Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 17.09.2007
Aktenzeichen: 12 LA 420/05
Rechtsgebiete: InsO, ZPO


Vorschriften:

InsO § 85
ZPO § 240
Zu den Voraussetzungen der Beendigung der Verfahrensunterbrechung nach § 173 VwGO i.V.m. § 240 ZPO durch eine Aufnahmeerklärung des Insolvenzverwalters nach § 85 Abs. 1 Satz 1 InsO.
NIEDERSÄCHSISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT LÜNEBURG BESCHLUSS

Aktenz.: 12 LA 420/05

Datum: 17.09.2007

Gründe:

I.

Im Hauptsacheverfahren begehrt die Klägerin die Verpflichtung der Beklagten auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung gemäß § 70 StVZO zur Anbringung von 35 beleuchteten Werbeträgern auf Taxen. Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 20. Juli 2005 abgewiesen. Die Klägerin hat am 9. September 2005 die Zulassung der Berufung gegen das verwaltungsgerichtliche Urteil beantragt.

Mit Beschluss des Amtsgerichts F. vom 1. November 2005 (Az.: G.) ist das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Klägerin eröffnet und Herr Rechtsanwalt E. zum Insolvenzverwalter bestellt worden.

Mit Schriftsatz vom 27. August 2006 hat der Insolvenzverwalter erklärt, dass der von der Klägerin verfolgte Anspruch auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nach § 70 StVZO seiner Einschätzung nach zur Insolvenzmasse gehöre und dass das Verfahren nicht aufgenommen werden solle. Auf die Anfrage des Berichterstatters des Senats vom 1. September 2006 betreffend eine Aufnahme des Prozesses durch die Beteiligten hat der (hier und im Folgenden: wegen § 117 InsO vormalige) Prozessbevollmächtigte der Klägerin mitgeteilt, dass der Insolvenzverwalter zur Abgabe der entsprechenden Erklärung bereit sei. Diese werde dem Gericht in den nächsten Tagen zugehen, das Verfahren könne dann fortgeführt werden. Auf den Hinweis des Berichterstatters des Senats vom 23. Oktober 2006, der Insolvenzverwalter habe bereits erklärt, dass er das Verfahren nicht wieder aufnehme, erklärte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin, dass diese das Verfahren aufnehme; die Angelegenheit habe sich wegen einer Erkrankung der zuständigen Anwältin verzögert, die Insolvenzverwalter E. hätten zugesichert, das Gericht kurzfristig entsprechend zu informieren. Unter Bezugnahme auf das an den Prozessbevollmächtigten der Klägerin gerichtete Schreiben des Berichterstatters des Senats vom 23. Oktober 2006 hat sich unter dem 12. November 2006 wiederum der Insolvenzverwalter gemeldet und erklärt, dass er das streitgegenständliche Verfahren entgegen seiner Erklärung vom 27. August 2006 aufnehme. Mit Schriftsatz vom 14. November 2006 hat sich der Prozessbevollmächtigte der Klägerin auf diese Erklärung bezogen.

II.

Der derzeitige Sach- und Streitstand erfordert - insbesondere unter Berücksichtigung der inhaltlich gegensätzlichen Erklärungen des Insolvenzverwalters vom 27. August und 12. November 2006 über eine Aufnahme des Verfahrens - eine förmliche Entscheidung des Senats darüber, ob das Verfahren mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Klägerin am 1. November 2005 gemäß § 173 VwGO i.V.m. § 240 ZPO unterbrochen worden ist und eine solche Unterbrechung durch die Erklärung des Insolvenzverwalters (vom 12. November 2006) beendet worden ist. Der Senat ist zu der Überzeugung gelangt, dass das über das Vermögen der Klägerin eröffnete und noch nicht abgeschlossene Insolvenzverfahren die gesetzliche Unterbrechungswirkung des § 173 VwGO i.V.m. § 240 Satz 1 ZPO herbeigeführt hat und dass diese Wirkung nach wie vor andauert. Die auf eine Aufnahme des Verfahrens im Sinne des § 85 Abs. 1 Satz 1 InsO gerichtete Erklärung des Insolvenzverwalters vom 12. November 2006 konnte in Anbetracht der von diesem nach § 85 Abs. 2 InsO unter dem 27. August 2006 ausgesprochenen Ablehnung der Verfahrensaufnahme keine Wirkung mehr entfalten. Eine Aufnahme des Rechtsstreits nach § 85 Abs. 2 InsO durch die Klägerin oder die Beklagte ist bisher nicht erfolgt.

Voraussetzung für eine Verfahrensunterbrechung nach § 173 VwGO i.V.m. § 240 Satz 1 ZPO ist, dass das Verfahren die Insolvenzmasse im Sinne des § 35 InsO betrifft, also das gesamte Vermögen, das dem Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehört und das er während des Verfahrens erlangt. Dies ist zu bejahen, wenn das anhängige Verfahren in rechtlicher oder wenigstens wirtschaftlicher Beziehung zur Insolvenzmasse steht bzw. das im Verfahren für oder gegen den Insolvenzschuldner geltend gemachte Recht ganz oder teilweise zu Gunsten oder zu Lasten des zur Insolvenzmasse gehörenden Schuldnervermögens in Anspruch genommen wird (Hess. VGH, Beschl. v. 21.11.2005 - 6 TG 1992/05 -; ZIP 2006, 923 f.).

