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Gericht: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 23.01.2003
Aktenzeichen: 12 LB 532/02
Rechtsgebiete: AsylVfG, AsylbLG


Vorschriften:

AsylVfG § 50 II
AsylVfG § 51
AsylbLG § 10 III
"Verziehen" i.S. d. § 10b Abs. 3 AsylbLG umfasst auch den Umzug von Asylbewerbern nach länderübergreifender Umverteilung gem. § 51 AsylVfG . Der Erstattungspflicht des abgebenden Leistungsträgers stehen etwaige Kostenbelastungen nicht entgegen, weil diese über die landesrechtliche Regelungsermächtigung nach § 50 Abs. 2 AsylVfG bei der landesinternen Verteilung ausgeglichen werden können.
Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Erstattung von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz.

Die Hilfeempfängerin E. F., geb. am G., und ihr Sohn H. F., geb. am I., sind aserbaidschanische Staatsangehörige und stellten im September 1999 nach ihrer Einreise in das Bundesgebiet einen Asylantrag. Zur Durchführung des Asylverfahrens erhielten sie eine Aufenthaltsgestattung, zunächst unter räumlicher Beschränkung auf den Regierungsbezirk Braunschweig. Der Ehemann der Hilfeempfängerin E. F. lebt in Berlin. Am 5. Oktober 1999 stellte die Hilfeempfängerin E. F. für sich und ihr Kind einen Antrag auf länderübergreifende Umverteilung von Niedersachsen nach Berlin, in den Bereich des Klägers. Mit Bescheid vom 29. Oktober 1999 wurden die Hilfeempfängerin E. und ihr Sohn gemäß § 50 Abs. 4 bis 6 i.V.m. § 60 AsylVfG für die Dauer des Asylverfahrens zunächst der Beklagten zugewiesen, die ihnen Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz gewährte. Nachdem der Antrag auf länderübergreifende Umverteilung abgelehnt worden war und die Hilfeempfänger ein Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes angestrengt hatten, wies das Landeseinwohneramt Berlin die Hilfeempfänger mit Bescheid vom 6. April 2000 aufgrund eines Beschlusses des Verwaltungsgerichts Lüneburg vom 17. März 2000 (2 B 14/00) auf ihren Antrag hin unter Aufhebung der bisherigen Zuweisungsentscheidung für die Dauer des Asylverfahrens dem Kläger zum Zwecke der Familienzusammenführung mit dem Ehemann der Hilfeempfängerin zu. Sie erhielten eine Aufenthaltsgestattung zur Durchführung des Asylverfahrens unter räumlicher Beschränkung auf das Land Berlin. Auf Antrag der Hilfeempfänger vom 13. April 2000 gewährte ihnen der Kläger laufende Leistungen nach den Vorschriften des Asylbewerberleistungsgesetzes.

Mit Schreiben vom 10. Mai 2000 meldete der Kläger bei der Beklagten einen Kostenerstattungsanspruch gemäß § 10b Abs. 3 AsylbLG an und bat um dessen Anerkennung. Dies lehnte die Beklagte mit Schreiben vom 13. Juli 2000 ab.

Der Kläger erbrachte für die Hilfeempfänger E. und H. F. zunächst für den Zeitraum vom 13. April 2000 bis zum 20. November 2000 Leistungen in Höhe von 13.856,56 DM (= 7.084,75 €). Am 18. Januar 2001 erhob der Kläger Klage mit der Begründung, der geltend gemachte Kostenerstattungsanspruch aus § 10b Abs. 3 Satz 1 und 2 AsylbLG umfasse auch den Fall, dass ein Asylbewerber im Zuge einer länderübergreifenden Verteilung umziehe. § 10b Abs. 3 AsylbLG sei vom Wortlaut her dem § 107 BSHG nachgebildet. Entscheidend für die Anwendung der Vorschrift sei ein tatsächlicher Wechsel des gewöhnlichen Aufenthaltsortes, ohne dass es darauf ankomme, dass dieser Wechsel Ausdruck der allgemeinen Freizügigkeit sei. Eine andere Auffassung führe zu einem praktischen Leerlauf des § 10b Abs. 3 AsylbLG, da ein Umzug als Ausdruck der allgemeinen Freizügigkeit für einen Asylbewerber wegen der Regelungen des Asylverfahrensgesetzes gar nicht möglich sei. Dies folge auch aus § 10a Abs. 3 Satz 4 AsylbLG, wonach sich der gewöhnliche Aufenthalt nach der Zuweisungs- bzw. Verteilungsentscheidung bestimme. Ein Wechsel des gewöhnlichen Aufenthaltes setze danach begriffsnotwendig eine Änderung der Zuweisungs- bzw. Verteilungsentscheidung voraus. Dementsprechend verlange § 10b Abs. 3 AsylbLG für das Entstehen des Erstattungsanspruches weiter, dass der Umzug ohne Verstoß gegen eine asyl- oder ausländerrechtliche räumliche Beschränkung erfolgt sei. Angesichts der Bindung der Beklagten an Recht und Gesetz sei die Feststellungsklage zulässig. Die mit den Feststellungsanträgen geltend gemachten Ansprüche ließen sich noch nicht abschließend beziffern, da Krankenbehandlungskosten noch nicht abgerechnet worden seien.

