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Gericht: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 17.11.2006
Aktenzeichen: 10 ME 222/06
Rechtsgebiete: AufenthG, EMRK, GG


Vorschriften:

AufenthG § 25 V 1
EMRK § 8 I
GG Art. 3 III 2
Zu den Anforderungen, unter denen sich aus Art. 8 EMRK ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Grunden (§ 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG) ergeben kann.

Ein unerlaubter Aufenthalt und die damit verbundene Unsicherheit des Aufenthaltsstatus stehen in der Regel der Führung eines schutzwürdigen Privatlebens im Sinne des Art. 8 Abs. 1 EMRK entgegen.

Bei der Frage der wirtschaftlichen Integration eines Ausländers in Deutschland ist es nicht entscheidungserheblich, ob er den Bezug von öffentlichen Sozialleistungen zu vertreten hat.

Die Durchsetzung der Ausreisepflicht stellt nicht eine grundrechtswidrige Ungleichbehandlung eines Menschen mit Behinderung (Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG) dar.


Gründe:

Die nach § 146 Abs. 1 VwGO statthafte Beschwerde der Antragstellerin hat keinen Erfolg.

Die von der Antragstellerin dargelegten Gründe, auf deren Überprüfung sich die Entscheidung des Senats beschränkt (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), führen nicht zu einer Änderung der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts.

Das Verwaltungsgericht hat seine Entscheidung darauf gestützt, dass ein Anordnungsanspruch nicht gegeben sei: Die Voraussetzungen des § 25 Abs. 4 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 AufenthG lägen nicht vor. Bezogen auf § 25 Abs. 5 AufenthG ergebe sich ein Ausreisehindernis nicht aufgrund der von der Antragstellerin geltend gemachten unzureichenden Behandlungsmöglichkeiten ihrer Behinderung im Heimatland. Die Antragsgegnerin sei nicht zuständig, über solche zielstaatsbezogenen Gesichtspunkte zu entscheiden. Ferner folge aus Art. 8 EMRK kein rechtliches Ausreisehindernis. Ein Eingriff in das Recht auf Achtung des Privatlebens liege nur dann vor, wenn der Ausländer ein Privatleben bei realistischer Betrachtung nur noch im Aufenthaltsstaat führen könne, also faktisch zum Inländer geworden sei. Von einer Integration des Ausländers könne in aller Regel nicht ausgegangen werden, wenn er sich bisher nicht rechtmäßig in der Bundesrepublik Deutschland aufgehalten habe. Eine besondere atypische Konstellation liege hier nicht vor. Die Antragstellerin und ihre Familienangehörigen hätten zu keiner Zeit einen Aufenthaltstitel besessen. Zwar sei sie in der Bundesrepublik Deutschland geboren und beherrsche die deutsche Sprache, jedoch sei ihren Eltern eine wirtschaftliche Integration nicht gelungen. Die Familie sei auf Sozialhilfeleistungen angewiesen, wobei es ohne rechtliche Bedeutung sei, ob sie ihre Bedürftigkeit zu vertreten habe. Die Antragstellerin beherrsche die albanische Sprache. Ihre ebenfalls ausreisepflichtigen Eltern und Geschwister könnten sie im Heimatland unterstützen. Die schwer wiegende Behinderung der Antragstellerin vermöge auch unter dem rechtlichen Gesichtspunkt des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG eine andere Beurteilung nicht zu rechtfertigen.

Die dagegen von der Antragstellerin geltend gemachten Beschwerdegründe greifen nicht durch. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend einen Anordnungsanspruch verneint.

Zunächst kann die Antragstellerin nicht die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4 Satz 1 AufenthG beanspruchen. Nach dieser Vorschrift kann einem Ausländer für einen vorübergehenden Aufenthalt eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, solange dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen seine vorübergehende Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern. Zutreffend stellt das Verwaltungsgericht darauf ab, dass die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4 Satz 1 AufenthG daher nicht in Betracht kommt, wenn ein dauerhafter Aufenthalt im Bundesgebiet angestrebt wird (vgl. Nds. OVG, Beschluss des Senats vom 13. Oktober 2006 - 10 LA 85/06 -, Beschluss vom 27. Juni 2005 - 11 ME 96/05 -, NVwZ-RR 2006, 572, Beschluss vom 22. Mai 2006 - 8 LA 60/06 -, V.n.b., Beschluss vom 27. Juni 2006 - 8 LA 77/06 -, V.n.b.; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 6. April 2005 - 11 S 2779/04 -, juris; Hess. VGH, Urteil vom 7. Juli 2006 - 7 UE 509/06 -, juris; Renner, Ausländerrecht - 8. Auflage 2005 - § 25 Rdnr. 29; Hailbronner, Ausländerrecht, Losebl., § 25 Rdnr. 65). Dies findet seine Bestätigung auch in § 26 Abs. 1 AufenthG, der vorsieht, dass bei Vorliegen der Voraussetzungen nach § 25 Abs. 4 Satz 1 AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis längstens für sechs Monate erteilt werden kann, sofern der Ausländer sich nicht bereits seit mindestens 18 Monaten rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält. Für den von der Antragstellerin angestrebten Daueraufenthalt in Deutschland scheidet § 25 Abs. 4 Satz 1 AufenthG schon deshalb als Rechtsgrundlage aus.

