Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein
Urteil verkündet am 25.07.2006
Aktenzeichen: 5 Sa 60/06
Rechtsgebiete: BAT


Vorschriften:

BAT § 15 Abs. 6a
BAT § 17 Abs. 1
BAT SR 2a
1. Der Arbeitgeber kann aufgrund seines Weisungsrechts, das Zeit, Ort und Art der Arbeitsleistung umfasst, grundsätzlich einseitig bestimmen, ob der Arbeitnehmer Bereitschaftsdienst oder Mehrarbeit leisten soll.

2. Bereitschaftsdienst darf nur angeordnet werden, wenn der Arbeitgeber zwar davon ausgehen kann, dass Arbeit anfällt, diese aber in der Zeit des Bereitschaftsdienstes nach aller Erfahrung nicht mit mindestens der Hälfte dieser Zeit den Angestellten in Anspruch nimmt.

3. Wann die tatsächliche Arbeitsleistung während des Bereitschaftsdienstes erbracht wird, bestimmt allein der Arbeitgeber. Zwischen dem Ende der Regelarbeitszeit und der Abforderung der Arbeitsleistung aus dem sich anschließenden Bereitschaftsdienst bedarf es keiner logischen bzw. tatsächlichen Zäsur von einer Sekunde.

4. Die stillschweigende Anordnung des Arbeitgebers, die während der Regelarbeitszeit begonnene Arbeit über das Dienstende hinaus während des sich anschließenden Bereitschaftsdienstes fortzusetzen und zu beenden, kann ihrem Wesen nach sowohl die Anordnung von Überstunden als auch der Abruf von Bereitschaftsarbeit sein. Wenn der Arbeitgeber durch Aufstellung eines Dienstplanes Bereitschaftsdienst angeordnet hatte, bedarf es einer eindeutigen Erklärung, dass er diese Anordnung aufhebt und stattdessen nunmehr Überstunden anordnet. Fehlt es hieran, liegt Bereitschaftsarbeit vor.


Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein

Urteil

Im Namen des Volkes

Aktenzeichen: 5 Sa 60/06

Verkündet am 25.07.2006

In dem Rechtsstreit

hat die 5. Kammer des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein auf die mündliche Verhandlung vom 25.07.2006 durch die Vorsitzende Richterin am Landesarbeitsgericht ... als Vorsitzende und die ehrenamtlichen Richter ... und ... als Beisitzer

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteils des Arbeitsgerichts Kiel vom 07.12.2005, Az.: 6 Ca 1350 b/04, abgeändert und die Klage abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits erster und zweiter Instanz trägt die Klägerin.

3. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die 49-jährige Klägerin ist seit dem 01.03.2002 bei dem Beklagten als OP-Krankenschwester im Krankenhaus P. beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis finden kraft einzelvertraglicher Inbezugnahme der Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) und den diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträge in der für den Bereich der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) jeweils geltenden Fassung Anwendung. Die Klägerin ist eingruppiert in Vergütungsgruppe Kr VI. Bei einer 38,5 Stundenwoche beträgt die monatliche Grundvergütung € 2.010,80. Hieraus errechnen sich ein Bruttostundenlohn von € 13,60 und eine Überstundenvergütung von € 17,00 brutto pro Stunde. Der Bereitschaftsdienst wird vergütet auf der Grundlage des § 15 Abs. 6 a BAT sowie der Nr. 6 Abschnitt B der Sonderregelung 2 a zum BAT. Diese Vorschriften lauten wie folgt:

