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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein
Urteil verkündet am 03.03.2006
Aktenzeichen: 6 Sa 158/05
Rechtsgebiete: TVG, BGB


Vorschriften:

TVG § 3 Abs. 3
TVG § 3 Abs. 1
TVG § 4 Abs. 5
BGB § 305 c Abs. 2
BGB § 310 Abs. 4 S. 2 n. F.
BGB § 133
BGB § 157
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein Im Namen des Volkes Urteil

Aktenzeichen: 6 Sa 158/05

Verkündet am 03.03.2006

In dem Rechtsstreit

hat die 6. Kammer des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein auf die mündliche Verhandlung vom 03.03.2006 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht ... als Vorsitzenden und die ehrenamtlichen Richter ... und ... als Beisitzer

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Elmshorn vom 26.01.2005 - Az.: 4 Ca 688 c/04 - abgeändert:

1. Die Klage wird insgesamt abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits (beide Rechtszüge).

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Verpflichtung der Beklagten, der Klägerin die tariflichen Gehaltserhöhungen zu zahlen.

Die 1965 geborene Klägerin ist bei der Beklagten seit dem 01.08.1982 als Bürokauffrau mit einer regelmäßigen monatlichen Arbeitszeit von 120 Stunden bei einer monatlichen Vergütung von zuletzt 1.408,91 € brutto beschäftigt.

§ 11 des Arbeitsvertrages der Parteien vom 12.08.1993 enthält u. a. folgende Regelung:

"... soweit weder in diesem Arbeitsvertrag noch in der Betriebsvereinbarung Regelungen über das hierdurch begründete Arbeitsverhältnis enthalten sind, gelten die Bestimmungen des vom Einzelhandelsverband Schleswig-Holstein mit den Gewerkschaften abgeschlossenen, jeweils gültigen Mantel- und Gehaltstarifvertrages für Arbeitnehmer im Einzelhandel von Schleswig-Holstein...".

Die Beklagte beantragte mit Schreiben vom 08.02.2001 die Mitgliedschaft im Verband der Mittel- und Großbetriebe des Einzelhandels in Schleswig-Holstein e. V. nach Maßgabe der Vereinssatzung als Mitglied ohne Tarifbindung (OT-Mitgliedschaft). Die Klägerin ist Mitglied der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di e. V.. Zwischen diesen Verbänden wurde am 06.07.2001 der Manteltarifvertrag für den Einzelhandel in Schleswig-Holstein und am 25.07.2003 der Entgelttarifvertrag im Einzelhandel Schleswig-Holstein abgeschlossen.

Seit dem 01.08.2003 beträgt das Tarifgehalt für Vollzeitbeschäftigte in der für die Klägerin maßgeblichen Tätigkeitsgruppe 2 monatlich 1.950,-- € und ab 01.08.2004 monatlich 1.986,-- € brutto.

Die Beklagte hat über den 01.08.2003 hinaus an die Klägerin unverändert das frühere anteilige Tarifgehalt von 1.408,91 € brutto gezahlt. Die monatliche tarifliche Vergütungsdifferenz, umgerechnet auf die Teilzeittätigkeit der Klägerin, beläuft sich seit dem 01.08.2003 - unstreitig - auf 26,67 € brutto und seit dem 01.08.2004 auf 53,18 € brutto.

Die Beklagte ist nach wie vor OT-Mitglied im Verband der Mittel- und Großbetriebe des Einzelhandels in Schleswig-Holstein e. V.

Nach ihrem - nicht mehr bestrittenen - Vortrag in der Berufungsinstanz war die Beklagte in der Zeit vom 14.10.1947 bis zum 31.12.2002 auch Mitglied des am Tarifabschluss ebenfalls beteiligten Einzelhandelsverbandes Nord-Ost e. V. Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern, davon seit dem 29.04.1999 satzungsgemäßes OT-Mitglied.