In der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung werden Streitigkeiten um personengebundene Erlaubnisse wegen ihres höchstpersönlichen Charakters nicht der gemäß § 80 Abs. 1 InsO dem alleinigen Verwaltungs- und Verfügungsrecht des Insolvenzverwalters unterliegenden Insolvenzmasse zugerechnet (für Gewerbeuntersagungsverfügungen: BVerwG, Beschl. v. 18.1.2006 - BVerwG 6 C 21.05 -, NVwZ 2006, 599 f.; Hess. VGH, Urt. v. 21.11.2002 - 8 UE 3195/01 -, NVwZ 2003, 626; für die Erlaubnis zum Führen der nach § 11 NIngG geschützten Berufsbezeichnung beratender Ingenieur: 8. Senat des beschließenden Gerichts, Beschl. v. 17.1.2007 - 8 PA 178/06 -, NJW 2007, 1224; für Genehmigungen nach dem nordrhein-westfälischen Rettungsgesetz: OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 2.10.2003 - 13 A 3696/02 -, OVGE 49, 244 ff.; vgl. auch für den Widerruf der Bestellung als Steuerberater gemäß § 46 Abs. 2 StBerG: FG Hamburg, Urt. v. 27.8.2003 - V 234/02 -, EFG 2004, 527 f). Demgegenüber wird Streitigkeiten über Sachgenehmigungen ein Bezug zur Insolvenzmasse beigemessen (VG Gießen, Urt. v. 4.10.2005 - 8 E 2110/04 -, ZIP 2005, 2074 ff.). Die im vorliegenden Fall streitgegenständliche Ausnahmegenehmigung von der Vorschrift des § 49 a Abs. 1 Satz 1 StVZO über die zulässige Beleuchtung von Kraftfahrzeugen ist wie eine sachbezogene Erlaubnis zu behandeln und demgemäß der Insolvenzmasse zuzurechnen, weil ihre Regelungswirkung an das einzelne Kraftfahrzeug (hier: Taxi) und nicht an die Person des jeweiligen Halters bzw. Eigentümers anknüpft.

Der Insolvenzverwalter hat jedoch das streitgegenständliche, die Insolvenzmasse betreffende Verfahren durch seine Erklärung vom 12. November 2006 nicht in rechtsgültiger Weise nach den für das Insolvenzverfahren geltenden Vorschriften - hier des § 85 Abs. 1 Satz 1 InsO - aufgenommen. Denn er hatte die Aufnahme des Rechtsstreites bereits durch seine erste Erklärung vom 27. August 2006 ausdrücklich im Sinne des § 85 Abs. 2 InsO abgelehnt. Diese Erklärung hat die Prozesslage im Sinne einer prozessualen Bewirkungshandlung unmittelbar beeinflusst, weil mit ihr gemäß § 85 Abs. 2 InsO die Befugnis für die Klägerin und den Beklagten verbunden war, ihrerseits den Rechtsstreit aufzunehmen, und ihr nach sachgerechter Auslegung überdies der Charakter einer insolvenzrechtlichen Freigabe des Streitgegenstandes innewohnte (vgl. hierzu: App, in: Wimmer [Hrsg.], Frankfurter Kommentar zur Insolvenzordnung 1999, § 85, Rn. 8, 19). Eine Prozesshandlung mit diesem Inhalt konnte der Insolvenzverwalter nicht einseitig widerrufen (vgl. zur insolvenzrechtlichen Freigabe: BGH, Urt. v. 7.12.2006 - NJW-RR 2007, 845 ff.; für prozessuale Bewirkungshandlungen allgemein: Lüke, in: Münchener Kommentar zur ZPO, Bd. 1 - §§ 1 bis 354 -, 2. Aufl. 2000, Einleitung, Rn. 277; Greger, in: Zöller, ZPO, 26. Aufl. 2007, vor § 128, Rn. 18). Die von dem Insolvenzverwalter mit Schreiben vom 12. November 2006 erklärte Aufnahme des Verfahrens ging demnach ins Leere.

Die Klägerin und die Beklagte haben den Rechtsstreit bisher ebenfalls nicht aufgenommen. Die Beklagte hat sich in keiner Weise geäußert. Die in sich nicht sehr stringenten Erklärungen des Prozessbevollmächtigten der Klägerin sind in ihrer Gesamtheit zur Überzeugung des Senats dahingehend auszulegen, dass sie nicht auf eine Aufnahme des Rechtsstreites durch die Klägerin gerichtet waren (und eine solche vor dem Hintergrund des § 117 InsO wohl auch nicht herbeiführen konnten), sondern eine Aufnahme durch den Insolvenzverwalter befördern sollten. Nach alledem dauert die Unterbrechungswirkung des Insolvenzverfahren über das Vermögen der Klägerin im Sinne des § 173 VwGO i.V.m. § 240 Satz 1 ZPO nach wie vor an.

Ende der Entscheidung

Zurück