§ 15 Abs. 6 a BAT

Der Angestellte ist verpflichtet, sich auf Anordnung des Arbeitgebers außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit an einer vom Arbeitgeber bestimmten Stelle aufzuhalten, um im Bedarfsfalle die Arbeit aufzunehmen (Bereitschaftsdienst). Der Arbeitgeber darf Bereitschaftsdienst nur anordnen, wenn zu erwarten ist, dass zwar Arbeit anfällt, erfahrungsgemäß aber die Zeit ohne Arbeitsleistung überwiegt. Zum Zwecke der Vergütungsberechnung wird die Zeit des Bereitschaftsdienstes einschließlich der geleisteten Arbeit entsprechend dem Anteil der erfahrungsgemäß durchschnittlich anfallenden Zeit der Arbeitsleistung als Arbeitszeit gewertet und mit der Überstundenvergütung (§ 35 Abs. 3 Unterabs. 2) vergütet. Die Bewertung darf 15 v. H., vom 8. Bereitschaftsdienst im Kalendermonat an 25 v. H. nicht unterschreiten. Die danach errechnete Arbeitszeit kann stattdessen bis zum Ende des dritten Kalendermonats auch durch entsprechende Freizeit abgegolten werden (Freizeitausgleich). Für den Freizeitausgleich ist eine angefangene halbe Stunde, die sich bei der Berechnung ergeben hat, auf eine halbe Stunde aufzurunden. Für die Zeit des Freizeitausgleichs werden die Vergütung (§ 26) und die in Monatsbeträgen festgelegten Zulagen fortgezahlt.

Nr. 6 zu SR 2 a BAT

B. Bereitschaftsdienst und Rufbereitschaft

(1) ...

(2) Zum Zwecke der Vergütungsberechnung wird die Zeit des Bereitschaftsdienstes einschließlich der geleisteten Arbeit wie folgt als Arbeitszeit gewertet:

a) Nach Maßgabe der während des Bereitschaftsdienstes erfahrungsgemäß durchschnittlich anfallenden Arbeitsleistungen wird die Zeit des Bereitschaftsdienstes wie folgt als Arbeitszeit gewertet:

 StufeArbeitsleistungBewertung als Arbeitszeit
A0 - 10 %15 %
B> 10 - 25 %25 %
C> 25 - 40 %40 %
D> 40 - 49 %55 %

...."

Entsprechend dieser Regelungen erhält die Klägerin für die geleisteten Bereitschaftsdienste eine pauschalierte Vergütung bzw. einen entsprechenden Freizeitausgleich nach der Stufe B.

Die Klägerin war im Zeitraum vom 04.10.2002 bis 30.01.2004 regelmäßig zum Bereitschaftsdienst eingeteilt. Die tatsächliche Arbeitsleistung während des Bereitschaftsdienstes schloss sich zumeist an die regelmäßige Arbeitszeit an, sodass die Klägerin ihre Arbeiten als OP-Schwester, die sie noch während der regulären Arbeitszeit begonnen hatte, sodann auf Anweisung des Beklagten innerhalb des Bereitschaftsdienstes beendete. Dies geschah u. a. deshalb, weil eine Operation zum Ende der regulären Arbeitszeit noch nicht beendet war. Die Zeiten der tatsächlichen Arbeitsleistungen während des Bereitschaftsdienstes überstiegen den zeitlichen Anteil von 25 % (Stufe B) nicht. Die Parteien streiten darum, ob die im nahtlosen Anschluss an die regelmäßige Arbeitszeit geleisteten Arbeiten während des Bereitschaftsdienstes als Überstunden oder als Bereitschaftsdienst anzusehen und entsprechend zu vergüten sind.

Die Parteien haben vor dem Arbeitsgericht am 07.12.2005 einen Teilvergleich folgenden Inhalts geschlossen:

"Die Parteien sind sich darüber einig, dass die Klägerin im Zeitraum vom 04.10.2002 bis 30.01.2004 im Anschluss an die regelmäßige Arbeitszeit ohne Unterbrechung in sich anschließendem Bereitschaftsdienst Arbeiten fortgesetzt hat, die während der Regelarbeitszeit begonnen wurden und im Umfang von 132,25 Stunden (Differenzwert zur bereits gezahlten Bereitschaftsdienstvergütung) zu vergüten sind mit einem Stundensatz von € 17,00 brutto die Stunde, sofern dem Grunde nach Überstundenvergütung hierfür zu zahlen ist."

Die Klägerin hat beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an sie € 2.248,25 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.03.2004 zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstands in erster Instanz, insbesondere der streitigen Rechtsauffassungen der Parteien, wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils einschließlich der Inbezugnahmen verwiesen, § 69 Abs. 2 ArbGG.

Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 07.12.2005 der Klage stattgegeben. Die von der Klägerin während der regulären Arbeitszeit begonnenen und danach fortgesetzten Arbeiten seien für die Zeit nach Ende der regulären Arbeitszeit als Überstunden zu vergüten. Insoweit folge die Kammer der zu dieser Rechtsfrage ergangenen Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 26.11.1992 - 6 AZR 455/01 (AP Nr. 20 zu § 17 BAT). Für die Beurteilung der Rechtsfrage sei ohne Belang, ob sich an die reguläre Arbeitszeit Rufbereitschaft oder Bereitschaftsdienst anschließe. Der Angestellte müsse demnach seine Arbeit während der regulären Arbeitszeit begonnen und während der Phase des Bereitschaftsdienstes bzw. der Rufbereitschaft fortgesetzt haben. Denn der Bereitschaftsdienst knüpfe erkennbar daran an, dass während des Bereitschaftsdienstes unvorhergesehene Arbeiten anfielen und von dem Angestellten aufgrund der Dringlichkeit zu verrichten seien. Die Fortsetzung aber derselben Arbeiten nach Ablauf der regulären Arbeitszeit sei am Ende der regulären Arbeitszeit voraussehbar und keine unvorhergesehene neue Tätigkeit. Anders könne dies beurteilt werden, wenn unmittelbar im Anschluss an die reguläre Arbeitszeit andere unvorhergesehene Arbeiten anfielen.

Gegen dieses ihm am 23.01.2006 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 13.02.2006 beim Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein Berufung eingelegt und diese nach gewährter Fristverlängerung bis zum 24.04.2006 am 19.04.2006 begründet.

Der Beklagte trägt vor,

der vorliegende Fall unterscheide sich maßgeblich von dem Sachverhalt, wie er der Entscheidung des BAG vom 26.11.1992 - 6 AZR 455/91 - zugrunde gelegen habe. Es sei entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts gerade nicht unerheblich, ob sich an die reguläre Arbeitszeit Rufbereitschaft oder Bereitschaftsdienst anschließe. Im Falle der Rufbereitschaft habe sich der Angestellte gerade nicht am Arbeitsort aufzuhalten wie im Falle des Bereitschaftsdienstes. Während der Zeit des Bereitschaftsdienstes habe sich der Arbeitnehmer am Arbeitsort aufzuhalten, um jederzeit bei Bedarf die Arbeit aufnehmen zu können. Nicht notwendig sei, dass er sich vor der Arbeitsaufnahme im Bereitschaftsdienstraum aufgehalten hat. Der Arbeitgeber könne aufgrund des ihm zustehenden Direktionsrechts grundsätzlich die Art der Arbeitsleistung bestimmen. Hieraus folge, dass der Arbeitgeber auch festlegen könne, ob der Angestellte reguläre Arbeit, Bereitschaftsdienst oder Rufbereitschaft leisten soll. Bei der regulären Arbeit und Bereitschaftsdienst handele es sich um zwei gleichwertige Kategorien von Arbeit. Diesem Umstand trage die Neufassung des ArbZG Rechnung. Bereitschaftsdienst sei gleichwertige Arbeitszeit. Entscheidend sei daher allein, in welchem Sachzusammenhang die Arbeit geleistet worden sei. Letztendlich sei es dem Arbeitgeber überlassen, welche Form der Arbeitserbringung er vom Arbeitnehmer wünsche. Zeiten des Bereitschaftsdienstes könnten sich mithin aus arbeitsorganisatorischen Gründen unmittelbar an die regulären Arbeitszeiten anschließen. Unter der Voraussetzung, dass die Zeit ohne Arbeitsleistung überwiege, könne Bereitschaftsdienst auch dann vom Arbeitgeber angeordnet werden, wenn vorher für den gleichen Zeitraum fälschlicherweise Überstunden angeordnet worden waren. Selbst im Falle einer rechtswidrigen Anordnung von Bereitschaftsdienst habe dies nicht zur Folge, dass die Zeit des Bereitschaftsdienstes vergütungsrechtlich wie reguläre Arbeitszeit zu bewerten sei. Die während des Bereitschaftsdienstes im Bedarfsfall aufzunehmende Arbeit müsse nicht unvorhersehbar sein, vielmehr sei das Tatbestandsmerkmal als erfüllt anzusehen, wenn von vornherein feststehe, dass für diese Arbeit ein Bedarf bestehen werde.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Kiel vom 07.12.2005 - öD 6 Ca 1350 b/04 - aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt

das angefochtene Urteil. Entgegen der Auffassung des Beklagten gehe es nicht um die Unterscheidung von Rufbereitschaft und Bereitschaftsdienst, sondern um die Beurteilung der Dienste, die unmittelbar an die dienstplanmäßige bzw. vorgegebene Arbeitszeit anschlössen. Es komme nur darauf an, wie die Arbeit zu qualifizieren sei, die nach der regulären Arbeit unmittelbar fortgesetzt werde und womöglich in den zuvor angeordneten Bereitschaftsdienst hineinrage. Hierbei handele es sich um Überstunden, denn die ursprünglich dienstplanmäßig zugeteilte Arbeit werde ohne Unterbrechung fortgesetzt. Insoweit sei auch die Entscheidung des BAG vom 26.11.1992 einschlägig. Es komme auch nicht darauf an, ob die aufzunehmende Arbeit unvorhergesehen sei. Entscheidend sei vielmehr, dass in der vorliegenden Fallkonstellation bereits während der regulären Arbeitszeit entschieden werde, dass diese verlängert werde. Die Klägerin sei mithin gar nicht erst in den Bereitschaftsdienst eingetreten, sondern habe schlicht die dienstplanmäßige Arbeitszeit auf Anweisung des Beklagten verlängert. Dies mit der Folge, dass es zu Überstunden gekommen sei, die entsprechend zu vergüten sei.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien im Berufungsverfahren wird auf den mündlich vorgetragenen Inhalt der zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie den Inhalt des Sitzungsprotokolls vom 25.07.2006 verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig. Sie ist nach § 64 Abs. 2 lit. b ArbGG statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, § 66 Abs. 1 ArbGG; § 519 ZPO.

Die Berufung hat auch in der Sache Erfolg.

I. Das Arbeitsgericht hat der Klage zu Unrecht stattgegeben. Der Begründung des Arbeitsgerichts vermag die Kammer nicht zu folgen.

1. Die Klägerin hat gegenüber der Beklagten keinen Anspruch auf Zahlung von € 2.248,25 brutto. Diese Zahlung steht ihr nicht als Überstundenvergütung nach § 17 Abs. 1 und 5 S. 4 i. V. m. § 35 Abs. 3 Unterabs. 2 BAT und dem Teil-Vergleich vom 07.12.2005 zu. Vorliegend fehlt es an einer Anordnung von Überstunden.

a) Nach der Legaldefinition des § 17 Abs. 1 BAT sind Überstunden nur die auf Anordnung über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus geleisteten Arbeitsstunden. Es bedarf mithin einer ausdrücklichen oder zumindest konkludenten Anordnung derselben durch den Arbeitgeber. Die Vorschrift soll gerade verhindern, dass der Angestellte nachträglich die Forderung auf Abgeltung von Überstunden erhebt, ohne dass der Arbeitgeber sich der Leistung von Überstunden überhaupt bewusst ist (vgl. Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese, BAT, Erl. 3 zu § 17).

