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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein
Urteil verkündet am 14.10.2002
Aktenzeichen: 4 Sa 66/02
Rechtsgebiete: KSchG, EntgeltfortzahlungsG


Vorschriften:

KSchG § 1
EntgeltfortzahlungsG § 1
Häufige Kurzerkrankungen des Arbeitnehmers in der Vergangenheit rechtfertigen regelmäßig die Prognose, auch in Zukunft werde ein entsprechender Krankheitsverlauf eintreten, insbesondere dann, wenn wie hier ein nunmehr 28jähriger Arbeiter seit 5,5 Jahren in jedem Jahr zu 27,7% der Arbeitszeit krankheitsbedingt, bei insgesamt rd. 50 verschiedenen Fehlzeiten, ausgefallen ist. Kommt der Arbeitnehmer der ihn treffenden Darlegungs- und Beweislast nicht nach, in Zukunft müsse mit einer deutlich geringeren Krankheitsquote gerechnet werden, ist die sog. Negativ-Prognose gesichert. Die betrieblichen Interessen sind bei einer starken Inanspruchnahme des Arbeitgebers durch Lohnfortzahlungskosten erheblich belastet und rechtfertigen zumindest dann eine personenbedingte Kündigung, wenn der Arbeitgeber jahrelang Lohnfortzahlungskosten von regelmäßig mehr als 6 Wochen jährlich erbracht hat und wohl auch weiter erbringen wird. Das ist sicher der Fall, wenn der Arbeitgeber im Verlauf von 5,5 Jahren 67.000,00 DM Entgeltfortzahlung und 13.400,00 DM Arbeitgeberanteil zur Sozialversicherung geleistet hat. Die Interessenabwägung führt angesichts eines erst sieben Jahre währenden Beschäftigungsverhältnisses zu keinem anderen Ergebnis, auch wenn der Arbeitnehmer als Ausländer ggf. über schlechte Vermittlungschancen auf dem Arbeitsmarkt verfügt.
Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein Im Namen des Volkes Urteil

Aktenzeichen: 4 Sa 66/02

Verkündet am 14. Oktober 2002

In dem Rechtsstreit

hat die IV. Kammer des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein auf die mündliche Verhandlung vom 14. Oktober 2002 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Müller als Vorsitzenden und die ehrenamtlichen Richter Rose und Geng als Beisitzer

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Lübeck vom 15. November 2001 - 2 Ca 1925/01 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Die Revision gegen das Urteil wird nicht zugelassen.

Entscheidungsgründe:

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen krankheitsbedingten Kündigung, der die Beklagte dem verheirateten 28-jährigen türkischen Kläger gegenüber ausgesprochen hat.

Wegen des Sach- und Streitstandes, wie er in erster Instanz zur Entscheidung vorgelegen hat, wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils und wegen des Vorbringens der Parteien in der Berufungsinstanz auf den Inhalt ihrer in der Berufung gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen verwiesen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Wegen der die Abweisung tragenden Gründe wird auf die Entscheidungsgründe im angefochtenen Urteil Bezug genommen. Wegen des Vorbringens der Parteien in der Berufungsinstanz wird auf den Inhalt ihrer gewechselten Schriftsätze hingewiesen.

Die Berufung ist zulässig. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und auch innerhalb der verlängerten Berufungsbegründungsfrist begründet worden. In der Sache konnte die Berufung jedoch keinen Erfolg haben und war daher zurückzuweisen.

Das Arbeitsgericht hat sowohl im Ergebnis als auch in der Begründung zutreffend entschieden. Auf die Entscheidungsgründe des arbeitsgerichtlichen Urteils wird deshalb gem. § 540 Abs. 1 Satz 1 ZPO verwiesen.