Ebenso liegen die Voraussetzungen für eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen gemäß § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG in Verbindung mit Art. 8 Abs. 1 EMRK nicht vor.

Nach der Rechtsprechung des Senats (Beschluss vom 4. August 2006 - 10 LA 70/06 - und vom 30. Oktober 2006 - 10 LA 80/06 -, V.n.b.) begründet Art. 8 EMRK nicht einen gesetzlichen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis oder auch nur auf Erteilung einer Duldung. Nach Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens; Art. 8 Abs. 2 EMRK regelt die Zulässigkeit von Eingriffen von staatlichen Stellen in die Ausübung dieses Rechts. Wesentliches Ziel der Vorschrift ist der Schutz des Einzelnen vor willkürlicher Einmischung der öffentlichen Gewalt in das Privat- und Familienleben. Zwar können sich aus Art. 8 EMRK auch positive Verpflichtungen ergeben, deren Reichweite von der Lage der Betroffenen abhängt. Insoweit steht den Konventionsstaaten jedoch ein weiter Gestaltungsspielraum zu (vgl. die zusammenfassende Darstellung im Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 18. Juni 1996 - BVerwG 1 C 17.95 -, BVerwGE 101, 265, 272 und Urteil vom 3. Juni 1997 - BVerwG 1 C 18.96 -, NVwZ 1998, 189). Art. 8 EMRK wirkt demnach - nicht anders als Art. 6 Abs. 1 GG - auf die Auslegung und Anwendung des Ausländerrechts ein, ohne jedoch unmittelbar Ansprüche auf Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung zu begründen (BVerwG, Urteil vom 4. Juni 1997 - BVerwG 1 C 9.95 -, BVerwGE 105, 35, 41). Die EMRK und damit auch die Garantien des Art. 8 Abs. 1 EMRK enthalten nicht das Recht eines Ausländers, in einen bestimmten Staat einzureisen oder sich dort aufzuhalten und nicht ausgewiesen zu werden (EGMR, Urteil vom 16. September 2004 - 11103/03 [Ghiban ./. Deutschland] -, NVwZ 2005, 1046, 1047 und Urteil vom 16. Juni 2005 - 60654/00 [Sisojeva ./. Lettland] -, InfAuslR 2005, 349). Über die Einreise, den Aufenthalt und die Abschiebung fremder Staatsangehöriger zu entscheiden, ist nach allgemein anerkannten völkerrechtlichen Grundsätzen vielmehr das Recht der Vertragsstaaten (EGMR, Urteil vom 16. September 2004, a.a.O., und Urteil vom 7. Oktober 2004 - 33743/03 - [Dragan u.a. ./. Deutschland] -, NVwZ 2005, 1043, 1044). Ein Eingriff in das Recht auf Achtung des Familien- und Privatlebens lässt sich angesichts dieser Regelungskompetenz der Vertragsstaaten nicht schon allein mit dem Argument bejahen, ein Ausländer halte sich bereits seit geraumer Zeit im Vertragsstaat auf und wolle dort sein Leben führen (EGMR, Urteil vom 7. Oktober 2004, a.a.O., das eine Familie betraf, die seit 14 Jahren ihren Aufenthalt im Bundesgebiet hatte). Eingriffsqualität in Bezug auf Art. 8 Abs. 1 EMRK kommt einer aufenthaltsrechtlichen Entscheidung grundsätzlich vielmehr nur dann zu, wenn der Ausländer ein Privatleben, das durch persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen charakterisiert ist, faktisch nur noch im Aufenthaltsstaat als Vertragsstaat der EMRK führen kann. Ob eine solche Fallkonstellation für einen Ausländer in Deutschland vorliegt, hängt zum einen von der Integration des Ausländers in Deutschland, zum anderen von seiner Möglichkeit zur (Re-) Integration in seinem Heimatland ab. Gesichtspunkte für die Integration des Ausländers in Deutschland sind dabei eine zumindest mehrjährige Dauer des Aufenthalts in Deutschland, gute deutsche Sprachkenntnisse und eine soziale Eingebundenheit in die hiesigen Lebensverhältnisse, wie sie etwa in der Innehabung eines Ausbildungs- oder Arbeitsplatzes, in einem festen Wohnsitz, einer Sicherstellung des ausreichenden Lebensunterhalts einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel und dem Fehlen von Straffälligkeit zum Ausdruck kommt. Mit zu berücksichtigen ist insoweit auch die Rechtmäßigkeit des bisherigen Aufenthalts: Denn ein unerlaubter Aufenthalt und die damit verbundene Unsicherheit des Aufenthaltsstatus stehen in der Regel der Führung eines schutzwürdigen Privatlebens im Sinne des Art. 8 Abs. 1 EMRK entgegen (tendenziell EGMR, Urteil vom 7. Oktober 2004, a.a.O., NVwZ 2005, 1043, 1045). Die angeführte Entscheidung des EGMR vom 16. Juni 2005, in der ein schutzwürdiges Privatleben im Sinne des Art. 8 Abs. 1 EMRK auch ohne rechtmäßigen Aufenthalt aufgrund intensiver persönlicher und familiärer Bindungen bejaht wurde, steht dem Regelerfordernis eines erlaubten Aufenthalts nicht entgegen. Denn dieser Fall war durch die Besonderheit geprägt, dass die Beschwerdeführer lange Zeit (von 1968/69 bis 1995) rechtmäßig im Vertragsstaat gelebt hatten und ihr aufenthaltsrechtlicher Status erst im Anschluss an politische Umwälzungen - die Auflösung der Sowjetunion und die Unabhängigkeit Lettlands - aufgrund ihrer Volkszugehörigkeit in Frage gestellt worden war, und ihnen zudem jedenfalls die rechtliche Möglichkeit gegeben war, einen befristeten legalen Aufenthaltsstatus zu erlangen (vgl. hierzu Beschlüsse des Senats vom 30. Oktober 2006 - 10 LA 80/06 - und vom 12. April 2006 - 10 ME 74/06 -, V.n.b.; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 2. November 2005 - 1 S 3023/04 -, InfAuslR 2006, 70; Hess. VGH, Urteil vom 7. Juli 2006 - 7 UE 509/06 -, juris). Ferner müssen sich Kinder unter 16 Jahren das Verhalten ihrer sorgeberechtigten Eltern(teile) zurechnen lassen, weil sie als Kinder deren aufenthaltsrechtliches Schicksal teilen und im Hinblick auf die Sicherung ihres Lebensunterhalts auf die Unterstützung ihrer Familie angewiesen sind (vgl. Hess. VGH, Urteil vom 7. Juli 2006, a.a.O.; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 11. Januar 2006 - 18 B 44/06 -, juris; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 10. Mai 2006 - 11 S 2354/05 -, juris; Benassi, InfAuslR 2006, 397, 404).

