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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein
Urteil verkündet am 27.03.2003
Aktenzeichen: 5 Sa 137/03
Rechtsgebiete: GG, BetrVG


Vorschriften:

GG Art. 9 Abs. 3
GG Art. 12 Abs. 1
BetrVG § 111
BetrVG § 112
1. Die Tarifautonomie lässt es grundsätzlich zu, zur Abmilderung der sozialen Folgen einer Betriebsänderung den Abschluss firmeninterner Tarifverträge mittels Arbeitskampf durchzusezten. Eine nach §§ 111 ff. BetrVG ausschließliche "Kompetenzzuweisung" zur Regelung des Ausgleichs wirtschaftlicher Nachteile auf die Betriebsparteien ist weder dem Betriebsverfassungsgesetz zu entnehmen, noch mit der verfassungsrechtlich garantierten Tarifautonomie vereinbar.

2. Für die Beurteilung, ob die von der Gewerkschaft erhobenen Tarifforderungen tariffähig und damit einem Arbeitskampf zugänglich sind, sind allein die mit der Aufforderung zum Eintritt in die Tarifverhandlungen gegenüber dem Tarifpartner gestellten Tarifforderungen und der Inhalt des Streikbeschlusses maßgeblich, nicht hingegen der Inhalt sonstiger Publikationen wie Flugblätter und Presseerklärungen der Gewerkschaft, betriebsinterne Zeitungen sowie Streikaufrufe der Vertrauensleute.

3. Durch eine aus Anlass einer beabsichtigten Standortverlagerung erhobene Forderung nach exorbitant langen Kündigungsfristen kann die grundrechtlich gewährleistete Unternehmensautonomie verletzt werden. Mithin kann die Tariffähigkeit einer Forderung und damit die Zulässigkeit eines Streiks letztlich auch vom Forderungsumfang abhängig sein. Sofern Tarifforderungen grundsätzlich tariffähig sind (hier: Kündigungsfristen), sind an die Prüfung, ob die Forderung allein aufgrund des geforderten Umfangs den Kernbereich der Unternehmensautonomie verletzen, strenge Anforderungen zu stellen, anderenfalls wäre eine unzulässige Tarifzensur die Folge.

4. Ein Arbeitskampf, durch den der Tarifpartner erstmals zur Aufnahme von Tarifverhandlungen bewegt werden soll, ist nur dann aufgrund der geltend gemachten Tarifforderungen rechtswidrig, wenn die Tarifforderungen als solche - nicht nur aufgrund des gestellten Umfangs - auf ein tariflich nicht regelbares Ziel gerichtet sind (z.B. Ausschluss der Standortverlagerung, Ausschluss jeglicher betriebsbedingter Kündigungen). Es ist üblich und aufgrund der Koalitionsparität zulässig, dass Tarifvertragsparteien zur Aufnahme bzw. zu Beginn von Tarifverhandlungen jeweils die an sich tariffähigen Forderungen in maximaler Höhe stellen; die in diesem Stadium erhobenen Tarifforderungen sind keine feststehenden Bedingungen, sondern werden zur Verhandlung gestellt.

5. Grundsätzlich ist der Arbeitgeber bzw. der Arbeitgeberverband als in Anspruch genommene Tarifvertragspartei dafür darlegungs- und beweispflichtig, dass die Umsetzung der Tarifforderungen den Kernbereich der Unternehmensautonomie verletzt, d.h. in die Entscheidung des Arbeitgebers über das "Ob" (nicht nur über das "Wie") einer Betriebsänderung rechtwidrig eingreift.


Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein Im Namen des Volkes Urteil

Aktenzeichen: 5 Sa 137/03

Verkündet am 27.03.2003

In dem Rechtsstreit

hat die 5. Kammer des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein auf die mündliche Verhandlung vom 27.03.2003 durch die Vorsitzende Richterin am Landesarbeitsgericht Otten-Ewer als Vorsitzende und die ehrenamtlichen Richterinnen Kath und Hofmann als Beisitzerinnen

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung der Verfügungsklägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichtes Kiel vom 14.03.2003, Az. 5 Ga 10 b/03, wird zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Verfügungsklägerin.

Gegen dieses Urteil ist das Rechtsmittel der Revision nicht gegeben; im Übrigen wird auf § 72 a ArbGG verwiesen.

Tatbestand:

Die Verfügungsklägerin, Fa. H... ... AG, begehrt im einstweiligen Verfügungsverfahren, der Verfügungsbeklagten, der IG Metall, zu untersagen, in ihrem K... Betrieb Arbeitskampfmaßnahmen zum Zwecke der Durchsetzung eines firmeninternen Verbandstarifvertrages durchzusetzen.

Die Verfügungsklägerin beabsichtigt, Teile der Produktion in K... in den Hauptbetrieb nach W... und nach R... / USA zu verlagern. Durch die Verlagerung des Teilbetriebs sind von den insgesamt rd. 1000 beschäftigten Arbeitnehmern zumindest 562 Arbeitnehmer von Kündigung bedroht. Die Verfügungsklägerin verhandelt derzeit mit dem Betriebsrat vor der Einigungsstelle über den Abschluss eines Interessenausgleichs. Parallel hierzu forderte die Verfügungsbeklagte den Arbeitgeberverband ... mit Schreiben vom 18.12.2002 auf, für deren Mitgliedsfirma, d.h. der Verfügungsklägerin, aufgrund der beabsichtigten Standortverlagerung im Januar 2003 in Tarifverhandlungen einzutreten. Soweit von rechtlichem Belang, heißt es hierin auszugsweise (Bl. 31. F. d.GA.):

"Wir denken, dass es unsere gemeinsame Verantwortung als Tarifvertragsparteien ist, dazu beizutragen, dass der K... Standort gesichert und nachteilige Folgen für die Beschäftigten des Unternehmens und die Region vermieden oder gemindert werden.

Zu diesem Zwecke schlagen wir Ihnen vor, mit uns in Verhandlungen über einen auf den K... Betrieb Ihres Mitgliedsunternehmens bezogenen Verbandstarifvertrag einzutreten. Der Tarifvertrag soll für den Fall gelten, dass es trotz der Bemühungen des Betriebsrates zu Produktionsverlagerungen und betriebsbedingten Kündigungen kommt.

Nach Beratung und Beschlussfassung in unserer betrieblichen Tarifkommission fordern wir für die Beschäftigten des K... Betriebes Ihres Mitgliedsunternehmens folgende tarifvertragliche Regelung:

1. Für eine betriebsbedingte Kündigung durch den Arbeitgeber gilt eine Grundkündigungsfrist von drei Monaten zum Quartalsende. Die Grundkündigungsfrist verlängert sich um jeweils zwei Monate für jedes volle Jahr des Bestehens des Arbeitsverhältnisses.

2. Beschäftigte, die betriebsbedingt gekündigt werden, haben nach Ablauf der Kündigungsfrist Anspruch auf

- Qualifizierungsmaßnahmen für alle Beschäftigten bis zu 24 Monaten unter Fortzahlung der Vergütung. Auszubildende erhalten nach Abschluss ihrer Berufsausbildung eine Anpassungsqualifikation

- sowie eine Abfindung in Höhe von zwei Monatsgehältern pro Beschäftigungsjahr zuzüglich Erhöhungsbetrag für Unterhaltsverpflichtung und Schwerbehinderung/Gleichstellung. Die Vorschriften der §§ 111 ff. BetrVG bleiben unberührt.

3. Über Art und Inhalt der Qualifizierung entscheidet eine Paritätische Kommission auf der Grundlage der Aus- und Weiterbildungswünsche der Beschäftigten. Bei Nichteinigung entscheidet die Einigungsstelle.

Die Qualifizierungsmaßnahmen werden in den vorhandenen Betriebsstätten durchgeführt.

Die Firma H... ... AG trägt die Kosten der Qualifizierungsmaßnahmen.

Die Aufstellung weiterer Forderungen bleibt vorbehalten."

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes, wie er in der ersten Instanz vorgelegen hat, wird zur Vermeidung unnötiger Längen auf den umfassenden Tatbestand des angefochtenen Urteils verwiesen, § 69 Abs. 2 ArbGG.

Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 14.03.2003 den sogenannten "Hängebeschluss" vom 10.03.2003, mit welchem es den für den 11.03. und 12.03.2003 angekündigten Streik im K... Betrieb der Verfügungsklägerin untersagt hatte, aufgehoben und die Anträge auf einstweilige Untersagung der Arbeitskampfmaßnahmen zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass der Verfügungsklägerin unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt nach §§ 823 Abs. 1; 1004 BGB der begehrte Unterlassungsanspruch gegen die Verfügungsbeklagte zustehe. Die Verfügungsbeklagte unterliege hinsichtlich der hier strittigen Tarifforderungen auch nicht der nur relativ wirkenden Friedenspflicht aus dem Flächentarifvertrag. Auch sei es zulässig, einen firmenbezogenen Verbandstarifvertrag mittels Streik zu erzwingen. Der Arbeitgeber stehe unter dem Schutz des Verbandes. Die Arbeitskampfmaßnahmen seien auch nicht deshalb unzulässig, weil die Tarifpartner parallel auf Ebene eines Flächentarifvertrages über Kündigungsfristen verhandelten. Regelungen in einem firmenbezogenen Verbandstarifvertrag, der grundsätzlich zulässig sei, könnten in der Regel besser auf die betrieblichen Gegebenheiten zugeschnitten werden. Es müsse daher einem Arbeitgeber unter dem Schutz des Verbandes aufgrund der in Art. 9 Abs. 3 GG garantierten individuellen Koalitionsfreiheit möglich sein, im Rahmen eines ungeregelten Zustandes auf Flächenebene (hier Kündigungsfristen) eigene, auf den Betrieb zugeschnittene Vereinbarungen zu treffen. Der Unterlassungsanspruch sei auch nicht wegen Beeinträchtigung des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs begründet. Der Arbeitskampf sei auf die Durchsetzung tariflich regelbarer Ziele gerichtet. Art. 9 Abs. 3 GG sei weit gefasst, sodass auch die Durchführung von Qualifizierungsmaßnahmen und Abfindungen unter die Beendigungsnormen von Arbeitsverhältnissen fielen. Es könne auch kein Verstoß gegen die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Unternehmerfreiheit ausgemacht werden. Die Verfügungsbeklagte habe keine ausdrückliche Tarifforderung aufgestellt, die die Verlagerung der Produktion verhindern sollte. Die Tarifforderungen sollten die sozialen Folgen der Produktionsverlagerung abmildern. Der Kernbereich der Unternehmensautonomie werde vorliegend auch durch die Länge der Kündigungsfristen sowie der geforderten Qualifizierung nicht mittelbar ausgehebelt. Dass die Verfügungsklägerin ggf. die Produktionsverlagerung nicht wie im Detail geplant durchführen könne, beeinträchtige die unternehmerische Entscheidungsfreiheit nicht in unzulässiger Weise. Es handele sich im Übrigen um Tarifforderungen, nicht um feste Bedingungen. Die seitens der Verfügungsbeklagten gestellte politische Forderung, den Standort zu erhalten, führe nicht dazu, dass dieses Ziel gleichzeitig Inhalt der Tarifforderungen sei. Die Arbeitskampfmaßnahmen verstießen auch nicht gegen § 74 Abs. 2 BetrVG. Diese Norm betreffe nur die Betriebs-, aber nicht die Tarifvertragsparteien. Die Rechtswidrigkeit des Streiks ergebe sich auch nicht aus §§ 111 ff. BetrVG. Selbst wenn ein evtl. notwendig werdender Sozialplan durch die tarifvertraglichen Festlegungen ggf. leer laufen würde, führe dies nicht zur Rechtswidrigkeit der Arbeitskampfmaßnahmen. Soweit die Verfügungsklägerin meine, die Entscheidung des Arbeitgebers, seinen Betrieb stillzulegen oder zu verlegen, sei angesichts der fehlenden Erzwingbarkeit des Interessenausgleichs nicht nur betriebsverfassungsrechtlich mitbestimmungsfrei, sondern auch tarifvertragsfrei, verkenne sie die Tatsache, dass sich der Wortlaut des § 1 Abs. 1 TVG ausdrücklich auf betriebsverfassungsrechtliche Fragen beziehe. Die unternehmerische Freiheit wäre unter Zugrundelegung der klägerischen Auffassung schon dann unzulässig beschränkt, wenn es nur um das "Wann" einer Betriebsverlagerung gehe; bei der Frage des "Wann" sei aber gerade die Frage des "Ob" einer Verlagerung nicht berührt. Ein Vorrang der Rechte des Betriebsverfassungsgesetzes vor den verfassungsrechtlich verankerten Rechten der Tarifvertragsparteien sei dem Betriebsverfassungsgesetz nicht zu entnehmen. Schließlich sei die Höhe der erhobenen Tarifforderungen kein zulässiger Gegenstand der Verhältnismäßigkeitsprüfung des Arbeitskampfes.

Gegen dieses ihr am 19.03.2003 zugestellte Urteil hat die Verfügungsklägerin am 14.03.2003 Berufung beim Landesarbeitsgericht eingelegt und die Berufung am 19.03.2003 begründet.

Die Verfügungsklägerin trägt vor:

Das tatsächliche Arbeitskampfziel der Verfügungsbeklagten sei der vollständige Standorterhalt des K... Betriebes. Dies ergebe sich aus dem Schreiben vom 18.12.2002 selbst, dem Flugblatt vom Dezember 2002 mit der Parole "Politische Forderung: Erhalt des Standortes K... in der jetzigen Form", der von den Vertrauensleuten der IG Metall und dem Betriebsrat herausgegebenen Zeitung "Wie Bliev!" und dem Streikaufruf vom 03.03.2003 jeweils mit dem Aufdruck "STOP Arbeitsplatzabbau" sowie der Presseerklärung vom 13.02.2003, worin die Verfügungsklägerin eindeutig klarstelle, dass der mit den geplanten Teilstilllegungen verbundene Abbau von 770 Arbeitsplätzen für sie nicht akzeptabel sei und sie deshalb durch die beschlossenen Arbeitskampfmaßnahmen "zusätzlichen Druck auf das Unternehmen ausüben" wolle. Eine Tarifforderung 'Standorterhalt' sei - unstreitig - nicht durch Art. 9 Abs. 3 GG gedeckt. Sofern die Verfügungsbeklagte den Standorterhalt als politische Forderung qualifiziere, sei dies rechtlich irrelevant. Denn die Umsetzung der einzelnen Tarifforderungen käme durch die unverhältnismäßig langen Kündigungsfristen (3 Monate zum Quartalsende Grundkündigungsfrist zzgl. 2 Monate pro Beschäftigungszeit sowie bis zu 24 Monaten finanzierte Qualifizierungsmaßnahmen) einer wirtschaftlichen Erdrosselungswirkung gleich. Die Grenzen zulässiger Tarifforderungen seien weit überschritten, sodass ihr, der Verfügungsklägerin, kein Spielraum für die durch Art. 12 und 14 GG grundrechtlich garantierte unternehmerische Entscheidungsfreiheit verbliebe. Die mit den Tarifforderungen einhergehende Hinauszögerung der Produktionsverlagerung würde diese wirtschaftlich so Sinn entleeren, dass es ihrer Verhinderung gleich käme.

Der Streik sei auch deshalb unzulässig, weil die Entscheidung über das "Ob" einer Betriebsverlagerung und die Abmilderung der sozialen Folgen den Interessen- und Sozialplanverhandlungen mit dem Betriebsrat gemäß §§ 111 ff. BetrVG vorbehalten seien. Die durch Art. 9 Abs. 3 GG garantierte Koalitionsfreiheit könne zum Schutz von Grundrechten Dritter eingeschränkt werden. In diesem Lichte sei auch die Grundentscheidung in den §§ 111 ff. BetrVG zu sehen, die den Kernbereich der unternehmerischen Entscheidungsfreiheit aus Art. 12 GG gewährleiste. Die betrieblichen Vertrauensleute der IG Metall, die Flugblätter verteilten und zum Streik aufriefen, seien zum überwiegenden Teil auch Betriebsratsmitglieder. Durch die Streikaktivitäten dieser Betriebsratsmitglieder werde das Arbeitskampfverbot des § 74 Abs. 2 BetrVG in Bezug auf Interessenausgleichsverhandlungen unterlaufen.

Im Übrigen könne ein Arbeitgeberverband nicht durch Arbeitskampf zum Abschluss eines firmenbezogenen Verbandstarifvertrages für ein Mitgliedsunternehmen gezwungen werden. Der Arbeitgeberverband sei zur Gleichbehandlung gegenüber seinen Mitgliedern verpflichtet. Die kampfweise Durchsetzung eines firmeninternen Verbandstarifvertrages würde dem Arbeitgeberverband mithin Unzumutbares abverlangen. Firmeninterne Verbandstarifverträge könnten mithin nur konsensual zwischen Arbeitgeberverband und Arbeitgeber einerseits und Gewerkschaft andererseits vereinbart werden.

