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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein
Urteil verkündet am 30.04.2008
Aktenzeichen: 6 Sa 415/07
Rechtsgebiete: TVG, BGB, TV Lohn/West (Baugewerbe)


Vorschriften:

TVG § 3 Abs. 3
TVG § 4 Abs. 5
BGB § 133
BGB § 157
TV Lohn/West (Baugewerbe) § 6
Voraussetzung für die Ablösung der Nachwirkung einer Tarifvertragsregelung durch eine vor Ablauf des Tarifvertrags bereits geschlossene einzelvertragliche Vereinbarung ist, dass diese ausdrücklich oder zumindest konkludent auf die Ablösung des Tarifvertrags gerichtet ist; es muss erkennbar die Ablösung der Nachwirkung beabsichtigt sein. Dazu ist erforderlich, dass die Parteien auch den konkreten künftigen Nachwirkungszeitraum im Auge hatten.
Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein Im Namen des Volkes Urteil

Aktenzeichen: 6 Sa 415/07

Verkündet am 30.04.2008

In dem Rechtsstreit

hat die 6. Kammer des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein auf die mündliche Verhandlung vom 30.04.2008 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht ... als Vorsitzenden und die ehrenamtlichen Richter ... und ... als Beisitzer

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufungen des Klägers und der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Elmshorn vom 20.09.2007 - 3 Ca 1022 b/07 - werden zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits (beide Rechtszüge).

Die Revision wird für beide Parteien zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte nach § 6 des Tarifvertrags zur Regelung der Löhne und Ausbildungsvergütungen im Baugewerbe im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland mit Ausnahme der fünf neuen Länder und des Landes Berlin (im Folgenden: TV Lohn/West) dem Kläger wegen der Zuordnung zum Hamburger Sonderlohngebiet einen um 0,04 EUR höheren Stundenlohn zahlen muss und ob ihm jedenfalls der Tariflohn nach dem TV Lohn/West kraft tariflicher Nachwirkung zusteht.

Der Kläger trat am 19.05.2003 als gewerblicher Arbeitnehmer in die Dienste der Beklagten. Er ist seit vielen Jahren Mitglied der IG Bau.

Die Beklagte betreibt ein Bauunternehmen und beschäftigt rund 140 Arbeitnehmer. Sie ist Mitglied im Norddeutschen Baugewerbeverband e. V.. Seit Mitte Januar 2006 besteht jedoch nur noch eine Mitgliedschaft "ohne Tarifbindung" (vgl. Bestätigung des Verbands vom 17.01.2006; Anlage B 2 = Bl 13 d. A.). Weil die Beklagte ihren Sitz in S... hat, gehört sie zum sog. Sonderlohngebiet Hamburg.

Am 4. Juli 2002 schlossen die bundesweit handelnden Tarifvertragsparteien den TV Lohn/West ab. Für den Kläger war danach die neue Lohngruppe 4 maßgeblich.

Seit über 60 Jahren vereinbarten die Landes- bzw. Bezirksorganisationen der bauwirtschaftlichen Tarifvertragsparteien in Hamburg für das dortige Verbandsgebiet Bezirkslohntarifverträge (Lohntabellen). Anlass der Erstellung dieser Bezirkslohntarifverträge war zumeist der Abschluss eines Tarifvertrages der Tarifvertragsparteien auf Bundesebene. Der letzte Bezirkslohntarifvertrag (sog. Lohntabelle) für Hamburg wurde am 01.04. 2001 geschlossen. Der ihm zugrunde liegende bundesweit geltende Lohntarifvertrag wurde zum 31.03. 2002 gekündigt. Seither befindet sich die Bezirkslohntabelle des Baugewerbes Hamburg in der Nachwirkung. Ein neuer Bezirkslohntarifvertrag ist seither nicht mehr abgeschlossen worden.

In den vergangenen 30 Jahren lag der Hamburger Spezialbaufacharbeitertariflohn wechselnd zwischen 0,08 DM (= 0,04 EUR) und 0,09 DM (= 0,05 EUR) über dem Spezialbaufacharbeiterlohn des TV Lohn/West. Zuletzt betrug der Lohnabstand 0,04 EUR pro Stunde.

Obwohl seit dem Jahr 2002 keine Bezirkslohntarifverträge mehr geschlossen wurden, zahlte die Beklagte ihren Arbeitnehmern einen Lohn, der die bisherigen Besonderheiten des Sonderlohngebietes Hamburg berücksichtigte und der 0,04 EUR über dem entsprechenden Lohn des TV Lohn/West lag.

Am 23.06.2005 informierte die Beklagte den Betriebsrat darüber, dass sich die wirtschaftliche Lage sehr verschlechtert habe und in den letzten Jahren Verluste in Höhe von 2 Mio. EUR entstanden seien. Sie beabsichtige deshalb, zum Juli die Hälfte der Belegschaft zu kündigen und zum Jahresende die Firma ganz zu schließen. Eine andere Lösung wäre es, wenn die gesamte Belegschaft bereit sei, zum tariflichen Mindestlohn zu arbeiten. Der Betriebsrat solle die Kollegen auf den Baustellen darüber informieren. Ferner teilte die Beklagte dem Betriebsrat mit, dass sie "in Zukunft nicht mehr im Arbeitgeberverband" sein werde. Wegen des Inhalts des Sitzungsprotokolls und der Teilnehmer an dieser Sitzung wird Bezug genommen auf die zur Akte gereichte Kopie (Anlage BB 3 = Bl. 97f. d. A.).

Am 12.07.2005 unterzeichnete der Kläger eine ihm von der Beklagten vorgelegte Vereinbarung (Anlage B 1 = Bl. 12 d. A.). Diese lautet auszugsweise wie folgt:

"Arbeitsvertrags Änderung

Auf Grund der wirtschaftlichen Situation in unserem Betrieb sind wir an den Betriebsrat herangetreten, um über mögliche Veränderungen innerhalb der Lohn- und Kostenstrukturen unserer Firma zu sprechen. Ziel der diversen Gespräche war es die Lohn- und Lohnnebenkosten zu senken, um unsere Wettbewerbsfähigkeit auf dem Hamburger Markt zu erhalten. Bei dieser Maßnahme sind wir auf Ihr Verständnis und Ihre Mithilfe angewiesen. Um den Fortbestand der Firma und insbesondere Ihren Arbeitsplatz zu gewährleisten, bieten wir Ihnen diese einvernehmliche Arbeitsvertrags Änderung an.

