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Gericht: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 15.01.2003
Aktenzeichen: 1 ME 325/02
Rechtsgebiete: 4.BImSchV, BauGB, UVPG


Vorschriften:

4.BImSchV Anhang Nr 7.1
BauGB 35 I
BauGB 35 III
UVPG Anlage 1 Nr 7.12
Eine Massierung von Stallanlagen für Intensivtierhaltung kann ein Indiz für das Vorliegen städtebaulicher Missstände darstellen, es fehlen bislang allerdings ausreichende Erkenntnisse, bei welcher Viehdichte die Belastung der Umwelt eine Größenordnung erreicht, dass öffentliche Belange der Zulassung eines weiteren Stalles entgegen stehen.
Gründe:

Der Antragsteller begehrt die Anordnung der sofortigen Vollziehung der vom Antragsgegner am 24. April 2002 erteilten immissionsschutzrechtlichen Genehmigung für einen Hähnchenmaststall für 29998 Mastplätze bis 2 kg, alternativ für 39997 Mastplätze bis 1,5 kg.

Die Beigeladene hat ihr Einvernehmen zu dem Bauvorhaben des Antragstellers versagt, weil die verkehrliche Erschließung nicht gesichert sei, das Vorhaben zu schädlichen Umwelteinwirkungen führe und die mit einer Besatzdichte von mehr als 3,0 Großvieheinheiten pro Hektar bestehenden städtebaulichen Missstände verfestige. Mit Verfügung vom 22. April 2002 ersetzte der Antragsgegner das Einvernehmen der Gemeinde und erteilte mit Bescheid vom 24. April 2002 die immissionsschutzrechtliche Genehmigung. Die Beigeladene legte gegen beide Bescheide Widerspruch ein. Auf den Antrag des Antragstellers ordnete der Antragsgegner mit Bescheid vom 24. Mai 2002 die sofortige Vollziehung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung vom 24. April 2002 an.

Die Bezirksregierung gab mit Widerspruchsbescheid vom 8. August 2002 dem Widerspruch der Beigeladenen gegen die Ersetzung des Einvernehmens statt und hob den Bescheid des Antragsgegners vom 22. April 2002 auf, weil die Beigeladene ihr Einvernehmen wegen der drohenden Verfestigung städtebaulicher Missstände zu Recht verweigert habe. Daraufhin nahm der Antragsgegner die Anordnung der sofortigen Vollziehung des Genehmigungsbescheides mit Bescheid vom 27. August 2002 zurück.

Der Antragsteller hat am 3. September 2002 um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht, den das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 13. November 2002, auf dessen Begründung Bezug genommen wird, versagt hat.

Die Beschwerde des Antragstellers hat keinen Erfolg, weil die sofortige Vollziehung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung nicht im überwiegenden Interesse des Bauherrn angeordnet werden darf, wenn diese Genehmigung von der Gemeinde angefochten worden ist und ihre Rechte verletzt. Nach § 80 a Abs. 3 iVm Abs. 1 Nr. 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag des Begünstigten - hier des Antragstellers - die sofortige Vollziehung anordnen, wenn ein Dritter - die beigeladene Gemeinde - einen Rechtsbehelf gegen die dem Begünstigten erteilte Genehmigung eingelegt hat. Angesichts des kaum auflösbaren Interessenkonfliktes zwischen der widersprechenden Gemeinde, der an einer abschließenden Klärung der Rechtslage vor der Ausnutzung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung liegt, und dem Bauherrn, dem jede Verzögerung des Vorhabens wirtschaftliche Nachteile bringt, kommen als Maßstab der gerichtlichen Entscheidung nur die Erfolgsaussichten des Widerspruchs der Gemeinde in Betracht (vgl. Schoch in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Stand: Januar 2002, § 80 a Rdn. 61 f.).