Die Verfügungsklägerin beantragt,

in Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Kiel vom 14.03.2003, Az. 5 Ga 10 b/03, der Antragsgegnerin/Berufungsbeklagten unter Androhung eines Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000,-- für jeden Fall der Zuwiderhandlung, ersatzweise Ordnungshaft gegen die gesetzlichen Vertreter der Antragsgegnerin/Berufungsbeklagten zu untersagen, Arbeitskampfmaßnahmen durchzuführen, mit denen die Tarifforderungen der IG Metall Bezirk Küste, vertr. durch Herrn T..., Bezirksleiter, ...-...-Allee , ..., vom 18.12.2002 durchgesetzt werden sollen.

Die Verfügungsbeklagte beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Die Verfügungsbeklagte trägt vor:

Arbeitskampfziel sei erkennbar nicht Standorterhalt. Sie habe in dem Schreiben vom 18.12.2001 zur Aufnahme von Tarifverhandlungen eindeutig erklärt, dass der Tarifvertrag für den Fall gelten solle, dass es trotz der Bemühungen des Betriebsrats zu Produktionsverlagerungen und betriebsbedingten Kündigungen komme. Sie habe stets Tarifverhandlungen über die erhobenen Forderungen (verlängerte Kündigungsfristen, Qualifizierungsmaßnahmen und Abfindungen) verlangt. Dies spiegele auch der Stimmzettel für die durchgeführte Urabstimmung wider. Auch aus der Presseerklärung vom 13.02.2003 ergebe sich nichts anderes. Hierin heiße es: "Wir wollen für die Beschäftigten verlängerte Kündigungsfristen, zusätzliche Qualifizierungsmaßnahmen und verbesserte Abfindungsregelungen". Im Streikaufruf habe sie nur die Aufnahme von Tarifverhandlungen gefordert. Die Zeitschrift "Wie Bliev!" werde nicht von ihr herausgegeben, sondern von im Betrieb beschäftigten Gewerkschaftsmitgliedern, die ihre eigene Meinung hätten. Es handele sich hierbei nicht um ein Organ der IG Metall.

Sie übe auch keinen unzulässigen Druck auf den Tarifpartner NORDMETALL aus. Die von ihr erhobenen Tarifforderungen zielten nicht auf eine wirtschaftliche Erdrosselung der Verfügungsklägerin ab. Dieser verbleibe ein angemessener Entscheidungsspielraum im Rahmen der gewährleisteten Unternehmensautonomie. Durch die Aufstellung eines Tarifvertrages werde die geplante Produktionsverlagerung nicht unterbunden, sondern allenfalls zeitlich verzögert. Im Übrigen führe die Aufstellung von Tarifforderungen nicht zwangsläufig dazu, dass diese ohne Abstriche durchgesetzt würden. Ob die Tarifforderungen unverhältnismäßig hoch und damit rechtsmissbräuchlich seien, könne zum jetzigen Zeitpunkt nicht beurteilt werden, weil ihr, der IG Metall, weder die Sozialdaten der von Kündigungen bedrohten Mitarbeitern noch die genauen zeitlichen Planungen zur Produktionsverlagerung bekannt seien. Im Übrigen habe sie auch nach der mündlichen Verhandlung vor dem Arbeitsgericht gegenüber der NORDMETALL deutlich gemacht, dass die von ihr aufgestellten Forderungen auf die konkreten betrieblichen Verhältnisse des Unternehmens in den Verhandlungen angepasst werden sollten.

Die Interessenausgleichsverhandlungen gemäß §§ 111 ff. BetrVG stellten auch keine Tarifsperre dar. Hierfür gebe es im Gesetz keinen Anhaltspunkt. Es gebe im Betriebsverfassungsgesetz zahlreiche Normen, die den Vorrang der Tarifautonomie sicherstellten und gewährleisteten. Betriebsverfassung und Tarifautonomie existierten vielmehr systematisch jede für sich, tarifvertragliche Regelungen hätten Vorrang. Art. 12 GG schließe allenfalls tarifliche Regelungen aus, die die eigentliche Unternehmerfreiheit beschränkten.

Der Streik sei auch nicht deshalb unzulässig, weil hierdurch ein firmeninterner Verbandstarifvertrag erzwungen werden soll. Dies habe das BAG im Urteil vom 10.12.2002 ausdrücklich festgestellt. Vorliegend bestehe auch unstreitig keine Friedenspflicht aufgrund des Flächentarifvertrages. Fa. H... ... AG stehe dem Streik auch nicht etwa schutzlos gegenüber. Wie bei anderen Tarifverhandlungen stehe ihr zur Abwehr des Streikes das Mittel der Aussperrung zu Seite. NORDMETALL habe in der vergangenen Woche in einer außerordentlichen Mitgliederversammlung das Unternehmen ermächtigt, vom Mittel der Aussperrung Gebrauch zu machen. Auch bei einer unternehmensbezogenen Tarifauseinandersetzung bestehe mithin Kampfparität.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der in der Berufungsinstanz gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsniederschrift verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig. Insbesondere ist sie gemäß § 64 Abs. 1 u. 2 ArbGG an sich statthaft, sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, § 66 Abs. 1 ArbGG.

In der Sache selbst hat die Berufung keinen Erfolg.

Die angefochtene Entscheidung des Arbeitsgerichts hält sowohl im Ergebnis als auch in der Begründung einer rechtlichen Überprüfung stand. Mit zutreffender und überzeugender Begründung hat das Arbeitsgericht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung auf Untersagung von Arbeitskampfmaßnahmen zurückgewiesen. Zur Vermeidung überflüssiger Wiederholungen kann insoweit auf die Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils verwiesen werden, § 69 Abs. 2 ArbGG. Lediglich ergänzend und auf den Vortrag der Parteien in der Berufungsinstanz eingehend wird Folgendes ausgeführt:

A.

An der Zulässigkeit des Eilantrages bestehen keine Zweifel. Der auf Verhinderung eines rechtswidrigen Streiks gerichtete Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist grundsätzlich zulässig (LAG Schleswig-Holstein, Urt. V. 25.11.1999 - 4 Sa 584/99 -, NZA-RR 2000, 143; LAG Hamm, Urt. V. 31.05.2000 - 18 Sa 858/00 -, NZA-RR 2000, 535; Germelmann/Matthes/Prütting, ArbGG, 4. Aufl., Rn. 91 zu § 62).

B.

Der Eilantrag ist jedoch nicht begründet.

I.

Zwar steht der Verfügungsklägerin ein Verfügungsgrund zur Seite. Dieser besteht darin, dass die Arbeitskampfmaßnahmen zum Zeitpunkt der Rechtshängigmachung des Eilverfahrens unmittelbar angedroht worden waren und zwischenzeitlich auch durchgeführt worden sind. Da die Streikmaßnahmen nach wie vor andauern, ist der Verfügungsgrund auch nicht etwa entfallen.

II.

Ein Verfügungsanspruch liegt indessen nicht vor. Ein Verfügungsanspruch zur Verhinderung von Arbeitskampfmaßnahmen besteht nur dann, wenn der angekündigte Streik rechtswidrig ist. Der seitens der Verfügungsbeklagten angekündigte und mittlerweile aufgrund der erstinstanzlichen Entscheidung im K... Betrieb der Verfügungsklägerin durchgeführte Streik ist entgegen der Auffassung der Verfügungsklägerin rechtmäßig, sodass kein Verfügungsanspruch für die Verfügungsklägerin besteht.