Es wird einvernehmlich wie folgt geändert:

Inkrafttreten der Änderung: 01. September 2005

Ab diesem Zeitpunkt erklären Sie sich bereit, mit einem

Mindestlohn ML II von z.Zt. € 12,47

Lohnverzicht der Zahlung des 13. Monatseinkommen und bezahlte längere Arbeitszeit Freitag um 3 Stunden (während der Sommermonate)

zu ansonsten unveränderten Bedingungen weiter für uns tätig zu sein."

Entsprechend dieser Vereinbarung zahlt die Beklagte dem Kläger seit September 2005 nur noch einen Stundenlohn von 12,47 EUR brutto im Zeitlohn und von 11,78 EUR brutto im Akkordlohn.

Am 29.07.2005 schlossen die bundesweit handelnden Tarifvertragsparteien einen geänderten TV Lohn/West. Dieser Tarifvertrag trat am 01.09.2005 in Kraft und war kündbar mit einer Frist von zwei Monaten zum Monatsende, erstmals zum 31.03. 2007. Seit April 2006 beträgt der Gesamttariflohn der Lohngruppe 4 nach dem TV Lohn/West 14,56 EUR/Stunde beziehungsweise bei Akkord 13,75 EUR/Stunde.

Der TV Lohn/West vom 29.07.2005 bestimmt in § 6 für das Sonderlohngebiet Hamburg Folgendes:

"Im Sonderlohngebiet Hamburg ist sicherzustellen, dass die Lohnabstände, die sich aus den bisherigen Regelungen in den zentralen Lohntarifverträgen für das Sonderlohngebiet Hamburg ergeben haben, erhalten bleiben."

Die §§ 9 und 10 des Tarifvertrags lauten auszugsweise:

§ 9 Bezirkslohntarifverträge

Die Landes- bzw. Bezirksorganisationen der Tarifvertragsparteien sind verpflichtet, unverzüglich die Lohntarifverträge (Lohntabellen) ihres Gebietes nach Maßgabe dieses Tarifvertrages zu erstellen. In diese ist auch eine Sonderlohngruppe für Berufskraftfahrer aufzunehmen.

§ 10 Durchführung dieses Vertrages

(1) Die Tarifvertragsparteien verpflichten sich, ihren Einfluss zur Durchführung und Aufrechterhaltung dieses Vertrages und der damit in Zusammenhang stehenden Lohn- und sonstigen Tarifverträge einzusetzen.

(2) ..."

Die IG Bau kündigte mit Schreiben vom 22.01.2007 den TV Lohn/West fristgemäß zum 31.03.2007.

Nachdem der Kläger in früheren Verfahren bereits Zahlung für die Zeit vor März 2007 geltend gemacht hatte, begehrt er nunmehr von der Beklagten für die Monate April 2007 bis Juni 2007 Zahlung eines um 0,04 EUR über dem Lohn der Lohngruppe 4 des TV Lohn/West liegenden Lohnes.

Wegen der diesbezüglich in erster Instanz vertretenen Rechtsauffassungen und der dort gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils einschließlich der Inbezugnahmen verwiesen.

Das Arbeitsgericht hat die Beklagte verurteilt, an den Kläger für die Monate April bis Juni 2007 die Differenz zwischen der nach der Vereinbarung vom 12.07.2005 gezahlten Vergütung und dem tariflichen Lohn der Lohngruppe 4 des TV Lohn/West zu zahlen. Der Kläger habe auf den Tariflohn kraft Nachwirkung gemäß § 4 Abs. 5 TVG auch über den 31.03. 2007 hinaus Anspruch. Die Vertragsänderung vom 12.07.2005 sei keine Abmachung im Sinne von § 4 Abs. 5 TVG. Es fehlten Anhaltspunkte dafür, dass die Parteien bei ihrer Unterzeichnung den rechtsgeschäftlichen Willen gehabt hätten, eine zunächst für die völlig unbekannte normative Laufzeit des Tarifvertrages unwirksame, nach dessen Kündigung jedoch wirksam werdende Erklärung zu vereinbaren.

Den weitergehenden Anspruch auf einen um 0,04 EUR höheren Lohn hat das Arbeitsgericht dagegen verneint. Die "Lohntabelle Hamburg" befinde sich seit dem 01.04.2002 in der Nachwirkung. Die Verzichtserklärung vom 12.07.2005 stelle eine andere Abmachung gemäß § 4 Abs. 5 TVG dar. Das Arbeitsgericht hat die Berufung für beide Parteien zugelassen.

Gegen das ihm am 04.10.2007 zugestellte Urteil hat der Kläger am 30.10.2007 Berufung eingelegt und diese am 15.11.2007 begründet. Die Beklagte hat gegen das ihr am 08.10.2007 zugestellte Urteil am 07.11.2007 Berufung eingelegt und diese am 07.12. 2007 begründet.