Nachdem der Kläger den zunächst auch die Leistungen für das in Berlin geborene Kind J. umfassenden Antrag mit Schriftsatz vom 11. Oktober 2001 zurückgenommen hatte, hat der Kläger beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 13.856,56 DM zu zahlen,

festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger die Kosten für die den Asylbewerbern E. F. und K. F. durch den Kläger weiter zu gewährenden erforderlichen Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu erstatten, längstens jedoch bis zum 16. März 2001,

festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger die Kosten für die den Asylbewerbern E. F. und K. F. gewährten erforderlichen Leistungen für Krankenhilfe nach dem Asylbewerberleistungsgesetz für die Dauer ihrer Leistungsbezüge im Land Berlin zu erstatten, längstens jedoch für den Zeitraum vom 13. April 2000 bis zum 16. März 2001.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat vorgetragen, dass ein Verziehen im Sinne des § 10b Abs. 3 AsylbLG ausschließlich ein auf freiwilligem Entschluss bestehender Wechsel des Aufenthaltsortes sei. Eine Umverteilung könne nicht als Verziehen i.S. der genannten Vorschriften angesehen werden. Dies ergebe sich auch aus der einhellig geäußerten Auffassung - mit Ausnahme des Landes Berlin - des Arbeitskreises IV der Arbeitsgemeinschaft der Landesflüchtlingsverwaltungen. Danach habe die nach der Umverteilung zuständig werdende Behörde keinen Kostenerstattungsanspruch gegen die abgebende Behörde. Folgte man der Auffassung des Klägers, so hätte dies eine Doppelbelastung der Beklagten zur Folge, da sie für einen umverteilten Asylbewerber einen neuen Asylbewerber zugeteilt bekäme und zusätzlich die Kosten für den abgegebenen Asylbewerber weiter tragen müsse. Der Kläger wäre dann begünstigt, da er entsprechend weniger Asylbewerber aufnehmen müsse und zusätzlich die Kosten für Leistungen an den umverteilten Asylbewerber erstattet bekäme. Nach dem Erlass des Niedersächsischen Innenministeriums vom 3. August 1999 habe deswegen eine Kostenerstattung nicht zu erfolgen, wenn der Asylbewerber aufgrund einer Umverteilung den Aufenthaltsorts wechsele.

Das Verwaltungsgericht Braunschweig hat der Klage des Klägers mit Urteil vom 21. März 2002 stattgegeben und die Beklagte verurteilt, an den Kläger 7.084,75 € (=13.856,56 DM) zu zahlen. Weiterhin hat das Verwaltungsgericht Braunschweig festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet sei, dem Kläger die Kosten für die den Asylbewerbern E. F. und K. F. durch den Kläger weiter gewährten erforderlichen Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz einschließlich der erforderlichen Leistungen für Krankenhilfe zu erstatten, längstens jedoch für den Zeitraum bis zum 16. März 2001. Soweit der Kläger hinsichtlich des nach der Umverteilung in Berlin geborenen Kindes J. die Klage zurückgenommen hatte, hat das Verwaltungsgericht Braunschweig das Verfahren eingestellt.

