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Gericht: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 05.02.2004
Aktenzeichen: 11 ME 271/03
Rechtsgebiete: GG, NGefAG, NVwVfG, StPO, VwVfG


Vorschriften:

GG Art. 1 I
GG Art. 2 I
NGefAG § 15
NVwVfG § 1 I
StPO § 81 b 2. Alt.
VwVfG § 37 I
Die als Verwaltungsakt ergehende Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung nach § 81 b 2. Alternative StPO muss die im Einzelfall konkret beabsichtigten erkennungsdienstlichen Maßnahmen bezeichnen.
Gründe:

Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts, mit dem die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen die mit Sofortvollzug versehene Aufforderung der Antragsgegnerin, sich erkennungsdienstlich behandeln zu lassen (Verfügung vom 6. Januar 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Februar 2003), wiederhergestellt worden ist, bleibt ohne Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend entschieden, dass ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit der auf § 81 b 2. Alternative StPO gestützten Verfügung wegen mangelnder Bestimmtheit bestehe, weil sie dem Antragsteller nicht hinreichend verdeutliche, welche erkennungsdienstlichen Maßnahmen er zu gewärtigen haben werde. Die dagegen von der Antragsgegnerin vorgebrachten Einwände, die gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO im Beschwerdeverfahren allein zu prüfen sind, rechtfertigen keine andere Beurteilung.

Rechtsgrundlage der hier streitigen Anordnung einer präventivpolizeilichen erkennungsdienstlichen Behandlung ist § 81 b 2. Alternative StPO. Danach dürfen Lichtbilder und Fingerabdrücke des Beschuldigten auch gegen seinen Willen aufgenommen und Messungen und ähnliche Maßnahmen an ihn vorgenommen werden, soweit es für die Zwecke des Erkennungsdienstes notwendig ist. Der am 6. September 1985 geborene Antragsteller ist Beschuldigter (vgl. § 157 StPO) im Sinne dieser Vorschrift, da gegen ihn ein Strafverfahren wegen gefährlicher gemeinschaftlicher Körperverletzung beim Amtsgericht B. anhängig ist. Ihm wird zur Last gelegt, in der Nacht vom 30. September auf den 1. Oktober 2002 als Mittäter in eine Schlägerei in B. verwickelt gewesen zu sein. Die mit der angefochtenen Verfügung ausgesprochene Anordnung begegnet jedoch rechtlichen Bedenken, weil die konkret beabsichtigte erkennungsdienstliche Behandlung in ihr nicht hinreichend bestimmt wird.

Der für den Erlass von Verwaltungsakten allgemein geltende rechtsstaatliche Bestimmtheitsgrundsatz ist in § 37 Abs. 1 VwVfG i. V. m. § 1 Abs. 1 NVwVfG normiert. Danach muss ein Verwaltungsakt inhaltlich hinreichend bestimmt sein. Das bedeutet, dass der Inhalt der getroffenen Regelung für den Adressaten vollständig, klar und unzweideutig erkennbar sein muss, damit er sein Verhalten danach richten kann (vgl. BVerwG, Urt. v. 22.01.1993, NJW 1993, 1667, und Urt. v. 15.02.1990, NVwZ 1990, 658; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 8. Aufl., § 37 RdNr. 5; Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 6. Aufl., § 37 RdNr. 11 f). Im einzelnen richten sich die Anforderungen an die notwendige Bestimmtheit eines Verwaltungsakts nach den Besonderheiten des jeweils anzuwendenden und mit dem Verwaltungsakt umzusetzenden materiellen Rechts. Geht es - wie hier - um einen Verwaltungsakt zur Gefahrenabwehr, muss dieser eindeutig erkennen lassen, welches Verhalten vom Adressaten verlangt wird (vgl. Drews/Wacke/Vogel/Martens, Gefahrenabwehr, 9. Aufl., S. 435 ff; Götz, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, 13. Aufl., RdNr. 366). Dies gilt um so mehr, wenn es sich um einen Eingriff in Grundrechte des Betroffenen handelt. Dem entsprechend fordert das Bundesverwaltungsgericht für die in § 81 b 2. Alternative StPO zugelassenen polizeilichen Präventivmaßnahmen, dass die im Einzelfall konkret beabsichtigte erkennungsdienstliche Behandlung (in dem zugrunde liegenden Fall die Aufnahme von Lichtbildern und Fingerabdrücken) bezeichnet wird (Urt. v. 19.10.1982, BVerwGE 66, 192, 195). Allgemein gehaltene Formulierungen wie "zur Durchführung erkennungsdienstlicher Maßnahmen" reichen auch in Anbetracht dessen, dass § 81 b 2. Alternative StPO einen nicht abgeschlossenen Katalog von erkennungsdienstlichen Maßnahmen enthält, die durchaus eine unterschiedliche Intensität haben können, nicht aus (vgl. etwa Rachor, in : Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 3. Aufl., S. 430 - F 435 - zum vergleichbaren Fall der polizeirechtlichen Vorladung).