1. Der auf §§ 1004, 823 Abs. 1 BGB gestützte Anspruch auf Unterlassung des Streiks folgt gerade nicht aus einem rechtswidrigen Eingriff in das durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Recht der Verfügungsklägerin auf freie Unternehmerentscheidungen. Insbesondere wird die grundrechtlich garantierte Unternehmensautonomie nicht durch nicht tariffähige Forderungen gänzlich ausgehebelt. Die Verfügungsbeklagte hat insbesondere nicht gefordert, den vollständigen Standorterhalt tarifvertraglich zu regeln [a)]. Für die Prüfung der Rechtmäßigkeit des Streiks und der damit verbundenen Frage der Tariffähigkeit der seitens der Verfügungsbeklagten geltend gemachten Forderungen sind allein die gegenüber dem Arbeitgeberverband NORDMETALL mit Schreiben vom 18.12.2002 erhobenen Tarifforderungen maßgeblich. Die in diesem Schreiben gegenüber der NORDMETALL erhobenen Forderungen (verlängerte Kündigungsfristen [b)], Abfindungen [c)], Qualifizierungsmaßnahmen [d)]) können grundsätzlich in einem Tarifvertrag geregelt werden. Der Arbeitskampf ist mithin nicht tarifgesetzwidrig bzw. rechtswidrig, weil die mit Schreiben vom 18.12.2002 aufgestellten Forderungen tariflich regelbare Ziele beinhalten. Sie sind allesamt Tarifnormen, die die Beendigung von Arbeitsverhältnissen gemäß § 1 Abs. 1 TVG ordnen. Nach dieser Vorschrift enthält der Tarifvertrag u.a. Rechtsnormen, die den Inhalt, den Abschluss und die Beendigung von Arbeitsverhältnissen regeln. Dabei ist zu beachten, dass die durch Art. 9 Abs. 3 GG garantierte formelle Tarifvertragsfreiheit, d.h. die formelle Normsetzungskompetenz der Tarifvertragsparteien, mit der materiellen Tarifvertragsfreiheit, d.h. materielle Normen zur Regelung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen in Form von arbeitsvertraglichen Inhalts-, Abschluss- und Beendigungsnormen setzen zu können, korrespondiert. Die durch Art. 9 Abs. 3 GG garantierte Koalitionsfreiheit ist sehr weit gefasst.

1.1. Entgegen der Auffassung der Verfügungsklägerin hat die Verfügungsbeklagte gegenüber ihrem Tarifpartner NORDMETALL nicht die Tarifforderung "voller Standorterhalt" aufgestellt.

1.1.1. Dies ergibt sich insbesondere nicht aus dem an NORDMETALL gerichteten Aufforderungsschreiben vom 18.12.2002. Zwar hat die Verfügungsbeklagte hierin auch zum Ausdruck gebracht, dass es die "gemeinsame Verantwortung als Tarifvertragsparteien ist, dazu beizutragen, dass der K... Standort gesichert und nachteilige Folgen für die Beschäftigten des Unternehmens und die Region vermieden oder gemindert werden" und diesen Appell mit der Aufforderung, in Tarifverhandlungen einzutreten, verknüpft. Indessen ergibt sich aus diesem Zitat der Verfügungsklägerin bereits sinngemäß, dass es den Tarifvertragsparteien nach Aussage des Verfügungsbeklagten obliegt, die mit der Standortverlagerung einhergehenden nachteiligen Folgen für die Arbeitnehmer, soweit sie nicht zu verhindern sind, so doch zumindest zu mildern. Dies spiegeln die Worte "vermieden oder gemindert" wider. Ungeachtet dessen kann dieses Zitat nach dem Empfängerhorizont auch nur als sog. Einleitung aufgefasst werden, was bereits der Absatz zu der sodann folgenden Aufforderung zur Aufnahme von Tarifverhandlungen mit den gestellten Tarifforderungen kenntlich gemacht hat. Die Verfügungsbeklagte hat zudem in dem Schreiben vom 18.12.2002 unmissverständlich erklärt, dass der Tarifvertrag für den Fall geschlossen werden solle, dass es trotz der Bemühungen des Betriebsrates - nicht ihrer eigenen - zu Produktionsverlagerungen und betriebsbedingten Kündigungen kommen sollte. Die Verfügungsbeklagte hat mithin eindeutig zum Ausdruck gebracht, dass es ihr in den Tarifverhandlungen gerade nicht darum gehe, die Produktionsverlagerung zu verhindern; das Gegenteil ist der Fall, der angestrebte Tarifvertrag sollte nach dem Willen der Verfügungsbeklagten nur für den Fall der Betriebsverlagerung abgeschlossen werden. Die Verfügungsbeklagte hat die einzelnen Tarifforderungen in dem Schreiben vom 18.12.2002 mit den einleitenden und somit hervorhebenden Worten "...folgende tarifvertragliche Regelung:" unter den Ziff. 1., 2. und 3. gefordert. Die Forderung "Standorterhalt" ist dort gerade nicht aufgelistet.

1.1.2. Die Verfügungsklägerin kann sich auch nicht mit Erfolg auf das Flugblatt vom Dezember 2002, einzelne Ausgaben der Zeitschrift "Wie bliev!", der Presseerklärung der Verfügungsbeklagten vom 13.02.2003 sowie dem Streikaufruf vom 03.03.2003 zur Stützung ihrer Behauptung, die Verfügungsbeklagte verfolge die tarifliche Regelung, den Standort zu erhalten, berufen.

Zu Recht hat das Arbeitsgericht darauf hingewiesen, dass die Verfügungsbeklagte - sofern ihr diese Veröffentlichungen überhaupt zurechenbar sind - hierin allenfalls die politische Forderung auf vollen Standorterhalt aufgestellt hat. Die von der Verfügungsklägerin zitierten Schreiben waren gerade nicht als Tarifforderung an den Arbeitgeberverband NORDMETALL gerichtet, sondern dienten vornehmlich der Information der Arbeitnehmer der Verfügungsklägerin sowie der Öffentlichkeit. Für die Beurteilung, ob die Forderungen der Verfügungsbeklagten tariffähig sind, ist allenfalls der Inhalt des an den Tarifvertragspartner NORDMETALL gerichteten Schreibens vom 18.12.2002 maßgeblich, welches eine angebliche Tarifforderung "voller Standorterhalt" - wie unter II. 1. a) aa) ausgeführt - gerade nicht enthält. Die in diesem Schreiben zu 1., 2. und 3. erhobenen Forderungen sind auch Grundlage des Streikbeschlusses des Vorstandes des Verfügungsbeklagten vom 11.02.2003 gewesen (Anlage AG 25, Bl. 360-362 d.GA.). Die Zulässigkeit des hier strittigen Arbeitskampfes zur Durchsetzung eines firmeninternen Verbandstarifvertrages richtet sich nach dem Inhalt des Streikbeschlusses der Verfügungsbeklagten. Für die hierin enthaltenen Tarifforderungen hat die Verfügungsbeklagte zum Streik aufgerufen. In dem Streikbeschluss findet sich jedoch nicht die seitens der Verfügungsklägerin behauptete Forderung auf vollen Standorterhalt.

Demgegenüber sind für die Rechtmäßigkeit des streitgegenständlichen Streiks bzw. der Tarifforderungen der Inhalt sonstiger Publikationen wie Flugblätter, Zeitungen, Streikaufrufe oder Presseerklärungen, die zum Teil noch nicht einmal von der Verfügungsbeklagten verfasst worden sind, unbeachtlich. Die Verfügungsklägerin verkennt hier auch die Aufgabenstellung einer Gewerkschaft. Neben ihrer eigentlichen Aufgabe, als Tarifpartner i.S.v. Art. 9 Abs. 3 GG i.V.m. § 2 Abs. 1 TVG mit einem Arbeitgeber oder Arbeitgeberverband Tarifverträge abzuschließen, kommt ihnen auch eine gesellschafts- und / oder sozial-politische Aufgabe zu. Letztgenannter Aufgabe ist die Verfügungsbeklagte nachgekommen, indem sie sich außerhalb der gegenüber dem Arbeitgeberverband NORDMETALL geforderten Tarifvertragsverhandlungen in der Öffentlichkeit nicht nur für die konkreten Tarifforderungen für den Fall der Produktionsverlagerung, sondern auch sozial-politisch für den Standorterhalt des K... Betriebes der Verfügungsklägerin ausgesprochen hat.

1.1.3. Die Verfügungsklägerin beruft sich hinsichtlich der Tarifforderung "Standorterhalt" auch zu Unrecht auf das Urteil des LAG Hamm vom 31.05.2000, - 18 Sa 858/00 - (NZA-RR 2000, 535-538). Der Sachverhalt, der dieser Entscheidung zugrunde gelegen hat, ist mit dem vorliegenden nicht vergleichbar. Dies ergibt sich bereits aus dem Tatbestand des zitierten LAG Hamm-Urteils. Dort hatte die Gewerkschaft (auch dort die Verfügungsbeklagte) den Aufruf zur Urabstimmung wie folgt begründet:

"... in den vergangenen Wochen haben wir mit vielen gemeinsamen Aktionen versucht, Herrn ... davon zu überzeugen, dass H... der richtige Standort für eine neue Zwieback-Fabrik ist. Leider hat er alle Signale nicht verstanden.

Deshalb bleibt uns jetzt keine andere Wahl mehr. Der nächste Schritt heißt

Arbeitskampf!"