Der Kläger ist der Ansicht, sein Anspruch auf weitere 0,04 EUR pro Stunde ergebe sich ungeachtet des Fehlens einer tarifvertraglichen Lohntabelle für das Sonderlohngebiet Hamburg im streitgegenständlichen Zeitraum unmittelbar aus § 6 TV Lohn/West. Der Wortlaut der Vorschrift sei so zu verstehen, dass automatisch der Abstand zwischen den für das gesamte Bundesgebiet nach diesem Tarifvertrag gültigen Stundenlöhnen und denen des Sonderlohngebietes Hamburg entsprechend den bisherigen Abständen bewirkt werde. Einer weiteren Konkretisierung in anderen Tarifverträgen bedürfe es nicht. Die Löhne im Sonderlohngebiet Hamburg würden nach § 6 TV Lohn/West automatisch entsprechend ihrem bisherigen Abstand angepasst und erhöht. Die Vorschrift genüge dem Bestimmtheitsgrundsatz. Wegen der festgelegten Bundeslöhne und der ebenfalls bestimmten Lohnabstände für die einzelnen Lohngruppen sei es problemlos möglich, den entsprechenden Lohn für das Sonderlohngebiet Hamburg zu errechnen. Auch werde aus § 6 TV Lohn/West deutlich, dass Normadressat der einzelne Arbeitnehmer beziehungsweise Arbeitgeber sei. Hätten die Tarifvertragsparteien etwas anderes gewollt, dann hätten sie, wie in § 9 TV Lohn/West geschehen, die Landes- bzw. Bezirksorganisationen der Tarifvertragsparteien als Normadressaten benannt. Die §§ 9, 10 TV Lohn/West hätten wegen der speziellen Vorschrift in § 6 TV Lohn/West für das Sonderlohngebiet Hamburg keine Bedeutung. Die §§ 9, 10 TV Lohn/West bezögen sich ausschließlich auf solche Bezirkslohntarifverträge bzw. Lohntabellen, in denen Sonderlöhne und Sonderlohngruppen enthalten und geregelt seien. Diese Sonderlöhne und Sonderlohngruppen beträfen die Löhne, die für bestimmte Berufsgruppen außerhalb der Bundeslohntabellen geregelt seien. Darum gehe es bei § 6 TV Lohn/West nicht, denn dort seien eigene Lohngruppen nicht eingeführt. Die Vorschrift diene einzig und allein dazu, bestehende Lohngruppen im Vergleich zu Bundeslöhnen zu vereinbaren. Zwischen den Tarifvertragsparteien habe Einigkeit bestanden, dass die Höhe des Lohnabstandes nicht verhandelbar sei. Letztlich spreche auch die Systematik des Tarifvertrages für seine - klägerische - Auffassung. Wäre § 6 TV Lohn/West lediglich als Aufforderung an die regionalen Tarifvertragsparteien zu verstehen, dann hätte diese Vorschrift ihren Platz zwischen den §§ 9, 10 TV Lohn/West finden müssen. Er habe deshalb Anspruch auf weitere 31,30 EUR brutto, wobei die Forderung der Höhe nach zwischen den Parteien unstreitig ist.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Elmshorn vom 20.09.2007 - 3 Ca 1022 b/07 -teilweise abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an ihn für die Zeit von April 2007 bis Juni 2007 weitere 31,30 EUR brutto zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB ab Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt weiterhin,

das Urteil des Arbeitsgerichts Elmshorn vom 20.09.2007 - 3 Ca 1022b/07 -teilweise abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Die Beklagte ist der Ansicht, aufgrund der Verzichtserklärung vom 12.07.2005 habe der Kläger keinen Anspruch mehr auf die von ihm begehrten weiteren 0,04 EUR pro Stunde. Aus § 6 TV Lohn/West folge kein diesbezüglicher unmittelbarer Anspruch. Die Vorschrift beinhalte lediglich eine Sicherstellungsverpflichtung, deren Umsetzung nur durch Bezirkstarifverträge erfolgen könne. Normadressaten dieser Verpflichtung seien die Tarifvertragsparteien, nicht die Arbeitnehmer. §§ 9, 10 TV Lohn/West stellten lediglich eine Verpflichtung für die Tarifvertragsparteien dar, unverzüglich Bezirkstarifverträge zu schließen und dabei auch § 6 TV Lohn/West einzuhalten. Zudem könne angesichts des wechselnden Abstandes nicht von einem regelmäßigen Stundenlohnabstand zwischen dem TV Lohn/West und dem Sonderlohngebiet Hamburg in Höhe von generell 0,04 EUR pro Stunde ausgegangen werden.

Die Beklagte ist weiterhin der Auffassung, der Kläger müsse sich zumindest seit dem 01.04.2007 an der in der Arbeitsvertragsänderung vom 12.07.2005 enthaltenen Verzichtserklärung festhalten lassen. Hierbei handele es sich um eine Abmachung im Sinne von § 4 Abs. 5 TVG mit der Folge, dass damit ab 31.03.2007 die Nachwirkung des TV Lohn/West vom 29.07.2005 beseitigt worden sei. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts lebten einzelvertragliche Regelungen, die vor Beendigung des Tarifvertrages verdrängt worden seien, in der Nachwirkungsphase wieder auf.

Bei Abschluss der Arbeitsvertragsänderung habe sie keine Kenntnis von der Mitgliedschaft des Klägers in der IG Bau gehabt. Auch sei der TV Lohn/West von vornherein kündbar gewesen, so dass dessen Laufzeit gerade nicht völlig ungewiss gewesen sei. Überdies spreche der Sinn und Zweck der Nachwirkungslehre in dem hier zu beurteilenden Fall nicht gegen ein Aufleben der Arbeitsvertragsänderung vom 12.07.2005. Das Arbeitsverhältnis werde durch die Regelungen des allgemeinverbindlichen BRTV - Bau und des ebenfalls allgemeinverbindlichen Mindestlohntarifvertrages bestimmt. Ein inhaltsleerer Zustand sei mithin nicht zu befürchten gewesen.

Der Kläger verteidigt insoweit die erstinstanzliche Entscheidung und meint, die Vereinbarung vom 12.07.2005 sei nicht auf Beseitigung der Nachwirkung gerichtet gewesen. Sie sei wegen Verstoßes gegen das Tarifvertragsgesetz nichtig und könne folglich später nicht wieder aufleben.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vortrages der Parteien in der Berufung wird Bezug genommen auf den Inhalt der dort gewechselten Schriftsätze.

Entscheidungsgründe:

Die Berufungen des Klägers und der Beklagten sind zulässig. Sie sind statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, §§ 64 Abs. 2 lit. a und b, 66 Abs. 1 ArbGG, 519 ZPO.