Lediglich ergänzend wird darauf hingewiesen:

Das Arbeitsgericht findet sich mit seiner Entscheidung in völliger Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts. Die Beklagte hat die krankheitsbedingten Fehlzeiten für eine repräsentativen Zeitraum von mehr als drei Jahren dargestellt, nämlich für den Zeitraum von 1996 bis zum 31. Mai 2001 also einem Zeitraum von mehr als fünf Monaten bis vierzehn Tage vor Ausspruch der ordentlichen Kündigung. Damit ergab sich die Wiederholungsgefahr - negative Prognose als erste Stufe des Prüfungsrasters - aus den bisherigen häufigen krankheitsbedingten Fehlzeiten (vgl. BAG, Urt. v. 23. Juni 1983 - 2 AZR 15/82 -, BAGE 43, 129 = AP-Nr. 10 zu § 1 KSchG 1969 "Krankheit"). Nach dieser Rechtsprechung müssen zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung objektive Tatsachen vorliegen, die die Besorgnis weiterer Erkrankungen im bisherigem Umfange rechtfertigen. Häufige Kurzerkrankungen in der Vergangenheit können für ein entsprechendes Erscheinungsbild in der Zukunft sprechen. Dann darf der Arbeitgeber sich zunächst darauf beschränken, die eine Indizwirkung entfaltenden Fehlzeiten in der Vergangenheit darzulegen. Daraufhin muss der Arbeitnehmer gem. § 138 Abs. 2 ZPO dartun, weshalb mit einer baldigen Genesung zu rechnen sei. Dieser prozessualen Mitwirkungspflicht ist der Kläger jedoch nicht gefolgt. Dass häufige Kurzerkrankungen des Arbeitnehmers in den Vergangenheit die Prognose rechtfertigten, auch in Zukunft werde ein entsprechender Krankheitsverlauf eintreten, ist nicht nur vom Bundesarbeitsgericht sondern auch von den Instanzgerichten erkannt (vgl. LAG Köln, Urt. v. 29. September 1987 - 1 Sa 818/87 -; LAG Schl.-Holst., Urt. v. 20. November 1997 - 4 Sa 388/97 -).

Der Arbeitnehmer hat die Darlegungslast dafür, dass in Zukunft mit einer deutlich geringeren Krankheitsquote zu rechnen sei. Am konkreten Vortrag des Klägers hierzu fehlt es. Der Kläger hat nicht substantiiert vortragen können, weshalb die vielen verschiedenen Fehlzeiten seit 1996, die ihren niedrigsten Stand 1996 mit 30 Arbeitstagen hatten, in den folgenden Jahren jedoch immer - zum Teil erheblich, worauf das Arbeitsgericht richtig hingewiesen hat - über 30 Arbeitstage lagen. Der Kläger hat zwar behauptet, dass er in den Jahren 1998 und 1999 ein Drogenproblem gehabt habe und dass er 1999 beschlossen habe, keinerlei Drogen mehr konsumieren zu wollen, so dass er aufgrund von Sport seine körperliche und psychische Verfassung ganz erheblich verbessert habe. Dieser Vortrag ist aber deshalb nicht schlüssig, weil daraus zunächst nicht ergeht, weshalb er in den Jahren vor seiner Drogenabhängigkeit, nämlich in den Jahren 1996 und 1997, Fehlzeiten von jeweils 30 bzw. 41 Arbeitstagen aufgewiesen hat. Auch erklären sich in dem von ihm als Abhängigkeitszeiten bezeichneten Zeitraum 1998 und 1999 nicht die Fehlzeiten von 38 bzw. 101 Arbeitstagen, sind doch für die dreizehn verschiedenen Krankheitsursachen wie Rhinobronchitis, Cephalgie, Schnittwunden, Oberschenkelprellung, Angina, Sinubronchitis, Enteritis, Konjunktivitis, Gastritis, Ischialgie, Gastroenteritis usw. vom Kläger nicht ansatzweise Verbindungen zwischen seinem sogenannten Drogenproblem und den Erkrankungen mitgeteilt. Aber selbst bei Unterstellung der Ursächlichkeit des Drogenkonsums für seine Krankheiten erklärt sich nicht die Fortsetzung der Krankheitszeiten nach dem beendeten Drogengenuss, wonach auch in den Folgejahren, nämlich 1999, 2000 und 2001 der Kläger an 101, 36 bzw. 58 Arbeitstagen (letztere innerhalb der ersten fünf Monate des Jahres 2001) aufgetreten sind. Der pauschalen Behauptung des Klägers, es handelt sich bei seinen Krankheiten eigentlich nur um Einmalerkrankungen und alle seien ausgeheilt, war deshalb nicht zu folgen. Auch war ein Gutachterbeweis nicht einzuholen, denn die einzige Ursache, auf die er seine Besserung seines Gesundheitszustandes für die Zukunft stützen wollte, die Beseitigung seines vorrübergehenden Drogenkonsums der Jahre 1997 und 1998, ist von ihm selbst nicht schlüssig dargelegt worden. Das hat auch das Arbeitsgericht zutreffend erkannt. Auf die diesbezüglichen Entscheidungsgründe wird verwiesen.