Das Verwaltungsgericht Braunschweig hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, dass nach dem Wortlaut und Wortsinn unter "Verziehen" i.S. des § 10b Abs. 3 Satz 1 AsylbLG grundsätzlich jeder rechtmäßige tatsächliche Ortswechsel zu verstehen sei, also jeder Wegzug des Leistungsberechtigten vom bisherigen gewöhnlichen Aufenthaltsort und Zuzug zum neuen Aufenthaltsort. Das wortgleiche Merkmal des Verziehens sei dem Wortsinn nach in § 10b Abs. 3 AsylbLG ebenso auszulegen wie in § 107 BSHG, für dessen Anwendung es ohne Bedeutung sei, warum ein Ortswechsel stattgefunden habe. Deshalb falle auch ein Aufenthaltswechsel, der aufgrund einer länderübergreifenden Umverteilung nach § 51 AsylVfG erfolge, unter den Tatbestand des § 10b Abs. 3 AsylbLG. Dies habe zwar möglicherweise die Folge, dass der kostenerstattungspflichtige Hilfeträger im Falle einer Umverteilung bei gleichzeitiger Neuzuweisung von Asylbewerbern im Rahmen der Aufnahmequote in doppelter Weise zur Kostentragung verpflichtet sei. Den Gesetzgebungsmaterialien lasse sich jedoch nicht entnehmen, ob der Gesetzgeber dieses Ergebnis gesehen und in Kauf genommen habe. Jedenfalls fehle es im Asylbewerberleistungsgesetz an einer Vorschrift, die, wie § 108 Abs. 6 BSHG, Fälle, in denen ein Aufenthaltswechsel aufgrund behördlicher Umverteilung erfolge, von der Kostenerstattung ausnehme. Da nach § 10a Abs. 3 Satz 4 AsylbLG ein Wechsel des gewöhnlichen Aufenthaltes abweichend von § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I eine Änderung der Zuweisung- bzw. Verteilungsentscheidung voraussetze, die im Falle des § 51 AsylVfG einen Antrag des Ausländers erfordere, spreche auch der Anwendungsbereich des § 10b Abs. 3 AsylbLG dagegen, die Fälle der Umverteilung nach § 51 AsylVfG von der Kostenerstattungspflicht auszunehmen. Gegen eine von der Wortbedeutung des Begriffes "Verziehen" abweichende einschränkende Auslegung spreche zudem, dass damit gerade die Hauptgruppe der Leistungsberechtigten nach § 1 Abs. 1 AsylbLG nicht dem Anwendungsbereich des § 10b Abs. 3 AsylbLG unterfiele. Schließlich sei zu berücksichtigen, dass die Kostenerstattungspflicht lediglich auf ein Jahr nach dem Verziehen des Leistungsberechtigten beschränkt werde und weiter durch den Umstand gemildert werde, dass z.B. im Falle von Familienzusammenführungen oder im Falle einer Umverteilung aus sonstigen humanitären Gründen regelmäßig besonders die Kostenträger auf längere Zeit belastet würden, die für den Personenkreis des § 1 Abs. 1 AsylbLG als Zuzugsträger einen besonderen Anreiz zum Zuzug böten. Dies seien in der Regel Ballungsgebiete, Großstädte mit besonderen sozialen Einrichtungen und sonstige Gebiete, in denen bereits ein hoher Anteil des fraglichen Personenkreises lebe.

Die Beklagte hat am 6. Mai 2002 beantragt, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Braunschweig vom 21. März 2002 zuzulassen. Der erkennende Senat hat die Berufung mit Beschluss vom 10. Juli 2002 (12 LA 465/02) zugelassen.

