 23.Mai 1990 gilt dieses auch für die Mitgliedsfirmen der aus dem Baugewerbeverband Schleswig-Holstein ausgetretenen Innung des Baugewerbes Neumünster. Das ergibt die Auslegung dieses Tarifvertrages.


Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein Im Namen des Volkes Urteil

Aktenzeichen: 3 Sa 254/08

Verkündet am 08.10.2008

In dem Rechtsstreit

hat die 3. Kammer des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein auf die mündliche Verhandlung vom 08.10.2008 durch die Vorsitzende Richterin am Landesarbeitsgericht ... als Vorsitzende und d. ehrenamtlichen Richter ... als Beisitzer und d. ehrenamtliche Richterin ... als Beisitzerin

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Neumünster vom 23.05.2008 - 1 Ca 1092 b/07 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um einen Anspruch auf Tariflohn für April bis Juli 2007 sowie auf 13. Monatseinkommen.

Der Kläger war bei der Beklagten vom 06.06.2006 bis zum 18.07.2007 als Fliesenleger beschäftigt. Er erhielt einen mündlich vereinbarten Stundenlohn von 13,54 EUR brutto. Der Kläger ist Mitglied der IG Bauen-Agrar-Umwelt.

Die Beklagte ist nicht Mitglied des Baugewerbeverbandes Schleswig-Holstein, sondern nur Mitglied der Innung des Baugewerbes N.. Letztere ist Ende der 80er Jahre aus Anlass innerorganisatorischer Streitigkeiten aus dem Baugewerbeverband Schleswig-Holstein ausgetreten. Sie hat dann mit der Industriegewerkschaft Bau-Steine-Erden (IG BSE) am 23. Mai 1990 einen Tarifvertrag über die Anwendung der Tarifverträge des Bauhauptgewerbes (im Folgenden: AnwendungsTV) geschlossen, um die fehlende Tarifbindung der Mitglieder der Innung des Baugewerbes N. herbeizuführen. Dort heißt es auszugsweise wie folgt:

"§ 2 Leistungen

Es gelten alle allgemeinverbindlichen Tarifverträge des Bauhauptgewerbes sowie alle nachfolgend aufgeführten Tarifverträge für das Bauhauptgewerbe in der jeweils geltenden Fassung:

Gewerbliche Arbeitnehmer

1. Bezirkslohntarifvertrag und Ausbildungsvergütungen für das Bauhauptgewerbe im Land Schleswig-Holstein

2. Tarifvertrag über die Gewährung eines Teiles eines 13. Monatseinkommens zugunsten der gewerblichen Arbeitnehmer im Baugewerbe

3. Tarifvertrag über die Gewährung vermögenswirksamer Leistungen zugunsten der gewerblichen Arbeitnehmer im Baugewerbe

4. Tarifvertrag über die Auslösungssetze für alle gewerblichen Arbeitnehmer des Baugewerbes

Angestellte .....

§ 3 Inkrafttreten und Laufdauer

Dieser Tarifvertrag tritt am 1. April 1990 in Kraft ...

Die Parteien sind sich einig, dass, wenn sich die Zugehörigkeit der Tarifvertragsparteien dieses Vertrages zu den Tarifvertragsparteien des Baugewerbes verändert, dieser Tarifvertrag ohne Kündigung endet.

Werden für das Bauhauptgewerbe andere als die in diesem Vertrag aufgeführten Verträge abgeschlossen, so verpflichten sich die Tarifvertragsparteien dieses Tarifvertrages, unverzüglich in Verhandlungen hierüber einzutreten." (Bl. 31 - 33 d. A.).

Der Anwendungstarifvertrag ist ungekündigt.

