Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein
Urteil verkündet am 20.01.2009
Aktenzeichen: 5 Sa 270/08
Rechtsgebiete: ArbGG, BGB, AGG, GewO, ZPO, BetrVG, MuSchG, GewO, KSchG


Vorschriften:

ArbGG § 64 Abs. 2 lit. c
ArbGG § 66 Abs. 1
ArbGG § 69 Abs. 2
BGB § 315
BGB § 315 Abs. 1
BGB § 315 Abs. 1
BGB § 626 Abs. 1
AGG § 1
AGG § 7
GewO § 106
ZPO § 519
ZPO § 520
BetrVG § 102
MuSchG § 9
GewO § 106
KSchG § 1 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein Im Namen des Volkes Urteil

Aktenzeichen: 5 Sa 270/08

Verkündet am 20.01.2009

In dem Rechtsstreit

hat die 5. Kammer des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein auf die mündliche Verhandlung vom 20.01.2009 durch die Vorsitzende Richterin am Landesarbeitsgericht ... als Vorsitzende und d. ehrenamtlichen Richter ... als Beisitzer und d. ehrenamtlichen Richter ... als Beisitzer

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Kiel vom 16.06.2008, Az. 2 Ca 455 c/08, abgeändert und festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 01.03.2008 beendet worden ist. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits erster und zweiter Instanz tragen die Parteien je zur Hälfte.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien führen einen Kündigungsrechtsstreit.

Der am ...1963 geborene, verheiratete Kläger, der zwei Kindern gegenüber zum Unterhalt verpflichtet ist, ist seit dem 14.11.1995 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin beschäftigt. Er wurde als Helfer in der Waschstraße eingestellt. Nachdem die Beklagte den Betrieb der Waschstraße eingestellt hatte, wurde der Kläger mit Wirkung ab dem 01.10.2003 als Ladenhilfe übernommen und in der Getränkeabteilung des Bereiches "Allgemeine Lebensmittel" eingesetzt. Zu den Aufgaben der Ladenhilfe zählen vornehmlich Auffüll- und Verräumarbeiten. Sie können grundsätzlich flexibel im gesamten Warenhaus eingesetzt werden, wobei die Beklagte den Ladenhilfen aus Gründen der Spezialisierung in aller Regel einen bestimmten Bereich zuweist. Nachdem der Kläger Mitte des Jahres 2006 den Warenhausleiter K... um einen anderweitigen Einsatz gebeten hatte, erfolgte zum 01.03.2007 bedarfsgemäß die Übertragung von Aufgaben in der Frischwarenabteilung (Molkereiprodukte). Während der dortigen Tätigkeit erkrankte der Kläger wiederholt, was die Beklagte veranlasste, Mitte Dezember 2007 mit ihm ein Personalgespräch zu führen, um gegebenenfalls die Ursachen für die sich häufenden Arbeitsunfähigkeitszeiten herauszufinden. Als der Kläger im Januar 2008 erneut arbeitsunfähig wurde, erfolgte eine weitere Unterredung mit dem Warenhausleiter K..., dem Personalleiter E... und dem Kläger. In deren Verlauf wurden Bedenken hinsichtlich des weiteren Einsatzes des Klägers in dem gekühlten Frischebereich thematisiert und dem Kläger eine Rückumsetzung in den Getränkebereich in Aussicht gestellt. Nach einer weiteren Arbeitsunfähigkeitszeit vom 09.02.2008 bis 16.02.2008 begab sich der Kläger anschließend bis zum 23.02.2008 in den Urlaub. Nach Urlaubsrückkehr wies der Warenhausleiters K... den Kläger am 25.02.2008 an, wieder in der Getränkeabteilung zu arbeiten. Der Kläger weigerte sich strikt, dieser Anordnung Folge zu leisten. Er berief sich darauf, dass sein muslimischer Glaube ihm jeglichen Umgang mit Alkohol verbiete. Eine sodann in Gegenwart des Betriebsratsmitgliedes R. geführte Unterredung mit dem Kläger führte ebenso wenig zu einer Änderung des klägerischen Standpunktes wie eine schriftliche Aufforderung zur Arbeitsaufnahme in dem Getränkebereich durch den Warenhausleiter. Der Warenhausleiter K... stellte den Kläger daraufhin für den 25.02.2008 von der Arbeit frei. Am 27.02.2008 erhielt die Beklagte eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung des Klägers, ausgestellt am 25.02.2008 für den Zeitraum bis zum 04.03.2008.