In der Sache hat weder die Berufung des Klägers Erfolg (I.) noch die der Beklagten (II.). Das Arbeitsgericht hat zutreffend die Klage des Klägers abgewiesen, soweit er wegen der Zuordnung zum Hamburger Sonderlohngebiet einen um 0,04 EUR höheren Stundenlohn begehrt. Zu Recht hat das Arbeitsgericht die Beklagte aber verurteilt, an den Kläger den Lohn der Lohngruppe 4 des TV Lohn/West vom 29.07.2005 zu zahlen. Die Nachwirkung dieses Tarifvertrages ab 01.04.2007 wird durch die Vereinbarung vom 12.07.2005 nicht beseitigt.

I.

Die Berufung des Klägers ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat zutreffend entschieden, dass der Kläger für den streitgegenständlichen Zeitraum keinen Anspruch auf einen gegenüber dem "Bundeslohn" um 0,04 EUR erhöhten Stundenlohn (Hamburger Sonderlohn) hat.

1. Der Kläger hat mit der von ihm unterzeichneten Vereinbarung vom 12.07.2005 wirksam darauf verzichtet, dass die Beklagte ihm künftig einen solchen Hamburger Sonderlohn zahlt. In diesem Umfang war der Verzicht wirksam, weil die Beklagte ab 01.09.2005 nicht mehr gemäß § 3 Abs. 1 bzw. § 3 Abs. 3 TVG verpflichtet war, ihm einen gegenüber dem "Bundeslohn" um 0,04 EUR höheren Lohn zu zahlen. Die letzte zwischen den Hamburger Tarifvertragsparteien vereinbarte Lohntabelle befindet sich seit dem 01.04.2002 in der Nachwirkung. Deshalb konnten die Arbeitsvertragsparteien gemäß § 4 Abs. 5 TVG bezogen auf die zusätzlichen 0,04 EUR eine andere Abmachung treffen. Das haben sie mit der Vereinbarung vom 12.07.2005 getan. Soweit die Beklagte im Nachwirkungszeitraum jeweils einen orientiert an dem "Bundes-lohn" um 0,04 EUR höheren Lohn zahlte, steht dies der Wirksamkeit der Vereinbarung vom 12.07.2005 nicht entgegen. Denn insoweit handelte es sich nicht um eine tarifvertragliche Verpflichtung.

2. Die Arbeitsvertragsänderung vom 12.07.2005 verletzt § 6 TV Lohn/West vom 29.07.2005 nicht. Auch unter Beachtung dieser Vorschrift missachtet die Vertragsänderung vom 12.07.2005 bezogen auf die streitgegenständlichen 0,04 EUR /Stunde kein Tarifrecht. Denn der TV Lohn/West sieht in seinem § 6 keinen unmittelbaren Anspruch des im Sonderlohngebiet Hamburg arbeitenden Klägers auf Zahlung der begehrten weiteren 0,04 EUR /Stunde vor. Bei § 6 TV Lohn/West handelt es sich nicht um eine Inhaltsnorm. Diese Vorschrift stellt lediglich eine zwischen den Tarifvertragsparteien schuldrechtlich wirkende Tarifvertragsregelung dar. Die Auslegung dieses Tarifvertrages ergibt nichts anderes. Dazu hat bereits die 3. Kammer des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein (3 Sa 329 b/06 n. rk.; Az. beim BAG 4 AZR 217/07) im Urteil vom 12. Februar 2007 ausgeführt:

1.

"a) Nach den allgemeinen für Tarifverträge anzuwendenden Auslegungsgrundsätzen ist auszugehen vom Wortlaut und dem durch ihn vermittelten Wortsinn. Darüber hinaus kommt es auf den Gesamtzusammenhang und die Systematik der Bestimmung an. Von besonderer Bedeutung sind ferner Sinn und Zweck der Regelung. Der tatsächliche Wille der Betriebsparteien ist zu berücksichtigen, soweit er in dem Regelungswerk seinen Niederschlag gefunden hat. Im Zweifel gebührt derjenigen Auslegung der Vorzug, die zu einem sachgerechten zweckorientierten, praktisch brauchbaren und gesetzeskonformen Verständnis der Regelung führt (vgl. BAG vom 12.11.2002 - 1 AZR 632/01; BAG vom 22.03.2005 - 1 AZR 3/04; BAG vom 22.11.2005 - 1 AZR 458/04 - jeweils zitiert nach JURIS).

b) Der Wortlaut des § 6 TV Lohn/West enthält keine Regelung, die für das Sonderlohngebiet Hamburg und dort die Lohngruppe 4 einen Stundenlohn von 14,82 EUR bzw. 14,00 EUR im Akkord festschreibt. Dort heißt es lediglich, dass im Sonderlohngebiet Hamburg sicherzustellen ist, dass die Lohnabstände, die sich aus den bisherigen Regelungen in den zentralen Lohntarifverträgen für das Sonderlohngebiet Hamburg ergeben haben, erhalten bleiben. Ein bestimmter Lohnabstand, den im Sonderlohngebiet Hamburg beschäftigte Arbeitnehmer allgemein zu beanspruchen haben, wird - anders als in § 3 Abs. 2 TV Lohn/West - in § 6 TV Lohn/West nicht festgelegt.

c) Sinn und Zweck des § 6 TV Lohn/West ist es vielmehr, den regionalen, traditionell auf Landes- bzw. Bezirksebene verhandelnden Tarifvertragsparteien Verhandlungsvorgaben für die von ihnen in Umsetzung des Bundestarifvertrages zu führenden Tarifverhandlungen zu machen. Traditionell fanden im bauwirtschaftlichen Bereich seit Jahrzehnten zunächst ausschließlich, später jeweils im Nachgang zu bundesweit zentralen Tarifverhandlungen quasi in Ausführung der Bundestarifverträge ergänzende regionale Tarifverhandlungen statt, in denen die Landes- bzw. Bezirksorganisationen die regionalen Besonderheiten speziell berücksichtigten und ihnen Rechnung trugen. Das geschah im Bereich des Bezirkslohntarifvertrages (Lohntabelle) für Hamburg u. a. regelmäßig mit der Festlegung eines höheren tariflichen Stundenlohnes für dieses Sonderlohngebiet. Vor diesem traditionellen Hintergrund kann § 6 TV Lohn/West nur dahingehend verstanden werden, dass an die Bezirksorganisationen ein diesbezüglicher Verhandlungsauftrag "Besitzstandswahrung" der im Sonderlohngebiet Hamburg beschäftigten Arbeitnehmer festgeschrieben werden sollte. Mehr als ein solcher Verhandlungsauftrag kann dem § 6 TV Lohn/West nicht entnommen werden.