b) Demgegenüber liegt Bereitschaftsdienst vor, wenn sich der Arbeitnehmer, ohne dass von ihm wache Aufmerksamkeit gefordert wird, für Zwecke des Betriebs an einer vom Arbeitgeber bestimmten Stelle innerhalb oder außerhalb des Betriebs aufzuhalten hat, damit er erforderlichenfalls seine volle Arbeitstätigkeit unverzüglich aufnehmen kann (BAG, Urt. v. 28.01.2004 - 5 AZR 530/02 -, AP Nr. 10 zu § 611 BGB 'Bereitschaftsdienst'). Dies entspricht auch der Legaldefinition des § 15 Abs. 6a BAT, wonach Bereitschaftsdienst vorliegt, wenn sich der Arbeitnehmer auf Anordnung des Arbeitgebers außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit an einer vom Arbeitgeber bestimmten Stelle aufzuhalten hat, um im Bedarfsfalle die Arbeit aufzunehmen. Der Tarifnorm ist indessen nicht zu entnehmen, dass sich der vom Arbeitgeber zu bestimmende Arbeitsort außerhalb des Gebäudes oder des eigentlichen Arbeitsraumes (hier: Operationssaal) befinden muss. Vielmehr kann die vom Arbeitgeber festzulegende Stelle auch die eigentliche Arbeitsstelle sein, um ggf. die Arbeit sofort, d. h. im Bedarfsfalle auf Anordnung des Arbeitgebers aufnehmen zu können (BAG, Urt. v. 05.06.2003 - 6 AZR 114/02 -, a.a.O.). Bereitschaftsdienst ist danach keine volle Arbeitsleistung, sondern eine Aufenthaltsbeschränkung, die mit der Verpflichtung verbunden ist, bei Bedarf unverzüglich tätig zu werden. Damit unterscheidet sich der Bereitschaftsdienst seinem Wesen nach von der vollen Arbeitstätigkeit, die vom Arbeitnehmer eine ständige Aufmerksamkeit und Arbeitsleistung verlangt. Dieser qualitative Unterschied rechtfertigt es, für den Bereitschaftsdienst eine andere Vergütung vorzusehen als für die Vollarbeit. Die Tarifvertragsparteien dürfen deshalb Bereitschaftsdienst und Vollarbeit unterschiedlichen Vergütungsordnungen unterwerfen (BAG, Urt. v. 28.01.2004 - 5 AZR 530/02 -, a.a.O.). Bereitschaftsdienst darf indessen nur angeordnet werden, wenn der Arbeitgeber zwar davon ausgehen kann, dass Arbeit anfällt, diese aber in der Zeit des Bereitschaftsdienstes nach aller Erfahrung nicht mit mindestens der Hälfte dieser Zeit den Angestellten in Anspruch nimmt.

c) Der Arbeitgeber kann aufgrund seines Weisungsrechts, das Zeit, Ort und Art der Leistung umfasst, grundsätzlich bestimmen, ob der Arbeitnehmer Bereitschaftsdienst oder Mehrarbeit leisten soll. Sofern nach Ablauf der Regelarbeitszeit erwartungsgemäß auch noch Arbeit anfällt, kann der Arbeitgeber mithin frei entscheiden, ob er von vornherein Bereitschaftsdienst anordnet, um so ggf. den Arbeitnehmer zur sofortigen Arbeitsaufnahme auffordern zu können oder ob er im Anschluss an die Regelarbeit ggf. Überstunden anordnet. Kraft des Direktionsrechts ist der Arbeitgeber unter der Voraussetzung, dass die Zeit ohne Arbeitsleistung überwiegt, auch nicht gehindert, Bereitschaftsdienst dann anzuordnen, wenn vorher für den gleichen Zeitraum fälschlicherweise Überstunden angeordnet waren (BAG, Urt. v. 27.01.1994 - 6 AZR 465/93 -, AP Nr. 23 zu § 17 BAT).

2. Die Klägerin war unstreitig während der hier strittigen, sich an die jeweils regulären Arbeitszeiten anschließenden Arbeitszeiten zum Bereitschaftsdienst eingeteilt.

a) Kraft Direktionsrecht hatte die Beklagte die Klägerin durch den Dienstplan zum Bereitschaftsdienst eingeteilt. Hierin ist eine Anordnung zur Leistung von Bereitschaftsdienst zu erblicken. Die Einteilung zum Bereitschaftsdienst war unter den zuvor genannten Voraussetzungen auch unstreitig zulässig. Erwartungsgemäß fällt in dem Zeitraum nach Ablauf der regulären Arbeitszeit auch noch tatsächliche Arbeit als OP-Schwester an, die aber im Falle der Klägerin weniger als 25 % der gesamten Bereitschaftsdienstzeit ausmacht. Durch die streitgegenständlichen, sich an die reguläre Arbeitszeit anschließenden Arbeiten ist der zulässige zeitliche Anteil von 25 % der Bereitschaftsdienstzeit auch nicht überschritten worden. Vielmehr zählten diese Arbeiten - wie im Berufungstermin klargestellt wurde - bereits zur Bemessungsgrundlage für die Bereitschaftsdienststufe nach Nr. 6 Abschn. B Abs. 2 zu SR 2 a BAT dazu. Durch die abgeforderten Arbeiten nach Ende der Regelarbeitszeit hat die Beklagte die Klägerin mithin in zeitlicher Hinsicht nicht überobligatorisch während des Bereitschaftsdienstes in Anspruch genommen.