Hieraus ergibt sich unzweifelhaft, dass der Arbeitskampf die geplante Verlagerung der Zwieback-Produktion verhindern sollte. Der Standorterhalt wurde mithin von der dortigen Gewerkschaft zum Ziel der Tarifverhandlungen erhoben. Dies folgt auch aus dem an die Tarifpartner gerichteten Aufforderungsschreiben der dortigen Gewerkschaft vom 27.04.2000 (im Berufungstermin in Kopie von der Verfügungsklägerin zur Akte gereicht). Hierin hatte die dortige Gewerkschaft ihre Forderungen u.a. wie folgt konkretisiert:

"Einsetzung eines von den Tarifvertragsparteien gebildeten Beratungsausschusses. Der Ausschuss soll paritätisch (drei bis vier Vertreter jeder Seite) besetzt sein. Seine Aufgabe ist es, binnen eines Zeitraums von drei Monaten Alternativen zur und ggf. Folgen der geplanten Verlagerung der Produktion zu prüfen und Lösungsmöglichkeiten zu erarbeiten."

Vor diesem Hintergrund hat das LAG Hamm entschieden, dass der seitens der Gewerkschaft angekündigte Streik zur Erzwingung eines Firmentarifvertrages zur Standortsicherung angesichts der mit Schreiben vom 27.04.2000 angeführten Verhandlungsgegenstände unzulässig sei. Die dortige Gewerkschaft hatte die zusätzlich erhobenen Forderungen wie Umschulungsregelungen, Qualifizierungsmaßnahmen, Abfindungen, Umzugs- und Heimfahrtenregelungen mit der von ihr vorrangig gestellten Forderung auf Standorterhalt verknüpft. Der Standorterhalt war im LAG Hamm-Verfahren Gegenstand der Tarifverhandlungen und nicht - wie vorliegend - die Produktionsverlagerung, mithin der Verlust des K... Produktionsstandortes, zur Voraussetzung für den Abschluss eines Tarifvertrages gemacht.

1.1.4. Schließlich hat auch der zu Tarifverhandlungen aufgeforderte Arbeitgeberverband NORDMETALL die geltend gemachten Tarifforderungen in dem hier verstandenen Sinne aufgefasst. Dies ergibt sich eindeutig aus seinem an die Verfügungsbeklagte gerichteten Antwortschreiben vom 23.01.2003 (Bl. 303 d.GA.). Dass NORDMETALL das Ziel der Tarifverhandlungen gerade nicht im Standorterhalt gesehen hat, folgt unmissverständlich aus folgender Passage:

"Aus unserer Sicht würden die von Ihnen vorgeschlagenen Tarifverhandlungen zur Abmilderung von Folgen einer Betriebsänderung das Ergebnis der Gespräche im Vermittlungsverfahren sowie eventuell in der Einigungsstelle vorwegnehmen. Ohne die Ergebnisse dieser Vermittlungsversuche zu kennen, hoffen wir, dass Sie mit uns übereinstimmen, dass es wenig Sinn macht, bereits deren Folgen zu diskutieren."

Der Arbeitgeberverband NORDMETALL hatte folglich erkannt, dass die Tarifvertragsverhandlungen einzig darauf abzielten, die sozialen Folgen einer Produktionsverlagerung für die von Kündigung bedrohten Arbeitnehmer abzumildern. Es ging mithin auch für NORDMETALL in den geforderten Tarifverhandlungen erkennbar nicht um das "Ob" der Produktionsverlagerung, sondern lediglich um das "Wie".

1.2. Ein rechtswidriger Eingriff in die Unternehmensautonomie kann auch nicht mit den geforderten Kündigungsfristen begründet werden. Die von der Verfügungsbeklagten geforderten verlängerten Kündigungsfristen sind grundsätzlich tarifvertraglich regelbar.

1.2.1. Kündigungsfristen zählen unstreitig zu den Beendigungsnormen i. S. v. § 1 Abs. 1 TVG. Kündigungsfristen zählen geradezu zu den elementaren Normen eines Tarifvertrages. Hierüber besteht zwischen den Parteien auch kein Streit.

1.2.2. Die Länge der zur Aufnahme von Tarifverhandlungen geforderten Kündigungsfristen in Zusammenhang mit den geforderten Qualifizierungsmaßnahmen führt vorliegend auch nicht sozusagen mittelbar zu einem Leerlaufen der grundrechtlich geschützten Unternehmensautonomie. Die Unternehmensautonomie als Teil der Berufsfreiheit in Art. 12 Abs. 1 GG ist ebenso verfassungsrechtlich garantiert wie die Tarifautonomie in Art. 9 Abs. 3 GG. Diese zwei Grundrechtsgewährleistungen sind so auszudeuten, dass beide jeweils bestmöglich wirksam werden BAG, Urt. v. 03.04.1990 - 1 AZR 123/89 -, AP Nr. 56 zu Art. 9 GG). Die Ausübung des einen Grundrechts darf in keinem Fall dazu führen, dass das jeweils andere Grundrecht leer läuft, vielmehr muss im Rahmen einer Grundrechtskollision gewährleistet sein, dass der Kernbereich der Grundrechte jeweils erhalten bleibt. Die Gewerkschaft als Tarifvertragspartei ist danach befugt, die tarifliche Ausgestaltung allgemeiner Bedingungen zur Begründung, Inhalt und Beendigung von Arbeitsverhältnissen zum Schutze der Arbeitnehmer und zur Ordnung des Arbeitslebens mit den Mitteln des Arbeitskampfes vom Arbeitgeber bzw. dem Arbeitgeberverband zu erzwingen, obgleich hierdurch stets die unternehmerische Freiheit des Arbeitgebers eingeschränkt wird. Als kollektiv ausgestaltetes Arbeitnehmerschutzrecht darf die Ausübung der Koalitionsfreiheit und der damit verbundenen Tarifautonomie indessen nicht dazu führen, dass dem Arbeitgeber / Unternehmer jegliche unternehmerische Entscheidungsfreiheit genommen wird. Ein angemessener Spielraum zur Entfaltung der Unternehmensautonomie ist unantastbar (BVerfG, Beschluss v. 14.10.1970 - 1 BVR 306/68, NJW 1971, 368 f.; BVerfG, Urteil v. 01.03.1979 - 1 BVR 532, 533/77, 419/78 und 1 BVL 21/78 -, NJW 1979, 699, 708). Zum unantastbaren Kernbereich der dem Arbeitgeber zustehenden Unternehmensautonomie zählen beispielsweise die Entscheidung über Schließung oder Veräußerung seines Betriebs, über Standortverlagerung und Personalabbau, über Festlegung von Produktions-, Organisations- und Vertriebsstrukturen sowie Investitionen. Der Arbeitgeber kann mithin aufgrund des Kernbereichs der grundrechtlich garantierten Unternehmensautonomie frei darüber entscheiden, welche Geld- und Sachmittel zu welchem Zweck ausgegeben und ob, was und wo mit wieviel Personal hergestellt wird (BAG, Urt. V. 03.04.1990 - 1 AZR 123/89 -, aaO.; Kissel, Arbeitskampfrecht, 2002, § 35 Rn. 23).

Hieran gemessen wird durch die Forderung von - zugegebenermaßen sehr langen - Kündigungsfristen zum Zwecke des Eintritts in Tarifverhandlungen die Unternehmerfreiheit der Verfügungsklägerin vorliegend noch nicht in ihrem Kernbereich eingeschränkt. Die Verfügungsklägerin hat gerade kein grundrechtlich garantiertes Recht, ohne jeglichen Streikdruck über die Produktionsverlagerung entscheiden zu können. Jede aufgrund einer Betriebsänderung erhobene Tarifforderung über das "Wie" (z. B. Kündigungsfristen, Abfindungen, Qualifizierungsmaßnahmen) beschränkt die unternehmerische Freiheit und hat damit evtl. auch Einfluss auf die Entscheidung des Arbeitgebers über das "Ob".

1.2.3. An dieser Stelle verkennt die Berufungskammer nicht, dass durch exorbitant lange Kündigungsfristen die im Kernbereich des Art. 12 Abs. 1 GG unantastbare Freiheit des Arbeitgebers, seinen Produktionsbetrieb zu verlagern, faktisch ausgehebelt werden kann. Zur unantastbaren Unternehmensautonomie gehört auch die Möglichkeit, unternehmerische Entscheidungen so rechtzeitig umsetzen zu können, dass ihnen nicht durch zwischenzeitlich veränderte Rahmenbedingungen die Realisierbarkeit gänzlich genommen wird. Dies wäre beispielweise dann der Fall, wenn ein Arbeitskampf mit dem Ziel geführt werden würde, eine Betriebsverlagerung erst dann durchzuführen, wenn sämtliche Arbeitnehmer einer altersmäßig heterogen zusammengesetzten Belegschaft wegen Erreichens der Altersgrenze ausgeschieden sind. Dies gölte auch dann, wenn die Produktionsverlagerung infolge der Umsetzung der Tarifforderungen (überlange Kündigungsfristen) und der damit verbundenen wirtschaftlichen Folgen für das Unternehmen nicht mehr realisierbar ist, weil es hierdurch insolvent wird.