Erstinstanzlich hat die Klägerin die Tariflohnerhöhungen seit dem 01.08.2003 bis einschließlich Dezember 2004 geltend gemacht und dazu vorgetragen: Die Ansprüche seien aufgrund einzelvertraglich vereinbarter Anwendbarkeit der Tarifverträge unabhängig von der Verbandsmitgliedschaft der Beklagten begründet. So habe sie, die Klägerin, auch noch nach Erklärung der OT-Mitgliedschaft gegenüber dem Verband regelmäßig an den tariflichen Gehaltserhöhungen teilgenommen. Eine etwaige OT-Mitgliedschaft der Beklagten sei nicht zulässig. Dies sehe das Tarifvertragsgesetz nicht vor. Deshalb sei der Anspruch auch unter dem Gesichtspunkt der beiderseitigen Tarifbindung begründet.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin einen Betrag von 585,94 € brutto nebst Zinsen von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz auf 186,69 € brutto ab Zustellung der Klageschrift und den Restbetrag von 402,25 € brutto ab Zustellung des Schriftsatzes vom 18.01.2005 zu zahlen

hilfsweise

die Berufung zuzulassen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat vorgetragen:

Die OT-Mitgliedschaft sei zulässig mit der Folge, dass abgeschlossene tarifliche Regelungen keine unmittelbare und zwingende Wirkung hätten.

Die Bezugnahmeklausel begründe aber auch keinen einzelvertraglichen Anspruch. Diese Klausel sei nach der Rechtsprechung des BAG als Gleichstellungsabrede auszulegen. Das bedeute, dass die Klägerin wie ein tarifgebundener Arbeitnehmer auch nur während der Dauer der Tarifgebundenheit der Beklagten an der Tarifentwicklung der in Bezug genommenen Tarifregelungen teilnehmen könne.

Wegen des weiteren erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils einschließlich der dortigen Verweisungen Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat - soweit für den Berufungsrechtszug von Bedeutung - der Klage für die Zeit vom Oktober 2003 bis Dezember 2004 in der für diesen Zeitraum geltend gemachten Höhe entsprochen und die Berufung zugelassen. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt:

Der Klägerin stehe der Anspruch aufgrund einzelvertraglicher Bezugnahme auf die tarifvertraglichen Vorschriften und aufgrund entsprechender betrieblicher Übung zu. Ob eine OT-Mitgliedschaft zulässigerweise eine Bindung des Arbeitgebers an tarifvertraglicher Regelungen dieses Verbandes beseitigen könne, könne dahinstehen. Der Umfang der vertraglichen Bezugnahme sei nach den Grundsätzen der Vertragsauslegung zu bestimmen. Nach ständiger Rechtsprechung gehe das Bundesarbeitsgericht bei der Verweisung auf tarifvertragliche Vorschriften davon aus, dass bei einer gegebenen Tarifbindung des Arbeitgebers im Zweifel von einer Gleichstellungsabrede auszugehen sei, die den Zweck verfolge, einheitliche Arbeitsbedingungen für Tarifgebundene wie Nichttarifgebundene zu schaffen. Daher habe der Arbeitnehmer nach Beendigung der Tarifgebundenheit des Arbeitgebers auch keinen Anspruch mehr auf Teilhabe an der tarifvertraglichen Entwicklung und etwaigen Tariflohnerhöhungen, weil der zugrunde liegende Zweck entfallen sei. Sei der Arbeitgeber jedoch nicht aufgrund Mitgliedschaft in dem tarifvertragschließenden Verband tarifgebunden, komme eine Auslegung als Gleichstellungsabrede nicht in Betracht. Der Abrede komme insoweit konstitutive Bedeutung zu.