Im Baugewerbe gibt es folgende Besonderheit: Seit Jahrzehnten vereinbaren die bundesweit agierenden Spitzenorganisationen des Baugewerbes und der Bauindustrie ausgehend von den im Bundesrahmentarifvertrag festgelegten Berufsgruppen die jeweilige Vergütung in den Lohntarifverträgen (TV Lohn/West). Ergänzend hierzu vereinbaren die Landes- und Bezirksorganisationen der bauwirtschaftlichen Tarifvertragsparteien sogenannte Bezirkslohntarifverträge auf Landesebene, um zusätzlich regionale Besonderheiten erfassen zu können und zu erfassen. Neben der Übernahme der zentral vorgegebenen Vergütungsregelungen wurden in diesen regionalen Bezirkslohntarifverträgen ergänzend sogenannte Sonderlohngruppen geregelt, die für bestimmte besondere regionale Berufe beziehungsweise Tätigkeiten abweichende Stundenlöhne vorsahen. Um diese regionale Umsetzung zu gewährleisten, bestimmt § 8 TV Lohn/West, dass die Landes- bzw. Bezirksorganisationen der Tarifvertragsparteien verpflichtet sind, unverzüglich die Bezirkslohntarifverträge ihres Gebietes nach Maßgabe dieses Tarifvertrages zu erstellen (vgl. Bl. 49 d. A.). Nach § 10 TV Lohn/West (Inkrafttreten und Laufdauer) gilt eine Kündigung des TV Lohn/West auch als Kündigung der aufgrund dieses Tarifvertrages erstellten Bezirkslohntarifverträge (vgl. Bl. 50 d. A.). Der TV Lohn/West ist nicht allgemeinverbindlich.

Der letzte Bezirkslohntarifvertrag Schleswig-Holstein datiert vom 01.04.2000 und wurde durch die Kündigung des TV Lohn/West zum 31.03.2002 mit gekündigt. Seither ist kein neuer Bezirkslohntarifvertrag im Tarifgebiet Schleswig-Holstein/Hamburg zustande gekommen. Der in diesem Bezirkslohntarifvertrag ausgewiesene Gesamttarifstundenlohn für Fliesenleger belief sich auf 28,24 DM bzw. 14,44 EUR. Der Betrag ist identisch mit dem für Fliesenleger festgelegten GTL im TV Lohn/West in der zum 31.03.2002 gekündigten Fassung.

Die letzte Fassung des TV Lohn/West datiert vom 20.08.2007 und legt die Stundenlöhne mit Wirkung ab 01.04.2007 fest. In Anwendung dieses TV Lohn/West ergäbe sich für den Kläger nach § 2 als Fliesenleger ein Gesamttarifstundenlohn (GTL) der Lohngruppe 4 in Höhe von 15,04 EUR brutto. Diesen begehrt der Kläger für den Zeitraum 01.04.2007 bis zu seinem Ausscheiden am 18.07.2007. Für den Monat April sind unstreitig 160 Stunden zu vergüten (Bl. 6 d. A.); für Mai und Juni jeweils 168 Stunden (Bl. 8, 9 d. A.) für Juli 80 Stunden (Bl. 10 d. A.). Die Beklagte hat diese Stunden jeweils nur mit dem vereinbarten Stundenlohn von 13,54 EUR entlohnt.

Der Kläger begehrt darüber hinaus in Anwendung des Tarifvertrages über die Gewährung eines 13. Monatseinkommens im Baugewerbe für die Dauer seiner Beschäftigungszeit restliches 13. Monatseinkommen in Höhe von 889,35 EUR brutto. Die Beklagte hat ihm nur 217,97 EUR brutto gezahlt.

Der Kläger hat mit Schreiben vom 28.06.2007 (Bl. 4 d. A.) für die Monate April und Mai 2007 die Differenz zwischen dem Tarifstundenlohn sowie die Differenz zwischen dem im Jahr 2006 gezahlten anteiligen 13. Monatseinkommen und dem tarifvertraglichen Anspruch geltend gemacht. Mit der Klage vom 27.08.2007 hat er die Ansprüche weiterverfolgt und darüber hinaus die Differenzbeträge für Juni 2007 und Juli 2007 sowie das restliche tarifvertragliche 13. Monatseinkommen begehrt.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 1.753,35 EUR brutto zuzüglich Verzugszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 30.08.2007 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das ist im Wesentlichen mit der Begründung geschehen, die Tarifvertragsparteien des AnwendungsTV hätten nach dem Austritt der Innung des Baugewerbes N. aus dem Baugewerbeverband des Landes Schleswig-Holstein die fehlende Tarifbindung der Mitglieder im Hinblick auf die Lohnhöhe der gewerblichen Arbeitnehmer des Bauhauptgewerbes lückenlos ersetzen wollen. Deshalb sei mittels ergänzender Vertragsauslegung auf den jeweils aktuellen TV Lohn/West zurückzugreifen. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf das erstinstanzliche Urteil des Arbeitsgerichts vom 23.05.2008 Bezug genommen.