Die Beklagte vertieft ihr bisheriges Vorbringen und trägt zur Begründung ihrer Berufung ergänzend vor, dass das "Verziehen" i.S. des § 10b AsylbLG nicht entsprechend § 107 BSHG auszulegen sei, weil das Sozialhilferecht in anderer Weise von dem Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen geprägt sei als das Asylbewerberleistungsgesetz (§ 97 Abs. 1 Satz 1 BSHG, § 55 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG). Der Anwendungsbereich des § 10b Abs. 3 AsylbLG laufe bei dieser Auffassung nicht leer, weil er noch der Gruppe der Bürgerkriegsflüchtlinge bzw. dem leistungsberechtigten Personenkreis, der eine Duldung nach § 55 AuslG besitze und räumlich nicht auf einen bestimmten Ort beschränkt sei, zur Verfügung stehe. Die Anwendung der Kostenerstattungsvorschrift in den Fällen der Umverteilung würde dem Grundsatz der gerechten Lastenverteilung wiedersprechen, zumal der umverteilte Asylbewerber bei dem aufnehmenden Leistungsträger bei der nächst folgenden Verteilung berücksichtigt werde, der aufnehmende Leistungsträger also keinen zusätzlichen Bewerber aufzunehmen habe. Die ermittelten Zahlen ergäben, dass das Land Niedersachsen in den Jahren 2000, 2001 und 2002 im Rahmen von Umverteilungen mehr Asylbewerber aufgenommen habe, als es abgegeben habe. Aus dem Land Berlin habe es 35 Personen aufgenommen, demgegenüber seien neun Personen nach Berlin umgezogen. Umverteilte Personen würden auf die Aufnahmequote des aufnehmenden Landes angerechnet und von der des abgebenden Landes abgezogen. Es finde lediglich eine Korrektur der Erstverteilung statt. Im Ergebnis seien daher Umverteilungen nach dem Asylverfahrensgesetz für die beteiligten Länder personen- und kostenneutral. Landesintern finde ebenfalls eine Verteilung nach Quoten statt, die zu einer gleichmäßigen Kostenbelastung der Kommunen führen solle.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Braunschweig zu ändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verweist auf sein bisheriges Vorbringen und trägt ergänzend vor, dass das Land Berlin aufgrund der länderübergreifenden Umverteilung im Zeitraum vom 1. Januar 2000 bis zum 30. September 2002 ein Zugangsplus von 119 Personen (Differenz von 253 zu 134) zu verzeichnen habe. Drei Kommunen hätten bislang Kostenerstattungsanträge gegen den Kläger geltend gemacht. Nach erfolgter Umverteilung nach Berlin hätten bislang 16 Kommunen ihre Kostenerstattungspflicht gemäß § 10b Abs. 3 AsylbLG gegenüber dem Land Berlin anerkannt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet.

Das Verwaltungsgericht hat der Klage zu Recht stattgegeben. Der Kläger hat einen Anspruch auf Kostenerstattung gemäß § 10b Abs. 3 AsylbLG für die Zeit vom 13. April 2000 bis zum 16. März 2001.

Nach § 10b Abs. 3 Satz 1 AsylbLG ist die Behörde des bisherigen Aufenthaltsorts verpflichtet, der nunmehr zuständigen Behörde die dort erforderlichen Leistungen außerhalb von Einrichtungen i.S. des § 10a Abs. 2 Satz 1 AsylbLG zu erstatten, wenn der Leistungsberechtigte ohne Verstoß gegen eine asyl- oder ausländerrechtliche räumliche Beschränkung vom Ort seines bisherigen gewöhnlichen Aufenthalts verzieht und innerhalb eines Monats nach dem Aufenthaltswechsel dieser Leistungen bedarf. Die Erstattungspflicht endet spätestens nach Ablauf eines Jahres seit dem Aufenthaltswechsel (§ 10b Abs. 3 Satz 2 AsylbLG).

Diese Voraussetzungen liegen hier vor.

"Verziehen" i.S. des § 10b Abs. 3 Satz 1 AsylbLG ist jeder tatsächliche Ortswechsel, also jeder Wegzug des Leistungsberechtigten vom bisherigen und Zuzug zum neuen Ort des gewöhnlichen Aufenthalts, sofern der Ortswechsel rechtmäßig erfolgte (vgl. GK-AsylbLG, Kommentar, Loseblattsammlung, Stand: September 2002, § 10b RdNr. 74). Die Hilfeempfänger F. hatten ihren gewöhnlichen Aufenthalt zunächst im Bereich der örtlichen Zuständigkeit der Beklagten und sind sodann ohne Verstoß gegen asyl- oder ausländerrechtliche räumliche Beschränkungen nach Berlin verzogen.