Am 26.02.2008 leitete die Beklagte das Anhörungsverfahren beim Betriebsrat zur beabsichtigten außerordentlichen, vorsorglich fristgemäßen Kündigung ein (Bl. 45 f. d. A.). Der Betriebsrat widersprach der beabsichtigten Kündigung (Bl. 47 d. A.)

Die Beklagte kündigte dem Kläger mit Schreiben vom 01.03.2008, dem Kläger zugegangen am 03.03.2008, fristlos. Mit weiterem Schreiben vom 05.03.2008 sprach die Beklagte dem Kläger gegenüber vorsorglich eine fristgemäße Kündigung zum 30.08.2008 aus (Bl. 4 d. BA)

Gegen diese Kündigungen hat der Kläger fristgemäß Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht erhoben.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstands in erster Instanz, insbesondere des streitigen Parteivorbringens, sowie der erstinstanzlichen Anträge wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils einschließlich der Inbezugnahmen verwiesen, § 69 Abs. 2 ArbGG.

Das Arbeitsgericht hat die Klage in vollem Umfang abgewiesen. Das Arbeitsverhältnis der Parteien sei durch die außerordentliche Kündigung beendet worden. Die Voraussetzungen des § 626 Abs. 1 BGB lägen vor. Der Kläger habe sich am 25.02.2008 wiederholt und endgültig geweigert, entsprechend der Weisung des Warenhausleiters K... seine Arbeit im Getränkebereich aufzunehmen. Aufgrund der Uneinsichtigkeit und Unumstößlichkeit der klägerischen Weigerung sei vorliegend auch keine Abmahnung erforderlich gewesen. Der Kläger habe die Arbeit auch nicht aus Glaubens- und Gewissensgründen verweigern dürfen. Zwar verbiete der islamische Glaube jeglichen Alkoholgenuss, indessen werde vom Kläger nicht verlangt, Alkohol zu trinken. Er sei nur für den Transport und die Lagerung von Getränkekisten, u. a. auch Bierkisten zuständig. Diesbezügliche Verbote seien jedenfalls der Kammer nach den Versen des Korans nicht offenbar geworden. Ein Verstoß gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz liege nicht vor. Zwar verbiete § 1 AGG u.a. Benachteiligungen wegen der Religion oder der Weltanschauung bzw. ethnischen Herkunft. Diese Kriterien dürften nach § 7 AGG grundsätzlich nicht als Anknüpfungspunkt für eine rechtliche Ungleichbehandlung herangezogen werden. Die Beklagte habe mit der Kündigung nicht unmittelbar an die genannten Kriterien angeknüpft, sondern an die beharrliche Weigerung des Klägers, die ihm abverlangte Arbeitsleistung zu erbringen. Eine mittelbare Benachteiligung unterfalle jedenfalls dann nicht dem Verbot des § 7 AGG, wenn sie durch sachliche Gründe bedingt sei, die nichts mit dem verbotenen Unterscheidungsmerkmal zu tun hätten. So sei es hier. Angesichts der Tatsache, dass der Kläger bei seiner Einstellung bzw. Übernahme als Ladenhilfe anstandslos für vier Jahre die Arbeit im Getränkebereich aufgenommen und verrichtet und sich sodann kategorisch geweigert habe, diese künftig auszuführen, sei er für die Beklagte nicht mehr flexibel einsetzbar. Unter diesen Voraussetzungen sei es sachlich begründet, aufgrund der religiös motivierten Arbeitsverweigerung eine fristlose Kündigung auszusprechen. Die Zuweisung des Arbeitsplatzes in der Getränkeabteilung sei vom Direktionsrecht als auch von der Verfassung gedeckt. Die aufgrund der Grundrechtskollision zwischen der Gewissensbetätigungsfreiheit des Klägers gemäß Art. 4 Abs. 1 GG und der Entfaltungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) und Berufsfreiheit (Art. 12, Abs. 1 GG) der Beklagten erforderliche Interessenabwägung falle zugunsten der betrieblichen Interessen der Beklagten aus. Der Kläger habe sich durch konkludentes Verhalten auch mit der Übernahme der Verrichtung von Arbeiten in der Getränkeabteilung einverstanden erklärt. Die Gewissenslage des Klägers als streng gläubiger Moslem sei 2003 dieselbe wie im Februar 2008, als er die vertraglich geschuldeten Arbeiten beharrlich verweigert habe. Von der Beklagten könne nicht verlangt werden, auf ihr Direktionsrecht in einem für sie bedeutsamen Punkt (flexibler Personaleinsatz) ganz allgemein und auf Dauer zu verzichten. Damit werde die Grenze dessen, was von der Beklagten im Rahmen des § 106 GewO erwartet werden könne, deutlich überschritten.

