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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein
Urteil verkündet am 11.06.2008
Aktenzeichen: 6 Sa 3/08
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 626 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein

Teil-Urteil

Im Namen des Volkes

Aktenzeichen: 6 Sa 3/08

Verkündet am 11.06.2008

In dem Rechtsstreit

hat die 6. Kammer des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein auf die mündliche Verhandlung vom 11.06.2008 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht als Vorsitzenden und d. ehrenamtliche Richterin ... als Beisitzerin und d. ehrenamtliche Richterin ... als Beisitzerin

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Auf die Berufung des beklagten Landes wird das Urteil des Arbeitsgerichts Elmshorn vom 29.11.2007 - 5 Ca 1767 d/07 - teilweise geändert und zwar soweit es das beklagte Land zur Weiterbeschäftigung der Klägerin verurteilt hat. Im Übrigen wird die Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer fristlosen, hilfsweise fristgerechten Kündigung, um Weiterbeschäftigung sowie um den Umfang der wöchentlichen Arbeitszeit.

Die am ...1977 geborene, verheiratete Klägerin trat am 20.03.2002 in die Dienste des beklagten Landes. Sie wurde in der FH W. als Angestellte im Bürodienst beschäftigt und arbeitete als Sachbearbeiterin im Prüfungsamt und in der Studienberatung. Ihrer Tätigkeit lag zunächst der befristete Arbeitsvertrag vom 04.04.2002 (Anlage K 4 = Bl. 23 d. A.) zugrunde. Mit Änderungsvertrag vom 08.10.2004 (Anlage K 5 = Bl. 24 d. A.) wurde § 1 des Vertrags vom 04.04.2002 dahin abgeändert, dass die Klägerin "ab 20.03.2002 unbefristet als teilzeitbeschäftigte Angestellte eingestellt wird".

Auf Grundlage des Änderungsvertrags vom 19.08.2005 (Anlage K 6 = Bl. 25 d. A.) wurde die Klägerin vom 01.07.2005 "bis zur Wiederkehr der erkrankten Mitarbeiterin des Studienbüros, längstens jedoch bis zum 31.10.2005 befristet mit einer wöchentlichen Arbeitszeit einer vollbeschäftigten Angestellten (derzeit 38,5 Stunden) beschäftigt". In der Zeit vom 01.11.2005 bis zum 30.11.2006 war die Klägerin (wieder) mit der Hälfte der durchschnittlichen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit (19,25 Stunden) tätig.

Die Parteien schlossen in der Folgezeit drei weitere Änderungsverträge, letztmalig einen undatierten Vertrag (Anlage K 1 = Bl. 5 d. A.). Durch diesen Vertrag wurde die wöchentliche Arbeitszeit der Klägerin für die Zeit vom 01.06. bis 31.10.2007 auf 38,7 Stunden aufgestockt.

Im September 2005 beschwerte sich ein Student über die Klägerin (vgl. Anlage B 4 = Bl. 37 f d. A.).

Mit schriftlicher Ermahnung vom 04.11.2005 (Anlagen B 3 und B 5 = Bl. 34 f, 39 f d. A.) wies der Kanzler der FH W. die Klägerin auf eine mögliche Gefährdung ihres Arbeitsverhältnisses hin. Inhaltlich ging es um mangelnde Höflichkeit sowie um die Kundenorientiertheit gegenüber den Studierenden.

Nachdem die Klägerin mit Schreiben vom 06.08.2007 ihr Interesse an einer Vollzeittätigkeit ab dem 01.11.2007 bekundet hatte, teilte der Kanzler der FH W. ihr unter dem 17.08.2007 mit, dass er ihr Angebot auf Abschluss eines Vollzeitarbeitsvertrages nicht annehmen werde. Hinsichtlich der dafür angeführten Gründe wird auf die Anlage K 3 = Bl. 8 d. A. verwiesen.