Diese gefestigte Rechtsprechung des Senats hat auch das Verwaltungsgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt. Nach diesen Maßstäben ist nicht davon auszugehen, dass die Abschiebung der Antragstellerin im Hinblick auf Art. 8 Abs. 1 EMRK rechtlich unmöglich sein könnte. Das Verwaltungsgericht stellt zutreffend darauf ab, dass nicht von einer verfestigten Integration der Antragstellerin in der Bundesrepublik Deutschland auszugehen und eine Reintegration im Land ihrer Staatsangehörigkeit möglich ist. Die dagegen vorgebrachten Einwände der Antragstellerin greifen nicht durch.

Die Antragstellerin macht im Hinblick hierauf geltend, das Verwaltungsgericht sei zu Unrecht von einer fehlenden wirtschaftlichen Integration ausgegangen; insoweit dürfe ihr nicht angelastet werden, dass sie aufgrund der behördlichen Versagung einer Arbeitserlaubnis für ihren Vater auf Sozialhilfe angewiesen sei. Dem ist aber entgegenzuhalten, dass bei der Frage, ob eine Integration der Antragstellerin in die sozialen Verhältnisse in die hiesige Gesellschaft auch in wirtschaftlicher Hinsicht gelungen ist, auf die tatsächlichen Gegebenheiten abzustellen ist. Hingegen ist es nicht entscheidungserheblich, ob den Betroffenen insoweit ein Verschulden trifft und sie deshalb ihre Bedürftigkeit zu vertreten haben. Diesbezüglich ist festzustellen, dass die Antragstellerin während ihres langjährigen Aufenthalts stets auf Sozialhilfeleistungen angewiesen war. Es ist auch zu erwarten, dass sie künftig auf öffentliche Sozialleistungen angewiesen sein wird. Da es hierauf bezogen nicht darauf ankommt, ob ihre Bedürftigkeit verschuldet gewesen ist, ist es für die Entscheidung ohne Bedeutung, ob die Eltern aufgrund der Arbeitsmarktsituation, aus gesundheitlichen oder rechtlichen Gründen tatsächlich nicht in der Lage waren und sind, den Lebensunterhalt einschließlich Krankenversicherungsschutz ohne Inanspruchnahme öffentlicher Leistungen selbst sicherzustellen.

Weiter wendet die Antragstellerin ein, die Annahme des Verwaltungsgerichts, ihre Eltern und Geschwister könnten sie im Heimatland im gleichen Umfang wie in Deutschland unterstützen, sei unzutreffend: Diese Annahme decke sich nicht mit ihren besonderen Bedürfnissen aufgrund ihrer Behinderung und auch nicht mit den persönlichen und sachlichen Möglichkeiten. Sie könne sich aufgrund der Vertrautheit mit der hiesigen medizinischen Betreuung in Deutschland, nicht hingegen im Land ihrer Staatsangehörigkeit verhältnismäßig gut orientieren. Sie würde in ihrer gesundheitlichen Situation zurückgeworfen und ihrer bisher erworbenen Fähigkeiten beraubt, so dass sich die Auswirkungen ihrer Behinderung verschlimmerten. Weder ihre Eltern noch ihre Geschwister könnten sie im gleichen Umfang wie in Deutschland unterstützen, weil sie selbst auf eine fachkompetente Unterstützung bei der Betreuung angewiesen seien. Weiter seien ihre Eltern bei ihrer Betreuung überfordert. Ihre Mutter sei selbst psychisch schwer krank.

Dieses Vorbringen rechtfertigt eine abweichende Beurteilung nicht. Soweit die Antragstellerin, die seit ihrer Geburt unter einer schweren mentalen Retardierung unbekannter Herkunft leidet und deshalb nach dem Besuch des Regelkindergartens seit August 2002 eine Tagesstätte für geistig und mehrfachbehinderte Kinder besucht, hiermit eine unzureichende Versorgung und Betreuung im Zielstaat und damit eine wesentliche Verschlechterung ihrer Gesundheit anspricht, beruft sie sich sinngemäß auf das Vorliegen eines zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbotes gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Dass ein entsprechendes Abschiebungshindernis nach § 53 AuslG nicht gegeben ist, hat das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (jetzt Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) mit bestandskräftigen Bescheiden vom 31. Oktober 1995 und 25. Juni 2002 festgestellt. Die gegen den letztgenannten Bescheid erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht - 12. Kammer (Einzelrichter) - mit rechtskräftigem Urteil vom 11. November 2004 (Az.: 12 A 2859/02) abgewiesen. Solange diese negative Feststellungen des Bundesamts Bestand haben, sind die Ausländerbehörde und auch der Senat daran gebunden (§ 42 Satz 1 AsylVfG; vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 22. November 2005 - BVerwG 1 C 18.04 -, BVerwGE 124, 326 mit weiteren Nachweisen und Urteil vom 27. Juni 2006 - BVerwG 1 C 14.05 -, juris; Nds. OVG, Beschluss vom 15. November 2006 - 10 PA 156/06 -, Beschluss vom 18. Juli 2006 - 10 ME 12/06 - und vom 1. September 2006 - 8 LA 101/06 -; Bay. VGH, Beschluss vom 13. Februar 2006 - 24 ZB 06.15 -, juris).