Soweit das Arbeitsgericht die außerordentlich hohe Belastung der Beklagten durch den Kläger mit den Lohnfortzahlungskosten als erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen gewertet hat, die die Kündigung rechtfertigen, steht diese Entscheidung in Übereinstimmung mit der des Bundesarbeitsgerichts. Der Ausnahmecharakter des § 1 Entgeltfortzahlungsgesetz gewährt im Regelfall einen Entgeltfortzahlungsanspruch von zunächst nur sechs Wochen, wobei schon dies eine Ausnahme vom Grundsatz "ohne Leistung keinen Lohn" darstellt (BAG, Urt. v. 23. September 1992 - 2 AZR 63/92 - unter II. 3. b) aa. der Entscheidungsgründe). Auch bei mehrfacher Erkrankung wird der Lohnfortzahlungsanspruch zunächst durch den Sechs-Wochen-Zeitraum begrenzt. Im Rahmen des Bestandsschutzes nach dem Kündigungsschutzgesetz wird jedoch der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz überspannt, wenn der Arbeitgeber in der Vergangenheit und auf unbestimmte Zeiten in Zukunft pro Jahr Lohnfortzahlungskosten von mehr als sechs Wochen noch billigerweise hinnehmen muss (BAG, Urt. v. 27. November 1991 - 2 AZR 309/91 - zu B 2. c) der Gründe; ebenso LAG Schl.-Holst., Urt. v. 20. November 1997 - 4 Sa 388/97 -). Das Bundesarbeitsgericht weist ausdrücklich, dass in den bisher vom Senat entschiedenen Fällen vorgelegte Statistiken über den Krankenstand der Arbeitnehmer belegen, dass durchschnittlich bei der Inanspruchnahme von Lohnfortzahlung die Überschreitung des Sechs-Wochen-Zeitraums pro Jahr die absolute Ausnahme darstelle. Die Fehlzeiten des Klägers, dass er nämlich durchschnittlich 27,7 % der Arbeitszeit allein aus den aufgeführten Krankheitszeiten - ohne seine Straßenverkehrsunfälle und die damit verbundenen Ausfallzeiten - gefehlt hat in Verbindung mit den für den kurzen Zeitraum außerordentlichen hohen Entgeltfortzahlungskosten von 80.427,00 DM (Entgeltfortzahlung von 67.023,33 DM und 13.404,67 DM Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung) erweisen die Begründetheit der personenbedingten Kündigung.

Auch die Interessenabwägung des Arbeitsgerichts ist nicht zu beanstanden. Denn mit der Beschäftigungszeit von knapp sieben Jahren ist der Kläger noch nicht besonders schutzwürdig, was insbesondere deshalb gilt, weil die Fehlzeiten bereits im zweiten Jahr seiner Beschäftigung einsetzten und seither das Arbeitsverhältnis, worauf das Arbeitsgericht richtig hingewiesen hat, erheblich belastet haben. Wenn die Beklagte den Kläger trotz des erheblichen Umfangs der Fehlzeiten und Krankheitszeiten auch noch 1999/2000, hat sie eine überobligationsmäßige Fürsorge gezeigt, so dass sie auch unter Berücksichtigung der Interessen des Klägers an einer Fortdauer des Beschäftigungsverhältnisses nicht noch weiter in Anspruch genommen werden darf.

Die Berufung hatte nach alledem keinen Erfolg und war mit der Kostenentscheidung aus § 97 ZPO zurückzuweisen gewesen.

Gegen das Urteil ist die Revision nicht zugelassen worden; wegen der Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde wird auf § 72 a ArbGG Bezug genommen.

Ende der Entscheidung

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