Mit Schreiben vom 19.09.2007 (Anlage B 8 = Bl. 44 - 46 d. A.) teilte der Kanzler der FH W. dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin u. a. mit, "dass das Arbeitsverhältnis an sich bereits gefährdet ist, so dass das Ergebnis der Anhörung auch die Kündigung des ab dem 01.11.2007 mit der Hälfte der regelmäßigen Arbeitszeit bestehenden Arbeitsverhältnisses sein kann". Ferner bat er um Stellungnahme der Klägerin zu den beigefügten Unterlagen.

Mit Schreiben vom 26.09.2007 (Anlage B 9 = Bl. 80 d. A.) bat der Kanzler der FH W. die Klägerin um eine Stellungnahme zu einem Schreiben der Mitarbeiterin M. M.. Frau M. wies in dem Schreiben (vgl. Bl. 52 d. A.) darauf hin, dass bisher eine Einarbeitung in den Bereich des Prüfungsamtes durch die Klägerin und ihre Mutter, Frau Rosemarie W., unterblieben sei.

Mit einem weiteren Schreiben vom 04.10.2007 (Anlage B 10 = Bl. 53 d. A.) an den Prozessbevollmächtigten der Klägerin bat der Kanzler um deren Stellungnahme zu den weiteren Schreiben der Mitarbeiterin M. M. vom 20.09.2007 und 02.10.2007 (Bl. 55 und 56 d. A.).

Der Personalrat für das nichtwissenschaftliche Personal stimmte mit Schreiben vom 11.10.2007 (Anlage B 2 = Bl. 16 d. A.) der beabsichtigten fristlosen, hilfsweise fristgemäßen Kündigung der Klägerin zu.

Mit Schreiben vom 12.10.2007 (Anlage K 1 des verbundenen Verfahrens 5 Ca 1767 d/07 des Arbeitsgerichts Elmshorn, dort Bl. 4 d. A.) kündigte das beklagte Land das Arbeitsverhältnis der Klägerin aus wichtigem Grund fristlos, hilfsweise fristgemäß zum 31.03.2008.

Eine weitere fristlose Kündigung sprach das beklagte Land am 23.11.2007 aus. Die hiergegen gerichtete Kündigungsschutzklage ist beim Arbeitsgericht Elmshorn unter dem Aktenzeichen 5 Ca 2096 b/07 anhängig.

Die Klägerin hat gemeint, das beklagte Land habe zu Unrecht die Verlängerung der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit abgelehnt. Sie hat bestritten, dass es eine Vielzahl von Beschwerden über sie gegeben habe. Die Kündigung sei weder als fristlose noch als fristgemäße gerechtfertigt. Die Klägerin hat die ordnungsgemäße Anhörung des Personalrats zur Kündigung bestritten.

Die Klägerin hat beantragt,

1. den Beklagten zu verurteilen, das Angebot der Klägerin vom 06.08.2007 auf Abschluss eines unbefristeten Arbeitsvertrages mit der Maßgabe einer Fortführung der bisherigen Tätigkeit auf der Basis einer Wochenarbeitszeit von 38,7 Stunden anzunehmen,

2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgrund der undatierten schriftlichen Befristungsabrede, Befristung mit Wirkung vom 01.06. 2007 bis zum 31.10.2007, zum 31.10.2007 endet bzw. aufgelöst worden ist,

3. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die fristlose Kündigung des Beklagten vom 12.10.2007 aufgelöst worden ist,

4. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die ordentliche Kündigung des Beklagten vom 12.10.2007 mit Ablauf des 31.03.2008 aufgelöst wird,

5. den Beklagten zu verpflichten, die Klägerin bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsrechtsstreites weiterzubeschäftigen,

6. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien auch nicht durch andere Beendigungstatbestände endet, sondern zu unveränderten Bedingungen fortbesteht.

Das beklagte Land hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das beklagte Land hat behauptet, die Klägerin habe den Vizepräsidenten der Fachhochschule persönlich beleidigt. In den sich anschließenden Gesprächen sei der Klägerin mitgeteilt worden, dass Beleidigungen zu einer fristlosen Kündigung berechtigen würden; eine entsprechende Verhaltensänderung sei angemahnt worden.