Der Anwendung des § 10b Abs. 3 AsylbLG steht im vorliegenden Fall nicht entgegen, dass der Umzug der Hilfeempfänger aufgrund einer länderübergreifenden Verteilung nach § 51 AsylVfG erfolgte. Denn der Grund für den Ortswechsel ist ebenso unerheblich wie der Wille zum Umzug (GK, a.a.O., RdNr. 75; so auch VG Greifswald, Urt. v. 26.1.1999 - 5 A 559/98 -; VG Magdeburg, Urt. v. 25.1.2002, 6 A 581/00 MD -; VG Chemnitz, Urt. v. 6.12.2000 - 5 K 1533/98 -; in diesem Punkt auch zustimmend VG Leipzig, Urt. v. 5.6.2002 - 2 K 1015/98 -, zitiert nach JURIS; VG Potsdam, Urt. v. 16.4.2002 - 7 K 3466/98 -). Der in Ziffer 8 des Ergebnisprotokolls einer länderoffenen Arbeitsgruppe des Arbeitskreises 4 der Arbeitsgemeinschaft der Landesflüchtlingsverwaltungen (abgedr. unter GK-AsylbLG III - § 10a RdNr. 122) vertretenen Auffassung, der sich alle Bundesländer (mit teilweiser Ausnahme Berlins) und die Bundesministerien für Arbeit und Sozialordnung und des Innern angeschlossen haben, dass das Verziehen i.S. des § 10b Abs. 3 AsylbLG einen ausschließlich auf einem freiwilligen Entschluss bestehenden Wechsel des Aufenthaltsortes darstelle (so auch VG Karlsruhe, Urt. v. 13.7.2001 - 8 K 3441/99, zitiert nach JURIS; VG Dresden, Urt. v. 27.8.2001 - 6 K 1418/98 -), kann nicht gefolgt werden. Nach dieser Ansicht ist die Umverteilung eines Asylbewerbers nach § 51 AsylVfG nicht als ein Verziehen i.S. des § 10b Abs. 3 AsylbLG zu qualifizieren, sondern lediglich der eigenständige Wechsel des Aufenthaltsortes ohne Zuweisungs- oder Verteilungsentscheidung. Diese Auffassung lässt sich jedoch weder auf den Wortlaut noch auf systematische Rechtsüberlegungen stützen. Wie sich aus den Gesetzesmaterialien (BT-Drs. 13/2746, S. 18) ergibt, ist die Vorschrift über die Kostenerstattung des § 10b den Regelungen der §§ 103 und 107 BSHG nachgebildet. § 107 BSHG unterscheidet nicht zwischen freiwilligen und unfreiwilligen Umzügen. Vielmehr ist es für den Kostenerstattungsanspruch nach § 107 BSHG ohne Bedeutung, warum ein Ortswechsel stattgefunden hat (W. Schellhorn/H. Schellhorn, BSHG, Kommentar, 16. Aufl. 2002 § 107 RdNr. 5). § 10b Abs. 3 AsylbLG sieht eine Erstattung der erforderlichen Leistungen der nunmehr zuständigen Behörde vor, in deren Bereich ein Leistungsberechtigter innerhalb eines Monats nach einem umzugsbedingten Aufenthaltswechsel solcher Leistungen außerhalb einer Einrichtung bedarf. Der Gesetzgeber hat demnach auch in dieser Vorschrift nicht zwischen Gründen für den Ortswechsel unterschieden (siehe auch BT-Drs. 13/2746, S. 18). Dafür, dass § 10b AsylbLG nicht nur einen freiwilligen Umzug als Ausdruck der allgemeinen Freizügigkeit im Sinne eines eigenständigen Umzugs ohne Verteilung oder Zuweisung meint, spricht die in § 10a Abs. 3 Satz 4 AsylbLG verankerte Definition des Begriffs des gewöhnlichen Aufenthalts für verteilte oder zugewiesene Personen. Nach § 10a Abs. 1 Satz 1 AsylbLG ist für diesen Personenkreis für Leistungen nach diesem Gesetz örtlich zuständig die nach § 10 AsylbLG bestimmte Behörde, in deren Bereich der Leistungsberechtigte auf Grund der Entscheidung der vom Bundesministerium des Innern bestimmten zentralen Verteilungsstelle verteilt oder von der im Land zuständigen Behörde zugewiesen worden ist. Ist jemand nach § 10a Abs. 1 Satz 1 verteilt oder zugewiesen worden, so gilt dieser Bereich als sein gewöhnlicher Aufenthalt (§ 10a Abs. 3 Satz 4 AsylbLG). Die Verteilung oder Zuweisung ist damit für den verteilten oder zugewiesenen Personenkreis maßgebend für den gewöhnlichen Aufenthalt sowie dessen Wechsel (Verziehen). Dies korrespondiert mit der Vorschrift des § 10b Abs. 3 AsylbLG, der für das Entstehen des Erstattungsanspruchs weiter verlangt, dass das "Verziehen" ohne Verstoß gegen eine asyl- oder ausländerrechtliche räumliche Beschränkung erfolgt ist, dass also eine Änderung der Zuweisungs- bzw. Verteilungsentscheidung erfolgt ist.