Der Widerspruch der beigeladenen Gemeinde gegen die immissionsschutzrechtliche Genehmigung vom 24. April 2002 muss schon deshalb Erfolg haben, weil diese Genehmigung nach der Aufhebung des Bescheides vom 22. April 2002 (Ersetzung des Einvernehmens) durch den Widerspruchsbescheid vom 8. August 2002 die Planungshoheit der beigeladenen Gemeinde verletzt. Wehrt sich die Gemeinde mit Widerspruch oder Klage gegen eine Genehmigung, die ohne das gesetzlich vorgeschriebene bzw. trotz des verweigerten Einvernehmens erteilt worden ist, muss die Genehmigung allein wegen dieses Verfahrensfehlers aufgehoben werden, weil die Genehmigungsbehörde "keine Kompetenz zur positiven Entscheidung bei fehlendem Einvernehmen" besitzt (vgl. BVerwG, Urt. v. 7.2.1986 - 4 C 43.83 -, BRS 46 Nr. 142; Beschl. v. 5.3.1999 - 4 B 62.98 -, BRS 62 Nr. 178 m.N.; Urt. v. 17.4.2002 - 9 A 24/01 -, DVBl. 2002, 1473/8). Diese eingeschränkte Entscheidungskompetenz der Genehmigungsbehörde muss auch das Gericht in dem von der Gemeinde eingeleiteten Verfahren beachten. Weder die Widerspruchsbehörde noch das Gericht dürfen in dem von der Gemeinde angestrengten Rechtsbehelfsverfahren prüfen, ob der Antragsteller im Genehmigungsverfahren einen Rechtsanspruch auf die beantragte Genehmigung hat (vgl. BVerwG, Beschl. v. 5.3.1999, aaO).

Daran hat sich auch durch die Befugnis der nach Landesrecht zuständigen Behörde nach § 36 Abs. 2 Satz 3 BauGB, ein rechtswidrig versagtes Einvernehmen der Gemeinde zu ersetzen, im Grundsatz nichts geändert. Die Genehmigungsbehörde ist erst dann zu einer positiven Entscheidung befugt, wenn die Gemeinde ihr Einvernehmen erklärt hat oder das Einvernehmen ersetzt worden ist. Wenn, wie hier, die Widerspruchsbehörde die Ersetzung des Einvernehmens auf den Widerspruch der Gemeinde aufgehoben hat, muss die ohne Einvernehmen erteilte Genehmigung allein aus diesem Grund auf den Widerspruch der Gemeinde aufgehoben werden.

Das Argument des Antragstellers, die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes mit Rücksicht auf das verweigerte Einvernehmen der Beigeladenen stelle eine unzulässige Rechtsschutzverweigerung dar, greift nicht durch. Im Verfahren nach § 80 a Abs. 3 iVm Abs. 1 Nr. 1 VwGO darf die Rechtsposition des Dritten nicht unberücksichtigt bleiben, der durch die Genehmigung belastet wird. Die beigeladene Gemeinde hat einen Anspruch auf Aufhebung der dem Antragsteller erteilten immissionsschutzrechtlichen Genehmigung, weil sie ihr Einvernehmen für das Vorhaben nicht erteilt hat. Der Antragsteller könnte vorläufigen Rechtsschutz nur dann erlangen, wenn er einen Anspruch auf Erteilung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung hätte und diesen Anspruch auch im Wege der einstweiligen Anordnung durchsetzen könnte. Das ist aber nicht der Fall.

