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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein
Beschluss verkündet am 19.08.2008
Aktenzeichen: 5 TaBV 23/08
Rechtsgebiete: BetrVG, MTV, BurlG, EFZG


Vorschriften:

BetrVG § 80 Abs. 1 Nr. 1
BetrVG § 80 Abs. 3
MTV des privaten Omnibusgewerbe in Schleswig-Holstein (a.v.) § 16 n.F.
BurlG § 11
BurlG § 13
EFZG § 4 Abs. 4
EFZG § 12
1. Es zählt nicht zu den gesetzlichen Aufgaben des Betriebsrats nach § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG darüber zu wachen, ob die durch den Arbeitgeber nach § 16 MTV des privaten Omnibusgewerbes in Schleswig-Holstein unstreitig tarifgerecht erfolgte Abrechnung des Urlaubsentgelts mit den gesetzlichen Vorschriften des Bundesurlaubsgesetzes in Einklang steht.

2. Das Überwachungsrecht nach § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG bezieht sich auf die Durchführung der Rechtsnorm (hier: § 16 MTV n.F.), nicht aber darauf, ob die Rechtsnorm ihrerseits gegen höherrangiges Recht (hier: § 12 BurlG) verstößt. Das Überwachungsrecht besteht gegenüber dem Arbeitgeber, der die Rechtsnorm (hier: § 16 MTV n.F.) zu beachten hat, nicht jedoch gegenüber dem Normgeber (hier: den Tarifvertragsparteien), der die Rechtsnorm erlassen hat.


Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein Im Namen des Volkes Beschluss

Aktenzeichen: 5 TaBV 23/08

Verkündet am 19.08.2008

Im Beschlussverfahren

hat die 5. Kammer des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein auf die Anhörung der Beteiligten am 19.08.2008 durch die Vorsitzende Richterin am Landesarbeitsgericht ... als Vorsitzende und d. ehrenamtlichen Richter ... als Beisitzer und d. ehrenamtlichen Richter ... als Beisitzer

beschlossen:

Tenor:

1. Die Beschwerde des Betriebsrates gegen den Beschluss des Arbeitsgerichtes Elmshorn vom 03.04.2008, Az. 3 BV 86 d/07, wird zurückgewiesen.

2. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Betriebsrat auf Kosten der antragstellenden Arbeitgeberin einen Rechtsanwalt als Sachverständigen hinzuziehen darf.

Die Arbeitgeberin ist tarifgebunden und wendet den allgemeinverbindlichen Manteltarifvertrag für das private Omnibusgewerbe in Schleswig-Holstein vom 16.07.1996 (im Folgenden: MTV) an. § 16 MTV hatte u.a. folgende Regelung:

"§ 16 Urlaub ...

(6) Während der Dauer des Urlaubs wird der Lohn nach dem Durchschnittsverdienst des letzten Kalenderjahres weitergezahlt. Sind nach Ablauf des Berechnungszeitraumes Lohnerhöhungen eingetreten, so erhöht sich der Urlaubslohn um den Vom-Hundert-Satz der Lohnerhöhung. ..."

Mit der 1. Protokollnotiz vom 01.09.2006 vereinbarten die Tarifvertragsparteien mit Wirkung ab dem 01.01.2007 u. a. folgende neue Fassung des § 16 Abs. 6 MTV:

"§ 16 Abs. (6)

Während der Dauer des Urlaubs wird der Lohn nach folgender Maßgabe fortgezahlt:

Die Lohnfortzahlung erfolgt auf der Basis von 8 Std. pro Tag bei einer 5-Tage-Woche bzw. 7 Std. pro Tag bei einer 6-Tage-Woche unter Zugrundelegung des Tabellenlohnes."