Damit kann die Tariffähigkeit einer Forderung und damit auch die Zulässigkeit eines zur Durchsetzung dieser Forderung angekündigten bzw. bereits durchgeführten Streiks letztlich auch von dem Forderungsumfang abhängig sein. Die Tarifautonomie ist mithin auch in ihrem Kernbereich rechtswidrig verletzt, wenn die Tarifforderungen, die die beabsichtigte Betriebsänderung zwar rechtlich weiterhin zulassen, aber aufgrund der zeitlichen Verzögerung faktisch von vornherein unmöglich machen, die Tarifforderungen folglich zwangsläufig zu einer Verhinderung der Produktionsverlagerung, mithin zu einem Stanorterhalt führen müssen. Sofern Tarifforderungen (hier: Kündigungsfristen) grundsätzlich tariffähig sind, sind an die Prüfung, ob diese grundsätzlich tariffähigen und damit zulässigen Tarifforderungen "nur" aufgrund des seitens der Gewerkschaft geforderten Umfangs ausnahmsweise den Kernbereich der Unternehmerautonomie verletzen, strenge Anforderungen zu stellen. Der erhobenen Tarifforderung muss sozusagen augenscheinlich auf die Stirn geschrieben sein, dass sie den Kernbereich der Unternehmensautonomie verletzt, ansonsten liefe es auf eine unzulässige Tarifzensur durch die Gerichte hinaus.

Grundsätzlich ist der Arbeitgeber bzw. der Arbeitgeberverband als in Anspruch genommene Tarifvertragspartei dafür darlegungs- und beweispflichtig, dass die Umsetzung der Tarifforderungen zu einer derartigen "wirtschaftlichen Erdrosselung" des Unternehmens führen würde, sodass das "Ob" ihrer freien Unternehmensentscheidung rechtswidrig tangiert werde. Der Arbeitgeber muss folglich darlegen, dass er trotz der rechtlich bestehenden Befugnis, die geplante Betriebsänderung aufgrund der "wirtschaftlichen Erdrosselung" durch die Umsetzung der Tarifforderungen tatsächlich nicht mehr durchführen kann. Nur wenn der Arbeitgeber bzw. dessen Verband darlegt, dass durch die Umsetzung der Tarifforderungen die Grenzen des absolut geschützten Kernbereichs der Unternehmensautonomie überschritten sind, hat er die Rechtswidrigkeit des zur Durchsetzung der Tarifforderungen angekündigten Streiks dargetan. An die Darlegungslast sind strenge Anforderungen zu stellen.

1.2.4. Dieser Darlegungslast hat die Verfügungsklägerin im vorliegenden Eilverfahren in keiner Weise entsprochen. Zu Recht weist die Verfügungsbeklagte darauf hin, dass die Verfügungsklägerin noch nicht einmal die Beschäftigungszeiten der aufgrund der Produktionsverlagerung von Kündigung bedrohten Mitarbeiter dargelegt hat. Die Verfügungsklägerin behauptet hierzu lediglich pauschal und damit unsubstantiiert, dass ihre Mitarbeiter durchschnittlich 20 Jahre im Betrieb beschäftigt seien. Die Verfügungsklägerin beschäftigt derzeit unstreitig rund 1000 Mitarbeiter, davon sind nach ihren Angaben aber "nur" 562 Mitarbeiter von der Produktionsverlagerung betroffen. Es bleibt mithin unklar, ob die Arbeitnehmer in dem noch verbleibenden Entwicklungsbereich einerseits und in den zu verlagernden Produktionsbereichen durchschnittlich gleiche Beschäftigungszeiten aufweisen. Die Berufungskammer kann die Tariffähigkeit der geforderten Kündigungsfristen (drei Monate zum Quartalsende zzgl. zwei Monate pro Beschäftigungsjahr) und damit die seitens der Verfügungsklägerin behauptete "Sinnentleerung" der Produktionsverlagerung jedoch nur beurteilen, wenn die konkreten Beschäftigungszeiten der 562 von Kündigung bedrohten Mitarbeiter offengelegt werden. Erst dann kann überhaupt abgeschätzt werden, welche konkrete zeitliche Verzögerung die Verfügungsklägerin hinsichtlich der beabsichtigten Produktionsverlagerung hinnehmen muss.

Zudem hat die Verfügungsklägerin auch nicht dargetan, in welchem zeitlichen Rahmen die Verlagerung der einzelnen Produktionsbereiche nach ihren Planungen realisiert werden soll. Eine Produktionsverlagerung erfolgt nicht von heute auf morgen. Für das Gericht bleibt völlig unklar, ob in dem Hauptbetrieb in W... und in R... / USA bereits geeignete und ausreichende Produktionsstätten vorhanden sind oder erst noch geschaffen werden müssen.

Die Angaben der Verfügungsklägerin sind in Bezug auf die behauptete "wirtschaftliche Erdrosselung" durch die Umsetzung der Tarifforderungen ebenfalls nur schlagwortartig und nicht nachvollziehbar. Erstinstanzlich hat sie hierzu vorgetragen, dass die Umsetzung der Tarifforderungen eine Zahlungspflicht in Höhe von durchschnittlich rund sieben Jahresgehältern zzgl. Qualifizierungskosten bedeute. Dies bedeute Kosten in einer Größenordnung von ca. 350.000,-- EUR je ausscheidendem Mitarbeiter und ein tarifliches Sozialplanvolumen von insgesamt fast 200 Mio. Euro. Diese Zahlen sind zwar beeindruckend, können hinsichtlich ihrer Berechnung und Bedeutung aber nicht nachvollzogen werden. Auch vermögen die sodann von ihr behaupteten "Umsätze und Ergebnisse" in den Produktionsbereichen Digital und Prepress nicht die "wirtschaftliche Erdrosselung" durch die Umsetzung der erhobenen Tarifforderungen zu belegen. Die Verfügungsklägerin berücksichtigt bei ihrer Berechnung insbesondere nicht, dass die Arbeitnehmer während der Kündigungsfristen noch arbeiten und damit zur wirtschaftlichen Produktivität des Unternehmens beitragen. Durch die geforderten tariflichen Kündigungsfristen wird die Produktionsverlagerung der Verfügungsklägerin gerade nicht untersagt, sondern sie wird allenfalls - wenn auch möglicherweise erheblich - verzögert. Der Kernbereich der Unternehmerautonomie ist aber nur dann tangiert, wenn dem Arbeitgeber jeglicher Handlungsspielraum für eine Unternehmerentscheidung genommen wird. Dies ist bei einer nur zeitlichen Verzögerung regelmäßig nicht der Fall (vgl. BAG, Urt. v. 21.06.2000 - 4 AZR 379/99 -, DB 2000, 389, 390). Inwieweit die zeitliche Verzögerung der Produktionsverlagerung im vorliegenden Fall gleichwohl zu einer "wirtschaftlichen Erdrosselung" des Unternehmens bzw. dazu führt, dass die Realisierung der Produktionsverlagerung gänzlich vereitelt wird, hat die Verfügungsklägerin nicht aufgezeigt.