Weiterhin käme § 10b Abs. 3 AsylbLG bei einer auf eine Freiwilligkeit (im Sinne der Eigenständigkeit) eingeschränkten Auslegung des "Verziehens" für eine zentrale Zielgruppe der in § 1 Abs. 1 AsylbLG genannten Leistungsberechtigten nicht zur Anwendung. Als Leistungsberechtigte, die nicht notwendigerweise einer Zuweisung unterliegen, kommen vor allem Bürgerkriegsflüchtlinge (§ 1 Abs. 1 Nr. 3 AsylbLG; § 32a Abs. 5 AuslG) und nach § 55 AuslG geduldete Ausländer (§ 1 Abs. 1 Nr. 4 AsylbLG; § 56 Abs. 3 Satz 1 AuslG) in Betracht. Diese Leistungsberechtigten können grundsätzlich ohne Zuweisungsentscheidung innerhalb eines Bundeslandes in den Zuständigkeitsbereich eines neuen Hilfeträgers verziehen. Sobald sie aber in den Bezirk einer Ausländerbehörde eines anderen Bundeslandes wechseln wollen, benötigen sie ebenfalls deren Zustimmung (§ 32a Abs. 5 Satz 4 AuslG; vgl. Renner, Ausländerrecht, 7. Aufl. 1999, § 32 a AuslG Rn. 11) bzw. zusätzlich das Einvernehmen der bisherigen Ausländerbehörde (vgl. Renner, a.a.O., § 56 AuslG Rn. 7). Die große Gruppe der um Asyl nachsuchenden Ausländer (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 AsylbLG) wird landesintern nach § 50 AsylVfG und in Ausnahmefällen länderübergreifend nach § 51 AsylVfG durch Zuweisungsbescheide verteilt. Ein Kostenerstattungsanspruch nach § 10b Abs. 3 AsylbLG entfiele hinsichtlich dieser Personen mangels "Freiwilligkeit" auch bei landesinternen Verteilungen nach § 50 AsylVfG (so in dem Fall des VG Karlruhe, a.a.O.)

Schließlich wäre - selbst wenn man das Tatbestandsmerkmal des "Verziehens" auf einen freiwilligen Umzug einschränken wollte - im vorliegenden Fall eine Freiwilligkeit zu bejahen. Denn die Umverteilungsentscheidung nach § 51 Abs. 1 AsylVfG setzt gemäß § 51 Abs. 2 Satz 1 AsylVfG einen Antrag des betreffenden Ausländers voraus. Der Antrag der Hilfeempfänger F. wegen Familienzusammenführung beruhte auf freiwilliger Willensentschließung. Diesem Wunsch ist das Landeseinwohneramt Berlin durch Umverteilungsbescheid vom 6. April 2000 nachgekommen. Der Freiwilligkeit der Hilfeempfänger steht nicht entgegen, dass die Umverteilungsverfügung eine Verpflichtung zum Verziehen ausspricht. Denn die mit dieser Verfügung entstehende Verpflichtung ist von den Hilfeempfängern mit ihrem Antrag gerade beabsichtigt worden.