Das beklagte Land hat behauptet, die Klägerin habe Frau P. Anfang August 2007 in lautstarker und sozial unadäquater Weise "zusammengefaltet" (Beweis: Zeugnis P.). Ein ähnlicher Vorfall habe sich einige Wochen später in der Poststelle ereignet. Die Klägerin habe eine studentische Hilfskraft in "nicht sozial adäquater Art und Weise lautstark zusammengefaltet" (Beweis: Zeugnis L.). Anfang Oktober 2007 habe die Klägerin in der Poststelle geäußert, Frau K. werde nicht mehr lange in der Hochschule verbleiben, wofür sie Sorge tragen würde (Beweis: Zeugnis K.). Herr K. von der HIS habe sich über den barschen Ton der Klägerin am Telefon beschwert (Beweis: Zeugnis K.).

Zur fristlosen Kündigung berechtige auch das negative Dienstleistungsverhalten der Klägerin gegenüber Studierenden, das durch die Email einer Studentin (Anlage B 7 = Bl. 43 d. A.) belegt werde. Schließlich sei der Klägerin die fehlende Unterstützung der Mitarbeiterinnen K. und M. bei deren Einarbeitung vorzuwerfen. Der Personalrat sei ordnungsgemäß informiert worden. Er habe alle Unterlagen erhalten, die auch der Prozessbevollmächtigte der Klägerin bekommen habe.

Die Klägerin hat gemeint, die Beschwerde des Studenten lasse keinen Rückschluss auf ein vertragswidriges Verhalten zu. Es handele sich um eine subjektive Meinungsäußerung. Sie habe auch Herrn B., den Vizepräsidenten der FHH, oder andere Personen nicht beleidigt. Weder gegenüber Frau P. noch gegenüber Frau L. sei sie "lautstark und sozial unadäquat" aufgetreten. Auch die behaupteten Äußerungen gegenüber der Mitarbeiterin K. hat die Klägerin bestritten. Gegenüber der HIS habe die Klägerin auf Weisung eine fordernde Haltung eingenommen. Die Studentin, die die Email (Anlage B 7) verfasst habe, habe nur zur Mutter der Klägerin Kontakt gehabt. Eine Einarbeitung der Mitarbeiterin K. durch die Klägerin sei gar nicht möglich gewesen.

Das Arbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage stattgegeben und das beklagte Land zur Weiterbeschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsrechtsstreits verurteilt. Die Kündigung sei unwirksam, weil die gerügten Verhaltensweisen der Klägerin nicht von einer derartigen Schwere seien, dass eine vorherige Abmahnung entbehrlich gewesen wäre. Die weitergehende Klage hat das Arbeitsgericht abgewiesen.

Gegen das ihr am 19.12.2007 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 14.01.2008 Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 19.03.2008 am 18.03.2008 begründet.

Das beklagte Land hat gegen das ihm am 20.12.2007 zugestellte Urteil am 03.01.2008 Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 19.03.2008 am 18.03.2008 begründet.

Das beklagte Land hält jedenfalls die fristgemäße Kündigung für wirksam. Das Arbeitsgericht habe verkannt, dass es vor Ausspruch einer verhaltensbedingten Kündigung nicht immer einer Abmahnung bedürfe. Der Arbeitnehmer müsse nur davor geschützt werden, ohne "vorherigen Schuss vor den Bug" mit einer verhaltensbedingten Kündigung überzogen zu werden.

Das beklagte Land meint, die Klägerin sei schon mit Schreiben vom 04.11.2005 (Anlage B 3) hinreichend auf die Gefährdung ihres Arbeitsverhältnisses hingewiesen worden. Das Schreiben enthalte alle Elemente einer Abmahnung. Zudem habe im Vorwege am 11.10.2005 eine arbeitsrechtliche Anhörung stattgefunden. In dieser Anhörung sei der Klägerin dargelegt worden, dass ihre Unhöflichkeit und schlechte Kundenorientiertheit im Umgang mit den Studierenden nicht akzeptiert werde. Zur Konkretisierung sei ihr das Beschwerdeschreiben des Studenten L. vorgelegt worden.

Auch durch das Schreiben vom 19.09.2007 (Anlage B 8 = Bl. 44 d. A.) sei die Klägerin auf die Gefährdung ihres Arbeitsverhältnisses hingewiesen worden.