Die Arbeitgeberin rechnet die Urlaubs- und Krankheitsfehlzeiten seit dem 01.01.2007 entsprechend den Vorgaben des § 16 Abs. 6 MTV i. d. F. der 1. Protokollnotiz vom 01.09.2006 ab. Mit Schreiben vom 23.03.2007 teilte der Betriebsrat der Arbeitgeberin mit, dass er in seiner Sitzung vom 22.03.2007 beschlossen habe, Rechtsanwalt Dr. W. mit der Prüfung zu beauftragen, ob die Lohnfortzahlung im Urlaubs- und Krankheitsfall auf der Basis der Grundstundenzahl und des reinen Stundenlohnes im Einklang mit dem Bundesurlaubsgesetz und dem Entgeltfortzahlungsgesetz steht. Zur Erläuterung wies der Betriebsrat auf Folgendes hin (Bl. 5 f. d. A.):

"1. Die derzeitige zwischen dem Arbeitgeberverband OVN (Ex-SHO) und ver.di für die Beschäftigten des privaten Omnibusgewerbes in Schleswig-Holstein abgeschlossene Änderung des Manteltarifvertrages sieht für die Arbeitnehmer der P.../G... folgende Regelung vor.

2. Für einen Tag Urlaub/Krankheit erhalten Arbeitnehmer im Fahrdienst im Jahr 2007 9,25 Stunden multipliziert mit dem Faktor Euro/Stunde gemäß Lohntabelle. Im Jahr 2008 8,75 x Tabellenlohn und im Jahr 2009 8,00 x Tabellenlohn.

3. Dadurch wurde von der bisherigen Regelung durchschnittliche individuelle Stundenzahl pro Tag multipliziert mit dem Faktor des durchschnittlichen individuellen Stundenlohnes abgelöst.

4. Es gibt Anhaltspunkte, dass diese Tarifvereinbarung gegen geltendes Recht verstößt und deshalb nichtig ist.

5. Diese Anhaltspunkte ergeben sich aus dem Gesetzestext, genauer gesagt aus den §§ 11 und 13 des Bundesurlaubsgesetzes und aus den §§ 4 (insbesondere Abs. 1, 1a) und 12 sowie aus Gerichtsurteilen des LAG Rheinland-Pfalz (Az.: 6 Sa 215/00, BAG (Az.: 5 AZR 457/00), BAG (Az.: 5 AZR 68/04).

6. Eventuell könnte die Änderung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle durch den § 4 Abs. 4 i. V. m. § 12 konform gehen mit dem LFZG. Dieses müsste aber in einer Überprüfung eindeutig geklärt werden. Die Änderung der Bemessungsgrundlage für den Urlaubslohn aber scheint eindeutiger nicht mit dem BurlG überein zu stimmen. Auch dieses bedarf einer Überprüfung.

7. Die oben genannten Paragraphen und Urteile müssen in Zusammenhang mit einer dauerhaft, für Arbeitnehmer der P... und G... typischen, hohen Stundenzahl pro Monat und einem höheren individuellen Stundenlohn betrachtet werden.

8. Es soll nun also überprüft werden, ob und inwieweit die unter 2. genannten Regelungen mit den unter 5. erwähnten Gesetzestexten und Urteilen kompatibel sind oder nicht."

Nachdem die Arbeitgeberin die Hinzuziehung eines Sachverständigen abgelehnt hatte, übersandte Rechtsanwalt Dr. W. der Arbeitgeberin mit Schreiben vom 21.09.2007 eine der Beschlussfassung des Betriebsrats vom 22.03.2007 entsprechende Auftrags- und Vergütungsvereinbarung (Bl. 21 ff. d. A.), deren Unterzeichnung die Arbeitgeberin ablehnte (Bl. 24 f. d. A.). Mit Schreiben vom 12.10.2007 teilte der Betriebsrat der Arbeitgeberin mit, dass er am 11.10.2007 beschlossen habe, Rechtsanwalt Dr. W. zu beauftragen, ein arbeitsgerichtliches Beschlussverfahren mit dem Ziel einzuleiten, die fehlende Zustimmung des Arbeitgebers zur Hinzuziehung von Rechtsanwalt Dr. W. auf der Grundlage der Vereinbarung über Auftrag und Vergütung vom 21.09.2007 gerichtlich ersetzen zu lassen.