b) Entgegen der Auffassung der Klägerin bedarf es zwischen dem Ende der Regelarbeitszeit und der Abforderung der Arbeitsleistung aus dem Bereitschaftsdienst keiner logischen bzw. tatsächlichen Zäsur von einer Sekunde. Vielmehr schließt sich der Bereitschaftsdienst nahtlos an die Regelarbeitszeit an. Zeiten des tatsächlichen Bereitschaftsdienstes können und werden aus arbeitsorganisatorischen Gründen unmittelbar an die regulären Arbeitszeiten anschließen, sei es, dass der Bereitschaftsdienst der Arbeitszeit vorausgeht oder nachgeht, sei es, dass er von Arbeitszeiten umschlossen wird (BAG, Urt. v. 27.01.1994 - 6 AZR 465/93 -, a.a.O.; Böhm/Spiertz/Sponer/Steinherr, BAT, Rn. 80 b zu § 15).

aa) Wann die tatsächliche Arbeitsleistung während des Bereitschaftsdienstes erbracht wird, bestimmt allein der Arbeitgeber. § 15 Abs. 6a BAT lässt sich ebenfalls nicht entnehmen, wann der Arbeitgeber die tatsächliche Arbeitsleistung abfordern darf. Dies wäre auch praxisfern. Denn in der Regel steht bei der Anordnung von Bereitschaftsdienst bzw. der Aufstellung des Dienstplans, der zumeist wochenweise oder für noch größere Zeitabstände geschrieben wird, gerade noch nicht fest, ob und wann der Bedarfsfall eintritt. Dies schließt auch nicht aus, dass aufgrund des zumeist erst tageweise aufgestellten OP-Plans bereits absehbar ist, dass eine angesetzte Operation bei Dienstende noch nicht abgeschlossen sein wird, sodass ein nahtloses Weiterarbeiten der OP-Schwester über das Dienstende hinaus erforderlich sein wird. Der Arbeitgeber darf dementsprechend Bereitschaftsdienst anordnen, obgleich er aus der Erfahrung heraus weiß, dass der betreffende Arbeitnehmer oftmals nahtlos über das Ende der regulären Arbeitszeit hinaus auch noch während der Bereitschaftsdienstzeit weiterarbeiten muss, sofern gewährleistet ist, dass die Zeiten der tatsächlichen Inanspruchnahme nicht mehr als die Hälfte des gesamten Bereitschaftsdienstes ausmachen.

bb) Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts setzt der Bereitschaftsdienst nicht voraus, dass nur unvorhergesehene Arbeiten anfallen und abgerufen werden dürfen (Böhm/Spiertz/Sponer/Steinherr, BAT, Rn. 80 e, 2. Absatz zu § 15). Im Gegenteil, bei der Anordnung von Bereitschaftsdienst muss der Arbeitgeber an Hand von Erfahrungswerten gerade davon ausgehen, dass während dieser Zeit auch tatsächlich Arbeit anfällt. Lediglich die zeitliche Lage der erwartungsgemäß anfallenden Arbeit steht in der Regel noch nicht fest. Das vom Arbeitsgericht zur Heranziehung der Arbeitsleistung aus dem Bereitschaftsdienst geforderte Merkmal der Unvorhersehbarkeit führt auch zu praktisch nicht lösbaren Abgrenzungsschwierigkeiten bei der Lohn- und Gehaltsabrechnung. Dies wird an folgenden Fallbeispielen deutlich:

Die reguläre Arbeitszeit endet z. B. um 16:00 Uhr, hieran schließt sich ein achtstündiger Bereitschaftsdienst der Stufe B an. Der während der Bereitschaft erwartete Arbeitsanfall beläuft sich mithin auf 49 bis 120 Minuten.