Gegen diese der Beklagten am 03.07.2008 zugestellte Entscheidung legte sie am 16.07.2008 Berufung ein, die am 24.07.2008 begründet wurde.

Sie ergänzt und vertieft im Wesentlichen ihr erstinstanzliches Vorbringen. Sie bestreitet die Forderung dem Grunde und der Höhe nach. Sie bestreitet ferner, dass die IG Bauen-Agrar-Umwelt Rechtsnachfolgerin der Industriegewerkschaft Bau-Steine-Erden Landesverband Nordmark ist. In dem AnwendungsTV vom 23. Mai 1990 sei lediglich der Bezirkslohntarifvertrag für das Bauhauptgewerbe im Land Schleswig-Holstein in der jeweils gültigen Fassung in Bezug genommen worden, nicht jedoch der TV Lohn/West. Bei diesem handele es sich um einen anderen Vertrag. Hinsichtlich anderer Verträge enthalte der AnwendungsTV in § 3 Abs. 3 S. 3 lediglich die Verpflichtung der Tarifvertragsparteien, unverzüglich in Verhandlungen einzutreten. Die Regelungslücke könne daher nicht durch ergänzende Vertragsauslegung geschlossen werden, sondern nur durch Nachverhandlung der Tarifvertragsparteien. Im Übrigen seien die Forderungen des Klägers bis einschließlich Juni 2007 gemäß § 15 BRTV verfallen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Neumünster vom 23.05.2008, zugestellt am 03.07.2007 zum Aktenzeichen 1 Ca 1092 b/07 wird aufgehoben und die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil sowohl in tatsächlicher als auch in rechtlicher Hinsicht für zutreffend. Aufgrund des Anerkennungstarifvertrages fänden die Tarifverträge für das Bauhauptgewerbe vorliegend Anwendung. Da durch den Abschluss des Anwendungstarifvertrages die Arbeitnehmer trotz des Austrittes der Innung des Baugewerbes N. aus dem Arbeitgeberverband finanziell so gestellt werden sollten, als bestehe die Tarifbindung des Arbeitgebers fort, müsse mangels aktuellem Bezirkslohntarifvertrag der aktuelle TV Lohn/West angewendet werden.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens wird auf den mündlich vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

A. Bezüglich des geltend gemachten Differenzlohnes ist die Berufung zulässig aber unbegründet

I. Die Berufung ist insoweit form- und fristgerecht eingelegt und innerhalb der Berufungsbegründungsfrist auch begründet worden.

II. In der Sache ist die Berufung jedoch nicht begründet. Aufgrund des Tarifvertrages über die Anwendung der Tarifverträge des Bauhauptgewerbes vom 23. Mai 1990 ist die Beklagte verpflichtet, dem Kläger noch die Differenz zwischen dem vereinbarten Lohn und dem im TV Lohn/West vom 20. August 2007 geregelten Tariflohn in Höhe von insgesamt 864,00 EUR brutto zu zahlen. Das hat das Arbeitsgericht durch zutreffende Auslegung des Anwendungstarifvertrages zu Recht ausgeurteilt. Dem folgt das Berufungsgericht.

Der Kläger hat ungeachtet der arbeitsvertraglichen Festlegung eines Stundenlohnes von 13,54 EUR brutto einen Anspruch auf den tariflichen Gesamtstundenlohn für Fliesenleger der Lohngruppe 4 ab 1. April 2007 in Höhe von 15,04 EUR brutto nach dem TV Lohn/West vom 20. August 2007 in Verbindung mit dem Tarifvertrag über die Anwendung der Tarifverträge des Bauhauptgewerbes vom 23. Mai 1990 (AnwendungsTV).

1. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet der AnwendungsTV vom 23. Mai 1990 kraft beiderseitiger Tarifbindung Anwendung.

Der Kläger ist Mitglied der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt. Diese ist am 01.01.1996 aus dem Zusammenschluss der tarifvertragsschließenden IG BSE und der GGLF entstanden. Damit ist die IG BAU zweifelsfrei Rechtsnachfolgerin der den AnwendungsTV schließenden IG-BSE. Die Beklagte ist Mitglied der Innung des Baugewerbes N.. Der Tarifvertrag ist ungekündigt und gilt daher gemäß § 4 Abs. 1 S. 1 TVG zwischen den Parteien unmittelbar und zwingend.

2. Aus dem Wortlaut des AnwendungsTV ergibt sich nicht unmittelbar, dass der bundesweit für das Baugewerbe geltende TV Lohn/West anzuwenden ist. § 2 des AnwendungsTV legt lediglich fest, dass auf die Arbeitsverhältnisse der zur Innung des Baugewerbes N. gehörenden Firmen alle allgemeinverbindlichen Tarifverträge des Baugewerbes in der jeweils geltenden Fassung sowie u. a. der Bezirkslohntarifvertrag für das Bauhauptgewerbe im Land Schleswig-Holstein in der jeweils geltenden Fassung Anwendung finden soll. Der letzte Bezirkslohntarifvertrag wurde im Land Schleswig-Holstein jedoch am 1. April 2000 geschlossen und im Zusammenhang mit der Kündigung des damaligen TV Lohn/West von den (Bundes-) Tarifvertragsparteien zum 31.03.2002 gekündigt. Seit dem ist ein neuer Bezirkslohntarifvertrag nicht mehr abgeschlossen worden, jedoch regelmäßig neue Tarifverträge Lohn/West.

Der durch den AnwendungsTV vom 23. Mai 1990 geltende letzte Bezirkslohntarifvertrag des Landes Schleswig-Holstein befindet sich noch in der Nachwirkung. Aus ihm ergibt sich für den Kläger als Fliesenleger kein Anspruch auf Vergütung in Höhe von 15,04 EUR brutto, sondern "nur" auf 14,44 EUR brutto. Die Beklagte hat dem Kläger unstreitig nur 13,54 EUR brutto pro Stunde gezahlt, so dass sich allein schon aus dem letzten nachwirkenden Bezirkslohntarifvertrag des Landes Schleswig-Holstein ein Differenzlohnanspruch des Klägers ergibt.

3. Der Vergütungsanspruch des Klägers richtet sich jedoch mangels Fortschreibung der Bezirkslohntarifverträge nach dem jeweils aktuellen, bundesweit geltenden Entgelttarifvertrag TV Lohn/West. Aufgrund des AnerkennungsTV vom 23.Mai 1990 ist für die nicht regionalspezifischen Sonderlohngruppen der jeweilige Bundes-TV Lohn/West anzuwenden, soweit und solange ein gekündigter Bezirkslohntarifvertrag für das Bauhauptgewerbe im Land Schleswig-Holstein nicht durch einen neu gefassten Bezirkslohntarifvertrag ersetzt wird. Das ergibt die Auslegung des AnwendungsTV.

a) Nach den allgemeinen für Tarifverträge anzuwendenden Auslegungsgrundsätzen ist auszugehen vom Wortlaut und dem durch ihn vermittelten Wortsinn. Darüber hinaus kommt es auf den Gesamtzusammenhang und die Systematik der Bestimmung an. Von besonderer Bedeutung sind ferner Sinn und Zweck der Regelung. Der tatsächliche Wille der Parteien ist zu berücksichtigen, soweit er in dem Regelungswerk seinen Niederschlag gefunden hat. Im Zweifel gebührt derjenigen Auslegung der Vorzug, die zu einem sachgerechten zweckorientierten, praktisch brauchbaren und gesetzeskonformen Verständnis der Regelung führt (vgl. BAG vom 12.11.2002 - 1 AZR 632/01 -; BAG vom 22.03.2005 - 1 AZR 3/04; BAG vom 22.11.2005 - 1 AZR 458/04 - jeweils zitiert nach JURIS).