d) Hätten die Bundestarifvertragsparteien einen unmittelbaren Zahlungsanspruch der im Sonderlohngebiet Hamburg tätigen Arbeitnehmer für das Sonderlohngebiet Hamburg im Wege der Aufstellung einer Inhaltsnorm festschreiben wollen, hätten sie § 6 anders formulieren müssen und auch anders formuliert. Dort, wo unmittelbare Anspruchsgrundlagen für Arbeitnehmer aufgestellt wurden, haben die Tarifvertragsparteien im TV Lohn/West Formulierungen gewählt, wie " ... beträgt der Ecklohn... EUR" (§ 2 Abs. 1 und Abs. 2); "gelten nachstehende Löhne .." (§ 2 Abs. 7, 8); " erhält der Arbeitnehmer ..." (§ 2 Abs. 3, § 3 Abs. 1 und Abs. 1, § 4 Abs. 1, § 7 Abs. 1 und Abs. 2); "wird der Lohn festgelegt auf ....." (§ 4 Abs. 2); "haben Anspruch auf...." (§ 4 Abs. 3, § 5 Abs. 4). Demgegenüber haben die Tarifvertragsparteien aber in § 6 TV Lohn/West lediglich normiert, dass "sicherzustellen ist, dass die Lohnabstände ... erhalten bleiben". Insoweit ist davon auszugehen, dass die Tarifvertragsparteien hier gezielt unterschiedliche Formulierungen gewählt haben, weil den Tarifregelungen unterschiedliche Wirkung gegeben werden sollte.

e) Allein die Formulierung "sicherstellen" macht zudem deutlich, dass es sich insoweit um einen Verhandlungsauftrag an die nachfolgenden Bezirkslohntarifvertragsparteien des Sonderlohngebietes Hamburg handelt. Das Wort "sicherstellen" verlangt naturgemäß ein Handeln. Ohne eine solche Aktivität, ein solches Handeln, kann nichts sichergestellt werden.

f) Auch aus dem Gesamtzusammenhang und der Systematik des TV Lohn/West ergibt sich, dass § 6 lediglich als schuldrechtliche Bestimmung eingeordnet werden kann.

Insoweit ist zunächst auf § 3 Abs. 2 TV Lohn/West hinzuweisen. Dort ist ausdrücklich ein Sonderlohnanspruch für bestimmte Arbeitnehmer in einem bestimmten Baubereich in einer bestimmten Höhe normiert. Dort heißt es: "Im Sonderlohngebiet Hamburg erhalten Arbeitnehmer in Fertigbaubetrieben einen jeweils um 0,04 EUR erhöhten Tarifstundenlohn bzw. Gesamttarifstundenlohn". Diese Formulierung haben die Tarifvertragsparteien in § 6 TV Lohn/West jedoch für die sonstigen, nicht in Fertigbaubetrieben tätigen Arbeitnehmer des Sonderlohngebietes Hamburg gerade nicht gewählt. Sie haben insoweit nur eine abgeschwächte Vorgabe für einen Verhandlungsauftrag an die Bezirkslohntarifvertragsparteien gemacht, nämlich sicherzustellen, dass die Lohnabstände - in welcher ausgestalteten Höhe auch immer - erhalten bleiben.

g) Etwas anderes ergibt sich entgegen der Ansicht des Klägers auch nicht aus der Anordnung des TV Lohn/West, insbesondere der Tatsache, dass § 6 TV Lohn/West nicht unmittelbar vor §§ 9 und 10 des TV Lohn/West steht. Letztere legen zweifelsfrei eine Verpflichtung der Landes- bzw. Bezirksorganisationen der Tarifvertragsparteien fest, unverzüglich die Lohntarifverträge (Lohntabellen) ihres Gesetzes nach Maßgabe dieses Tarifvertrages zu erstellen. Aus ihnen ergibt sich - was spätestens nach der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 25.01.2006 (4 AZR 552/04) nicht weiter zu vertiefen sein dürfte - eine Verpflichtung zur Führung von regionalen Tarifverhandlungen mit eigenständigem Gestaltungsspielraum. Das setzt voraus, dass in dem Sonderlohngebiet selbst gestaltende Regelungen über die Vergütung getroffen werden und nicht nur der Inhalt des TV Lohn/West für das Sonderlohngebiet neu dokumentiert wird. Auch bezüglich der §§ 9 und 10 des TV Lohn/West besteht kein Zweifel, dass sich diese Tarifregelungen an die Tarifvertragsparteien wenden, mithin schuldrechtlicher Natur sind. Auch § 6 TV Lohn/West gewährt den regionalen Tarifvertragsparteien diesen erwähnten Gestaltungsspielraum. Vor diesem inhaltlichen Hintergrund kann aus dem Standort des § 6 TV Lohn/West und der fehlenden unmittelbaren gestalterischen Nähe zu §§ 9 und 10 des TV Lohn/West nicht geschlussfolgert werden, es handele sich entgegen Wortlaut, Systematik, Sinn und Zweck um eine Norm, die unmittelbare Ansprüche der Arbeitnehmer habe begründen sollen."

Dem schließt sich die erkennende Berufungskammer vollständig an und nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen darauf ausdrücklich Bezug.

II.

Die Berufung der Beklagten ist ebenfalls unbegründet. Der Kläger hat auch im streitgegenständlichen Zeitraum (ab 01.04.2007) Anspruch auf den tariflichen Lohn der Lohngruppe 4 des TV Lohn/West vom 29.07.2005. Die Vereinbarung vom 12.07.2005 ist keine andere Abmachung im Sinne von § 4 Abs. 5 TVG, die die tarifliche Nachwirkung hat enden lassen.

