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Beginn der Entscheidung

Gericht: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 19.12.2002
Aktenzeichen: 1 MN 297/02
Rechtsgebiete: BauGB, VwGO


Vorschriften:

BauGB § 14 I
BauGB § 35 III 3
VwGO § 47 VI
1. Das für den Erlass einer Veränderungssperre erforderliche Mindestmaß an Konkretisierung der Planung liegt nicht vor, wenn die Gemeinde mit der Aufstellung eines Bebauungsplanes für den nahezu gesamten Außenbereich des Gemeindegebiets Standorte für Windenergieanlagen festlegen will, jedoch keine Vorstellungen dazu entwickelt, mit welchen Festsetzungen hinsichtlich der Art der Nutzung dieses Planungsziel erreicht werden soll.

2. Eine Veränderungssperre ist unwirksam, wenn der Beschluss zur Aufstellung des Bebauungsplanes nur vorgeschoben ist, um mittels der die Planung sichernden Veränderungssperre Zeit für die "Konzentrationsplanung" gemäß § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB im Verfahren zur Änderung des Flächennutzungsplanes zu gewinnen.


Entscheidungsgründe:

Der Eilantrag hat Erfolg.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig.

Die Antragsteller haben einen zulässigen Normenkontrollantrag gestellt. Sie sind gemäß § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO antragsbefugt. Die Antragstellerin zu 3. ist Eigentümerin von Grundstücken in dem Gebiet, auf das sich die Veränderungssperre ihrer zeichnerischen Darstellung nach erstreckt. Mit der von der Antragsgegnerin erlassenen Veränderungssperre begründet der Landkreis Aurich seine beim Verwaltungsgericht anhängige Vollstreckungsabwehrklage gegen die rechtskräftige Verpflichtung, den Antragstellern antragsgemäß einen positiven Bauvorbescheid über die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit - unter Ausklammerung der Lärmproblematik - der Errichtung von zwei Windenergieanlagen auf den im Antrag genannten Flurstücken zu erteilen. Damit kann die Antragstellerin zu 3. geltend machen, durch den Erlass der Veränderungssperre in ihren Rechten verletzt zu sein. Gleiches gilt für die Antragsteller zu 1. und zu 2., die als Pächter von Flächen, auf denen die Windenergieanlagen errichtet werden sollen, ebenfalls antragsbefugt sind (vgl. BVerwG, Urt. vom 5.11.1999 - 4 CN 3.99 -, ZfBR 2000, 193).

Der Antrag ist auch begründet.

Nach § 47 Abs. 6 VwGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist. Wegen der weitreichenden Folgen, die die Aussetzung eines Bebauungsplanes oder einer Veränderungssperre regelmäßig hat, ist bei der Prüfung der Voraussetzungen für eine Aussetzung ein strenger Maßstab anzulegen (Kopp/Schenke, VwGO, 13. Aufl., 2002, RdNr. 148). Ein schwerer Nachteil in dem oben genanten Sinne liegt nur vor, wenn rechtlich geschützte Interessen in ganz besonderem Maße beeinträchtigt und den Betroffenen außergewöhnliche Opfer abverlangt werden (vgl. Erichsen/Scherzberg, DVBl. 1987, 168, 174). Es kann offen bleiben, ob derart schwerwiegende Beeinträchtigungen der Antragsteller mit Blick auf die von ihnen geltend gemachten wirtschaftlichen Einbußen wegen des Absinkens der Vergütung nach § 7 Abs. 3 EEG zu erwarten sind. Denn der Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung ist aus anderen wichtigen Gründen im Sinne des § 47 Abs. 6 VwGO geboten. Da das Gewicht dieser Gründe ungefähr dem des schweren Nachteils entsprechen muss, ist die Aussetzung des Vollzuges aus diesem Anordnungsgrund zur Verhinderung vollendeter Tatsachen dann in Erwägung zu ziehen, wenn der Normenkontrollantrag mit großer Wahrscheinlichkeit Erfolg haben wird (vgl. Senatsbeschluss vom 21.3.1988 - 1 B 6/87 -, BRS 48 Nr. 30). Eine derartig hohe Erfolgsaussicht ist hier anzunehmen.