Am 23.10.2007 hat die Arbeitgeberin das vorliegende Beschlussverfahren eingeleitet.

Die Arbeitgeberin hat beantragt,

festzustellen, dass der Betriebsrat zur Prüfung der Frage, ob die von der Antragstellerin praktizierte Berechnung der Lohnfortzahlung im Urlaubsund Krankheitsfall auf der Basis der 1. Protokollnotiz vom 01.09.2006 zum Manteltarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer/-innen des privaten Omnibusgewerbes in Schleswig-Holstein in Einklang mit dem Bundesurlaubsgesetz und dem Entgeltfortzahlungsgesetz steht, nicht befugt ist, einen Sachverständigen gem. § 80 Abs. 3 BetrVG hinzuzuziehen.

Der Betriebsrat beantragt,

den Antrag zurückzuweisen

sowie im Wege eines Widerantrages

der Arbeitgeberin aufzugehen, dem Betriebsrat die Zustimmung dafür zu erteilen,

a) Herrn Rechtsanwalt Dr. W..., B..., als Sachverständigen zur Überprüfung der Frage hinzuzuziehen, ob die von der Arbeitgeberin auf der Grundlage der 1. Protokollnotiz vom 01.09.2006 zum Manteltarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer/-innen des privaten Omnibusgewerbes in Schleswig-Holstein, in Kraft getreten zum 01.01.2007, praktizierte Berechnung der Lohnfortzahlung im Urlaubs- und Krankheitsfall auf der Basis der Grundstundenzahl und des reinen Stundenlohnes im Einklang mit dem Bundesurlaubsgesetz und dem Entgeltfortzahlungsgesetz steht und ihm

b) eine Vergütung in Höhe von 190,00 EUR plus Mehrwertsteuer pro Stunde gemäß dem Vorschlag der Vereinbarung über Auftrag und Vergütung vom 21.09.2007 (Anlage 4 zur Antragsschrift) hierfür zuzusagen.

Die Arbeitgeberin hat beantragt,

die Wideranträge abzuweisen.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstands in erster Instanz, insbesondere des streitigen Vorbringens der Beteiligten wird auf Ziff. I. der Gründe des angefochtenen Beschlusses Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat mit Beschluss vom 03.04.2008 dem negativen Feststellungsantrag der Arbeitgeberin stattgegeben und die Wideranträge des Betriebsrates abgewiesen. Der Antrag der Arbeitgeberin sei nach §§ 80, 46 Abs. 2 ArbGG i. V. m. § 256 ZPO zulässig und begründet. Der Betriebsrat sei nicht berechtigt, auf Kosten der Arbeitgeberin einen Rechtsanwalt als Sachverständigen mit der Prüfung zu beauftragen, ob die 1. Protokollnotiz vom 01.09.2006 zum MTV mit dem BUrlG und dem EFZG in Einklang steht. Die Frage, ob ein Tarifvertrag gegen eine gesetzliche Norm verstoße, zähle nicht zu den gesetzlichen Aufgaben des Betriebsrates nach § 80 Abs. 1 Ziff. 1 BetrVG. Ein Tarifvertrag unterliege nur insoweit der Überwachung des Betriebsrates, ob die tariflichen Bestimmungen vom Arbeitgeber eingehalten werden, nicht jedoch, ob die tariflichen Bestimmungen als solche rechtswidrig sind. Ebenso wenig wie Gesetzesnormen stünden auch Tarifnormen nicht zur Disposition der Parteien eines Arbeitsvertrages, vielmehr habe der tarifunterworfene Arbeitgeber die Tarifnormen zwingend einzuhalten. Der vorliegende Streitfall sei auch nicht mit dem der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 16.11.2005 - 7 ABR 12/05 - zugrundeliegenden Sachverhalt der Überprüfung der Gesetzeskonformität von den vom Arbeitgeber verwendeten Formulararbeitsverträgen vergleichbar.

Gegen diesen ihm am 18.04.2008 zugestellten Beschluss hat der Betriebsrat am 16.05.2008 beim Landesarbeitsgericht Beschwerde eingelegt und diese am 18.06.2008 begründet.