Im Hinblick auf Art. 8 Abs. 1 EMRK ist für die zu entscheidende Frage der Möglichkeit der (Re-)Integration im Land der Staatsangehörigkeit der Antragstellerin maßgeblich darauf abzustellen, ob die Eltern und die Geschwister es der Antragstellerin unter Berücksichtigung ihrer Behinderung erleichtern können, sich in die sozialen und gesellschaftlichen Verhältnisse im Heimatland einzufinden. Wie dargelegt kommt es für das gegen die Ausländerbehörde gerichtete Verfahren aber nicht darauf an, ob im Hinblick auf die Behinderung der Antragstellerin und dem damit verbundenen Förderbedarf im Zielstaat eine ausreichende Betreuung und medizinische Versorgung gewährleistet sind wie sie in der Bundesrepublik Deutschland bisher erbracht worden sind; insoweit macht die Antragstellerin geltend, dass ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliege. Demnach stellt sich in diesem Verfahren nicht die Frage, ob die Eltern und ggf. die Geschwister in der Lage sind, den erheblichen Betreuungs- und Versorgungsbedarf der Antragstellerin im Wesentlichen sicherzustellen. Gleichwohl ist aber im Hinblick auf eine mögliche (Re-)Integration der Antragstellerin im Zielstaat zu berücksichtigen, dass sie die albanische Sprache beherrscht und ihre Eltern mit den sozialen und gesellschaftlichen Verhältnissen dort vertraut sind und insoweit die Antragstellerin unterstützen können.

Schließlich steht der Abschiebung Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG nicht entgegen, so dass die Antragstellerin hieraus einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG nicht ableiten kann. Hierauf bezogen macht sie geltend, eine Verbringung in das sogenannte "Heimatland" werde zu einer erheblichen gesundheitlichen Verschlechterung und Rückschritten in ihrer Entwicklung führen. Hierbei sei zu berücksichtigen, dass ihre Eltern die besondere Versorgung nicht ohne Anleitung und Unterstützung durch kompetente medizinische Hilfe, die nur in Deutschland gewährleistet sei, leisten könnten. Auch dieses Vorbringen zielt darauf ab, dass die wegen der Behinderung erforderliche medizinische Versorgung und Betreuung der Antragstellerin im Zielstaat nicht hinreichend gewährleistet wäre und deshalb sich ihre Gesundheit im Falle einer Aufenthaltsbeendigung erheblich verschlechtern würde. Diesem zielstaatsbezogenen Vorbringen stehen die angeführten, die Antragsgegnerin und das Gericht bindenden Entscheidungen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge entgegen. Darüber hinaus ist eine Verletzung des Benachteiligungsverbotes für Menschen mit Behinderungen (Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG) weder dargelegt noch ersichtlich. Nach dieser Vorschrift darf niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden. Dies setzt voraus, dass die Benachteiligung gerade in Anknüpfung an die Behinderung erfolgt. Originäre subjektive Leistungsansprüche eines Menschen mit Behinderungen und damit etwa einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG vermittelt Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG nicht (vgl. Osterloh in: Sachs, Kommentar Grundgesetz - 3. Auflage 2005 -, Art. 3 Rdnr. 305). Durch die Entscheidung der Antragsgegnerin, der Antragstellerin eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen nach § 25 AufenthG nicht zu erteilen und die vollziehbare Ausreisepflicht durchzusetzen, erfolgt eine Ungleichbehandlung gegenüber einem Kind ohne Behinderung nicht. Insoweit lässt sich aus Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG nicht ein Recht auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis allein deshalb ableiten, weil die mit der Abschiebung eines ausreisepflichtigen Ausländers mit Behinderungen verbundenen Belastungen, die durch den Abbruch von Fördermaßnahmen und der besonderen Betreuung bedingt sind, einen Ausländer ohne Behinderungen nicht treffen. Diese durch eine Aufenthaltsbeendigung bedingten Belastungen für Menschen mit Behinderungen beruhen nicht auf einer Ungleichbehandlung. Insoweit kann auch nicht festgestellt werden, dass der betroffene Ausländer wegen seiner Behinderung im Vergleich zu einem aufenthaltsberechtigten Menschen ohne Behinderungen von Entfaltungs- und Betätigungsmöglichkeiten (vgl. hierzu BVerfG, Beschluss vom 8. Oktober 1997 - 1 BvR 9/97 -, BVerfGE 96, 288, 303) ausgeschlossen wird. Dieser durch die beabsichtigte Abschiebung bedingte Ausschluss in Form des Abbruchs von Förder- und Betreuungsmaßnahmen erfolgt allein zur Durchsetzung der ausländerrechtlichen Ausreisepflicht.

Ende der Entscheidung

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