- Eine regulär angesetzte, erfahrungsgemäß halbstündige Operation beginnt um 15:30 Uhr, sodass die Arbeit der OP-Schwester mit Ende ihrer regulären Arbeitszeit normalerweise abgeschlossen ist. Aufgrund einer unvorhergesehenen Komplikation dauert die gesamte Operation nunmehr zweieinhalb Stunden, sodass die OP-Schwester über das Ende der regulären Arbeitszeit nahtlos zwei Stunden weiter arbeiten muss.

- Ausweislich des OP-Plans beginnt um 15:00 Uhr eine Operation, die wie geplant drei Stunden dauert, sodass die OP-Schwester wiederum nahtlos über ihr Arbeitszeitende hinaus zwei Stunden weiterarbeitet.

- Eine zu Beginn der Arbeitszeit (8:00 Uhr) geplante dreistündige Operation wird um zwei Stunden vorgezogen, sodass die OP-Schwester bereits während ihres Bereitschaftsdienstes zur Arbeit herangezogen wird. Ab Dienstbeginn arbeitet sie übergangslos weiter.

- Die OP-Schwester hat während ihrer regulären Arbeitszeit alle Arbeiten erledigt und um 16:00 Uhr muss ein eingeliefertes Unfallopfer notfallmäßig operiert werden. Die Operation dauert zwei Stunden, sodass die OP-Schwester wiederum nahtlos nach der regulären Arbeitszeit zwei Stunden weiterarbeitet.

Nach Auffassung des Arbeitsgerichts leistete die OP-Schwester nur in den letzten beiden Fallbeispielen Bereitschaftsdienst, während in den ersten beiden Fallkonstellationen nach 16:00 Uhr Überstunden vorlagen, weil bereits während der regulären Arbeitszeit absehbar gewesen sei, dass die begonnenen Arbeiten auch nach Ende der Arbeitszeit hätten fortgesetzt werden müssen. Diese Differenzierung ist aber für die Lohnbuchhaltung (ohne ausdrückliche Erklärung des weisungsberechtigten Arztes) überhaupt nicht mehr nachvollziehbar. Dies gilt insbesondere auch im Hinblick darauf, dass sich durch eine (außerplanmäßige) Anordnung von Überstunden in den ersten beiden Fallbeispielen der Beginn des Bereitschaftsdienstes jeweils um zwei Stunden verschiebt. Dies hätte möglicherweise wiederum zur Folge, dass die Bereitschaftsdienststufe wegen des geringeren tatsächlichen Arbeitsanfalls nunmehr abgeändert werden müsste.

c) Dem steht auch nicht - wie die Klägerin meint - die Kommentierung bei Böhm/Spiertz/Sponer/Steinherr, Rn. 80 e erster Absatz zu § 15 entgegen. Sofern es dor heißt:

"Nur die während des Bereitschaftsdienstes "im Bedarfsfall" aufzunehmende Arbeit kann als Bereitschaftsdienst gewertet werden. Arbeiten die während der Zeit der regelmäßigen Arbeitsleistung zu erfüllen sind, zu deren Erledigung der Angestellte aber nicht gekommen ist, werden nicht dadurch zu Bereitschaftsdienstzeit, dass sie in der Zeit des Bereitschaftsdienstes nachgeholt werden; dies gilt selbstverständlich und erst recht für Nebentätigkeiten der Angestellten."

können damit nur solche Tätigkeiten nicht als Bereitschaftsdienst gewertet werden, für deren Erledigung von vornherein kein Bedarf für die Anordnung von Bereitschaftsdienst besteht, so z. B. für die Erstellung von Dienstplänen oder Krankenberichten, die Erledigung sonstiger Dokumentationspflichten, die Bestellung von Medikamenten, das Aufräumen des Medikamentenschranks etc. Solche Tätigkeiten müssen nicht sofort während des Bereitschaftsdienstes erledigt werden. Dem Bereitschaftsdienst ist vielmehr wesensimmanent, dass die zu erwartenden Arbeiten ohne Aufschub, d. h. im Bedarfsfalle, erledigt werden müssen. Dies wird auch durch das umgangssprachlich häufig für Bereitschaftsdienst benutzte Wort "Notdienst" deutlich.

d) Die Beklagte war mithin weder rechtlich noch aufgrund tatsächlicher Umstände gehindert, die Klägerin gleich zu Beginn des Bereitschaftsdienstes sozusagen nahtlos nach Ende der regulären Arbeitszeit zur tatsächlichen Arbeitsleistung während des Bereitschaftsdienstes heranzuziehen.