Das beklagte Land behauptet in der Berufungsinstanz weiterhin, dass die Klägerin die Zeugin P. Anfang August 2007 lautstark beschimpft und sozial unadäquat behandelt habe. Ein ähnlich lautstarkes beleidigendes Verhalten habe sie gegenüber der Zeugin L. an den Tag gelegt. Anfang Oktober 2007 habe sie in Bezug auf die Zeugin K. in der Poststelle geäußert: "Frau K. werde ohnehin nicht mehr lange in der Hochschule verbleiben, wofür sie Sorge tragen werde". Herrn K. sei die Klägerin am Telefon mit barschem Ton begegnet und habe ihm angedroht, dass ein Ende der Zusammenarbeit eintreten könne. Ihr ungehöriges Verhalten gegenüber den Studierenden werde durch die Email der Frau I. belegt. Ferner wirft das beklagte Land der Klägerin die unterbliebene Einarbeitung der Mitarbeiterin M. vor.

Das beklagte Land beantragt,

unter teilweiser Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Elmshorn vom 21.11.2007, Az. 5 Ca 1767 d/07, die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie meint, das Schreiben vom 04.11.2005 könne nicht in eine Abmahnung umgedeutet werden. Das gleiche gelte für die Schreiben vom 26.07., 10.08., 17.08. und 19.09.2007. Das beklagte Land habe nach wie vor Kündigungsgründe nicht substantiiert dargelegt.

Die Klägerin beantragt ihrerseits,

das Urteil des Arbeitsgerichts Elmshorn vom 29.11.2007, Az. 5 Ca 1767 d/07, teilweise abzuändern und festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien als Vollzeitarbeitsverhältnis (mit derzeit 38,7 Wochenstunden) unbefristet über den 01.11.2007 hinaus fortbesteht, sowie hilfsweise,

das beklagte Land zu verurteilen, das Angebot der Klägerin auf Verlängerung der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit von 19,25 Stunden in der Woche auf 38,7 Stunden in der Woche ab dem 01.11.2007 anzunehmen.

Das beklagte Land beantragt,

die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

Wegen des weiteren Vortrags der Parteien, insbesondere zur Berufung der Klägerin, wird auf die gewechselten Schriftsätze sowie das Sitzungsprotokoll verwiesen.

Entscheidungsgründe:

I. Die Berufung des beklagten Landes ist zulässig. Sie ist gemäß § 64 Abs. 2 lit. c ArbGG statthaft und form- sowie fristgerecht eingelegt und begründet worden, §§ 66 Abs. 1 S. 1, 64 Abs. 6 ArbGG i. V. m. §§ 519, 520 Abs. 3 ZPO.

II. Die Berufung des beklagten Landes ist nur zu einem geringen Teil begründet. Zu Unrecht hat das Arbeitsgericht das beklagte Land zur Weiterbeschäftigung verurteilt.

Zutreffend hat es dagegen die Kündigungen als unwirksam angesehen. Nur die Feststellungsanträge bezüglich der fristlosen sowie der ordentlichen Kündigung vom 12.10.2007 und der Weiterbeschäftigungsantrag waren zur Entscheidung reif, so dass gemäß § 301 ZPO durch Teilurteil allein über die Berufung des beklagten Landes zu entscheiden war. Das Urteil des Arbeitsgerichts war daher im tenorierten Umfang teilweise abzuändern.

1. Die außerordentliche Kündigung ist unwirksam. Zum einen liegen die Voraussetzungen des § 626 Abs. 1 BGB nicht vor, zum anderen hat das beklagte Land bei Ausspruch der Kündigung die Kündigungserklärungsfrist gem. § 626 Abs. 2 BGB nicht gewahrt.

a) Nach § 626 Abs. 1 BGB kann ein Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Zunächst ist zu prüfen, ob ein bestimmter Sachverhalt ohne die besonderen Umstände des Einzelfalls als wichtiger Kündigungsgrund an sich geeignet ist. Liegt kein solcher Sachverhalt vor, bedarf es der weiteren Prüfung, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile zumutbar ist oder nicht (BAG, 07.07.2005 - 2 AZR 581/04 - NZA 2006, 98 m. w. N.). In Anwendung dieser Grundsätze erweist sich die außerordentliche Kündigung vom 12.10.2007 als unwirksam.