Vorliegend erstrecke sich die arbeitsvertragliche Bezugnahme auch auf die abgeschlossenen Entgelttarifverträge. Zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses am 12.08.1993 sei die Beklagte nicht aufgrund Mitgliedschaft in dem tarifvertragschließenden Verband tarifgebunden gewesen. Eine vorangegangene Tarifgebundenheit mit der Möglichkeit der Auslegung als Gleichstellungsabrede sei nicht dargelegt worden. Es liege deshalb eine einzelvertragliche dynamische Verweisung auf die tarifliche Entwicklung einschließlich der Entgelttarifverträge vor. Für diese (konstitutive) einzelvertragliche Bezugnahme mangels eigener Tarifbindung der Beklagten sei die spätere Begründung einer OT-Mitgliedschaft ohne Bedeutung.

Auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils im übrigen wird Bezug genommen.

Gegen dieses ihr am 14.03.2005 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 06.04.2005 Berufung eingelegt und diese - nach Verlängerung der Begründungsfrist bis zum 13.06.2005 - am 13.06.2005 begründet.

Die Beklagte weist darauf hin, dass sich inzwischen eine andere Tatsachengrundlage insoweit ergeben habe, als - nunmehr unstreitig - die Beklagte im Zeitpunkt des Vertragsschlusses am 12.08.1993 Mitglied im tarifvertragschließenden Einzelhandelsverband Nord-Ost gewesen sei und diese Mitgliedschaft bis zum 31.12.2002 bestanden habe. Unter Anwendung der Grundsätze des BAG zur Gleichstellungsabrede habe deshalb die Klägerin nur für die Dauer der Tarifunterworfenheit der Beklagten an der Tarifentwicklung teilnehmen können. Die Klägerin sei im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses noch nicht Mitglied der die damaligen Tarifverträge auf Arbeitnehmerseite abschließenden Gewerkschaften HBV oder DAG gewesen. Lediglich vom Zeitpunkt des Wirksamwerdens ihrer Beitrittserklärung zur Gewerkschaft am 05.03.2002 bis zum 31.12.2002, dem Ende der Mitgliedschaft der Beklagten im Einzelhandelsverband Nord-Ost, habe eine beiderseitige Tarifgebundenheit bestanden. Für die Zeit ab 01.01.2003 sei dann nur noch die Klägerin als Mitglied der Gewerkschaft tarifunterworfen gewesen. Darauf komme es jedoch im Hinblick auf die Gleichstellung, wie sie das BAG verstehe, nicht an. Auch eine Nachwirkung gemäß § 4 Abs. 5 TVG komme nicht in Betracht, diese sei spätestens mit Abschluss des neuen Entgelttarifvertrages am 01.05.2003 beendet gewesen. Ein etwaiger Anspruch der Klägerin könne auch nicht vor dem Hintergrund der Mitgliedschaft der Beklagten im Verband der Mittel- und Großbetriebe des Einzelhandels geltend gemacht werden. Hier unterhalte die Beklagte ausschließlich eine OT-Mitgliedschaft entsprechend der Verbandssatzung. Ernsthafte Zweifel an der Zulässigkeit einer solchen satzungsmäßig verankerten OT-Mitgliedschaft seien nicht erkennbar. Die Teilnahme der OT-Mitglieder an der tarifpolitischen Meinungsbildung sei satzungsmäßig ausgeschlossen.

Soweit in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils von einer betrieblichen Übung hinsichtlich der Vergütung die Rede sei, werde nicht deutlich, ob das Gericht hier von einer eigenständigen Anspruchsgrundlage ausgehe oder nicht. Im übrigen reiche nach der Rechtsprechung des BAG die bloße langjährige Anpassung der Gehälter entsprechend der jeweiligen tariflichen Erhöhung nicht aus, um eine Bindung auch für zukünftige tarifliche Gehaltserhöhungen zu begründen. Ein nicht tarifgebundener Arbeitgeber könne insoweit nicht stärker gebunden werden als ein Verbandsmitglied, das durch Verbandsaustritt die Tarifbindung vermeiden könne.