Der Senat muss dem Vortrag der Antragsteller, die Veränderungssperre leide an formellen Fehlern, nicht weiter nachgehen. Denn die angegriffene Satzung ist aus materiell-rechtlichen Gründen offensichtlich rechtswidrig, wie weiter unten auszuführen sein wird. Hinsichtlich der geltend gemachten formellen Fehler ist jedoch anzumerken, dass die Antragsteller mit Recht rügen, der von der Antragsgegnerin vorgelegte Verwaltungsvorgang gebe keinen hinreichenden Aufschluss darüber, mit welchem vorgesehenen Geltungsbereich der Beschluss zur Aufstellung des Bebauungsplanes bekannt gemacht worden sei. Der Vorgang der Antragsgegnerin enthält zwei Bekanntmachungen jeweils mit Übersichtsplan in Kopie, die den Vermerk tragen: "ausgehängt am: 14. Juni 2002; abgehängt am: 23. Juli 2002". Der Übersichtsplan spart in diesen beiden Bekanntmachungen den Bereich F. im Teilgebiet E des aufzustellenden Bebauungsplanes inselförmig aus. Eine weitere Bekanntmachung mit dem Vermerk "ausgehängt am: 21. Juni 2002; abgehängt am: 22. Juli 2002" enthält diese Aussparung nicht. Damit ist unklar, auf welche Flächen sich der Geltungsbereich des Bebauungsplanes erstrecken soll. Die Erwiderung der Antragsgegnerin im einstweiligen Rechtsschutzverfahren greift diesen von den Antragstellern vorgetragenen Gesichtspunkt nicht auf, so dass offen bleibt, ob die Bekanntmachung wirksam ist. Eine Unwirksamkeit der Bekanntmachung des Aufstellungsbeschlusses hätte die Rechtswidrigkeit der Veränderungssperre zur Folge. Denn die (rechtmäßige) ortsübliche Bekanntmachung des Aufstellungsbeschlusses gemäß § 2 Abs. 1 Satz 2 BauGB ist materielle Rechtmäßigkeitsvoraussetzung der Veränderungssperre (BVerwG, Beschl. vom 9.2.1989 - 4 B 236.88 -, BRS 49 Nr. 21; vgl. W. Schrödter, in: Schrödter, BauGB, 6. Aufl., 1998, § 2, RdNr. 39).

Auch die weitere Rüge der Antragsteller, es sei dem Verwaltungsvorgang nicht mit der gebotenen Eindeutigkeit zu entnehmen, welcher Übersichtsplan dem Rat bei der Beschlussfassung über die Aufstellung des Bebauungsplanes vorgelegen habe, ist nicht von der Hand zu weisen. Liegen - wie hier - zwei unterschiedliche zeichnerische Darstellungen des zukünftigen Geltungsbereiches des Bebauungsplanes vor, erhöhen sich die Anforderungen an die Gemeinde hinsichtlich des Nachweises, welche Version Gegenstand der Beratung des Rates war. Der Verwaltungsvorgang bietet keine Aufklärung, weil weder dem Ratsbeschluss vom 13. Juni 2002 noch der Konkretisierung der Planungsziele ein Übersichtsplan beigefügt ist. Die Erwiderung der Antragsgegnerin verhält sich zu diesem Gesichtspunkt ebenfalls nicht. Bliebe unklar, welcher zukünftige Geltungsbereich vom Rat beschlossen wurde, wäre auch die Rechtmäßigkeit der Veränderungssperre in Frage gestellt. Denn deren Rechtmäßigkeit setzt voraus, dass der zukünftige Geltungsbereich des Bebauungsplanes widerspruchsfrei festgelegt ist. Eine weitere Aufklärung des Sachverhalts ist in dem vorliegenden einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht angezeigt. Denn die Veränderungssperre begegnet in materiell-rechtlicher Hinsicht durchgreifenden Bedenken.

Die Gemeinde kann zur Sicherung der Planung für den künftigen Planbereich eine Veränderungssperre beschließen, wenn der Beschluss über die Aufstellung eines Bebauungsplanes gefasst ist (§ 14 Abs. 1 BauGB). Voraussetzung für eine Veränderungssperre ist, dass bei ihrem Erlass die Planung einen Stand erreicht hat, der ein Mindestmaß dessen erkennen lässt, was Inhalt des zu erwartenden Bebauungsplanes sein soll (BVerwG, Urt. vom 10.9.1976 - IV 39.74 -, BVerwGE 51, 121). Die Planung muss dabei nicht bereits einen Stand erreicht haben, der nahezu den Abschluss des Verfahrens ermöglicht; ein detailliertes und abgewogenes Planungskonzept ist nicht zu fordern. Es genügt vielmehr, dass sich aus dem Planaufstellungsbeschluss oder weiteren Verfahrensschritten wenigstens Ansatzweise ersehen lässt, was Inhalt des zukünftigen Bebauungsplanes sein soll. Den Mindestanforderungen ist genügt, wenn die Gemeinde im Zeitpunkt des Erlasses der Veränderungssperre bereits einen bestimmten Baugebietstyp ins Auge gefasst hat. Fehlen Vorstellungen über die angestrebte Art der baulichen Nutzung der betroffenen Grundflächen, ist der Inhalt des zu erwartenden Bebauungsplanes offen. Das Mindestmaß der Konkretisierung einer Planung ist dann noch nicht erreicht (BVerwG, Beschl. vom 5.2.1990 - 4 B 191.89 -, BRS 50 Nr. 103). So liegt der Fall hier.