Der Betriebsrat trägt vor,

der Feststellungsantrag der Arbeitgeberin sei nach Stellung seiner Wideranträge unzulässig geworden und hätte für erledigt erklärt werden müssen. Der als Leistungsantrag formulierte Widerantrag habe gegenüber einem bloßen Feststellungsantrag Vorrang. Die Wideranträge seien auch begründet. Wie die Formulierung des Widerantrages zeige, gehe es nicht allein darum, die Rechtmäßigkeit eines Tarifvertrages abstrakt prüfen zu lassen, sondern ganz konkret darum, ob die von der Arbeitgeberin praktizierte Berechnung der Lohnfortzahlung im Urlaubs- und Krankheitsfall im Einklang mit den gesetzlichen Bestimmungen stehe. Im Rahmen dieser Prüfung sei inzident mit zu klären, inwieweit das Tarifrecht sich innerhalb der Tariföffnungsklauseln bewege oder ob zwingendes höherrangiges Gesetzesrecht unterrangiges Tarifrecht verdränge.

Der Betriebsrat beantragt,

den Beschluss des Arbeitsgerichts Elmshorn vom 03.04.2008, 3 BV 86 d/07, aufzuheben und den Antrag der Arbeitgeberin zurückzuweisen sowie im Wege des Widerantrages der Arbeitgeberin aufzugehen, dem Betriebsrat die Zustimmung dafür zu erteilen,

a) Herrn Rechtsanwalt Dr. W..., B..., als Sachverständigen zur Überprüfung der Frage hinzuzuziehen, ob die von der Arbeitgeberin auf der Grundlage der 1. Protokollnotiz vom 01.09.2006 zum Manteltarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer/-innen des privaten Omnibusgewerbes in Schleswig-Holstein, in Kraft getreten zum 01.01.2007, praktizierte Berechnung der Lohnfortzahlung im Urlaubs- und Krankheitsfall auf der Basis der Grundstundenzahl und des reinen Stundenlohnes im Einklang mit dem Bundesurlaubsgesetz und dem Entgeltfortzahlungsgesetz steht und ihm

b) eine Vergütung in Höhe von 190,00 EUR plus Mehrwertsteuer pro Stunde gemäß dem Vorschlag der Vereinbarung über Auftrag und Vergütung vom 21.09.2007 (Anlage 4 zur Antragsschrift) hierfür zuzusagen.

Die Arbeitgeberin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Die Arbeitgeberin verteidigt

den angefochtenen Beschluss. Der Feststellungsantrag sei auch nach dem Widerantrag des Betriebsrats nicht unzulässig geworden. Der Feststellungsantrag sei auch begründet. Der Betriebsrat habe nicht darüber zu wachen, ob die bestehenden Gesetze, Verordnungen, Unfallverhütungsvorschriften, Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen in allen ihren Normen mit jeweils höherrangigem Recht übereinstimmen und damit rechtmäßig sind. Der Betriebsrat sei kein Normenkontrollorgan. Selbstverständlich habe der Betriebsrat das Recht zur Überprüfung, ob die vom Arbeitgeber praktizierte Berechnung der Lohnfortzahlung im Urlaubs- und Krankheitsfalle in Übereinstimmung mit den bestehenden gesetzlichen und tarifvertraglichen Vorschriften durchgeführt wird. Damit ergebe sich aber keineswegs als weitere Konsequenz, dass nunmehr auch die Rechtmäßigkeit dieser tariflichen Vorgaben im Hinblick auf das Bundesurlaubsgesetz und das Entgeltfortzahlungsgesetz überprüft werden könne.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten im Beschwerdeverfahren wird auf den mündlich vorgetragenen Inhalt der zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie den Inhalt des Sitzungsprotokolls vom 19.08.2008 verwiesen.

II.

Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere ist sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden, §§ 89 Abs. 1, Abs. 2; 89 Abs. 2; 66 Abs. 1; 64 Abs. 6 ArbGG i. V. m. §§ 518; 519 ZPO.