Gegen dieses ihm am 21.07.2008 zugestellte Urteil hat der Kläger am 30.07.2008 beim Landesarbeitsgericht Berufung eingelegt und diese am 20.07.2008 begründet.

Der Kläger trägt vor,

nach der Koran Sure 5, 90 sei einem gläubigen Moslem nicht nur das Trinken von Alkohol untersagt, sondern vielmehr jegliche Handlungen, die der gewerblichen Verbreitung von Alkoholika dienen wie dem Kauf und Verkauf alkoholischer Getränke, dem Besitz einer derartigen Verkaufsstätte oder der Arbeit in einer solchen. Ihm sei mithin jeglicher Umgang mit Alkohol verboten, sodass ihm der Grundrechtsschutz des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG zu Gute käme. Bei der Rechtsgüterabwägung habe das Arbeitsgericht zu Unrecht der Tatsache, dass er vier Jahre in der Getränkeabteilung tätig gewesen sei, streitentscheidende Bedeutung beigemessen. Bei Einstellung habe er unstreitig zunächst acht Jahre in der Waschstraße gearbeitet. Er habe nicht damit rechnen müssen, Alkohol verkaufen zu müssen. Auch nach Übernahme in den Markt- bzw. Getränkebereich sei er aufgrund der Personalsituation zunächst bis Anfang 2006 nur in den Saftgängen eingesetzt gewesen. Erst nach Ausscheiden eines Mitarbeiters habe er vermehrt auch bei den alkoholischen Getränken aushelfen müssen. Es sei der Beklagten zumutbar gewesen, ihm, dem Kläger, im Rahmen des Leistungsbestimmungsrechts eine andere Arbeit in den unterschiedlichen Bereichen des Verbrauchermarktes zuzuweisen. In Anbetracht des hohen Stellenwertes der grundrechtlich und auch nach Art. 9 der Europäischen Menschenrechtskonvention gewährleisteten Glaubens- und Religionsfreiheit seien an die Darlegungslast des Arbeitgebers entsprechend hohe Anforderungen zu stellen hinsichtlich des Nachweises, dass der betreffende Arbeitnehmer seine geschuldete Arbeitsleistung keinesfalls anders erbringen könne als gerade in der von ihm aus Gewissensgründen abgelehnten Weise.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des am 16.06.2008 verkündeten Urteils des Arbeitsgerichts Kiel, Az. 2 Ca 455 c/08, festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigungen der Beklagten vom 01.03.2008 sowie vom 05.03.2008 nicht beendet wird, sondern zu unveränderten Bedingungen auf unbestimmte Zeit fortbesteht.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt

das angefochtene Urteil. Es basiere nicht auf einem Abwägungsfehler hinsichtlich der Bewertung der kollidierenden Grundrechtsinteressen. Der Kläger behaupte wahrheitswidrig, dass er bei Übernahme in der Getränkeabteilung bis Anfang 2006 nur mit antialkoholischen Getränken betraut gewesen sei. Er sei von Anfang an sowohl mit antialkoholischen als auch mit alkoholischen Getränken und bei Bedarf auch mit Spirituosen befasst gewesen. Hierbei sei ihrerseits darauf Rücksicht genommen worden, als dass der Kläger weder mit dem Ausschank und der Verköstigung von alkoholischen Getränken noch mit der Beratung von Kunden hinsichtlich solcher Getränke befasst worden sei. Auch nach dem gegenüber dem Marktleiter geäußerten Versetzungswunsch habe der Kläger noch neun Monate in der Getränkeabteilung gearbeitet, ohne dass in jener Zeit ein Gewissenskonflikt offenbar geworden sei. Angesichts der Tatsache, dass der Kläger von Mai 2007 bis Februar 2008 insgesamt 38 Tage arbeitsunfähig krank gewesen sei, sei ihre Umsetzungsentscheidung auch gerechtfertigt gewesen. Die übrigen Mitarbeiter in der Frischeabteilung wiesen demgegenüber wesentlich geringere krankheitsbedingte Fehlzeiten auf.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien im Berufungsverfahren wird auf den mündlich vorgetragenen Inhalt der zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie den Inhalt des Sitzungsprotokolls vom 20.01.2009 verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig. Sie ist nach § 64 Abs. 2 lit. c ArbGG statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, § 66 Abs. 1 ArbGG; §§ 519, 520 ZPO.