Die Beklagte beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Elmshorn vom 26.01.2005 - Az.: 4 Ca 688 c/04 - die Klage vollen Umfangs abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil im wesentlichen mit Rechtsausführungen zur - aus ihrer Sicht - Unzulässigkeit der OT-Mitgliedschaft und zur arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel, die entgegen der Rechtsprechung des BAG nicht als Gleichstellungsabrede auszulegen, sondern ohne Rücksicht auf eine etwaige Tarifgebundenheit des Arbeitgebers als arbeitsvertraglich vereinbarte dynamische Bezugnahme auf den jeweils gültigen Entgelttarifvertrag zu verstehen sei. Die Ansprüche der Klägerin seien auch aufgrund betrieblicher Übung begründet. Die gegenteilige Rechtsprechung des BAG überzeuge nicht. Der Arbeitgeber brauche lediglich bei jeder neuen Tariferhöhung, die er zahle, einen entsprechenden Vorbehalt zu erklären, um eine Bindung für die Zukunft auszuschließen.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien im Berufungsrechtszug wird auf den mündlich vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze und Anlagen Bezug genommen.

Ergänzend wird auf den Akteninhalt verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die vom Arbeitsgericht zugelassene und damit statthafte Berufung (§ 64 Abs. 2 lit. a ArbGG) ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.

Die Berufung hatte auch in der Sache Erfolg.

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zahlung der geltend gemachten Tariferhöhungen, soweit sie das Arbeitsgericht zuerkannt hat. Der Anspruch ist weder kraft beiderseitiger Tarifbindung der Parteien (1.) noch aufgrund einzelvertraglicher Vereinbarung (2.) noch aufgrund betrieblicher Übung (3.) begründet.

1.)

Aus der vormaligen Mitgliedschaft der Beklagten im Einzelhandelsverband Nord-Ost e. V. kann die Klägerin nichts herleiten. Nach ihrem Vorbringen im Berufungsrechtszug war zwar die Beklagte - inzwischen unstreitig geworden - in der Zeit vom 14.10.1947 bis zum 31.12.2002 Mitglied dieses Verbandes, davon seit dem 29.04.1999 "Mitglied ohne Tarifbindung" (OT-Mitglied). Diese Mitgliedschaft war jedenfalls in dem streitgegenständlichen Zeitraum beendet, ohne dass es in diesem Zusammenhang auf die Zulässigkeit der OT-Mitgliedschaft in diesem Verband weiter ankommt.

Eine Nachbindung gemäß § 3 Abs. 3 TVG oder eine sich daran anschließende Nachwirkung gemäß § 4 Abs. 5 TVG kamen nicht in Betracht. Es wurde nach Verbandsaustritt ein neuer Entgelttarifvertrag für den Einzelhandel in Schleswig-Holstein abgeschlossen, demzufolge sich die Tarifgehälter per 01.08.2003 erhöhten.

Eine Tarifbindung kraft Allgemeinverbindlichkeit (§ 5 Abs. 4 TVG) kam ebenfalls nicht in Betracht.