Die angegriffene Veränderungssperre wird einer Überprüfung im Hauptsacheverfahren aller Voraussicht nach nicht standhalten, weil der Inhalt der zu sichernden Planung zum maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses der Satzung nicht hinreichend konkretisiert war. Der Rat der Antragsgegnerin hat am 13. Juni 2002 die Aufstellung des Bebauungsplanes Nr. 0136 in den Teilgebieten A bis E des Gemeindegebietes einschließlich der Konkretisierung der Planungsziele beschlossen. Nach der erwähnten Konkretisierung der Planungsziele soll der Bebauungsplan dazu dienen, die Errichtung von Windenergieanlagen planungsrechtlich zu steuern. Offen bleibt, welchen Baugebietstyp die Antragsgegnerin ins Auge gefasst hat. Die Gemeinde spricht lediglich davon, dass der Außenbereich ihres Gemeindegebiets in unterschiedlichster Weise genutzt werde. Die Belange der Landwirtschaft, des Fremdenverkehrs und des Tourismus, des Natur- und Landschaftsschutzes, der Siedlungsentwicklung und der Gewinnung von Bodenschätzen seien in der Bauleitplanung zu berücksichtigen. Um hier zu einer gerechten Abwägung aller Belange zu kommen, sei bei den vielfältigen Auswirkungen der privilegierten Windenergieanlagen die Aufstellung eines Bebauungsplanes erforderlich. Die Antragsgegnerin führt jedoch nicht aus, mit welchen Festsetzungen hinsichtlich der Art der Nutzung der Ausgleich der aus ihrer Sicht abwägungsbeachtlichen Belange erreicht werden soll.

Die Antragsgegnerin führt in ihrer Erwiderung auf den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung aus, Ziel des beabsichtigten Bebauungsplanes sei es, gemeinsam mit dem im Parallelverfahren zu ändernden Flächennutzungsplan mögliche Standorte für Windenergieanlagen festzulegen, und darüber hinaus Festsetzungen zum Erscheinungsbild der Windenergieanlagen, insbesondere zu deren Höhe, zu treffen. Diese nähere inhaltliche Bestimmung der Planungsziele ist nicht berücksichtigungsfähig, weil sie erst nach dem Erlass der Veränderungssperre und damit zu spät vorgetragen wird. Sie ist im Übrigen auch nicht ausreichend, weil der für ein Planungskonzept unverzichtbare Baustein fehlt. Unklar bleibt, mit welchen Festsetzungen hinsichtlich der Art der Nutzung die Antragsgegnerin Standorte für Windenergieanlagen festlegen will.

Die Veränderungssperre ist aber auch dann voraussichtlich nichtig, wenn zugunsten der Antragsgegnerin unterstellt wird, ihr hinreichend konkretisiertes Planungsziel sei die Realisierung von Einzelstandorten für Windenergieanlagen oder eines Windparks durch Festsetzung eines Sondergebietes auf näher zu bestimmenden Flächen des Gemeindegebietes. Eine Veränderungssperre ist als Sicherungsmittel ungeeignet und damit unwirksam, wenn sich das aus dem Aufstellungsbeschluss ersichtliche Planungsziel im Wege planerischer Festsetzung nicht erreichen lässt, wenn der beabsichtigte Bauleitplan einer positiven Planungskonzeption entbehrt und der Förderung von Zielen dient, für deren Verwirklichung die Planungsinstrumente des BauGB nicht bestimmt sind, oder wenn rechtliche Mängel schlechterdings nicht behebbar sind (BVerG, Beschl. vom 21.12.1993 - 4 NB 40.93 -, BRS 55, Nr. 95). Hieran gemessen verstieße der Bebauungsplan auch gegen § 1 Abs. 3 BauGB, wonach die Gemeinden Bauleitpläne aufzustellen haben, sobald und soweit es für die städtebauliche Entwicklung und Ordnung erforderlich ist.

