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Beginn der Entscheidung

Gericht: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 24.11.2003
Aktenzeichen: 1 MN 256/03
Rechtsgebiete: BauGB


Vorschriften:

BauGB § 14 I
BauGB § 9 I Nr. 20
Wird im Entwurf eines Flächennutzungsplanes eine Fläche für Ausgleichsmaßnahmen für eine Konzentrationszone zur Nutzung der Windenergie dargestellt, kann ein Bebauungsplanverfahren mit Festsetzungen nach § 9 Abs. 1 Nr. 20 BauGB eingeleitet werden, die durch eine Veränderungssperre gesichert werden können.
Tatbestand:

Der Antragsteller, der Eigentümer des im Außenbereich der Antragsgegnerin gelegenen Grundstücks Flurstück 8 der Flur 7 ist, wendet sich gegen die am 13. Februar 2003 vom Rat der Antragsgegnerin beschlossene Veränderungssperre Nr. 1 "H. I.", in deren Geltungsbereich sein Grundstück liegt.

Der Antragsteller hat sein Grundstück der Firma J. GmbH zur Aufstellung und zum Betrieb einer Windkraftanlage verpachtet. Die Firma J. GmbH hat sich zur Zahlung der Nutzungsentschädigung ab Inbetriebnahme der Windkraftanlage verpflichtet. Die Firma J. GmbH hat am 6. Januar 2003 bei dem Landkreis die Genehmigung nach dem BImSchG für eine Gruppe von vier Windkraftanlagen beantragt, von denen eine auf dem Grundstück des Antragstellers errichtet werden soll. Der Landkreis K. hat die Erteilung der Genehmigung mit Bescheid vom 14. August 2003 abgelehnt.

Der Samtgemeindeausschuss der Samtgemeinde L. hat am 5. März 2002 beschlossen, die 50. Änderung des Flächennutzungsplanes zur Ausweisung von Windkraftstandorten aufzustellen. Am 13. November 2002 hat der Samtgemeindeausschuss dem Entwurf der Flächennutzungsplanänderung zugestimmt und die frühzeitige Bürgerbeteiligung, die Beteiligung der Mitgliedsgemeinden sowie der Träger öffentlicher Belange beschlossen. Am 16. Januar 2003 hat der Samtgemeindeausschuss über die eingegangenen Anregungen und die öffentliche Auslegung des Entwurfs beschlossen. Der Entwurf der 50. Änderung des Flächennutzungsplanes stellt u.a. nordwestlich von E. - außerhalb des Gemeindegebietes der Antragsgegnerin - eine Fläche für die Landwirtschaft, überlagert mit Sondergebiet für Windkraftanlagen und östlich bis südöstlich von E. - im Gemeindegebiet - eine Fläche für Landwirtschaft, überlagert mit Fläche für Maßnahmen zum Schutz, zur Pflege und zur Entwicklung von Boden, Natur und Landschaft (§ 5 Abs. 2 Nr. 10 BauGB) dar. Die Fläche für Maßnahmen zum Schutz, zur Pflege und zur Entwicklung von Boden, Natur und Landschaft ist nach dem Entwurf des Erläuterungsberichts (S. 116 ff, 121) als Kompensation für den mit der Darstellung des Sondergebiets für Windenergieanlagen verbundenen Eingriff in Natur und Landschaft vorgesehen. Das Grundstück des Antragstellers liegt in diesem Bereich.

Am 13. Februar 2003 beschloss der Rat der Antragsgegnerin die Aufstellung des Bebauungsplanes Nr. 8 "H. I.", in dessen Geltungsbereich das Grundstück des Antragstellers liegt. Als Ziel und Zweck des Bebauungsplanes ist die Steuerung von Windkraftanlagen im Bereich des H. I. es und die Ausweisung von Flächen oder Maßnahmen zum Schutz, zur Pflege und zur Entwicklung von Boden, Natur und Landschaft (§ 9 Abs. 1 Nr. 20 BauGB) genannt. In der Begründung der Beschlussvorlage wird auf den Antrag der Firma J. GmbH und die 50. Änderung des Flächennutzungsplanes Bezug genommen und ausgeführt, die Gemeinde wolle in diesem Bereich die Ziele der Samtgemeinde über einen Bebauungsplan sichern. Das Ziel, auf den Flächen der Gemeinde Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen vorzusehen, könne nicht erreicht werden, wenn dort Windkraftanlagen entstünden. Der Aufstellungsbeschluss ist am 21. Februar 2003 im Amtsblatt des Landkreises K. bekannt gemacht worden. Ebenfalls am 13. Februar 2003 hat der Rat der Antragsgegnerin zur Sicherung des Bebauungsplanes Nr. 8 die Veränderungssperre Nr. 1 beschlossen, die ebenfalls im Amtsblatt des Landkreises K. am 21. Februar 2003 bekannt gemacht worden ist.

Der Antragsteller hat am 8. September 2003 einen Normenkontrollantrag gegen die Veränderungssperre gestellt und gleichzeitig um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht.

Der Antrag hat keinen Erfolg.