Für einen Teil der von ihm erhobenen Vorwürfe hat das beklagte Land bereits die tatsächlichen Umstände, die als wichtiger Grund geeignet sein können, nicht hinreichend dargelegt. Das gilt insbesondere für die behauptete lautstarke Beschimpfung und "sozial unadäquate Behandlung" der Mitarbeiterin P. und das "ähnlich lautstarke beleidigende Verhalten" der Klägerin gegenüber der Mitarbeiterin L.. Die erhobenen Vorwürfe (Beleidigung, unangemessenes Verhalten) sind nicht hinreichend substantiiert. Zwar ist die Beleidigung von Arbeitskollegen grundsätzlich geeignet, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Mit der Beleidigung muss allerdings eine erhebliche Ehrverletzung verbunden sein, die Beleidigung muss grob sein (BAG 10.10.2002 - 2 AZR 418/01 - NZA 2003, 1295). Auf Grundlage des Vortrages des beklagten Landes lässt sich die Schwere der Beleidigungen nicht beurteilen. Das beklagte Land lässt offen, worin das "sozial unadäquate" Verhalten gelegen haben soll. Mit welchen Worten die Klägerin die Mitarbeiterin P. beschimpft und die Mitarbeiterin L. sowie den Vizepräsidenten der Fachhochschule beleidigt hat, trägt das beklagte Land ebenfalls nicht vor. Bezogen auf diese Vorwürfe kann deshalb nicht festgestellt werden, dass sich ein Sachverhalt zugetragen hat, der an sich geeignet ist, einen wichtigen Grund abzugeben. Nichts anderes gilt für den vom beklagten Land behaupteten "barschen Ton", den die Klägerin Herrn K. gegenüber am Telefon angeschlagen haben soll. Hier wäre erforderlich gewesen, das Telefonat im Einzelnen zu schildern und deutlich zu machen, in welcher Weise sich die Klägerin Herrn K. gegenüber unangemessen verhalten hat. Auch zu der behaupteten indifferenten Drohung der Klägerin gegenüber oder in Bezug auf die Mitarbeiterin K. hätte es weiteren Vortrags bedurft, um festzustellen, ob hier eine ernst zu nehmende Drohung vorlag, die geeignet wäre, eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen.

Das behauptete unangemessene und unhöfliche Verhalten der Klägerin gegenüber Studierenden, welches das beklagte Land durch die Email der Studentin I. belegen will, ist bereits an sich nicht geeignet, einen wichtigen Grund abzugeben. Aus der Email vom 16.08.2007 (Bl. 43 d. A.) lässt sich kein schwerwiegendes Fehlverhalten der Klägerin entnehmen. In Bezug auf die Klägerin heißt es dort nur, dass sie den Anruf von Frau I. zum nächsten Apparat durchgestellt und erklärt hat, dass das nachgefragte Schreiben dort nicht bekannt sei.

Schließlich rechtfertigt auch die behauptete unterbliebene Einarbeitung der Mitarbeiterinnen M. und K. die Kündigung nicht. Dabei mag es sich um eine arbeitsvertragliche Pflichtverletzung handeln. Diese kann aber allenfalls nach Ausspruch einer Abmahnung zur (ordentlichen) Kündigung berechtigen. Unstreitig ist die Klägerin jedoch nicht einschlägig abgemahnt worden (vgl. dazu unter 2.).

b) Die Kündigungserklärungsfrist gemäß § 626 Abs. 2 BGB ist für die Mehrzahl der erhobenen Kündigungsvorwürfe nicht gewahrt. Die Vertragspartei, die die außerordentliche Kündigung ausgesprochen hat, muss im Rahmen der Vorschrift darlegen und beweisen, sie habe von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen erst innerhalb der letzten zwei Wochen vor Ausspruch der Kündigung Kenntnis erlangt. Der Kündigende braucht zwar nicht schon in der Klageerwiderung ausdrücklich und eingehend darzulegen, die Ausschlussfrist sei gewahrt. Er muss dies aber dann tun, wenn nach dem zeitlichen Abstand zwischen den behaupteten Kündigungsgründen und dem Ausspruch der Kündigung zweifelhaft erscheint, ob nicht die Ausschlussfrist verstrichen ist.