3. Vorliegend hat die Beklagte den ursprünglichen Bereitschaftsdienst der Klägerin auch nicht aufgehoben und stattdessen Überstunden angeordnet. Hierzu hätte es einer ausdrücklichen oder zumindest konkludenten Erklärung bedurft. Diese lag aber nicht vor.

Die stillschweigende Anordnung des Arbeitgebers, die während der Regelarbeitszeit begonnene Arbeit über das Dienstende hinaus während des sich anschließenden Bereitschaftsdienstes fortzusetzen und zu beenden, kann ihrem Wesen nach sowohl die Anordnung von Überstunden als auch der Abruf von Bereitschaftsarbeit sein. Wenn der Arbeitgeber indessen von vornherein, d. h. durch Aufstellung eines Dienstplanes, Bereitschaftsdienst angeordnet hatte, so bedarf es einer eindeutigen Erklärung, dass er diese Anordnung aufhebt und nunmehr stattdessen Überstunden anordnet. Dass die Beklagte den die Klägerin betreffenden Dienstplan an den fraglichen Tagen aufgehoben und stattdessen für die Klägerin Überstunden angeordnet hat, behauptet die Klägerin nicht einmal selbst. Vielmehr geht sie davon aus, dass sozusagen immer dann, wenn erforderliche Arbeiten noch in der Bereitschaft zu Ende geführt werden müssen, automatisch, d. h. ohne eindeutige Erklärung des Arbeitgebers, von der Anordnung von Überstunden auszugehen sei. Einem derartigen Automatismus steht aber das Direktionsrecht des Arbeitgebers entgegen, das ihm erlaubt, einseitig zu bestimmen, welche Art von Arbeitsleistung er im konkreten Fall abfordert. Er kann folglich bestimmen, ob der Arbeitnehmer im Rahmen des Bereitschaftsdienstes Arbeit oder Überstunden leisten soll. Im vorliegenden Fall hatte die Beklagte unstreitig Bereitschaftsdienst angeordnet. Die Klägerin hat nicht dargelegt, dass sie diese Anordnung an den konkreten Tagen aufgehoben und stattdessen Überstunden angeordnet hat.

4. Die beanspruchte Überstundenvergütung steht der Klägerin nicht zu. Vielmehr ist der Vergütungsanspruch für die während der Bereitschaftsdienste geleisteten Arbeiten bereits erfüllt. Nach Nr. 6 Abschn. B Abs. 2 zu SR 2 a BAT wird die Zeit des Bereitschaftsdienstes in der Stufe B mit 25 % der zu vergütenden Arbeitszeit bewertet und mit der Überstundenvergütung bezahlt. Hierbei handelt es sich um eine Pauschalvergütung, gegen deren Zulässigkeit seitens der Klägerin grundsätzlich auch keine Bedenken erhoben werden und auch sonst vorliegend nicht ersichtlich sind. Die pauschalierte Vergütungsvorschrift der Nr. 6 Abschn. B Abs. 2 zu SR 2 a BAT gewährleistet die Äquivalenz zwischen Leistung und Gegenleistung (BAG, Urt. v. 05.06.2003 - 6 AZR 114/02 -, NAZ 2004, 165 ff.; LAG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 23.09.2003 - 1 Sa 316/04 -, LAGE § 611 BGB 2002 'Bereitschaftsdienst' Nr. 1). Die Bereitschaftsdienstvergütung für die fraglichen Zeiträume hat die Klägerin unstreitig in vollem Umfang erhalten.

II. Nach alledem war der Berufung stattzugeben und unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO i. V. m. § 64 Abs. 6 ArbGG.

Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen, § 72 Abs. 2 ArbGG.



Ende der Entscheidung

Zurück