I. Entgegen der Auffassung der Beklagten spricht gegen die Zulässigkeit der Berufung auch nicht der Umstand, dass der Kläger in seiner Berufungsbegründung nicht auf die Hilfsbegründung des Arbeitsgerichts, dass die Kündigung nicht nur aus verhaltensbedingten, sondern auch aus personenbedingten Gründen gerechtfertigt sei, eingegangen ist. Hierbei handelt es sich nicht um eine Hilfsbegründung mit selbstständig tragender Bedeutung (vgl. BGH Beschl. v. 27.05.2008 - XI ZB 41/06 -, zit. n. Juris). Vielmehr zielt die Hilfsbegründung des Arbeitsgerichts auf einen zusätzlichen Gesichtspunkt, warum vorliegend ein wichtiger Grund i. S. v. § 626 Abs. 1 BGB für die außerordentliche Kündigung vorliegt. Anders ist es beispielsweise im Falle der Klagstattgabe, wenn das Arbeitsgericht die Unwirksamkeit der Kündigung darauf stützt, dass ein wichtiger Grund i. S. v. § 626 Abs. 1 BGB nicht vorliegt und darüberhinaus die Kündigung auch wegen Verstoßes gegen § 102 BetrVG und § 9 MuSchG unwirksam sei. Zur Zulässigkeit der Berufungsbegründung muss sich der Arbeitgeber dann mit jedem einzelnen Unwirksamkeitsgrund auseinandersetzen.

II. In der Sache selbst hat die Berufung indessen nur teilweise Erfolg.

2. Das Arbeitsverhältnis endete nicht bereits mit Zugang der außerordentlichen Kündigung vom 01.03.2008 am 03.03.2008.

a) Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigendem unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann.

Die rechtliche Überprüfung nach § 626 Abs. 1 BGB erfolgt in zwei Stufen: Zum einen muss ein Grund vorliegen, der - ohne Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalles - überhaupt an sich geeignet ist, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Zum anderen muss dieser Grund im Rahmen der Interessenabwägung unter besonderer Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles, insbesondere auch des Verhältnismäßigkeitsprinzips, zum Überwiegen der berechtigten Interessen des Kündigenden an der fristlosen Beendigung des Arbeitsverhältnisses führen.

b) Hieran gemessen war die fristlose Kündigung nicht gerechtfertigt. Das Arbeitsgericht hat zwar zu Recht festgestellt, dass der Kläger durch die strikte und unumstößliche Weigerung, in der Getränkeabteilung zu arbeiten, in erheblichem Umfang gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten verstoßen hat und damit an sich einen wichtigen Grund für eine fristlose Kündigung gegeben hat. Die beharrliche Arbeitsverweigerung und damit den gravierenden Pflichtverstoß als solches leugnet der Kläger nicht. Er beruft sich vielmehr auf eine berechtigte Glaubens- und Gewissensentscheidung. Entgegen der Auffassung des Klägers war er aber nicht berechtigt, seine vertraglich geschuldete Arbeit im konkreten Fall aufgrund seines moslemischen Glaubens zu verweigern (aa). Indessen war der Beklagten zuzumuten, den Kläger vorübergehend während des Laufs der Kündigungsfrist und damit vorübergehend in einer anderen Abteilung weiter zu beschäftigen (bb).

aa) Der Kläger war nicht berechtigt, sich der Arbeitsweisung der Beklagten beharrlich zu widersetzen. Hieran ändert auch der Umstand nichts, dass dem Kläger aus Glaubensgründen jeglicher Umgang mit Alkohol verboten ist.