Von dem angeblich unangemessenen Verhalten der Klägerin gegenüber der Mitarbeiterin P. im August 2007 wusste das beklagte Land spätestens seit dem 17.08.2007. In einem Schreiben von diesem Tag (Anlage K 3) ist der Vorfall erwähnt. Die streitgegenständliche Kündigung ist knapp zwei Monate später ausgesprochen worden. Der "barsche Ton" gegenüber Herrn K. am Telefon war dem beklagten Land aufgrund der Email von Herrn K. vom 13.09.2007 (Bl. 42 d. A.) weit vor Ausspruch der Kündigung bekannt. Die Beschwerde von Frau I. datiert vom 16.08.2007 (vgl. Bl. 43 d. A.). Beide Vorfälle hat das beklagte Land im Übrigen schon mit Schreiben vom 19.09.2007 (Bl. 44 d. A.) dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin gegenüber angesprochen. Die unterlassene Einarbeitung der Mitarbeiterinnen K. und M. hat das beklagte Land bereits mit Schreiben vom 26.09.2007 an die Prozessbevollmächtigten der Klägerin gerügt und damit gezeigt, dass ihr die nunmehr geltend gemachten Kündigungsgründe bekannt waren. Bei Ausspruch der Kündigung am 12.10.2007 war die Kündigungserklärungsfrist abgelaufen. Hinsichtlich des angeblichen lautstark beleidigenden Verhaltens der Klägerin gegenüber der Mitarbeiterin L. hat das beklagte Land gar nicht angegeben, wann es sich zugetragen haben soll. Folglich fehlt Vortrag, der eine Überprüfung zulässt, ob die Frist des § 626 Abs. 2 BGB gewahrt worden ist.

2. Das Arbeitsverhältnis der Klägerin ist auch nicht durch die ordentliche Kündigung des beklagten Landes vom 12.10.2007 zum 31.03.2008 aufgelöst worden. Diese Kündigung ist sozial ungerechtfertigt (§ 1 Abs. 1 KSchG), weil sie nicht durch Gründe im Verhalten der Klägerin im Sinne des § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG - nur solche stehen im Raum - bedingt ist.

Wie bereits unter II. 1. a) ausgeführt, ist der Vortrag des beklagten Landes zu der lautstarken Beschimpfung und "sozial unadäquaten Behandlung" der Mitarbeiterin P., dem "sozial unadäquaten Verhalten" gegenüber der Mitarbeiterin L., der Beleidigung des Herrn B., dem "barschen Ton" gegenüber Herrn K. und der Drohung gegenüber Frau K. nicht hinreichend substantiiert, um eine Pflichtverletzung der Klägerin festzustellen. Die Email der Studentin I. vom 16.08.2007 (Bl. 43 d. A.), auf die das beklagte Land den Kündigungsvorwurf stützt, die Klägerin verhalte sich gegenüber Studierenden unangemessen, lässt keine Pflichtverletzung erkennen. Die Klägerin hat danach einen Anruf von Frau I. zum nächsten Apparat durchgestellt und erklärt, das nachgefragte Schreiben sei dort nicht bekannt. Darüber mag sich Frau I. geärgert haben. Es ist aber nicht erkennbar, worin im konkreten Fall die Pflichtwidrigkeit der Klägerin gelegen haben soll.