Ein Bedürfnis, im Falle der länderübergreifenden Verteilung nach § 51 AsylVfG von der Anwendung des § 10b Abs. 3 AsylbLG abzusehen, ergibt sich auch nicht im Hinblick auf Sinn und Zweck dieser Regelung. Bei der Einfügung des § 10b AsylbLG ging es darum, eine bundeseinheitliche Grundlage für einen weiteren finanziellen Ausgleich der Leistungsträger untereinander zu schaffen und damit ungerechtfertigte Belastungen zwischen ihnen weitgehend zu vermeiden (GK-AsylbLG, a.a.O., § 10b RdNr. 2; vgl. VG Karlsruhe, a.a.O.), weil die von § 9 Abs. 3 AsylbLG angeordnete Verweisung auf §§ 102 bis 114 SGB X nicht als ausreichend erachtet wurde. Dies steht in Übereinklang mit der Bedeutung der Regelung des § 107 BSHG, dem - wie bereits dargelegt - § 10b AsylbLG nachgebildet ist. Sinn und Zweck des § 107 BSHG ist die Vermeidung unberechtigter Kostenverschiebungen bei Umzug in den Bereich eines anderen örtlichen Trägers (vgl. W. Schellhorn/ H. Schellhorn, a.a.O., § 107 RdNr. 1). Die Anwendung des § 10b Abs. 3 AsylbLG führt im Falle der länderübergreifenden Verteilung nach § 51 AsylVfG nicht zu einem unbilligen Rechtszustand, der zu einer Rechtsfortbildung zwänge (so aber VG Karlsruhe, a.a.O.; VG Leipzig, a.a.O; VG Potsdam, a.a.O; VG Dresden, a.a.O.). Einer teleologischen Reduktion des Anwendungsbereichs des § 10b Abs. 3 AsylbLG dahingehend, die Kostentragungspflicht bei einem Verziehen des Leistungsberechtigten im Falle einer länderübergreifenden Verteilung auf den aufnehmenden Leistungsträger übergehen zu lassen, steht bereits der eindeutige Wortlaut des § 10b Abs. 3 AsylbLG entgegen. Die Vorschrift des § 10b AsylbLG ist umfassend geregelt und enthält keinen Zusatz, dass eine Erstattungspflicht bei Umverteilungen ausgeschlossen sei. Eine dem § 108 Abs. 6 BSHG entsprechende Bestimmung hat der Gesetzgeber insoweit nicht getroffen.

Der Anwendung des § 10b Abs. 3 AsylbLG steht nicht entgegen, dass die Aufnahme und Abgabe von Asylbewerbern bei einer länderübergreifenden Verteilung nach § 51 AsylVfG auf die Aufnahmequote nach § 45 AsylVfG angerechnet wird (§ 52 AsylVfG). Denn § 10b Abs. 3 AsylbLG begründet einen Erstattungsanspruch der nunmehr zuständigen Behörde, während sich die Verteilung der Asylbewerber nach Quoten gemäß §§ 44, 45 AsylVfG an die Länder richtet. Eine Umverteilung gemäß § 51 Abs. 1 AsylVfG - wie im vorliegenden Fall - führt nach § 52 AsylVfG lediglich dazu, dass die im Wege der länderübergreifenden Verteilung nach § 51 Abs. 1 AsylVfG umverteilten Leistungsberechtigten auf die Quote nach § 45 AsylVfG, mithin auf die Länderquote angerechnet werden (wobei die Erfüllung der Aufnahmequote des Aufnahmelandes einer Verteilung nach § 51 AsylVfG nicht entgegensteht (Renner, a.a.O., § 52 AsylVfG, RdNr. 2), d.h. das Land auch dann einen Asylbewerber im Falle einer Umverteilung nach § 51 AsylVfG aufnehmen muss, wenn seine Aufnahmequote schon erfüllt ist). Deshalb ist einerseits nach dem Bundesrecht nicht zwingend, dass den abgebenden Hilfeträger tatsächlich für ein Jahr eine doppelte Kostentragungspflicht trifft, weil er für den umgezogenen Asylbewerber aufkommen muss und zugleich wegen des Weggangs dieses Ausländers gemäß der Aufnahmequote verpflichtet ist, einen neuen Asylbewerber aufzunehmen und für dessen Kosten ebenfalls aufzukommen. Im Hinblick auf die abgebende und aufnehmende Behörde (Hilfeträger) hat die Umverteilung insoweit keinen unmittelbaren Einfluss.

Andererseits wird auch die nunmehr zuständige Behörde (Hilfeträger), in deren Zuständigkeitsbereich der Hilfeempfänger aufgrund der länderübergreifenden Umverteilungsentscheidung verzieht, bundesrechtlich nicht entlastet. (Auf den hier vorliegenden besonderen Sachverhalt, dass der Hilfeempfänger in einen Stadtstaat verzieht, in dem das Land als Kommune zugleich die zuständige Behörde nach dem AsylbLG ist, kann für die Auslegung des § 10b Abs. 3 AsylbLG nicht abgestellt werden.) Der Erstattungsregelung des § 10b Abs. 3 AsylbLG entspricht es aber gerade, den nunmehr zuständigen Hilfeträger für ein Jahr zu entlasten, indem ihm die bisher zuständige Behörde die Aufwendungen erstattet.