Die Beschwerde ist indessen unbegründet.

1. Der negative Feststellungsantrag der Arbeitgeberin ist entgegen der Ansicht des Betriebsrates nicht im Laufe des erstinstanzlichen Verfahrens, d. h. mit Erhebung des Zustimmungsersetzungsantrages des Betriebsrates, unzulässig geworden.

a) Gegenstand eines arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahrens kann nach § 81 Abs. 1 ArbGG auch ein Feststellungsantrag sein. Der Feststellungsantrag ist nur zulässig, wenn für die erbetene Feststellung ein Feststellungsinteresse vorliegt. § 256 ZPO gilt auch im Beschlussverfahren. Für einen Antrag des Arbeitgebers auf Feststellung, dass der Betriebsrat in einer bestimmten Angelegenheit nicht mitzubestimmen hat, ist das nach § 256 Abs. 1 ZPO zu fordernde Rechtsschutzinteresse gegeben, wenn der Betriebsrat sich ernsthaft eines Mitbestimmungsrechts in dieser Angelegenheit berühmt (BAG, Beschl. v. 13.10.1987 - 1 ABR 53/86 -, AP Nr. 7 zu § 81 ArbGG 1979). Dies gilt in gleicher Weise, wenn der Betriebsrat im Hinblick auf die von ihm wahrzunehmenden allgemeinen Aufgaben nach § 80 Abs. 1 BetrVG vom Arbeitgeber den Abschluss einer Vereinbarung über die Hinzuziehung eines Sachverständigen nach § 80 Abs. 3 BetrVG verlangt.

b) Diese Voraussetzungen lagen bei Einleitung des Beschlussverfahrens durch die Arbeitgeberin unbestritten vor. Bereits mit Anwaltsschreiben vom 21.09.2007 hat sich der Betriebsrat auf den Standpunkt gestellt, dass er aufgrund seiner Überwachungsaufgaben nach § 80 Abs. 1 Ziff. 1 BetrVG und fehlender eigener Sachkunde Anspruch auf die Gestellung des sachverständigen Rechtsanwalts Dr. W. durch die Arbeitgeberin i. S. v. § 80 Abs. 3 BetrVG habe. Mit den Schreiben vom 12.10.2007 hat der Betriebsrat gegenüber der Arbeitgeberin sodann mitgeteilt, dass er am 11.10.2007 beschlossen habe, ein arbeitsgerichtliches Beschlussverfahren mit dem Ziel einleiten zu wollen, die verweigerte Zustimmung der Arbeitgeberin zur Hinzuziehung von Rechtsanwalt Dr. W. auf der Grundlage der übersandten Vereinbarung vom 21.09.2007 ersetzen zu lassen. Der Betriebsrat hat sich mithin gegenüber der Arbeitgeberin ernsthaft und auch nachhaltig eines Rechts auf einvernehmliche Hinzuziehung eines Sachverständigen nach § 80 Abs. 3 BetrVG berühmt.

c) Das Feststellungsinteresse ist auch nicht im Nachhinein durch Erhebung des Widerantrags des Betriebsrates entfallen. Während der Widerantrag sich auf die konkrete Zustimmungsersetzung der der Arbeitgeberin bereits vorliegenden Auftrags- und Honorarvereinbarung mit Rechtsanwalt Dr. W. bezieht, hat der Feststellungsantrag die vorgelagerte Frage zum Gegenstand, ob der Betriebsrat überhaupt zur Prüfung der strittigen Frage einen Sachverständigen nach § 80 Abs. 3 BetrVG hinzuziehen darf. Hierbei handelt es sich um eine Zwischenfeststellung, die im Rahmen des Zustimmungsersetzungsverfahrens zu klären ist. Das fortdauernde Rechtsschutzinteresse ergibt sich mithin aus § 256 Abs. 2 ZPO.