Allerdings steht die Lage des Vorhabens in einem Ortsteil der Beigeladenen, der sich durch eine Viehdichte von 3,06 Großvieheinheiten pro Hektar landwirtschaftlicher Fläche bzw. 1,64 Großvieheinheiten pro Gesamtfläche als "Belastungsgebiet" darstellt, ohne Nachweis konkreter städtebaulicher Missstände der Zulässigkeit des Vorhabens nicht entgegen. Es erscheint zwar nicht von vornherein ausgeschlossen, dass eine hohe Viehdichte als städtebaulicher Missstand einem privilegierten Vorhaben nach § 35 Abs. 1 Nr. 1 oder 4 BauGB entgegenstehen kann, weil die Aufzählung der öffentlichen Belange in § 35 Abs. 3 BauGB nicht abschließend ist und der öffentliche Belang schädliche Umwelteinwirkungen und Erholungswert der Landschaft möglicherweise nicht alle denkbaren Fälle abdecken. Allerdings geht auch die vom Bundesminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen berufene Unabhängige Expertenkommission zur Novellierung des BauGB in ihrem Bericht vom August 2002 davon aus, dass die Viehdichte allein nicht ausreicht, um das Entgegenstehen öffentlicher Belange zu begründen (Novellierung des BauGB, Bericht der Unabhängigen Expertenkommission, 2002, Rz. 240 ff.). Weder der Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung noch das Vorbringen der Beigeladenen geben ausreichende Anhaltspunkte dafür, bei welcher Viehdichte die Schwelle der städtebaulichen Missstände erreicht bzw. überschritten wird. Der Hinweis auf die Erläuterungen zur Änderung des Landesraumordnungsprogramms Niedersachsen - Teil II - vom 28. November 2002 (LT-Drucks. 14/3380 S. 17) greift zu kurz, weil der dort mit zwei Großvieheinheiten pro Hektar landwirtschaftlich genutzter Fläche je Gemeinde bezifferte Tierbesatz die Träger der Regionalplanung zu planerischen Aktivitäten ermächtigt, aber ohne Hinzutreten weiterer Kriterien nicht geeignet ist, privilegierte Vorhaben im Außenbereich einer Gemeinde zu "sperren". Nr. 7.12 Anlage 1 zum UVPG idF der Bek. v. 5.9.2001 (BGBl I S. 2350) und Nr. 7.1 Spalte 2 Buchst. b Anhang der 4. BImSchV idF v. 6.5.2002 (BGBl I S. 1566) bezeichnen mit Anlagen zur Haltung oder zur Aufzucht von Nutztieren und mehr als 2 GV je Hektar der vom Inhaber der Anlage regelmäßig landwirtschaftlich genutzten Fläche nur die Schwelle, von der ab eine allgemeine Vorprüfung des Einzelfalls nach § 3 c UVPG stattzufinden hat bzw. von der ab ein Genehmigungsverfahren nach BImSchG durchzuführen ist. Das Erfordernis einer Umweltverträglichkeitsprüfung oder einer Genehmigung nach BImSchG ist ein Indiz dafür, dass ein Vorhaben mit bedenklichen Belastungen verbunden ist und daher einer genaueren Prüfung unterzogen werden muss. Ein Belastungswert, der eine Umweltverträglichkeitsprüfung auslöst oder eine Genehmigung erforderlich macht, stellt aber nicht schon einen Belang dar, der eine Zulassung eines privilegierten Vorhabens nach § 35 Abs. 1 BauGB ausschließt.

Für eine städtebauliche Betrachtung wäre darüber hinaus wohl auf das Verhältnis der Viehdichte zur Gemeindefläche abzustellen, weil es um die Belastung des Gemeindegebietes geht (vgl. Gierke, NdsVBl. 2002, 225/30). Eine Massierung von Intensivtierhaltung, wie sie mit der Überschreitung von zwei Großvieheinheiten pro Hektar verbunden ist, stellt zwar ein gewisses Indiz für das Vorliegen von städtebaulichen Missständen dar, insbesondere wenn es um Schweine- und Geflügelhaltung geht, es fehlen aber ausreichende Erkenntnisse, bei welchem Schwellenwert die Belastung der Umwelt eine Größenordnung erreicht, dass öffentliche Belange einem weiteren Stall entgegen stehen (vgl. auch Gierke, aaO). Dabei werden nicht nur die Tierarten, sondern auch die Haltungsmethoden zu berücksichtigen sein (z.B. Geruchsminderung durch Haltung auf Stroh, Biofilter). Die Viehdichte im Ortsteil {A.}, wo das Vorhaben des Antragstellers liegt, erreicht mit 3,06 GV/ha landwirtschaftlicher Nutzfläche zwar einen hohen Wert, bezogen auf die gesamte Fläche des Ortsteils ermäßigt sich die Viehdichte aber auf 1,64 GV/ha. Diese Relation zeigt deutlich, dass {A.} zwar von einer ländlichen Idylle weit entfernt ist, aber städtebauliche Missstände auch nicht unbesehen für den ganzen Ortsteil angenommen werden dürfen.