1. Richtig ist, dass der Kläger den Lohn nach dem TV Lohn/West vom 29.07.2005 nicht mehr gemäß § 3 Abs. 1 und Abs. 3 TVG beanspruchen kann. Die Beklagte wird seit Anfang 2006 in dem Baugewerbeverband nur noch als OT-Mitglied geführt. Die tarifliche Nachbindung endete aufgrund der Kündigung des TV Lohn/West durch die IG Bau zum 31.03.2007.

2. Der Kläger kann Zahlung des Tariflohns entsprechend dem TV Lohn/West vom 29.07.2005 über den 31.03.2007 hinaus aber aufgrund der tariflichen Nachwirkung verlangen. Die Nachwirkung gemäß § 4 Abs. 5 TVG schließt sich auch bei einem Verbandsaustritt an das Ende der Tarifgebundenheit nach § 3 Abs. 3 TVG an (BAG 23.02.2005 - 4 AZR 186/04 - AP Nr. 42 zu § 4 TVG Nachwirkung m. w. N.; BVerfG 03.07.2000 - 1 BvR 945/00 - AP Nr. 36 zu § 4 TVG Nachwirkung).

3. Der Nachwirkung des TV Lohn/West vom 29.07.2005 steht die Arbeitsvertragsänderung vom 12.07.2005 nicht entgegen. Zum einen ist diese Vereinbarung, mit der der Kläger mit Wirkung ab dem 01.09.2005 auf verschiedene tarifliche Ansprüche verzichtet hat, nach § 4 Abs. 3 TVG unwirksam (a). Zum anderen handelt es sich nicht um eine "andere Abmachung" im Sinne von § 4 Abs. 5 TVG, die die Nachwirkung des TV Lohn/West vom 29.07.2005 beseitigen könnte (b).

a) Festzuhalten ist zunächst, dass der Kläger am 12.07.2005 nicht wirksam auf tarifliche Rechte verzichtet hat. Eine von den seinerzeit auf das Arbeitsverhältnis anwendbaren Tarifnormen abweichende einzelvertragliche Abmachung war nicht zulässig, § 4 Abs. 3 TVG. Sowohl bei Abschluss des TV Lohn/West vom 29.07.2005 als auch bei dessen Inkrafttreten am 01.09.2005 waren die Parteien des Rechtsstreits tarifgebunden. Ihre Tarifgebundenheit gemäß § 3 Abs. 1 TVG bestand fort, für die Beklagte jedenfalls bis Anfang des Jahres 2006. Demnach konnte der Kläger am 12.07.2005 weder auf seine damals bestehenden tariflichen Rechte aus dem TV Lohn/West vom 04.07.2002 noch auf diejenigen aus dem erst noch abzuschließenden Nachfolgetarifvertrag vom 29.07.2005 rechtswirksam verzichten, § 4 Abs. 3 und 4 TVG. Individualvereinbarungen zuungunsten des Arbeitnehmers sind nur zulässig, wenn der Tarifvertrag dies gestattet (Öffnungsklausel) oder die Tarifvertragsparteien dem zugestimmt haben. Diese Ausnahmetatbestände liegen hier unstreitig nicht vor.

b) Entgegen der Ansicht der Beklagten konnte die Arbeitsvertragsänderung vom 12.07.2005 die Nachwirkung des TV Lohn/West vom 29.07.2005 nach dessen Kündigung zum 31.03.2007 nicht beseitigen. Kraft Nachwirkung gemäß § 4 Abs. 5 TVG gelten die Rechtsnormen des Tarifvertrags weiter, bis sie durch eine andere Abmachung ersetzt werden. Die Arbeitsvertragsänderung vom 12.07.2005 ersetzt die Normen des TV Lohn/West vom 29.07.2005 nicht.

aa) Richtig ist, dass eine "andere Abmachung" im Sinne von § 4 Abs. 5 TVG auch eine arbeitsvertragliche Vereinbarung sein kann (BAG 23.02.2005 - 4 AZR 186/04 -AP Nr. 42 zu § 4 TVG Nachwirkung). Der Wortlaut von § 4 Abs. 5 TVG mit dem Tatbestandsmerkmal "ersetzen" legt aber nahe, dass die andere, die Nachwirkung beendende Abmachung nach Ablauf des Tarifvertrages, also im Nachwirkungszeitraum, getroffen werden muss (ErfK/Franzen, 8. Auflage, § 4 TVG, Rn. 64). Weiter ist zu berücksichtigen, dass ungünstigere frühere einzelvertragliche Vereinbarungen, die während der Vollwirksamkeit des Tarifvertrages nach § 4 Abs. 1, § 4 Abs. 3 nicht gelten konnten, mit Ablauf des Tarifvertrages nicht automatisch wieder aufleben und das Arbeitsverhältnis grundsätzlich im Nachwirkungszeitraum auch nicht abweichend vom abgelaufenen Tarifvertrag gestalten (Däubler/Bepler, TVG, 2. Auflage, § 4 Rn. 908). Vielmehr sind derartige Vereinbarungen, die noch während der Tarifbindung zu Ungunsten des Arbeitnehmers geschlossen werden, grundsätzlich gemäß § 134 BGB i. V. m. § 4 Abs. 3 TVG nichtig.

Allerdings zwingt der Gesetzeswortlaut nicht, das Tatbestandsmerkmal "ersetzen" in einem strengen zeitlichen Sinn zu verstehen. Denkbar ist auch ein funktionales Verständnis (vgl. ErfK/Franzen, 8. Auflage, § 4 TVG, Rd.-Nr. 64). Danach genügt es, wenn die "andere Abmachung" im Sinne von § 4 Abs. 5 TVG im Hinblick auf die Nachwirkung vereinbart wird.

Auch nach der Rechtsprechung des 4. und des 9. Senats des Bundesarbeitsgerichts folgt aus dem Wortlaut des § 4 Abs. 5 TVG nicht zwingend, dass eine ablösende Abmachung nicht schon im Voraus getroffen werden kann, wenn sie darauf abzielt, den Nachwirkungszeitraum abweichend zu regeln, selbst wenn es dadurch nicht dazu kommt, dass ein Tarifvertrag nach seinem Ablauf überhaupt nachwirkt im Sinne von § 4 Abs. 5 TVG. Nach Auffassung beider Senate erfasst die Tarifautonomie grundsätzlich auch Verträge, die erst in der Zukunft Wirkung entfalten sollen. Dies müsse auch für eine Vereinbarung gelten, die auf die Ablösung einer Nachwirkung des Tarifvertrages gerichtet sei.