(1) Die Zuweisung des konkreten Arbeitseinsatzes war unstreitig durch das Direktionsrecht gedeckt. Das Weisungsrecht, das seine Grenzen in den gesetzlichen Bestimmungen sowie im Kollektiv- und im Einzelvertragsrecht findet, darf gemäß § 315 Abs. 1 BGB, § 106 GewO nur nach billigem Ermessen ausgeübt werden. Die in § 315 Abs. 1 BGB geforderte Billigkeit wird inhaltlich durch die Grundrechte und damit auch durch das Grundrecht der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit des Artikel 4 Abs. 1 GG und die Gewährleistung der ungestörten Religionsausübung des Artikel 4 Abs. 2 GG mitbestimmt. Kollidiert das Recht des Arbeitgebers, im Rahmen seiner gleichfalls grundrechtlich geschützten unternehmerischen Betätigungsfreiheit aus Artikel 12 Abs. 1 GG den Inhalt der Arbeitsverpflichtung des Arbeitnehmers näher zu konkretisieren, mit grundrechtlich geschützten Positionen des Arbeitnehmers, so ist das Spannungsverhältnis im Rahmen der Konkretisierung und Anwendung der Generalklausel des § 315 BGB einem grundrechtskonformen Ausgleich der Rechtspositionen zuzuführen. Dabei sind die kollidierenden Grundrechte in ihrer Wechselwirkung zu sehen und so zu begrenzen, dass die geschützten Rechtspositionen für alle Beteiligten möglichst weitgehend wirksam werden (sogenannte praktische Konkordanz; vgl. BAG, Urteil vom 10.10.2002 - 2 AZR 472/01 - m.w.N.). Bei der Abwägung ist die Intensität der umstrittenen Freiheitsbeschränkung genauso zu berücksichtigen wie die von den Vertragspartnern durch den Abschluss des Vertrags selbst eingeräumte Begrenzung ihrer grundrechtlichen Freiheiten, der Rang und das Gewicht des mit dem Eingriff verfolgten Ziels sowie die spezifische Bedeutung und der spezielle Gehalt des betroffenen Grundrechts bzw. der kollidierenden Grundrechtspositionen in Bezug auf den umstrittenen Regelungskonflikt. Die kollidierenden Grundrechtspositionen sind in ihrer Wechselwirkung zu erfassen und so zu begrenzen, dass sie für alle Beteiligten möglichst weitgehend wirksam werden (LAG Hamm Urt. v. 08.11.2007 - 15 Sa 271/07 -, LAGE Art. 4 GG Nr. 5).

Das vom Kläger in Anspruch genommene Grundrecht aus Artikel 4 Abs. 1 und 2 GG umfasst die Freiheit, nach eigenen Glaubensüberzeugungen zu leben und zu handeln. Die Glaubensfreiheit gewährleistet dabei nicht nur die persönliche Freiheit, nach Maßgabe einer autoritativen oder allgemein anerkannten Lehre einer Religionsgemeinschaft zu leben, sondern auch die individuelle Religionsfreiheit als Recht des Einzelnen, sein gesamtes Verhalten an den Lehren seines Glaubens auszurichten und seiner inneren Glaubensüberzeugung gemäß zu handeln. Vielmehr fallen in den Schutzbereich von Artikel 4 GG auch Verhaltensweisen, die nicht allgemein von den Gläubigen geteilt werden. Für eine zulässige Berufung auf Artikel 4 GG kommt es nur darauf an, dass es überhaupt von einer wirklichen religiösen Überzeugung getragen und nicht anders motiviert ist. Andernfalls würde den Gerichten eine Bewertung von Glaubenshaltungen oder die Prüfung von theologischen Lehren aufgebürdet, die sie nicht leisten können und nicht leisten dürfen (BAG, Urteil vom 10.10.2002 - 2 AZR 472/01 - m.w.N.; LAG Hamm Urt. v. 08.11.2007 - 15 Sa 271/07 -, a.a.O.).

Zur Überzeugung des Gerichts war die religiöse Einstellung des Klägers vorliegend auch ursächlich für dessen Arbeitsverweigerung, sodass er sich auf das Grundrecht des Art. 4 Abs. 1 GG berufen kann. Der Kläger hat glaubhaft und nachvollziehbar dargelegt, dass ihm als gläubigen Moslem nicht nur der eigene Konsum von Alkohol, sondern auch jegliche Form der Konsumförderung und Verbreitung von Alkohol verboten ist. Angesichts der persönlichen Erläuterungen im Berufungstermin hat die Kammer keinen Zweifel daran, dass es der wirklichen religiösen Überzeugung des Klägers entspricht, dass der Islam jeglichen Umgang mit Alkohol verbietet, sodass es ihm nach den Geboten des Korans verboten sei, mit dem Verkauf alkoholischer Getränke befasst zu sein. Der Kläger hat das islamische Alkoholverbot verglichen mit dem hiesigen gesetzlichen Verbot des Konsums und der Verbreitung von Rauschgift.