Maßnahmen nach § 81 b 2. Alternative StPO sind ausweislich des Wortlauts nicht nur die Anfertigung von Lichtbildern, die Abnahme von Fingerabdrücken und die Vornahme von Messungen, sondern auch "ähnliche Maßnahmen", die - ohne dass es einer körperlichen Untersuchung im Sinne des § 81 a Abs. 1 StPO bedarf - der Feststellung der körperlichen Beschaffenheit dienen (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 46. Aufl., § 81 b RdNr. 8; Pfeiffer, StPO, 4. Aufl., § 81 b RdNr. 2). Dazu gehören auch Maßnahmen, die den ganzen Körper oder bestimmte Körperteile, besondere persönliche Merkmale (auch Tätowierungen, Piercings usw.) betreffen, sowie die Stimmaufnahme auf einen Tonträger oder die Anfertigung eines Videofilms (vgl. Senge, in: Karlsruher Kommentar, StPO, 4. Aufl., § 81 b RdNr. 3; Meyer-Goßner, a. a. O.). Angesichts dieser unterschiedlichen Maßnahmen, die nicht nur aus der unangenehmen Situation der Datenerhebung, sondern vor allem aus der Aufbewahrung von persönlichen Daten einen erheblichen Eingriff in die Grundrechte des Beschuldigten darstellen (vgl. Waechter, Polizei- und Ordnungsrecht, 1. Aufl., RdNr. 564; Rachor, a. a. O., S. 421 - F 403 -), muss der betroffene Bürger auch im Sinne eines effektiven Rechtsschutzes vorher Klarheit über die zu erwartenden Maßnahmen erhalten.

Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, korrespondiert die Frage der hinreichenden Bestimmtheit des Verwaltungsakts in diesen Fällen auch mit dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme. Der Begriff "soweit notwendig" in § 81 b StPO beinhaltet jedenfalls auch, dass die Erforderlichkeit jeder Einzelmaßnahme zu berücksichtigen ist. Die Notwendigkeit einer erkennungsdienstlichen Behandlung bemisst sich nämlich danach, ob die dem Beschuldigten zur Last gelegte Straftat nach den Umständen des Einzelfalls - insbesondere angesichts ihrer Art und Schwere sowie der Persönlichkeit des Beschuldigten - Anhaltspunkte für die Annahme bietet, dass er auch künftig einer vergleichbaren strafbaren Handlung verdächtigt werden könnte und die angefertigten erkennungsdienstlichen Unterlagen dann die polizeilichen Ermittlungen fördern könnten (vgl. BVerwG, Urt. v. 19.10.1982, a. a. O.; OVG Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 17.11.2000, NVwZ-RR 2001, 238 = DÖV 2001, 212; Sächs. OVG, Beschl. v. 10.10.2000, NVwZ-RR 2001, 238 = DÖV 2001, 211; OVG NRW, Beschl. v. 13.01.1999, NJW 1999, 2689 = DVBl. 1999, 1228). Je nach der Art der dem Beschuldigten vorgeworfenen Straftat kann die Frage nach dem Einsatz der bzw. welcher erkennungsdienstlichen Maßnahme(n) deshalb unterschiedlich zu beantworten sein mit der Konsequenz, dass möglicherweise nur bestimmte Maßnahmen getroffen werden dürfen, um dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG) und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Rechnung zu tragen. Durch diese strengen Anforderungen an die Bestimmtheit der Anordnung einer erkennungsdienstlichen Behandlung wird die effektive Verhinderung und Aufklärung von Straftaten nicht unzumutbar erschwert. Der Polizeibehörde müsste es im Regelfall ohne größeren Aufwand möglich sein, dem Beschuldigten bereits im Vorfeld mitzuteilen, welche konkreten erkennungsdienstlichen Einzelmaßnahmen im Hinblick auf die ihm vorgeworfenen bzw. in Zukunft nicht auszuschließenden Straftaten vorgenommen werden sollen. Allerdings weist die Antragsgegnerin in diesem Zusammenhang zu Recht darauf hin, dass eine abschließende Entscheidung über Art und Umfang der jeweils erforderlichen Maßnahmen oft erst im Laufe der Durchführung der erkennungsdienstlichen Behandlung getroffen werden kann. Denn die genaue Festlegung hängt von der körperlichen Beschaffenheit der betroffenen Person ab. So sind insbesondere bei Ersttätern individuelle Anomalien oder andere körperliche Besonderheiten im allgemeinen vorher nicht bekannt. Diese Unwägbarkeiten befreien aber die Polizeibehörde nicht von der Pflicht, dem Beschuldigten bereits bei der Aufforderung, sich erkennungsdienstlich behandeln zu lassen, die konkret beabsichtigten Maßnahmen zu nennen. Eine Behinderung der polizeilichen Arbeit während der erkennungsdienstlichen Behandlung kann in solchen Fällen dadurch vermieden werden, dass die Behörde nach § 37 Abs. 2 Sätze 1 und 2 VwVfG mündlich eine ergänzende Anordnung trifft. Es dürfte deshalb zweckmäßig sein, bereits in der schriftlichen Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung vorsorglich auf die Möglichkeit weiterer Maßnahmen hinzuweisen.