Maßgebend ist danach, dass die Vereinbarung dahin ausgelegt werden kann, dass sie - zumindest auch - die Nachwirkung des beendeten Tarifvertrages beseitigen soll (BAG 20.4.2005 - 4 AZR 288/04 -; BAG 23.02.2005 - 4 AZR 186/04 - AP Nr. 42 zu § 4 TVG Nachwirkung 17.1.2006 - 9 AZR 41/05 -, zit. nach JURIS). Eine vor Beginn des Nachwirkungszeitraums vereinbarte "andere Abmachung" muss wegen ihres Ausnahmecharakters den eindeutigen Regelungswillen erkennen lassen, dass die abweichenden und damit zulasten des Arbeitnehmers vereinbarten Regelungen zu einem späteren Zeitpunkt, spätestens mit Beginn des Nachwirkungszeitraums, Gültigkeit haben sollen.

bb) Die Vereinbarung vom 12. Juli 2005 kann nicht dahin ausgelegt werden, dass sie zumindest auch darauf gerichtet ist, die Nachwirkung des beendeten Tarifvertrages zu beseitigen. Für die Auslegung sind die Grundsätze der §§ 133, 157 BGB maßgebend. Das bedeutet, dass ungeachtet des in § 133 BGB enthaltenen Verbots der Buchstabeninterpretation die Auslegung vom Wortlaut der Erklärung auszugehen hat. Nach der Ermittlung des Wortsinnes sind in einem zweiten Auslegungsschritt die außerhalb des Erklärungsaktes liegenden Begleitumstände in die Auslegung einzubeziehen, soweit sie einen Schluss auf den Sinngehalt der Erklärung zulassen. Als auslegungsrelevante Begleitumstände kommen vor allem in Betracht die Entstehungsgeschichte der Vereinbarung, die Äußerungen der Parteien über den Inhalt des Rechtsgeschäfts, die bestehende Interessenlage und der mit dem Rechtsgeschäft verfolgte Zweck. Geboten ist eine nach beiden Seiten interessengerechte Auslegung (Palandt, BGB, 66. Aufl. § 133 Rn. 14 - 18).

Unter Berücksichtigung dieser Auslegungsgrundsätze kann aus der Vereinbarung vom 12.07.2005 nicht geschlossen werden, die Parteien hätten die Nachwirkung des TV Lohn/West vom 29.07.2005 ab dem 01.04.2007 beseitigen wollen.

(1) Die Arbeitsvertragsänderung vom 12.07.2005 enthält in ihrem Text keine Anhaltspunkte dafür, dass die beabsichtigte Lohnsenkung jedenfalls spätestens mit Beginn des Nachwirkungszeitraumes des TV Lohn/West vom 29.07.2005 wirksam werden sollte. Nach dem erklärten Willen der Vertragsparteien sollten die Änderungen bereits mit dem 01.09.2005 in Kraft treten. Der Wortlaut der Arbeitsvertragsänderung enthält keine Hinweise - weder ausdrücklich noch konkludent - dass es den Parteien auch um die Beseitigung einer etwa möglichen Nachwirkung eines Tarifvertrages ging.

(2) Auch die außerhalb des Wortlautes liegenden Begleitumstände lassen nicht darauf schließen, dass die Parteien die Nachwirkung eines Tarifvertrages beseitigen wollten, schon gar nicht die eines von den Tarifvertragsparteien noch nicht abgeschlossenen Nachfolgetarifvertrags.

Der Tarifvertrag, dessen Nachwirkung ab 01.04 2007 hier streitig ist, wurde von den Tarifvertragsparteien erst am 29.07.2005 abgeschlossen und trat zum 01.09.2005 in Kraft. Das heißt, die Arbeitsvertragsänderung vom 12.07.2005 wurde zu einem Zeitpunkt vereinbart, als der neue Tarifvertrag noch nicht einmal unterschrieben war.

Es wird nicht übersehen, dass durchaus im Vorgriff auf ein absehbares Tarifende eine andere Abmachung im Sinne von § 4 Abs. 5 TVG getroffen werden kann. Denkbar ist das etwa dann, wenn der Arbeitgeber nur noch nach § 3 Abs. 3 TVG tarifgebunden ist und das Auslaufen des Tarifvertrages zu einem bestimmten Zeitpunkt feststeht (vgl. Löwisch/Rieble, TVG, 2. Auflage, § 4 Rn. 401). Denn dann ist sowohl der Tarifvertrag als auch der Beginn des Nachwirkungszeitraums bekannt. Auch in dem der Entscheidung des BAG vom 23.02.2005 (- 4 AZR 186/04 - ) zugrundeliegenden Sachverhalt stand der Eintritt der Nachwirkung unmittelbar bevor. Die streitgegenständliche Arbeitsvertragsänderung wurde dagegen nicht zu einem vergleichbar späten Zeitpunkt abgeschlossen. Am 12.07.2005 stand weder der Inhalt des neuen zu erwartenden Tarifvertrages, noch dessen Laufzeit und Kündigungsmöglichkeit fest.

(3) Der Beklagten ist auch entgegenzuhalten, dass sie noch nicht einmal behauptet hat, den Kläger vor Abschluss des Änderungsvertrages über ihren künftigen Verbandsaustritt in Kenntnis gesetzt zu haben. Nach dem von ihr im Berufungsrechtszug zur Akte gereichten Protokoll hat der Kläger an der Betriebsratssitzung vom 23.06.2006 nicht teilgenommen. Er musste deshalb bei Abschluss des Änderungsvertrages davon ausgehen, dass der TV Lohn/West auch künftig kraft beiderseitiger Tarifbindung Anwendung findet.