b) Im Zuge der Auslegung des AnerkennungsTV ergibt sich die Anwendbarkeit des TV Lohn/West.

aa) Nach dem Wortlaut des AnerkennungsTV ist die Geltung des TV Lohn/West in seiner jeweils geltenden Fassung nicht vereinbart. Hieraus folgt jedoch nicht seine Nichtanwendbarkeit.

bb) Sinn und Zweck des Anwendungstarifvertrages vom 23. Mai 1990 war es unstreitig, zu verhindern, dass der nur auf innerorganisatorische Streitigkeiten zurückzuführende Austritt der Innung des Baugewerbes N. aus dem Baugewerbeverband Schleswig-Holstein dazu führt, die Tarifbindung der Mitglieder der Innung N. im Hinblick auf die Vergütungsansprüche der beschäftigten tarifgebundenen Arbeitnehmer entfallen zu lassen. Unstreitig sollten insoweit die Verbandsquerelen auswirkungslos für gegenwärtige und zukünftige Vergütungsansprüche und für die Pflichten der zur Innung des Baugewerbes N. gehörenden Betriebe sein.

cc) Die Tarifvertragsparteien des AnwendungsTV haben in § 2 alle zum Zeitpunkt des Abschlusses des Tarifvertrages geltenden Tarifverträge des Bauhauptgewerbes für anwendbar erklärt, die Entgeltansprüche für gewerbliche Arbeitnehmer, für Angestellte und für Auszubildende des Baugewerbes geregelt haben. Diese allumfassende Anwendungsvereinbarung erhielt zudem für alle angeführten Tarifverträge eine dynamische Regelung. Alle entsprechenden Tarifverträge sollten "in der jeweils geltenden Fassung" anzuwenden sein. Damit sollten eigene Vereinbarungen zu Entgeltansprüchen tarifgebundener Arbeitnehmer umfassend obsolet werden. Die diesbezüglichen Entgeltansprüche sollten weiterhin von den Tarifvertragsparteien geregelt werden.

dd) Von diesem Sinn und Zweck des Tarifvertrages würde jedoch abgewichen werden, wenn der Nichtabschluss von Bezirkslohntarifverträgen im Land Schleswig-Holstein für die Mitglieder der Innung des Baugewerbes N. gleichzeitig zur Folge hätte, dass auch die den Bezirkslohntarifverträgen zugrundeliegenden bundesweit generell für die Mitglieder des Bauhauptgewerbeverbandes geltenden grundlegenden TV Lohn/West abgekoppelt würden. Entgegen der ursprünglichen Zielsetzung des Anwendungstarifvertrages wären die Innungsmitglieder N. bezüglich der Festlegung der Höhe ihrer Löhne maximal an den Stand 31.03.2002 gebunden, während die anderen Innungen im Baugewerbeverband Schleswig-Holstein mit der Nachwirkung des alten Bezirkslohntarifvertrages und gleichzeitig mit der Geltung des jeweiligen auf Bundesebene geschlossenen TV Lohn/West konfrontiert sind. Damit liefe das Entgeltgefüge der Innungen des Baugewerbes des Landes Schleswig-Holstein auseinander, obgleich die Tarifvertragsparteien dieses durch den Anwendungstarifvertrag vom 23. Mai 1990 gerade verhindern wollten.