1.2.5. Letztlich kann jedoch dahingestellt bleiben, ob die mit Schreiben vom 18.12.2002 geforderten langen Kündigungsfristen im Zusammenhang mit den geforderten Qualifizierungsmaßnahmen vorliegend zu der von der Verfügungsklägerin behaupteten "wirtschaftlichen Erdrosselung" und damit zwangsläufig zu einer Verhinderung der Produktionsverlagerung führen. Das Arbeitsgericht hat in der angefochtenen Entscheidung bereits zu Recht darauf hingewiesen, dass es sich bei den mit Schreiben vom 18.12.2002 erhobenen Tarifforderungen nur um Forderungen, nicht aber um feststehende Bedingungen, die kampfweise durchgesetzt werden sollen, handelt. Sie sind Verhandlungsbasis für erst noch aufzunehmende Tarifverhandlungen und nicht das Ergebnis bereits durchgeführter und für gescheitert erklärter Verhandlungen. Es ist üblich und aufgrund der Koalitionsparität auch zulässig, dass die Tarifvertragsparteien zur Aufnahme bzw. zu Beginn von Tarifverhandlungen jeweils die an sich tariffähigen Forderungen in maximaler Höhe stellen. Ein Arbeitskampf zur Aufnahme von Tarifverhandlungen ist demnach nur dann rechtswidrig, wenn die Tarifforderung als solches bereits auf ein tariflich nicht regelbares Ziel (z.B. Ausschluss einer Betriebsstilllegung oder jeglicher betriebsbedingter Kündigungen, voller Standorterhalt) gerichtet ist. Ansonsten sind die zur Aufnahme von Tarifverhandlungen gestellten Forderungen lediglich Ausgangsbasis für die eigentlichen Tarifverhandlungen und in ihrer Höhe grundsätzlich verhandelbar. Die Tarifautonomie überlässt es dem freien Spiel der Kräfte, zu welchem Ergebnis Tarifverhandlungen und letztlich auch Arbeitskämpfe führen (Kissel, aaO. Rn. 54 zu § 10). Nach Auffassung der Berufungskammer sind auch exorbitant hohe Tarifforderungen, die den Tarifpartner erst zum Eintritt in Tarifverhandlungen veranlassen sollen, im Hinblick auf die grundrechtlich geschützte Unternehmensautonomie verfassungsrechtlich unbedenklich, sofern die Forderungen dem Grunde nach tariffähig sind. Dies ist Ausfluss der auf der Koalitionsfreiheit beruhenden Koalitionsparität. Bei einem Arbeitskampf zur Aufnahme von Tarifverhandlungen geht es noch nicht um die Durchsetzung der Tarifforderungen, sondern um die Aufnahme von Verhandlungen über die Tarifforderungen. Sowohl Kündigungsfristen als auch Abfindungen (siehe B.I.1.3.) und Qualifizierungsmaßnahmen (siehe B.I.1.4.) sind grundsätzlich tariffähig. Vorliegend weigert sich die Verfügungsklägerin jedoch von vornherein, hierüber mit der Verfügungsbeklagten in Tarifverhandlungen zu treten.

Die Verfügungsbeklagte hat mit Schreiben vom 14.03.2003 (AG 21, Bl.319 d.GA.) - unmittelbar nach Verkündung des erstinstanzlichen Urteils - nochmals gegenüber dem Arbeitgeberverband NORDMETALL ausdrücklich klargestellt, dass die erhobenen Forderungen als Verhandlungsbasis anzusehen seien und ggf. aufgrund der Verhandlungen den betrieblichen Verhältnissen angepasst würden. Sie hat hierin ausdrücklich erklärt, dass die erhobenen Tarifforderungen der betrieblichen Konkretisierung bedürften. So sei beispielsweise zu klären, ob für alle von Entlassung betroffenen Mitarbeiter tatsächlich ein Qualifizierungsbedarf von 24 Monaten bestehe. Damit hat die Verfügungsbeklagte unmissverständlich ihre Bereitschaft kundgetan, von ihren Forderungen aufgrund der in den aufzunehmenden Tarifverhandlungen noch zu klärenden betrieblichen Situation ggf. auch nach unten abzurücken. Diese Klarstellung konnte auch noch berücksichtigt werden, weil bei einstweiligen Verfügungen der Sach- und Streitstand zu beachten ist, wie er sich zum Zeitpunkt der Entscheidung darstellt (LAG Schleswig-Holstein, Urt. v. 25.11.1999 - 4 Sa 584/99 -).

1.3. Die Unternehmensautonomie ist gemäß Art. 12 Abs. 1 GG auch nicht durch die geforderten Abfindungszahlungen in seinem Kernbereich verletzt. Es ist allgemein anerkannt und wird von der Verfügungsklägerin auch nicht in Abrede gestellt, dass Abfindungen, die für den Verlust des Arbeitsplatzes gezahlt werden, in einem Tarifvertrag geregelt werden können. Abfindungen stehen unmittelbar im Zusammenhang mit der Beendigung von Arbeitsverhältnissen, zählen mithin zu den Beendigungsnormen gemäß § 1 Abs. 1 TVG. Die infolge der Produktionsverlagerung auszusprechende betriebsbedingte Kündigung ist bei solchen Abfindungsregelungen gerade nicht ausgeschlossen, sondern nur an Bedingungen geknüpft, nämlich die Einhaltung der Kündigungsfrist und die Zahlung einer Abfindung. An die Beendigung von Arbeitsverhältnissen sind sodann zwei tarifliche Bedingungen geknüpft: Kündigungsfrist und Abfindung. Beide mildern die sozialen Folgen einer betriebsbedingten Kündigung und regeln damit auch die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen i.S.v. Art. 9 Abs. 3 GG. Während des Laufs der Kündigungsfrist kann sich der gekündigte Arbeitnehmer auf Arbeitssuche begeben, um so ggf. nachfolgende Arbeitslosigkeit zu vermeiden. Die Abfindungen mildern die wirtschaftlichen Folgen der Kündigung für den Arbeitnehmer.

Aufgrund des Vortrags der Verfügungsklägerin ist nicht ersichtlich, inwieweit die geforderten Abfindungszahlungen sie faktisch zu einem Standorterhalt zwingen, sie mithin gänzlich in ihrer unternehmerischen Freiheit zur Produktionsverlagerung im geschützten Kernbereich eingeschränkt ist.

1.4. Auch die Durchführung von Qualifizierungsmaßnahmen zählt zu den tariffähigen Regelungen gemäß § 1 Abs. 1 TVG und verletzen die Verfügungsklägerin nicht in ihrem Grundrecht nach Art. 12 Abs. 1 GG. Welche Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen tarifvertraglich regelbar sind und damit auch durch Streik erkämpft werden können, hat der Gesetzgeber in Erfüllung seines aus Art. 9 Abs. 3 GG folgenden Regelungsauftrags in § 1 TVG festgelegt. Ebenso wie Abfindungen sind die hier strittigen Qualifizierungsmaßnahmen an die Beendigung von Arbeitsverhältnissen geknüpft und erfassen die Abmilderung der mit der Kündigung einhergehenden sozialen Folgen. Letztlich soll durch die Qualifizierungsmaßnahmen das Abgleiten der gekündigten Arbeitnehmer in Arbeitslosigkeit und damit wirtschaftliche Notlage verhindert werden. Hieran ändert auch der im erstinstanzlichen Verfahren seitens der Verfügungsklägerin erhobene Einwand, dass sie durch die Qualifizierungsmaßnahmen zur Begründung von Rechtsverhältnissen eigener Art, nicht arbeitsvertraglicher Art, verpflichtet werden solle, nichts. In vielfältigen tariflichen Rationalisierungsschutzabkommen (vgl. nur: Tarifvertrag über den Rationalisierungsschutz für Angestellte im Geltungsbereich des BAT sowie des MTArb, Rationalisierungsschutzabkommen des privaten Versicherungsgewerbes sowie der Metallindustrie für Hamburg und Schleswig-Holstein, Letzteres wurde zum 31.12.1977 gekündigt) finden sich derartige Qualifizierungs- oder Umschulungsmaßnahmen. Es handelt sich hierbei um Maßnahmen, die im Zusammenhang mit der Beendigung von Arbeitsverhältnissen stehen. Sie begründen aus Anlass einer betriebsbedingten Kündigung nachvertragliche Pflichten des Arbeitgebers unter dem Gesichtspunkt der arbeitsvertraglichen Fürsorgeverpflichtung des Arbeitgebers. Insoweit unterliegt es nach Auffassung der Kammer keinem Zweifel, dass auch derartige Qualifizierungsmaßnahmen Ausfluss der konkreten Ausgestaltung des Arbeits- und Wirtschaftslebens i. S. v. Art. 9 Abs. 3 GG sind. In den Berufungsschriftsätzen hat die Verfügungsklägerin diesen erstinstanzlich noch verfolgten Einwand auch nicht mehr erhoben. Die Kammer verweist an dieser Stelle auch auf tarifliche Normen, die Altersversorgung der ehemaligen Mitarbeiter betreffen. Auch derartige tarifliche Pflichten des Arbeitgebers sind regelmäßig erst nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu erfüllen, verpflichten den Arbeitgeber mithin nachvertraglich.