(4) Selbst wenn der Kläger bei Abschluss des Änderungsvertrags von dem geplanten Verbandsaustritt der Beklagten gewusst haben sollte, führt das zu keinem anderen Auslegungsergebnis.

Ausweislich des Protokolls der Sitzung vom 23.06.2005 teilte die Arbeitgeberin dem Betriebsrat mit, sie werde in Zukunft nicht mehr im Arbeitgeberverband sein. Sie bat den Betriebsrat auch darum, die Belegschaft darüber und über die verschiedenen Lösungsmöglichkeiten zu unterrichten. Diese Äußerung der Beklagten konnte von der Belegschaft - und damit auch dem Kläger - aber nur so verstanden werden, dass die Arbeitgeberin an nach ihrem Verbandsaustritt geschlossene Tarifverträge nicht mehr gebunden sein wollte. Die Tarifbindung für zukünftige Tarifverträge sollte entfallen, mit der Folge, dass dann auch Regelungen unterhalb des tariflichen Niveaus bis zur Grenze des tariflichen Mindestlohnes zulässig sein könnten. Diese Bekundung der Arbeitgeberin war die Entscheidungsgrundlage der Arbeitnehmer als ihnen knapp drei Wochen später die Vereinbarung vom 12.07.2005 vorgelegt wurde. Keineswegs ging es darum, eine zu einem unbekannten Zeitpunkt eintretende Nachbindung eines noch nicht unterzeichneten Tarifvertrages zu beseitigen. Allenfalls konnten die Arbeitnehmer annehmen, wegen Wegfalls der Tarifbindung nach Ablauf des TV Lohn/West vom 04.07.2002, der bereits gekündigt war, und aufgrund der wirtschaftlich besorgniserregenden Situation der Beklagten, dass von ihnen im Interesse des Erhalts der Arbeitsplätze ein Verzicht auf ab dem 01.09.2005 (vermeintlich) nur nachwirkende Rechts aus dem TV Lohn/West vom 04.07.2002 erwartet wurde.

(5) Auch die Interessenlage der Parteien und der mit dem Rechtsgeschäft verfolgte Zweck führen nicht zu dem von der Beklagten gewünschten Auslegungsergebnis.

Wie vorgetragen und im Protokoll der Sitzung vom 23.06.2005 niedergelegt, stellte sich die wirtschaftliche Situation für die Beklagte im Jahre 2005 als desolat dar. Anlass und Motiv für die Arbeitnehmer, der Vereinbarung vom 12.07.2005 näher zu treten, war es daher, im Interesse des Erhalt der Arbeitsplätze einen sofort wirksamen Sanierungsbeitrag zu leisten. Es ging ihnen also nicht darum, für einen etwaigen späteren Zeitraum - mit Eintritt der Nachwirkung - Regelungen zu treffen. Ob die wirtschaftliche Situation auch knapp 2 Jahre später noch so schlecht sein würde, war für den Kläger zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses gar nicht absehbar. Dem Erhalt des Arbeitsplatzes dienten nur unmittelbar wirkende Maßnahmen.

(6) Schließlich überzeugt auch nicht das Argument der Beklagten, der Kläger habe durch Unterzeichnung der Vereinbarung vom 12.07.2005 quasi als "Minus" eine andere Abmachung jedenfalls für die Zeit ab Eintritt der Nachwirkung (01.04.2007) getroffen.

Die Beklagte argumentiert dahin, wenn der Kläger schon auf Rechte ab dem 01.09.2005 verzichtet habe, dann liege es nahe, dass er dies erst recht zum 01.04. 2007 getan hätte, weil es sich insoweit um eine mildere Maßnahme gehandelt habe. Das Argument überzeugt nicht. Zum einen ist zu beachten, dass der Kläger die Vereinbarung in Hinblick auf die Erklärung der Beklagten unterschrieben hat, sie sei zukünftig nicht mehr im Arbeitgeberverband. Der angekündigte Austritt war für ihn Geschäftsgrundlage. Hätte er gewusst, dass es der Beklagten nicht gelingt, noch vor dem 29.07.2005 aus dem Arbeitgeberverband auszutreten, so hätte er möglicherweise diese Vereinbarung nicht unterschrieben.

Zum anderen war der Zeitpunkt des Eintritts der Nachwirkung am 12.07.2005 völlig ungewiss. Zwar mag es üblich sein, dass die Tarifverträge im Regelfall zum März des Jahres gekündigt werden. Üblich ist aber auch, dass im Lohn- und Gehaltsbereich Tarifverträge mit unterschiedlicher Laufzeit abgeschlossen werden. Folglich war zum 12.07.2005 völlig ungewiss, wann eine Nachwirkung eintreten würde. Die Nachwirkung hätte bereits im Jahr 2006, aber auch erst im Jahr 2007 oder möglicherweise auch erst im Jahr 2008 eintreten können. Es bestehen aber keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger bereits am 12.07.2005 auf einen völlig ungewissen Zeitpunkt hin die Nachwirkung durch eine andere Abmachung ersetzen wollte. Es ist nicht nachvollziehbar, warum der Kläger zum Erhalt seines akut gefährdeten Arbeitsplatzes schon so frühzeitig wegen einer Jahre später wegfallenden Tarifbindung der Beklagten auf dann erst nachwirkende Tarifrechte verzichten sollte.

Demnach wirkt der TV Lohn/West vom 29.07.2005 auf das Arbeitsverhältnis nach. Dem Kläger stehen folglich auch nach Wegfall der Tarifbindung über den 31.03.2007 hinaus die Ansprüche aus dem TV Lohn/West vom 29.07.2005 zu.

III.

Die Berufungen beider Parteien waren mit der Kostenfolge des § 97 zurückzuweisen. Wegen des geringfügigen Unterliegens des Klägers hat die Beklagte die gesamten Kosten des Rechtsstreits zu tragen, § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.

Die Revision ist für den Kläger wegen rechtsgrundsätzlicher Bedeutung und für die Beklagte wegen Divergenz zu dem Urteil des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holsten vom 24.01.2008 - 1 Sa 416/07 - zugelassen worden, § 72 Abs. 2 ArbGG.

Ende der Entscheidung

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