2. Der negative Feststellungsantrag der Arbeitgeberin war und ist auch nach wie vor begründet. Das Arbeitsgericht hat sowohl im Ergebnis als auch in der Begründung zu Recht festgestellt, dass der Betriebsrat nicht befugt ist, ein Sachverständigengutachten darüber einzuholen, ob die von der Arbeitgeberin praktizierte Berechnung der Lohnfortzahlung im Urlaubs- und Krankheitsfall auf der Basis der 1. Protokollnotiz zum MT mit dem BurlG und/oder dem EFZG in Einklang steht.

a) Die Hinzuziehung eines Sachverständigen nach § 80 Abs. 3 BetrVG setzt voraus, dass der Betriebsrat eine ihm von Gesetzes wegen konkret zugewiesene Aufgabe nicht ordnungsgemäß wahrnehmen kann, weil ihm insoweit die erforderliche Sach- und ggf. Rechtskunde fehlt. Ein Rechtsanspruch für die Hinzuziehung eines Sachverständigen besteht indessen nur dann, wenn die Hinzuziehung eines Sachverständigen für die ordnungsgemäße Erledigung der Betriebsratsaufgaben erforderlich ist. Der dem Betriebsrat nach § 80 Abs. 3 BetrVG zustehende Sachverständigenrat soll Wissens- und Kenntnislücken des Betriebsrats ersetzen, damit dieser seine konkret anstehenden betriebsverfassungsrechtlichen Aufgaben ordnungsgemäß erledigen kann. Die Erforderlichkeit ist gegeben, wenn der Betriebsrat angesichts der Schwierigkeit der Materie eine in seine Zuständigkeit fallende Aufgabe ohne einen solchen fachlichen Rat nicht ordnungsgemäß ausüben kann.

b) Hieran gemessen hat der Betriebsrat keinen Anspruch auf Hinzuziehung eines Sachverständigen gemäß § 80 Abs. 3 BetrVG. Der Betriebsrat beruft sich darauf, dass er ohne das Sachverständigengutachten seine ihm nach § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG obliegenden Überwachungsaufgaben nicht ordnungsgemäß ausüben könne. Er könne nicht beurteilen, ob die von der Arbeitgeberin praktizierte Berechnung der Lohnfortzahlung im Urlaubs- und Krankheitsfalle auf der Basis der 1. Protokollnotiz vom 01.09.2006 zum MTV in Einklang mit den gesetzlichen Bestimmungen stehe.

aa) Ein derartiges Überwachungs- oder Kontrollrecht steht dem Betriebsrat indessen nach § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG nicht zu.

(1) Nach dieser Vorschrift hat der Betriebsrat darüber zu wachen, dass die zugunsten der Arbeitnehmer geltenden Gesetze, Verordnungen, Unfallverhütungsvorschriften, Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen durchgeführt werden. Das Überwachungsrecht hinsichtlich der Durchführung von Tarifverträgen setzt voraus, dass der Arbeitgeber tarifgebunden ist. Bei Inhaltsnormen muss auch der Arbeitnehmer tarifgebunden oder der Tarifvertrag einzelvertraglich in Bezug genommen sein. Gegenüber allgemeinverbindlichen Tarifverträgen steht dem Betriebsrat in jedem Fall ein Überwachungsrecht nach § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG zu.