Aus der OT-Mitgliedschaft der Beklagten im Verband der Mittel- und Großbetriebe des Einzelhandels in Schleswig-Holstein e. V., die im Jahre 2001 begründet wurde und noch besteht, ergibt sich ebenfalls keine Tarifbindung der Beklagten. Dieser Verband ist zwar ebenfalls Tarifvertragspartei i. S. d. § 2 Abs. 2 TVG. Nach § 5 a Ziff. 1 der Verbandssatzung kann aber die Mitgliedschaft auch ohne Verbandstarifbindung gestaltet werden. Davon hat die Beklagte hier Gebrauch gemacht. Eine derartige satzungsmäßig vorgesehene OT-Mitgliedschaft in einem Arbeitgeberverband ist nach - zutreffender - überwiegender Auffassung im Schrifttum und, soweit ersichtlich, auch in der Rechtsprechung als zulässig anzusehen (vgl. LAG Rheinland-Pfalz vom 17.02.1995 - 10 Sa 1092/94 - NZA 1995, 800; LAG Hessen vom 06.10.1997 - 16 Sa 585/87 - LAGE § 97 ArbGG 1979, Nr. 1; LAG München, Beschluss vom 12.04.2005 - 11 Ta BV 33/04 - NZA RR 2006, Heft 2 S. V; LAG Niedersachsen vom 26.01.2004 - 5 Sa 1089/03 -; ErfK/Schaub/Franzen § 2 TVG Rn 9 m. w. Nachw.). Auch das BAG sieht für die Annahme einer generellen Unwirksamkeit einer OT-Mitgliedschaft keine rechtliche Grundlage (BAG, Urteil vom 23.02.2005 - 4 AZR 186/04 - DB 2005, 2305). Die normative Wirkung des Tarifvertrags setze - so das BAG (a. a. O.) - notwendig eine Vollmitgliedschaft der Tarifgebundenen dahin voraus, dass sie unmittelbar oder durch die von ihnen selbst frei gewählten Organe des Verbands beim Tarifabschluss repräsentiert würden. Für die Annahme einer generellen Unwirksamkeit einer OT-Mitgliedschaft unabhängig von den konkreten Regelungen der Satzung zu der organisatorischen Struktur der betroffenen Verbandsbereiche und den Rechten der OT-Mitglieder, insbesondere im Hinblick auf den Abschluss von Tarifverträgen, mit der weiteren Konsequenz eines Verbleibens des Mitglieds im Zustand der Tarifgebundenheit trotz entgegenstehender Erklärung, gibt es danach keine rechtliche Grundlage. Die durch Verbandssatzung eröffnete Möglichkeit einer Mitgliedschaft ohne Tarifbindung führt zu einer abgestuften Mitgliedschaft, gegen die verbandsrechtlich keine Bedenken bestehen. Die verbandsrechtlich unbedenkliche Möglichkeit einer Mitgliedschaft bei einem Arbeitgeberverband ohne Tarifbindung führt zum Wegfall der Tarifzuständigkeit des Verbandes für Mitglieder, die von der OT-Mitgliedschaft Gebrauch machen. Der Verband verliert nicht seine Tariffähigkeit, weil er nicht für alle seine Mitglieder tarifzuständig ist. Er kann, ohne die Tariffähigkeit zu verlieren, aufgrund seiner Satzungsautonomie seine Tarifzuständigkeit in personeller Hinsicht begrenzen. Er hat damit die Reichweite seiner Normsetzungskompetenz auf die Mitglieder begrenzt, die nicht ausdrücklich und schriftlich von der satzungsgemäßen Möglichkeit der Mitgliedschaft ohne Tarifbindung Gebrauch gemacht haben (so zutreffend LAG München a. a. O.).

Letztlich kann die Frage nach der Zulässigkeit einer OT-Mitgliedschaft vorliegend dahinstehen. Selbst wenn man sie für unzulässig erachtete, begründete dies nicht die Tarifbindung der Beklagten. Die Beklagte wollte ausdrücklich keine Vollmitgliedschaft mit Tarifbindung und hat dies unmissverständlich in ihrem Beitrittsgesuch vom 08.02.2001 so erklärt. Ihre Beitrittserklärung zielte gerade nicht auf den Erwerb einer Vollmitgliedschaft im Arbeitgeberverband mit den sich daraus ergebenden tarifrechtlichen Konsequenzen (§ 3 Abs. 1 TVG). Die Beitrittserklärung enthält eine eindeutige Willenserklärung und kann nicht in eine solche mit erheblich weitergehendem Inhalt umgedeutet werden, sollte die Beitrittserklärung aus satzungs- oder tarifrechtlichen Gründen unwirksam sein. Ob sich daraus zwangsläufig schon die Ungültigkeit oder zumindest Anfechtbarkeit der Beitrittserklärung ergibt, kann dahinstehen. Jedenfalls lässt sich nach rechtsgeschäftlichen Grundsätzen eine Umdeutung der auf einen bestimmten Erfolg gerichteten Willenserklärung - Erwerb der OT-Mitgliedschaft - in eine Erklärung wesentlich weitergehenden Inhalts - Vollmitgliedschaft mit Tarifbindung - nicht rechtfertigen (so im Ergebnis zutreffend auch LAG Niedersachsen a. a. O. unter I 1 a der Gründe).