ee) Auch aus den sonstigen Gesamtzusammenhängen ergibt sich, dass die Nichtfortschreibung der Bezirkslohntarifverträge seit dem Jahr 2002 nicht dazu führen kann, dass die Beklagte nun ihre Löhne frei und ohne Beachtung tarifvertraglicher Mindestbedingungen aushandeln kann. In § 8 TV Lohn/West vom 20.08.2007 (in manchen Vorgängertarifverträgen des TV Lohn/West war es § 7) haben die Bundestarifvertragsparteien sich verpflichtet, unverzüglich die Bezirkslohntarifverträge zu erstellen. Schon hieraus ergibt sich eine gewollte enge Ankopplung zwischen Bezirkslohntarifvertrag und TV Lohn/West. Für die Tarifvertragsparteien war bei Abschluss des Anerkennungstarifvertrages nicht vorhersehbar, dass die Landes- bzw. Bezirksorganisationen entgegen ihrer Verpflichtung aus §§ 8, 9 TV Lohn/West keinen Bezirkslohntarifvertrag mehr erstellen würden. Hätten sie dieses vorhergesehen, ist angesichts der Entstehungsgeschichte des AnwendungsTV bei sachgerechtem Verständnis des Wortlautes des § 2 des AnwendungTV davon auszugehen, dass sie den den Bezirkslohntarifverträgen stets zugrundeliegenden TV Lohn/West ausdrücklich in den Wortlaut des Anwendungstarifvertrages aufgenommen hätten

ff) Zu berücksichtigen ist ferner, dass schon zum Zeitpunkt des Abschlusses des AnwendungsTV im Mai 1990 § 2 Abs.5 TV Lohn/West folgenden Inhalt hatte:

"Soweit sich aus den nach Maßgabe dieses Tarifvertrages zu erstellenden Bezirkslohntarifverträgen (Lohntabellen) nicht etwas anderes ergibt, gelten mit Wirkung ab ... nachstehende Löhne."

§ 2 Abs. 5 TV Lohn/West liefe für die Innung N. leer, wenn durch den 1990 nicht vorhersehbaren Nichtabschluss von Bezirkslohntarifverträgen seit dem Jahr 2002 und die Nichterwähnung des TV Lohn/West im AnwendungsTV "bei Gelegenheit" eine Abkopplung vom TV Lohn/West erfolgen könnte, ohne dass sich ihr Mitgliedsstatus verändert hätte. Diese Rechtsfolge haben die Tarifvertragsparteien des AnwendungsTV nicht gewollt.

gg) Die enge Ankopplung der Bezirkslohntarifverträge an den TV Lohn/West ergibt sich auch aus der gemeinschaftlichen Kündigungsregelung des § 10 Abs. 2 TV Lohn/West. Danach kündigen die Bundestarifvertragsparteien automatisch die Bezirkslohntarifverträge mit. Die Kündigung erfolgt demnach nicht von dem regionalen Baugewerbeverband, der die Bezirkslohntarifverträge schließt und aus dem die Innung nicht aus tarifpolitischen Gründen, sondern anlässlich von Querelen ausgetreten ist. Die Kündigung der Bundestarifvertragsparteien würde bei der von der Beklagten gewünschten Auslegung des AnwendungsTV aber gleichzeitig Weichen stellen für eine Abkopplung der Innung N. vom bundesweiten Lohngefüge. Diese Auslegung ist kontraproduktiv.

hh) Letztendlich ergibt sich entgegen der Ansicht der Beklagten auch nichts anderes aus § 3 Abs. 3 Satz 3 des AnwendungsTV. Danach haben sich die Tarifvertragsparteien verpflichtet, unverzüglich in Verhandlungen einzutreten, soweit andere als die in dem Vertrag aufgeführten Verträge für das Bauhauptgewerbe abgeschlossen werden. Das Wort "andere" kann in diesem Zusammenhang nur im Sinne von "zusätzliche" Tarifverträge verstanden werden. Den Entgelt-TV Lohn/West hat es - wie bereits erwähnt - schon lange vor Abschluss des AnwendungsTV im Mai 1990 gegeben. Er war stets Grundlage der regionalen Bezirkslohntarifverträge. Er ist daher kein "anderer", kein "zusätzlicher" Tarifvertrag im Sinne des § 3 Abs. 3 Satz 3 AnwendungsTV.

ii) Aus den genannten Gründen führt die Auslegung des AnwendungsTV vom 23. Mai 1990 dazu, dass für die Mitgliedsfirmen der Innung des Baugewerbes N. der TV Lohn/West in seiner jeweils geltenden Fassung anzuwenden ist, wenn und soweit in Schleswig-Holstein Bezirkslohntarifverträge für das Bauhauptgewerbe nicht zustande kommen. Dem Kläger steht daher Lohnzahlung nach Maßgabe des Tarifvertrages Lohn/West zu.