(2) Der hier strittige Manteltarifvertrag, dessen § 16 durch die 1. Protokollnotiz vom 01.09.2006 geändert worden ist, ist allgemeinverbindlich. Bei § 16 MTV n.F. handelt es sich um eine so genannte Inhaltsnorm, die den Arbeitnehmern trotz des Arbeitsausfalls im Falle von Krankheit und Urlaub den Vergütungsanspruch in bestimmter Höhe bewahrt. Bei § 16 MTV n.F. handelt es sich mithin um eine zugunsten der Arbeitnehmer geltende Tarifnorm. Dies bedeutet, dass dem Betriebsrat ein Kontrollrecht darüber zusteht, ob die Arbeitgeberin § 16 MTV n.F. ordnungsgemäß durchführt, d. h. vorliegend die Urlaubs- und Krankheitszeiten der Arbeitnehmer tarifgerecht abrechnet. Im Focus der Überwachung steht mithin nicht die Norm als solche, sondern die Normumsetzung durch den Arbeitgeber, d. h. ein konkretes Verhalten oder Unterlassen des Arbeitgebers in Bezug auf die zugunsten der Arbeitnehmer geltende Norm. Das Überwachungsrecht nach § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG bezieht sich mithin einzig und allein auf die Durchführung einer Rechtsnorm (hier: § 16 MTV), nicht aber darauf, ob die Rechtsnorm ihrerseits gegen höherrangiges Recht (hier: §§ 11, 12 BurlG, §§ 4, 12 EFZG) verstößt. Das Überwachungsrecht besteht gegenüber dem Arbeitgeber, der die Rechtsnorm zu beachten hat, nicht jedoch gegenüber dem Normgeber (hier: den Tarifvertragsparteien), der die Rechtsnorm erlassen hat.

bb) Unter diesen Voraussetzungen steht dem Betriebsrat in Bezug auf § 16 MTV i. d. F. der 1. Protokollnotiz vom 01.09.2006 zwar ein Beteiligungsrecht nach § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG dahingehend zu, zu prüfen und zu überwachen, ob die Arbeitgeberin nach Maßgabe der Tarifvorschriften, an die die Arbeitgeberin kraft Allgemeinverbindlichkeit gebunden ist, die Urlaubs- und Krankheitszeiten ordnungsgemäß abrechnet. Das Überwachungsrecht bezieht sich mithin vorliegend auf die tarifgerechte Abrechnung durch die Arbeitgeberin. Dieses Beteiligungsrecht wird seitens der Arbeitgeberin auch nicht in Abrede gestellt. Es ist zwischen den Beteiligten zudem unstreitig, dass die Arbeitgeberin die Urlaubsvergütung und Entgeltfortzahlung nach den tariflichen Vorgaben abrechnet. Diesbezüglich ist es mithin nicht erforderlich, einen Sachverständigen auf Seiten des Betriebsrats i. S. v. § 80 Abs. 3 BetrVG hinzuzuziehen.

Der Betriebsrat kann sich auch nicht mit Erfolg auf den Beschluss des Bundesarbeitsgerichts vom 16.11.2005 - 7 ABR 12/05 - berufen. In dieser Entscheidung hat das Bundesarbeitsgericht dem Betriebsrat ein Überwachungsrecht nach § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG in Bezug auf die vom Arbeitgeber verwandten Formulararbeitsverträge hinsichtlich der Beachtung der gesetzlichen Bestimmungen nach § 1 NachwG und §§ 305c - 310 BGB zuerkannt. Das Kontroll- bzw. Überwachungsrecht bezog sich in der BAG-Entscheidung mithin darauf, ob die vom dortigen Arbeitgeber verwendeten Formulararbeitsverträge in Einklang mit den gesetzlichen Vorgaben standen und nicht darauf, ob die gesetzlichen Vorschriften möglicherweise verfassungs- oder europarechtswidrig sind.

Soweit der Betriebsrat mithin gutachterlich überprüfen lassen will, ob § 16 MTV n.F. gegen §§ 11, 13 BurlG und §§ 4 Abs. 4, 12 EFZG verstößt, dient die Klärung dieser Rechtsfrage nicht seinen Überwachungsaufgaben nach § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG. Zu Recht weist die Arbeitgeberin darauf hin, dass der Betriebsrat kein Normenkontrollorgan ist. Die Klärung der Frage der Rechtmäßigkeit der vom Arbeitgeber zu beachtenden Normen obliegt ausschließlich den jeweils zuständigen Gerichten und nicht dem Betriebsrat oder einem von ihm eingeschalteten Sachverständigen.

3. Nach alledem war die Beschwerde zurückzuweisen.

Ein gesetzlich begründbarer Anlass für die Zulassung der Rechtsbeschwerde lag nicht vor, §§ 92 Abs. 1; 72 Abs. 2 ArbGG.

Ende der Entscheidung

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