Dem steht auch nicht, worauf die Gegner einer OT-Mitgliedschaft im wesentlichen abheben, die zwingende Vorschrift des § 3 Abs. 1 TVG entgegen. Die Tarifgebundenheit knüpft nicht an jedwede "Mitgliedschaft" im Verband an, sondern nur an die Vollmitgliedschaft, die den Verband als Tarifvertragspartei akzeptiert und die gerade und nur zu diesem Zweck angestrebt wird.

Eine solche Tarifbindung hat für die Beklagte bei Inkrafttreten der hier maßgeblichen Entgelttarifverträge nicht bestanden und wurde im streitgegenständlichen Zeitraum auch nicht begründet.

2.)

Die Klägerin hat auch keinen vertraglich begründeten Anspruch auf die Tariflohnerhöhung.

Das Arbeitsgericht ist zunächst zutreffend von den in ständiger Rechtsprechung des BAG entwickelten Grundsätzen zur Gleichstellungsabrede ausgegangen. Danach ist eine - wie hier - vorformulierte Bezugnahmeklausel eines tarifgebundenen Arbeitgebers auf die für das Arbeitsverhältnis einschlägigen Tarifverträge typischerweise als Gleichstellungsabrede auszulegen. Diese ersetzt insoweit lediglich die fehlende Tarifgebundenheit des Arbeitnehmers und führt damit zur schuldrechtlichen Anwendung des Tarifvertrages, der auch für die tarifgebundenen Arbeitnehmer kraft Gesetzes gilt (vgl. hierzu den Rechtsprechungsüberblick von Schliemann in ZTR 2004, 510). Das Arbeitsgericht hat allerdings - aufgrund des erstinstanzlichen Sachvortrags folgerichtig - die Voraussetzungen einer Gleichstellungsabrede verneint, weil eine Tarifbindung der Beklagten bei Abschluss des Arbeitsvertrages vom 12.08.1993 nicht dargelegt worden ist. Nachdem in der mündlichen Verhandlung vor der Berufungskammer die Mitgliedschaft der Beklagten im Einzelhandelsverband Nord-Ost e. V. und damit ihre Tarifbindung unstreitig geworden ist, ist die Bezugnahme als Gleichstellungsabrede im Sinne der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts auszulegen. Sie begründet nicht die Anwendung eines Tarifvertrags auf das Arbeitsverhältnis der Parteien, an den der Arbeitgeber tarifrechtlich nicht mehr gebunden ist, weil der Tarifvertrag erst nach Ende der Tarifbindung des Arbeitgebers abgeschlossen worden ist. Dies gilt jedenfalls für Bezugnahmeklauseln in - wie hier - vor dem 01.01.2002 abgeschlossenen Arbeitsverträgen (vgl. BAG vom 14.12.2005 - 4 AZR 536/04 - Pressemitteilung Nr. 77/05 - mit der Ankündigung einer Rechtsprechungsänderung für arbeitsvertragliche Bezugnahmeklauseln, die mit Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes ab dem 01.01.2002 vereinbart worden sind).