Der Handel mit Rauschgift sei weit aus höher unter Strafe gestellt als dessen Konsum, ähnlich verhalte es sich nach den Geboten des Korans mit dem Alkohol. Derjenige, der die Verbreitung und den Konsum von Alkohol fördere, trage größere Schuld als derjenige, der Alkohol nur selbst konsumiere. Damit hat der Kläger seine religiöse Einstellung glaubhaft dargelegt.

(2) Dem steht vorliegend die ebenfalls grundrechtlich geschützte Berufsausübungsfreiheit der Beklagten gemäß Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG gegenüber. Die Beklagte hat ein berechtigtes Interesse, die Ladenhilfen entsprechend den betrieblichen Bedürfnissen im gesamten Warenhaus einsetzen zu können. Unstreitig wies der Kläger während seiner Tätigkeit in der Frischeabteilung einen stark erhöhten Krankenstand auf, sodass zu vermuten war, dass die dort herrschenden Temperaturen der Gesundheit des Klägers nicht zuträglich waren. Die Beklagte hat zudem substantiiert dargelegt, dass die übrigen Mitarbeiter dort weitaus geringere krankheitsbedingte Fehlzeiten aufwiesen. Es entsprach mithin sowohl dem betrieblichen Interesse an einem reibungslosen Arbeitsablauf als auch der Fürsorgepflicht gegenüber dem Kläger ihn dort nicht mehr einzusetzen. Die Beklagte hat zudem in der Berufungsverhandlung ausgesagt, dass ein Einsatz des Klägers weder in der Drogerieabteilung und der nonfood-Abteilung schon deshalb nicht in Betracht komme, weil hier nur Fachkräfte mit speziellen Kenntnissen eingesetzt werden könnten.

(3) Auch angesichts des hohen Stellenwertes der grundrechtlich geschützten Glaubens- und Religionsfreiheit führt dies unter Berücksichtigung der gesamten Umstände vorliegend nicht dazu, dass das Direktionsrecht der Beklagten dauerhaft dahingehend eingeschränkt werden könnte, den Kläger nicht mehr in der Getränkeabteilung einzusetzen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Kläger zwar eingestellt worden ist als Helfer in der Autowaschstraße. Nach Schließung der Waschstraße hat die Beklagte davon abgesehen, dem Kläger betriebsbedingt zu kündigen, sondern ihn als Ladenhilfe im Warenhaus übernommen. Der Kläger hat in der Berufungsverhandlung erklärt, dass er zu jenem Zeitpunkt auch einen neuen Arbeitsvertrag als Ladenhilfe erhalten habe. Der Kläger wusste mithin bei seiner Übernahme im Warenhaus, dass er kraft Direktionsrecht der Beklagten in allen Abteilungen eingesetzt werden konnte. Er wurde zudem ab Übernahme im Warenhaus von Anfang an in der Getränkeabteilung beschäftigt, in der auch alkoholische Getränke zum Verkauf bereit gestellt werden. Der Kläger hat die Beklagte gerade nicht darauf hingewiesen, dass es ihm aus religiösen Gründen verboten sei, dort zu arbeiten. Vielmehr hat er ohne Gegenwehr seine Arbeit dort verrichtet. Er konnte auch nicht darauf vertrauen, dass er immer nur in den Gängen mit den antialkoholischen Getränken eingesetzt wird. Die Getränkeabteilung ist personal- und arbeitstechnisch nicht in weitere Unterabteilungen unterteilt. Zudem hat der Kläger selbst vorgetragen, dass er ab Anfang 2006 verstärkt auch zur Auffüllung der Regale mit alkoholischen Getränken herangezogen worden ist, ohne dass er sich diesbezüglich auf entgegenstehende Glaubensgründe berufen hat. Zudem ist nicht ersichtlich, dass der Kläger seinen gegenüber der Beklagten Mitte 2006 geäußerten Wunsch eines Wechsels in eine andere Abteilung gerade mit seiner religiösen Überzeugung begründet hat. Derartiges behauptet der Kläger selbst nicht. Auch von Mitte 2006 bis Ende Februar 2007 hat er klaglos in der Getränkeabteilung gearbeitet. Vor diesem Hintergrund ist eine strikte und beharrliche Weigerung des Klägers, überhaupt und jemals wieder in der Getränkeabteilung zu arbeiten, angesichts des der Beklagten zustehenden Direktionsrechts nicht akzeptabel. Die Beklagte wäre dauerhaft in ihrem Direktionsrecht erheblich eingeschränkt, ohne dass ihr dieser Umstand bei Übernahme des Klägers als Ladenhilfe bekannt gewesen ist. Der Kläger musste damit rechnen, dass er auch mit dem Einräumen von alkoholischen Getränken betraut werden würde, als er den Arbeitsvertrag als Ladenhilfe mit der Beklagten eingegangen ist. Es ist der Beklagten angesichts dessen auch nicht zumutbar, sozusagen im Nachhinein auf den flexiblen Einsatz des Klägers dauerhaft zu verzichten. Dies gilt umso mehr, da es sich beim Kläger um einen ungelernten Angestellten handelt, der nicht in allen Abteilungen des Warenhauses eingesetzt werden kann. Des Weiteren hat die Beklagte vorgetragen, dass sie in der Frischeabteilung vornehmlich Frauen beschäftigt, da hier nicht so viel körperlich anstrengende Arbeit anfällt.