Schließlich kann das Land etwaige Doppelbelastungen der abgebenden Behörde durch die landesinterne Verteilung nach § 50 Abs. 2 AsylVfG und die damit einhergehende Regelungsermächtigung ausgleichen, etwa dadurch, dass die Erstattungsleistungen entweder bei der Ermittlung der Quote für diese Kommune oder bei den pauschalen Zuweisungen des Landes für die Kosten pro Person berücksichtigt werden (etwa durch Änderung des Nds. Gesetzes zur Aufnahme von ausländischen Flüchtlingen v. 12. Juni 1997, Nds.GVBl. 1997, 264 f. i.d.F. v. 22. Juni 2000, NdsGVBl. 2000, 138 und der Nds. Verordnung über Zuständigkeiten und Kostenträgerschaft nach dem AsylbLG v. 9. November 1993, Nds.GVBl. 1993, 545 i.d.F. vom 22. Juni 2000, Nds. GVBl. 2000, 138). Die Anwendbarkeit des § 10b Abs. 3 AsylbLG kann nicht davon abhängig sein, ob landesrechtliche Vorschriften i.S. des § 50 Abs. 2 AsylVfG eine Regelung über die Kostenentlastung des abgebenden Leistungsträgers enthalten. Anderenfalls käme § 10 b Abs. 3 AsylVfG nur in den Bundesländern, in denen eine entsprechende Kostenentlastung bei der landesinternen Verteilung landesrechtlich geregelt ist, zur Anwendung, nicht aber in den anderen Bundesländern, die eine solche Kostensentlastung landesrechtlich nicht vorsehen. Die Auslegung der bundesrechtlichen Regelung des § 10b Abs. 3 AsylbLG ist nicht an das Bestehen landesrechtlicher Kostenerstattungsregelungen gebunden.

Im übrigen spricht gegen eine vollständige doppelte Kostenbelastung der Beklagten, dass ihr - wenn ihr trotz der Kostenerstattungspflicht hinsichtlich des abgegebenen Asylbewerbers ein neuer Asylbewerber zugewiesen wird - das Land Niedersachen für diesen neuen Asylbewerber nach § 2 der Nds. Verordnung über Zuständigkeiten und Kostenträgerschaft nach dem AsylbLG (a.a.O) i.V.m. § 3 Nds. Aufnahmegesetz (a.a.O) zur Abgeltung dieser Kosten Pauschalen erstattet.

Selbst wenn aber die Erstattungspflicht in Fällen wie dem vorliegenden eine doppelte Kostentragungspflicht zur Folge hätte, würde sie nicht die Grenze der Unbilligkeit zu Lasten des abgebenden Hilfeträgers überschreiten. Der Senat stimmt den Ausführungen des Verwaltungsgerichts zu, dass die wirtschaftlichen Kosten dadurch abgemildert sind, dass die Kostenerstattungspflicht ein Jahr nach dem Verziehen des Leistungsberechtigten endet und dass z.B. im Falle der Familienzusammenführungen oder im Falle einer Umverteilung aus sonstigen humanitären Gründen, wie z.B. wegen einer körperlichen oder seelischen Erkrankung, regelmäßig besonders die Kostenträger auf längere Zeit belastet werden, die für den Personenkreis des § 1 Abs. 1 AsylbLG als Zuzugsträger einen besonderen Anreiz zum Zuzug bieten. Dies sind in der Regel Ballungsgebiete und Großstädte mit besonderen sozialen Einrichtungen. Auch können wegen Erkrankungen umzuverteilende Ausländer besonders hohe Ansprüche nach §§ 4, 6 AsylbLG geltend machen. Solche besonderen Kosten fallen ein Jahr nach dem Umzug des Leistungsberechtigten dem aufnehmenden Leistungsträger zur Last und entlasten dann insofern den bisherigen Leistungsträger. Es wäre unbillig, die bei derartigen Behandlungsfällen entstehenden hohen Kosten allein den aufnehmenden Leistungsträgern aufzubürden.

Im übrigen obliegt es allein dem Gesetzgeber, Unbilligkeiten, die bei der Anwendung des § 10b Abs. 3 AsylbLG auftreten können, zu korrigieren.

Ende der Entscheidung

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