Der Auslegung als Gleichstellungsabrede steht auch die Unklarheitenregel des § 305 c Abs. 2 i. V. m. § 310 Abs. 4 S. 2 BGB n. F. nicht entgegen, selbst wenn dem Arbeitnehmer die Tarifgebundenheit des Arbeitgebers unbekannt war. Nach der Unklarheitenregel gehen zwar Zweifel bei der Auslegung allgemeiner Arbeitsbedingungen zu Lasten des Verwenders. Dies setzt tatbestandlich voraus, dass bei der Auslegung des Formularvertrags Zweifel bestehen. Da bei der Auslegung eines solchen Vertrages ebenso wie bei der Auslegung von allgemeinen Geschäftsbedingungen die Interessenlage der Vertragspartner zu berücksichtigen ist, können aber Zweifel an der Auslegung einer Bezugnahme auf die einschlägigen Tarifregelungen in einem vorformulierten Arbeitsvertrag als Gleichstellungsabrede nicht als berechtigt anerkannt werden. Die Annahme einer Gleichstellungsabrede setzt nicht voraus, dass in der Bezugnahmeklausel ausdrücklich bestimmt ist, sie gelte nur für die Dauer der Tarifgebundenheit des Arbeitgebers. Zwar hat der Arbeitgeber die Möglichkeit, die auf die Dauer seiner Tarifgebundenheit begrenzte dynamische Tarifanwendung im Vertrag zum Ausdruck zu bringen. Aber für den Regelfall ist dies nicht erforderlich. Denn von diesem Vertragswillen muss der Arbeitnehmer bei der ihm angebotenen dynamischen Bezugnahme auf die einschlägigen Tarifverträge in einem vom - tarifgebundenen - Arbeitgeber vorformulierten Arbeitsvertrag typischerweise ausgehen (so zutreffend BAG, Urteil vom 19.03.2003 - 4 AZR 331/02 - in: DB 2003, 2126, 2127).

Die dynamische Anwendbarkeit der Entgelttarifverträge über die Dauer der Verbandszughörigkeit der Beklagten hinaus kann auch nicht mit der erstinstanzlich geäußerten Auffassung der Klägerin begründet werden, dass bei Abschluss des Vertrages gar keine Veranlassung zu einer Gleichstellungsabrede bestanden habe, weil die seinerzeit geltenden Tarifverträge im Einzelhandel von Schleswig-Holstein allesamt für allgemeinverbindlich erklärt worden seien. Deshalb müsse der Bezugnahmeklausel eine eigenständige rechtserzeugende Bedeutung über die einer bloßen Gleichstellungsabrede hinaus zukommen.

Dabei verkennt die Klägerin jedoch, dass die Vereinbarung einer Gleichstellungsabrede auch bei einem für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrag Sinn macht. Die Allgemeinverbindlichkeit ist stets begrenzt auf die Laufzeit des Tarifvertrages. Mit ihrer Beendigung kommen Sinn und Zweck der Gleichstellungsabrede, die Gleichbehandlung von organisierten und nicht organisierten Arbeitnehmern, wieder zum Tragen. Dem trägt die dynamische Bezugnahmeregelung Rechnung, deren Wirkung mit Beendigung der Allgemeinverbindlichkeit eintritt (so zutreffend LAG Niedersachsen a. a. O. unter I lit. b der Gründe).

Auch sonst sind keine besonderen Umstände oder Anhaltspunkte ersichtlich oder vorgetragen worden, die im Rahmen der §§ 133, 157 BGB der Auslegung der Bezugnahmeklausel als Gleichstellungsabrede entgegenstehen.

3.)

Die Ansprüche sind auch nicht unter dem Gesichtspunkt der betrieblichen Übung begründet.