Ein Anspruch des Antragstellers auf Erteilung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung muss aber nach dem gegenwärtigen Verfahrensstand in Zweifel gezogen werden, weil die ausreichende Erschließung nicht gesichert erscheint. Zur ausreichenden Erschließung eines Vorhabens gehört, dass die Zuwegung den Ziel- und Quellverkehr ohne Schädigung des Wegezustandes aufnehmen kann (vgl. BVerwG, Urt. v. 13.2.1976 - IV C 53.74 -, BRS 30 Nr. 40). Die Beigeladene bestreitet die ausreichende Erschließung im Hinblick auf die mangelnde Tragfähigkeit und Ausbaubreite der Straße "{B.}weg", an der der Hähnchenmaststall errichtet werden soll. Die Beigeladene hat in ihrer Stellungnahme vom 28. Februar 2002 darauf aufmerksam gemacht, dass der Ausbau des {B.}weges im hier einschlägigen Nördlichen Abschnitt mehr als 20 Jahre zurück liegt, auf eine Erschließung der angrenzenden landwirtschaftlichen Nutzflächen ausgelegt ist und nicht auf die Erschließung von Hofflächen. Die Ausbaubreite von nur 3 m ohne Ausweichstellen deutet darauf hin, dass der Weg nur für eine geringe Beanspruchung ausgelegt ist. Nach Nr. 3.4.1 der Richtlinien für den ländlichen Wegebau (RLW 1975) soll die Fahrbahnbreite einspuriger Verbindungswege 3,5 m, bei geringer Beanspruchung 3 m betragen. Bei einem Stall mit ca. 40000 Hähnchen, einer Haltungsdauer von 35 bis 40 Tagen wird die Zuwegung allein durch den An- und Abtransport der Tiere und die Mistabfuhr nicht unerheblich belastet, so dass von einer geringen Beanspruchung kaum mehr die Rede sein kann (vgl. auch Urt. d. Sen. v. 29.8.1988 - 1 A 5/87 -, BRS 48 Nr. 79). Der Antragsgegner hat bei der Ersetzung des Einvernehmens selbst darauf aufmerksam gemacht, dass er den Unterbau nicht durch Probebohrungen untersucht habe und eine Beschädigung des Oberbaus bei schweren Fahrzeugen nicht ausgeschlossen werden könne, zumal die Straße Risse und kleinere Absackungen aufweise. Der Antragsgegner hält auch ein Gespräch über geeignete Maßnahmen zur Minimierung der zu erwartenden Schäden für erforderlich. Dagegen hat der Antragsteller nach Angaben der Beigeladenen eine Vereinbarung zur Finanzierung der Ertüchtigung dieser Zuwegung abgelehnt. Unter diesen Umständen kann ohne genauere Untersuchung des Straßenkörpers nicht davon ausgegangen werden, dass die Erschließung gesichert ist.

Eine einstweilige Anordnung, mit der der Antragsgegner zur Erteilung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung verpflichtet wird, kommt - von anderen Voraussetzungen abgesehen (vgl. dazu Beschl. d. Sen. v. 26.10.1979 - I B 83/79 -, BRS 35 Nr. 174) - nur in Betracht, wenn überwiegende Erfolgsaussichten in der Hauptsache bestehen (Schoch in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Stand Januar 2002, § 123 Rdn. 74).

Ende der Entscheidung

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