Der beabsichtigte Bebauungsplan dient Zielen, für deren Verwirklichung das Instrument der Veränderungssperre nicht bestimmt ist. Tatsächlich gewollt ist nicht die Sicherung des Bebauungsplanes, sondern der Eintritt einer Sperrwirkung, um die Konzentrationsplanung gemäß § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB im Rahmen der 26. Änderung des Flächennutzungsplanes verwirklichen zu können. Damit wird nicht ein zulässiges Ziel nach § 14 Abs. 1 BauGB verfolgt, weil nur die Aufstellung eines Bebauungsplanes mit der Veränderungssperre gesichert werden kann. Die Antragsgegnerin behauptet zwar in ihrer Antragserwiderung, es sei durchaus möglich, im Wege eines Bebauungsplanes zumindest mit Hilfe weiterer Gegebenheiten eine flächendeckende Aussage für eine ganze Gemeinde zu treffen. Sie gibt aber nicht an, mit welchen planerischen Mitteln weite Teile des Gemeindegebietes - ausgenommen sind lediglich ein als naturschutzfachlich empfindlich eingestufter Küstenstreifen und die Ortslagen der Einheitsgemeinde - überplant werden sollen.

In Wahrheit geht es der Antragsgegnerin darum, den vom Verwaltungsgericht als nicht wirksam angesehenen Flächennutzungsplan in der Fassung seiner 7. Änderung durch einen fehlerfreien Plan zu ersetzen. Dafür sprechen der historische Ablauf nach Ergehen der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung und der Umstand, dass die Gemeinde den zukünftigen Planbereich des Bebauungsplanes genau soweit geschnitten hat wie den des Flächennutzungsplanes, ohne konkrete Vorstellungen für die zukünftige Nutzung des Bebauungsplangebietes zu entwickeln. Das Ziel, mit Hilfe des Planvorbehalts in § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB bestimmte geeignete Standorte für Windenergieanlagen positiv festzulegen und/oder ungeeignete Standorte auszuschließen, ist im Regelfall nur auf der Ebene der Flächennutzungsplanung zu erreichen. Der Bebauungsplan kann den Planvorbehalt nicht ausfüllen, weil ihm keine flächendeckende Abwägung für das gesamte Gemeindegebiet zugrunde liegt (Röser, in: Berliner Kommentar zum BauGB, 3. Aufl. 2002, Stand: August 2002, § 35, RdNr. 93). Er hat vielmehr die Aufgabe, die Darstellungen des Flächennutzungsplanes zu konkretisieren, beispielsweise durch Standortvorgaben für die Windenergieanlagen und Beschränkungen der Höhen der zu errichtenden Anlagen. Angesichts dieser unterschiedlichen Aufgabenstellung von Flächennutzungsplan und Bebauungsplan spricht Überwiegendes für die Auffassung der Antragsteller, die Antragsgegnerin schiebe den Beschluss zur Aufstellung des Bebauungsplanes nur vor, um mittels einer Veränderungssperre Zeit für das Verfahren zur Änderung des Flächennutzungsplanes zu gewinnen.

Aus den vorstehenden Erwägungen ist auch das Argument der Antragsteller, die Antragsgegnerin betreibe eine Verhinderungsplanung, nicht von der Hand zu weisen. Dafür spricht auch, dass in dem Flächennutzungsplan - 7. Änderung - lediglich eine Sonderbaufläche "Windenergie" südlich von E. (G.) dargestellt ist, die nur einen Bruchteil der Gesamtfläche des in dem Aufstellungsbeschluss zu dem Bebauungsplan Nr. 0136 erwähnten Teilgebietes E einnimmt. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Antragsgegnerin beabsichtigt, im Zuge der 26. Änderung ihres Flächennutzungsplanes die Sonderbauflächen für Windenergie großzügig aufzustocken, insbesondere diese auch auf Gemeindegebietsflächen, die die Antragsgegnerin als Teilgebiete A bis D bezeichnet hat, zu erstrecken. Es liegt deshalb nahe, dass mit dem Aufstellungsbeschluss für den Bebauungsplan und der Veränderungssperre allein Bauwünsche zur Errichtung von Windenergieanlagen auf Flächen, die nicht in der bisher schon dargestellten Sonderbaufläche liegen, durchkreuzt werden sollen. Einer solchen Planung fehlt aber die positive Zielsetzung.

Ende der Entscheidung

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