Der Antragsteller ist nach § 47 Abs. 2 VwGO antragsbefugt. Nach dieser Vorschrift kann jede natürliche Person einen Normenkontrollantrag stellen, die geltend macht, durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden. Der Antragsteller ist Eigentümer eines von der Veränderungssperre betroffenen Grundstücks und an der Aufstellung einer Windkraftanlage auf seinem Grundstück durch die Firma J. GmbH interessiert, weil er erst ab Inbetriebnahme der Windkraftanlage ein Nutzungsentgelt erhält.

Nach § 47 Abs. 6 VwGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist. Wegen der weitreichenden Folgen, die die Aussetzung eines Bebauungsplanes hat, ist bei der Prüfung der Voraussetzungen für eine Aussetzung ein strenger Maßstab anzulegen. Ein schwerer Nachteil in diesem Sinn liegt nur vor, wenn rechtlich geschützte Interessen in ganz besonderem Maße beeinträchtigt und dem Betroffenen außergewöhnliche Opfer abverlangt werden. Bei Vollzug der angegriffenen Veränderungssperre hat der Antragsteller keine derartig schwerwiegenden Beeinträchtigungen zu erwarten. Zwar kann die Pächterin seines Grundstücks keine Windkraftanlagen errichten, solange die Veränderungssperre läuft, im Falle einer rechtswidrigen Sperre dürften dem Antragsteller aber Entschädigungsansprüche zustehen.

Der Erlass einer einstweiligen Anordnung ist auch nicht aus anderen wichtigen Gründen i.S. des § 47 Abs. 6 VwGO geboten. Da das Gewicht dieser Gründe ungefähr dem des schweren Nachteils entsprechen muss, ist die Aussetzung des Vollzuges aus diesem Anordnungsgrund zur Verhinderung vollendeter Tatsachen dann in Erwägung zu ziehen, wenn der Normenkontrollantrag mit großer Wahrscheinlichkeit Erfolg haben wird. Das ist hier nicht der Fall.

Die Voraussetzungen für den Erlass der angegriffenen Veränderungssperre liegen vor. Die Antragsgegnerin hat einen Aufstellungsbeschluss für einen Bebauungsplan gefasst und diesen bekannt gemacht. Die Beschlussfassung über den Bebauungsplan und die Veränderungssperre in derselben Ratssitzung sowie die gleichzeitige Bekanntmachung begegnen keinen Bedenken (vgl. BVerwG, Beschl. v. 9.2.1989 - 4 B 236/88 - ZfBR 1989, 171). Der Inhalt der beabsichtigten Planung ist entgegen den Ausführungen des Antragstellers hinreichend bestimmt. Es ist nicht erforderlich, dass der bekannt gemachte Aufstellungsbeschluss für den Bebauungsplan die Planvorstellungen der Gemeinde erkennen lässt. Ebenso wenig müssen die Planvorstellungen mit der Veränderungssperre offengelegt werden. Die Beschlussvorlage für den Aufstellungsbeschluss für den Bebauungsplan Nr. 8 nennt als Ziel der Planung, den im Entwurf des Flächennutzungsplanes als Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmenfläche dargestellten Bereich zur Entwicklung von Natur und Landschaft zu sichern. Damit wird die Art der vorgesehenen Nutzung ausreichend konkretisiert, denn eine Festsetzung von Flächen oder Maßnahmen zum Schutz, zur Pflege und zur Entwicklung von Boden, Natur und Landschaft (§ 9 Abs. 1 Nr. 20 BauGB) kann allein Gegenstand eines Bebauungsplanes sein (vgl. auch BVerwG, Beschl. v. 27.7.1990 - 4 B 156.89 -, BRS 50 Nr. 101).

Die Veränderungssperre unterliegt nicht deshalb Bedenken, weil die Antragsgegnerin als Zweck auch die Steuerung von Windkraftanlagen im Bereich des H. I. es genannt hat. Zwar sind nach dem Entwurf der 50. Änderung des Flächennutzungsplanes - ebenso wie nach der später bekannt gemachten Fassung - im Bereich der Antragsgegnerin keine Windkraftanlagen vorgesehen, so dass die Erwähnung der Windkraftanlagen eine reine Verhinderungsplanung nahe legen könnte. Damit würde man jedoch dem Ziel und Zweck des Bebauungsplanes nicht gerecht, der neben der Steuerung der Windkraft als Ziel auch die Entwicklung von Natur und Landschaft ausdrücklich nennt. Allein die Erwähnung der ökologischen Zielrichtung des Bebauungsplanes würde angesichts der Lage des Plangebietes im Außenbereich Fragen nach der Berechtigung des Planes aufwerfen. Gerade weil die Flächen im Bereich der Antragsgegnerin als Ausgleichsmaßnahme auf den Eingriff der im Entwurf der 50. Änderung des Flächennutzungsplanes dargestellten Sonderbaufläche "Windkraft" bezogen sind, erscheint es nicht fehlerhaft, auch die Steuerung der Windkraft als Ziel des Bebauungsplanes zu nennen.