Zum einen hat die Klägerin insoweit nicht ausreichend vorgetragen. Der bloße Hinweis, die Beklagte habe sie auch noch während ihrer OT-Mitgliedschaft im Verband der Mittel- und Großbetriebe des Einzelhandels regelmäßig an den tariflichen Gehaltserhöhungen teilnehmen lassen, beispielsweise am 01.09.2002, reicht nicht aus. Die Beklagte ist, wie ausgeführt, erst zum 31.12.2002 aus dem Einzelhandelsverband Nord-Ost, der ebenfalls Tarifvertragspartei war, ausgeschieden. Da die Tarifgebundenheit trotz Verbandsaustritts bestehen bleibt, bis der Tarifvertrag endet (§ 3 Abs. 3 TVG), war die Beklagte an den seinerzeit noch geltenden Gehaltstarifvertrag bis zum Inkrafttreten der neuen Entgelttarifverträge gebunden. Will der Arbeitgeber ersichtlich aufgrund zwingender Tarifnormen leisten, kommt eine betriebliche Übung als weitere Rechtsgrundlage regelmäßig nicht in Betracht. Der Arbeitnehmer muss davon ausgehen, dass der Arbeitgeber lediglich den anderweitig begründeten Anspruch erfüllen und keinen weiteren Verpflichtungstatbestand schaffen will. Zum anderen kommt nach Ende der Tarifbindung des Arbeitgebers ein Anspruch aus betrieblicher Übung regelmäßig nicht in Betracht, wenn der Arbeitgeber die Löhne und Gehälter entsprechend der Tarifentwicklung weitergibt. Denn ein nicht tarifgebundener Arbeitgeber will sich grundsätzlich nicht für die Zukunft der Regelungsmacht der Verbände unterwerfen. Dies ist gerade Sinn des nicht erfolgten Beitritts zu oder des Austritts aus einem Arbeitgeberverband. Die fehlende Tarifbindung verdeutlicht den Willen des Arbeitgebers, die Erhöhung der Löhne und Gehälter zukünftig nicht ohne Prüfung im Einzelfall entsprechend der Tarifentwicklung vorzunehmen. Die nicht vorhersehbare Dynamik der Lohnentwicklung und die hierdurch verursachten Personalkosten sprechen grundsätzlich gegen einen objektiv erkennbaren rechtsgeschäftlichen Willen des Arbeitgebers für eine dauerhafte Entgeltanhebung entsprechend der Tarifentwicklung in einem bestimmten Tarifgebiet. Mit den in Anlehnung an Tariflohnerhöhungen erfolgenden freiwilligen Lohnsteigerungen entsteht lediglich ein Anspruch der Arbeitnehmer auf Fortzahlung dieses erhöhten Lohns, nicht aber zugleich eine Verpflichtung des Arbeitgebers, auch künftige Tariflohnerhöhungen weiterzugeben. Der nicht tarifgebundene Arbeitgeber will seine Entscheidungsfreiheit für die künftige Lohn- und Gehaltsentwicklung behalten. Darin unterscheidet sich dieser Sachverhalt von der betrieblichen Übung bei der Gewährung von Zulagen oder Jahressonderzahlungen. Diese sind statisch und damit vorhersehbar und nicht unüberschaubar dynamisch ausgestaltet (BAG, Urteil vom 16.01.2002 - 5 AZR 715/00 zu I 2 der Gründe; vom 03.11.2004 - 5 AZR 73/04 - zu III 1 b der Gründe). Hinzukommt, dass der tarifgebundene Arbeitgeber durch Austritt aus dem tarifschließenden Verband die Anwendbarkeit künftiger Tariflohnerhöhungen vermeiden kann (§ 3 Abs. 3 TVG). Der nicht tarifgebundene Arbeitgeber, der sich (zeitweise) wie ein tarifgebundener Arbeitgeber verhält, darf deswegen nicht schlechter stehen als dieser, nämlich auf Dauer ohne Austrittsmöglichkeit vertraglich gebunden sein. Dies muss der Arbeitnehmer auch erkennen, falls die Frage der Tarifbindung seines Arbeitgebers überhaupt eine Rolle für ihn spielt. Deshalb darf er in keinem Fall von einer dauerhaften Bindung des Arbeitgebers ausgehen (BAG, Urteil vom 09.02.2005 - 5 AZR 284/04 - unter III 3 lit. b der Gründe m. w. Rechtsprechungshinweisen).

Nach allem war auf die Berufung der Beklagten das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage mit der Kostenfolge aus § 91 ZPO in voller Höhe abzuweisen.

Für die Zulassung der Revision bestand keine gesetzlich begründbare Veranlassung (§ 72 Abs. 2 ArbGG).

Ende der Entscheidung

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