Ausgehend von diesen Grundsätzen spricht Überwiegendes dafür, dass die streitige Anordnung dem Bestimmtheitsgebot nicht genügt. In der angefochtenen Verfügung vom 6. Januar 2003 wird zunächst Bezug genommen auf die an den Antragsteller gerichtete Vorladung des 2. Polizeikommissariats B. vom 27. November 2002, in der als Grund "ED-Behandlung" wegen Verdachts der gefährlichen Körperverletzung angegeben wird. Dass diese pauschale Formulierung dem Bestimmtheitsgrundsatz widerspricht, liegt auf der Hand. In der Verfügung vom 6. Januar 2003 wird sodann unter Hinweis auf § 81 b 2. Alternative StPO ausgeführt, dass, soweit es für die Zwecke des Erkennungsdienstes notwendig ist, Lichtbilder und Fingerabdrücke der Beschuldigten auch gegen ihren Willen aufgenommen werden dürfen. Auch hieraus geht nicht eindeutig hervor, welche Maßnahmen bezüglich des Antragstellers konkret beabsichtigt sind. Dass die Anordnung allein auf Lichtbilder und Fingerabdrücke des Antragstellers beschränkt sein sollte, lässt sich nicht mit der gebotenen Klarheit feststellen. Einer derartigen Annahme steht auch entgegen, dass im Widerspruchsbescheid vom 17. Februar 2003 nunmehr auch die übrigen nach § 81 b 2. Alternative StPO zulässigen erkennungsdienstlichen Mittel ("Messungen und ähnliche Maßnahmen") angegeben worden sind. Eine Konkretisierung der geplanten Maßnahmen ist auch später nicht erfolgt. So hat die Antragsgegnerin trotz der vom Antragsteller bereits im Widerspruchsverfahren geäußerten Bedenken gegen die Bestimmtheit der angefochtenen Verfügung mit Schriftsatz vom 24. März 2003 an das Verwaltungsgericht zum Hinweis darauf, "welche Maßnahmen eine ED-Behandlung umfasst", lediglich auf § 15 Abs. 3 NGefAG verwiesen. Dieser Hinweis stellt aber keine ausreichende Präzisierung dar. Denn der hier maßgebliche Absatz 3 des § 15 NGefAG (seit dem 19.12.2003 Nds. SOG, vgl. Nds. GVBl. 2003, 414) enthält ebenfalls nur einen Katalog der denkbaren erkennungsdienstlichen Maßnahmen ("1. die Abnahme von Finger- und Handflächenabdrücken, 2. die Aufnahme von Lichtbildern, 3. die Feststellung äußerer körperlicher Merkmale, 4. Messungen und andere vergleichbare Maßnahmen"), der im wesentlichen dem des § 81 b StPO entspricht. Welche konkreten Maßnahmen im Falle des Antragstellers beabsichtigt sind, lässt sich ebensowenig dem Beschwerdevorbringen der Antragsgegnerin entnehmen.

Die Antragsgegnerin kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass der Senat in seinem Beschluss vom 18. März 2002 - 11 MA 50/02 - die abstrakte Formulierung "Anordnung der ED-Behandlung" nicht als zu unbestimmt beanstandet habe. Denn in jenem Verfahren kam es aufgrund anderweitiger Zweifel an der Rechtmäßigkeit der zugrunde liegenden Verfügung auf diese Problematik nicht an, so dass für den Senat auch kein Anlass bestand, sich damit zu befassen.

Abschließend weist der Senat darauf hin, dass es der Antragsgegnerin unter Beachtung der rechtlichen Ausführungen des Senats unbenommen bleibt, erneut den Antragsteller aufzufordern, sich erkennungsdienstlich behandeln zu lassen.

Ende der Entscheidung

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