2. Der Streik ist auch nicht deshalb unzulässig, weil die Entscheidung über das "Ob" einer Betriebsverlagerung und die Abmilderung der sozialen Folgen den Interessen- und Sozialplanverhandlungen der Betriebsparteien gemäß §§ 111 ff. BetrVG vorbehalten sind. Entgegen der vermeintlichen Auffassung der Verfügungsklägerin enthalten die §§ 111 ff. BetrVG keine Ausgestaltung der nach Art. 9 Abs. 3 GG garantierten Tarifautonomie. Hierfür bietet das Betriebsverfassungsgesetz keine Anhaltspunkte. Zutreffend hat das Arbeitsgericht darauf hingewiesen, dass das Betriebsverfassungsgesetz in den §§ 77 Abs. 3; 87 Abs. 1 BetrVG Regelungen enthält, die den Vorrang der Tarifautonomie sicherstellen und gewährleisten. Wenn aber nach dem Betriebsverfassungsgesetz tarifliche Normen regelmäßig Vorrang vor Betriebsvereinbarungen haben, hätte es für den umgekehrten Fall, dass im Falle von Betriebsänderungen die innerbetrieblichen Interessenausgleichs- und Sozialplanverhandlungen gemäß §§ 111 ff. BetrVG die Tarifautonomie beschränken sollen, nahe gelegen, dies ebenfalls ausdrücklich gesetzlich festzulegen. Dies hat der Gesetzgeber des Betriebsverfassungsgesetzes aber gerade nicht getan. Im Gegenteil, er hat in § 112 Abs. 1 Satz 4 BetrVG über den Hinweis auf die Unanwendbarkeit des § 77 Abs. 3 BetrVG lediglich den Tarifvorbehalt für Sozialpläne aufgehoben, aber nicht tarifliche Regelungen für die "Folgenbeseitigung" von Betriebsänderungen ausgeschlossen. Dies kann im Ergebnis dann dazu führen, dass bei rationalisierungsbedingten Einschränkungen tarifliche Leistungen mit Verpflichtungen aus dem Sozialplan kumulieren (Stege/Weinspach/Schiefer, BetrVG, 9. Aufl., Rn. 100 zu §§ 111-113). Der Sozialplan kann über eine tarifliche Regelung hinausgehen, sie aber grundsätzlich nicht unterschreiten (Fitting/Kaiser/Heither/Engels/Schmidt, BetrVG, 21. Aufl., Rn. 9 zu § 111 u. Rn. 173 zu §§ 112, 112 a). Eine nach §§ 111 ff. BetrVG ausschließliche "Kompetenzzuweisung" zur Regelung des Ausgleichs wirtschaftlicher Nachteile auf die Betriebsparteien, wie es Lieb (DB 1999, 2058, 2066) anstrebt, ist weder dem Betriebsverfassungsgesetz zu entnehmen, noch ist es mit der verfassungsrechtlich garantierten Tarifautonomie vereinbar. Es ist Lieb zwar zuzustimmen, dass die Entscheidung des Arbeitgebers, seinen Betrieb stillzulegen oder zu verlagern, d.h. die Entscheidung über das "Ob", sozusagen tarifvertragsfrei ist, indessen schränkt nicht jede tarifliche Regelung, die die unternehmerische Entscheidung nur hinauszögert und/oder die Kostenseite beeinflusst, den von Art. 12 Abs. 1 GG absolut geschützten Kernbereich der Unternehmensautonomie rechtswidrig ein.

Das LAG Hamm hat in seinem Urteil vom 31.05.2000 - 18 Sa 858/00 - (aaO.) zutreffend darauf hingewiesen, dass im Falle eines branchenbezogenen Rationalisierungsschutzabkommens dem Arbeitgeber, obgleich er bei der konkret durchzuführenden Betriebsänderung neben den Mitbestimmungsrechten des Betriebsrates nach §§ 111 ff. BetrVG auch die tariflichen Regelungen zu beachten habe, dennoch ein angemessener Entscheidungsspielraum verbleibe, somit der Kernbereich der Unternehmensautonomie noch nicht beeinträchtigt sei. Warum dies bei einem firmenbezogenen Tarifvertrag nicht gleichermaßen gilt, lässt das LAG Hamm an dieser Stelle unbeantwortet und ist auch sonst nicht ersichtlich. Auch branchenbezogene Rationalisierungsschutzabkommen schränken die unternehmerische Entscheidungsfreiheit regelmäßig hinsichtlich des "Wann" und "Wie" der geplanten Betriebsänderung ein. Hierin besteht mithin kein Unterschied zum Firmentarifvertrag bzw. firmeninternen Verbandstarifvertrag. Die Zulässigkeit von Firmentarifverträgen und firmeninternen Verbandstarifverträgen ist mittlerweile allgemein anerkannt und wird von der Verfügungsklägerin auch nicht in Zweifel gezogen. Da das Betriebsverfassungsgesetz in den §§ 111 ff. BetrVG - wie ausgeführt - kein Ausführungsgesetz zu Art. 9 Abs. 3 GG ist und somit die Tarifautonomie bei Betriebsänderungen auch nicht von vornherein einzuschränken vermag, kann die Grenze der Tarifautonomie nur im Wege der Grundrechtskollision zu Art. 12 Abs. 1 GG, d.h. am Kernbereich der verfassungsrechtlich garantierten Unternehmensautonomie, unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles bestimmt werden.

Das Betriebsverfassungsgesetz schränkt die nach Art. 9 Abs. 3 GG garantierte Tarifautonomie auch nicht in der Form ein, dass es die Grenzen des geschützten Kernbereichs der Unternehmensautonomie gemäß Art. 12 Abs.1 GG dahingehend bestimmt, dass bereits bei tariflichen Regelungen über das "Wann" und "Wie" einer Betriebsänderung dieser unzulässig eingeschränkt sei. Während die Entscheidung über das "Ob" einer Betriebsänderung zum unantastbaren Kernbereich der Unternehmensautonomie zählt, gilt dies jedoch nicht für die Frage der Durchführung einer Betriebsänderung und der Abmilderung der sozialen Folgen für die davon betroffenen Arbeitnehmer.

3. Der streitgegenständliche Arbeitskampf ist auch nicht deshalb rechtswidrig, weil hierdurch zu Lasten der Verfügungsklägerin der Abschluss eines firmeninternen Verbandstarifvertrages erzwungen werden soll. Hinsichtlich der hier strittigen Tarifforderungen besteht unstreitig keine Friedenspflicht aufgrund des Flächentarifvertrages. Insoweit kann auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen erstinstanzlichen Urteils verwiesen werden.

Es ist auch nicht ersichtlich und mit der Tarifautonomie auch nicht vereinbar, dass ein firmeninterner Verbandstarifvertrag, der grundsätzlich abschlossen werden kann, von Arbeitskampfmaßnahmen ausgeschlossen sein sollte, mithin nur konsensual abgeschlossen werden kann. Zu der gemäß Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Koalitionsfreiheit gehört nicht nur das Recht auf konsensualen Abschluss eines Tarifvertrages, sondern auch die auf Abschluss eines Tarifvertrages gerichteten Arbeitskampfmaßnahmen (BVerfG, Beschl. v. 26.06.1991 - 1 BvR 779/85 -, AP Nr. 117 zu Art. 9 GG 'Arbeitskampf'; BVerfG, Urt. v. 04.07.1995 - 1 BvF 2/86, 1 BvF 1/87, 1 BvF 2/87, 1 BvF 3/87, 1 BvF 4/87 und 1 BvF 1421/86 -, NZA 1995, 754 ff.). Ohne das Mittel des Arbeitskampfes wäre die Verfügungsbeklagte vorliegend in die Rolle des Bittstellers gedrängt, sodass das ihr verfassungsrechtlich garantierte Recht auf Abschluss eines firmeninternen Verbandstarifvertrages leer liefe. Dementsprechend hat auch das Bundesarbeitsgericht in einer jüngsten Entscheidung hierzu ausgeführt, dass ein Streik nicht schon deshalb rechtswidrig sei, weil gegenüber einem verbandsangehörigen Arbeitgeber ein Firmentarifvertrag erzwungen werden sollte (Urt. v. 10.12.2002 - 1 AZR 96/02 -, Pressemitteilung Nr. 92/02). Dies gilt erst Recht bei einem Streik zur Durchsetzung eines firmeninternen Verbandstarifvertrages, da der Arbeitgeber in einem solchen Fall von vornherein unter dem Schutz des Arbeitgeberverbandes steht.

C.

Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen.

Die Verfügungsklägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens, § 97 ZPO.

Gegen dieses Urteil ist die Revision nicht zulässig, § 72 Abs. 4 ArbGG.

Ende der Entscheidung

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