Die beharrliche Arbeitsverweigerung war nach alldem nicht gerechtfertigt. Die Arbeitsanweisung der Beklagten entsprach billigem Ermessen.

bb) Die Interessenabwägung führt vorliegend indessen zur Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung. Bei Würdigung der gesamten Umstände wäre es der Beklagten zumutbar gewesen, das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger zumindest bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigung fortzusetzen und den Kläger vorübergehend während des Laufs der Kündigungsfrist in einer anderen Abteilung weiter zu beschäftigen. Der Beklagten ist es zur Überzeugung des Gerichts durchaus möglich gewesen, den Kläger vorübergehend in einer anderen Abteilung des großen Warenhauses einzusetzen. Gegenteiliges hat die Beklagte auch nicht behauptet. Sie hat vielmehr überhaupt nicht geprüft, ob ein derartiger anderweitiger Einsatz möglich ist. So hat der Kläger unbestritten in der Berufungsverhandlung vorgetragen, dass er notfalls auch mit dem Einsammeln und Bereitstellen von Einkaufswagen hätte betraut werden können. Das Bestandsschutzinteresse des Klägers angesichts seiner siebeneinhalb jährigen Beschäftigungszeit und seiner Unterhaltsverpflichtungen überwiegen das Interesse der Beklagten an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses.

2. Das Arbeitsverhältnis endete jedoch aufgrund der ordentlichen Kündigung vom 05.03.2008 zum 31.08.2008. Diese Kündigung ist sozial gerechtfertigt nach § 1 Abs. 2 KSchG. Der Kläger hat durch seine Arbeitsverweigerung in erheblichem Maße gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten verstoßen. Einer vorherigen Abmahnung bedurfte es vorliegend angesichts der Beharrlichkeit nicht. Die Beharrlichkeit ergibt sich daraus, dass der Kläger weder in dem Gespräch mit dem Marktleiter K... noch unter Hinzuziehung des Personalleiters bereit war, in der Getränkeabteilung zu arbeiten. Der Kläger bestreitet auch nicht, dass er sich grundsätzlich und endgültig geweigert hat, in der Getränkeabteilung zu arbeiten. Er lehnt es auch noch ab, dort zu arbeiten. Angesichts des der Beklagten aufgrund des Art. 12 Abs. 1 GG zustehenden Direktionsrechts, war der Kläger auch angesichts der Glaubensfreiheit gemäß Art. 4 Abs. 1 GG nicht befugt, die dortige Arbeit dauerhaft zu verweigern. Insoweit wird auf die Ausführungen zu Ziff. 2. dieser Entscheidungsgründe verwiesen. Die Interessenabwägung fällt angesichts der dauerhaften und endgültigen Weigerung des Klägers zu dessen Lasten aus. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass es ihm über Jahre, zumindest aber über ein Jahr lang möglich gewesen ist, Regale mit alkoholischen Getränken zu füllen oder Bier- und Weinkisten an den dafür vorgesehenen Plätzen abzustellen.

III. Nach alledem war die Klage nur im zugesprochenen Umfang begründet und der Berufung mithin nur teilweise stattzugeben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO i. V. m. § 64 Abs. 6 ArbGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, § 72 Abs. 2 ArbGG. Es handelt sich um eine reine auf Tatsachenwürdigung beruhende Einzelfallentscheidung.

Ende der Entscheidung

Zurück