4. Die vom Kläger geltend gemachte Lohndifferenz für die Monate April bis Juli 2007 ist rechnerisch korrekt. Der Kläger ist als Fliesenleger der Lohngruppe 4 des TV Lohn/West in der Fassung vom 20.08.2007 zuzuordnen. Ihm steht daher ein Gesamttarifstundenlohn von 15,04 EUR brutto zu. Für April 2007 ergab sich bei unstreitig zu vergütenden 160 Stunden ein Bruttolohnanspruch von 2.406,40 EUR. Hierauf hat die Beklagte 2.166,40 EUR gezahlt, so dass ein Rest von 240,00 EUR brutto verbleibt.

Für Mai 2007 ergibt sich bei 168 unstreitigen Stunden und einem Stundenlohn von 15,04 EUR brutto ein Vergütungsanspruch von 2.526,72 EUR. Hierauf wurden 2.274,22 EUR gezahlt, so dass 252,00 EUR für Mai nachzuzahlen sind.

Für Juni 2007 ergibt sich bei 168 Stunden der gleiche Nachzahlungsbetrag von 252,00 EUR.

Für Juli 2007 ergibt sich bei 80 abzurechnenden Stunden ein Vergütungsanspruch von 1.203,20 EUR. Hierauf wurden 182,20 EUR gezahlt, so dass 120,00 EUR nachzuzahlen sind. Damit ist der für Vergütungsdifferenzen eingeklagte Betrag von 864,00 EUR brutto korrekt.

5. Die Ansprüche des Klägers sind auch nicht verfallen. Gemäß § 15 Ziff. 1 BRTV verfallen alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis, wenn sie nicht innerhalb von zwei Monaten nach Fälligkeit gegenüber der anderen Vertragspartei schriftlich erhoben werden. Die Ansprüche für April und Mai 2007 hat der Kläger am 28.06.2007 und damit innerhalb der Ausschlussfrist schriftlich geltend gemacht. Die Ansprüche für Juni und Juli 2007 hat er bereits am 27.08.2007 eingeklagt.

B. Der Kläger hat ferner einen Anspruch auf Zahlung des restlichen 13. Monatseinkommens in Höhe von rechnerisch korrekt 73,43 EUR brutto und 815,92 EUR brutto. Insoweit ist die Berufung der Beklagten unzulässig. Bezüglich des geltend gemachten Anspruches auf Zahlung des restlichen 13. Monatseinkommens ist abweichend von § 66 Abs. 1 ArbGG die Berufung nicht begründet worden. Es fehlt jegliche Auseinandersetzung in der Berufungsbegründung mit dem 13. Monatseinkommen. Sie enthält keine Ausführungen zum Begehren des Klägers und zu den diesbezüglichen Gründen des erstinstanzlichen Urteils.

Die Beklagte schuldet daher dem Kläger, wie vom Arbeitsgericht zutreffend festgestellt, auch die Zahlung des restlichen 13. Monatseinkommens in Höhe von insgesamt 889,35 EUR brutto.

C. Aus den genannten Gründen ist die Beklagte mit dem angefochtenen Urteil zu Recht zur Zahlung restlicher Vergütung in Höhe von 1.753,35 EUR brutto verurteilt worden. Ihre Berufung war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.

Die Revision war gemäß § 72 Abs. 2 Ziff. 1 ArbGG zuzulassen. Vorliegend handelt es sich um einen Rechtstreit von grundsätzlicher Bedeutung. Es sind rund 80 Mitgliedsfirmen der Innung des Baugewerbes N. von der Auslegung des Anwendungstarifvertrages vom 23. Mai 1990 betroffen.

Ende der Entscheidung

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