Allerdings könnte die geplante Festsetzung einer Fläche zum Schutz, zur Pflege und zur Entwicklung von Boden, Natur und Landschaft eine Veränderungssperre wohl nicht rechtfertigen, wenn sie nur auf die Abwehr jeglicher Veränderung im Sinne eines sogenannten "Freihaltebelangs" beschränkt wäre und ihr keine positive Planungsabsicht innewohnte (vgl. BVerwG, Beschl. v. 17.7. 1990, aaO). Es gibt aber keine Anhaltspunkte dafür, dass die Antragsgegnerin den Bebauungsplan nur als Instrument einer Verhinderungsplanung einzusetzen gedenkt. Schon der Entwurf des Erläuterungsberichtes zur 50. Änderung des Flächennutzungsplanes macht deutlich, dass im Bereich der Antragsgegnerin der Eingriff in einer Weise ausgeglichen werden soll, die eine Bauleitplanung nahe legt.

Entgegen der Ansicht des Antragstellers ist das Vorgehen der Antragsgegnerin nicht mit den Fällen vergleichbar, über die der Senat mit dem Beschluss vom 19. Dezember 2002 (1 MN 297/02 - ZfBR 2003, 274) und dem Urteil vom 18. Juni 2003 (1 KN 56/03 - ZfBR 2003, 790) entschieden hat. In beiden Fällen lagen der Veränderungssperre Aufstellungsbeschlüsse für Bebauungspläne zugrunde, die nahezu das gesamte Gemeindegebiet außerhalb der bebauten Ortslagen erfassten und mit der "planungsrechtlichen Steuerung der Windkraftanlagen" im (nahezu) gesamten Gemeindegebiet der Aufgabe dienen sollten, die nach der gesetzlichen Regelung des BauGB eine Flächennutzungsplanung mit Ausschlusswirkung (nach § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB) leisten soll. Hier geht es dagegen nur um die Konkretisierung dessen, was der Flächennutzungsplan in seinen Grundzügen darstellt, für einen überschaubaren Bereich. Der Bebauungsplan Nr. 8 dient der Konkretisierung der Ausgleichsmaßnahmen für einen Windpark und hält sich im Rahmen der Darstellungen des Flächennutzungsplanes. Dass der Windpark auf dem Gebiet einer anderen Mitgliedsgemeinde derselben Samtgemeinde vorgesehen ist, steht der Zulässigkeit der Planung der Antragsgegnerin nicht entgegen.

Der Antragsteller kann auch keine Bedenken gegen die Veränderungssperre aus der zeitlichen Abfolge des Antrags der J. GmbH auf Erteilung der Genehmigung für vier Windkraftanlagen und der Veränderungssperre herleiten. Die Gemeinde darf einen konkreten Bauantrag zum Anlass nehmen, einen Bebauungsplan aufzustellen und diesen durch eine Veränderungssperre zu sichern (vgl. BVerwG, Beschl. v. 18.12.1990 - 4 NB 8.90 - BRS 50 Nr. 9).

Die Ausführungen des Antragstellers, die inzwischen in Kraft getretene 50. Änderung des Flächennutzungsplanes der Samtgemeinde sei aus den vom Verwaltungsgericht Hannover im Urteil vom 28. August 2003 - 4 A 2750/03 - dargelegten Gründen unwirksam, gibt dem Senat keine Veranlassung, der Wirksamkeit der 50. Änderung des Flächennutzungsplanes in diesem Verfahren nachzugehen. Eine "antizipierte Normenkontrolle" des künftigen Bebauungsplanes findet im Normenkontrollverfahren einer Veränderungssperre nicht statt (vgl. Lemmel, in: Berliner Kommentar zum BauGB, Stand: August 2003, § 14 Rdnr. 10). Die beabsichtigte Planung darf nur nicht offensichtlich rechtswidrig sein (Urt. d. Sen. v. 17.12.1998 - 1 K 1103/98 - BRS 60 Nr. 59). Davon kann hier keine Rede sein, weil das Verfahren für den Bebauungsplan Nr. 8 selbst dann zu einem wirksamen Abschluss geführt werden kann, wenn die 50. Änderung des Flächennutzungsplanes unwirksam sein sollte. Die Samtgemeinde kann nämlich bis zum Abschluss des Bauleitplanverfahrens etwaige Mängel des Abwägungsvorgangs "reparieren". Irreparable Fehler des Abwägungsergebnisses hat der Antragsteller nicht dargelegt.

Dem Vortrag des Antragstellers, der Geltungsbereich des Bebauungsplanes Nr. 8 sei mit ca. 228 ha erheblich größer als die in der 50. Änderung des Flächennutzungsplans dargestellte Fläche zum Schutz, zur Pflege und zur Entwicklung von Boden, Natur und Landschaft, braucht nicht weiter nachgegangen zu werden. Selbst wenn Bebauungsplan und Veränderungssperre in ihrer räumlichen Ausdehnung an die Darstellungen des Flächennutzungsplanes angepasst werden müssten, würde dies dem Antragsteller nicht weiterhelfen, weil sein Grundstück von der 50. Änderung des Flächennutzungsplanes auch erfasst wird.

Ende der Entscheidung

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