Zur unterbliebenen Einarbeitung der Mitarbeiterinnen M. und K. hat das beklagte Land ebenfalls nicht substantiiert vorgetragen. Es hätte konkret dazu ausgeführt werden müssen, was von der Klägerin hier im Einzelnen verlangt worden ist und was sie unterlassen hat. Hinzu kommt, dass ein derartiges Fehlverhalten nur nach vorheriger einschlägiger Abmahnung zur Kündigung berechtigen würde. Das beklagte Land hat zwar behauptet, sein Schreiben vom 04.11.2005 (Anl. B 3) habe alle Elemente einer Abmahnung enthalten. Richtig ist, dass in dem Schreiben von einer möglichen Gefährdung des Arbeitsverhältnisses bei Fortsetzung des bisherigen Verhaltens die Rede ist. Allerdings hat das beklagte Land die Maßnahme ausdrücklich als Ermahnung vollzogen. Selbst wenn das beklagte Land hier seine Maßnahme nur falsch bezeichnet hat und tatsächlich eine Abmahnung aussprechen wollte, erfüllt das Schreiben vom 04.11.2005 nicht die inhaltlichen Anforderungen an eine Abmahnung. Ihre Warnfunktion erfordert, dass die Abmahnung eindeutig und bestimmt formuliert wird. Leistungsmängel müssen hinreichend konkretisiert sein. Im vorliegenden Fall stellt das Schreiben auf die Punkte "Höflichkeit des Umgangs" und "Kundenorientiertheit gegenüber den Studierenden" ab. Ein konkretes Fehlverhalten wird in dem fraglichen Schreiben nicht geschildert. Als Beleg für Pflichtverletzungen wird auf die entstandene Redewendung "sei kein W." verwiesen. Das reicht ebenso wenig aus, wie die Bezugnahme auf das Gespräch am 11.10.2005. Denn in dem Schreiben heißt es, dass in diesem Gespräch mehrere allgemeine und ein spezieller Fall angesprochen worden sind. Werden allgemeine Vorwürfe erhoben, so läuft die Warnfunktion gerade leer. Denn der Mitarbeiter weiß in diesem Fall nicht, was ihm im Einzelnen vorgeworfen wird und inwiefern er sein Verhalten ändern muss. Hinzu kommt, dass bezogen auf das in Rede stehende Fehlverhalten (unterlassene Einarbeitung) das Schreiben vom 04.11.2005 jedenfalls keine einschlägige Abmahnung ist. Soweit aus Gründen der Verhältnismäßigkeit der Kündigung eine Abmahnung voranzugehen hat, müssen die Vertragsverletzungen gleichartig sein. Pflichtverletzungen sind gleichartig, wenn sie in einem inneren Bezug zu der der Kündigung zugrunde liegenden negativen Zukunftseinschätzung stehen. Höflichkeit und Kundenorientiertheit einerseits und unterlassene Einarbeitung von Kollegen andererseits stehen in keinem derartigen Zusammenhang.

3. Abzuändern war das Urteil des Arbeitsgerichts aber insoweit als es das beklagte Land zur Weiterbeschäftigung der Klägerin verurteilt hat. Die Klägerin kann aktuell keine Weiterbeschäftigung verlangen, weil das beklagte Land weitere Kündigungen ausgesprochen hat. Das Interesse des Arbeitgebers an der Nichtweiterbeschäftigung des Arbeitnehmers überwiegt, wenn von ihm eine weitere Kündigung ausgesprochen worden ist, die nicht offensichtlich unwirksam ist (BAG 19.02.1985 - 2 AZR 190/85 -EzA BGB § 611 Beschäftigungspflicht Nr. 17).

Im vorliegenden Fall hat das beklagte Land am 23.11.2007 eine weitere fristlose Kündigung ausgesprochen. Diese Kündigung wird auf den Vorwurf gestützt, die Klägerin habe unzulässigerweise betriebliche Daten gelöscht. Dieser neue Lebenssachverhalt lässt es als möglich erscheinen, dass die erneute Kündigung eine andere rechtliche Beurteilung erfährt als die hier streitgegenständlichen. Aufgrund dieser Ungewissheit über den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses überwiegt (wieder) das schutzwürdige Interesse des beklagten Landes an der Nichtbeschäftigung der Klägerin.

III. Die Voraussetzungen des § 72 Abs. 2 ArbGG liegen nicht vor, so dass die Revision nicht zuzulassen war. Es handelt sich ausschließlich um eine Einzelfallentscheidung.

Rechtsmittelbelehrung

Gegen dieses Urteil ist das Rechtsmittel der Revision nicht gegeben; im Übrigen wird auf § 72 a ArbGG verwiesen.



Ende der Entscheidung

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