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Gericht: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 10.02.2009
Aktenzeichen: 12 ME 361/08
Rechtsgebiete: FeV


Vorschriften:

FeV Anlage 4 Nr. 9.2.2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I.

Der Antragsgegner entzog dem Antragsteller mit Bescheid vom 23. September 2008 dessen Fahrerlaubnis und ordnete die sofortige Vollziehung an. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass bei dem Antragsteller ein Fahreignungsmangel im Sinne der Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zu §§ 11 bis 14 FeV vorliege. Er sei gelegentlicher Konsument von Cannabis und könne zwischen dem Konsum von Cannabis und der Teilnahme am Straßenverkehr nicht trennen. Dem Entziehungsbescheid lag zugrunde, dass der Antragsteller am 6. Juli 2008 in C. auf der D. ein Kraftfahrzeug unter dem Einfluss von Cannabis geführt hatte. Eine ihm entnommene Blutprobe hatte den Nachweis von 21,1 ng/ml THC und 88,6 ng/ml THC-Carbonsäure im Serum erbracht.

Das Verwaltungsgericht hat die aufschiebende Wirkung der gegen den Entziehungsbescheid erhobenen Klage des Antragstellers (Aktenzeichen des VG: 7 A 2874/08) mit dem im Tenor bezeichneten Beschluss wiederhergestellt. Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, es spreche viel dafür, dass die Klage Erfolg haben werde. Zumindest seien die Erfolgsaussichten in der Hauptsache als offen anzusehen. Der bisher festgestellte Sachverhalt rechtfertige die Entziehung der Fahrerlaubnis nicht. Bislang stehe noch nicht zweifelsfrei fest, dass der Antragsteller gelegentlicher Konsument von Cannabis sei. Er habe einen mehrmaligen Konsum nicht eingeräumt. Anlässlich des Vorfalls am 6. Juli 2008 habe er sich gegenüber der Polizei überhaupt nicht zu seinem Konsumverhalten geäußert. Seine Einlassung im gerichtlichen Verfahren, er habe nur wenige Stunden, bevor er von der Polizei am 6. Juli 2008 um 22.05 Uhr beim Führen eines Kraftfahrzeuges angehalten worden sei, erstmals und einmalig Cannabis konsumiert, lasse sich nicht zweifelsfrei widerlegen. Allein aus einem THC-COOH-Wert von 88,6 ng/ml im Blut könne nicht mit Sicherheit auf einen mehrmaligen Konsum geschlossen werden. Eine derartige Schlussfolgerung sei aus wissenschaftlicher Sicht jedenfalls dann nicht möglich, wenn - wie hier vom Antragsteller angegeben - das Betäubungsmittel nur wenige Stunden vor der Blutentnahme konsumiert worden sei. Lasse sich der gelegentliche Konsum von Cannabis nicht nachweisen, so könne die Entziehungsverfügung nicht (allein) darauf gestützt werden, dass der Antragsteller am 6. Juli 2008 bewiesen habe, dass er das Führen von Kraftfahrzeugen nicht vom Cannabiskonsum zu trennen vermöge. Der Antragsgegner habe die Voraussetzungen der Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV nicht ohne weitere Sachaufklärung bejahen dürfen. Die Ermittlungen darüber, ob der Antragsteller tatsächlich lediglich einmal Cannabis konsumiert habe, könnten gegebenenfalls noch im Klageverfahren - etwa durch Einholung entsprechender Sachverständigengutachten - nachgeholt werden, so dass der Erfolg des Rechtsbehelfs in der Hauptsache als offen anzusehen sei. Die danach anzustellende Interessenabwägung führe zur Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der vom Antragsteller erhobenen Klage. Denn die bloße Möglichkeit, dass die Behauptung des Antragstellers, er habe lediglich einmalig Cannabis konsumiert, durch ein ärztliches Gutachten widerlegt werden könnte, reiche nicht aus, um den Antragsteller zum Entscheidungszeitpunkt wie einen ungeeigneten Kraftfahrzeugführer zu behandeln.

II.

Die Beschwerde des Antragsgegners hat keinen Erfolg. Das Beschwerdevorbringen, auf dessen Überprüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigt eine Änderung des erstinstanzlichen Beschlusses bereits deshalb nicht, weil es dem Darlegungserfordernis gemäß § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO nicht genügt. Danach muss die Beschwerde einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzen.

Das Verwaltungsgericht hat näher ausgeführt, ein gelegentlicher Cannabiskonsum des Antragstellers könne auf der Grundlage der bisherigen Ermittlungen nicht zweifelsfrei festgestellt werden. Deshalb stehe auch ein Eignungsmangel im Sinne der Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV nicht zweifelsfrei fest, obwohl der Antragsteller durch den Vorfall am 6. Juli 2008 bewiesen habe, dass er das Führen von Kraftfahrzeugen nicht vom Cannabiskonsum zu treffen vermöge. Das Verwaltungsgericht hat die Erfolgsaussichten der gegen den angefochtenen Entziehungsbescheid erhobenen Klage unter diesen Umständen als offen angesehen und die aufschiebende Wirkung der Klage aufgrund der danach gebotenen Interessenabwägung wiederhergestellt. Der Antragsgegner setzt sich mit dieser an den Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung in der Hauptsache orientierten Interessenabwägung nicht hinreichend auseinander. Soweit er zur Gelegentlichkeit des Cannabiskonsums Stellung nimmt, räumt er selbst ein, dass der Begriff in der Rechtsprechung nicht einheitlich ausgelegt wird und insbesondere die vom Oberverwaltungsgericht Hamburg (vgl. Beschl. v. 13.6.2005 - 3 Bs 87/05 -, zfs 2005, 626, und vom 15.12.2005 - 3 Bs 214/05 -, NJW 2006, 1367) vertretene Auffassung, bereits die einmalige Einnahme reiche für eine gelegentliche Einnahme aus, von anderen Obergerichten (vgl. nur BayVGH, Beschl. v. 25.1.2006 - 11 CS 05.1453 -, zfs 2006, 294; VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 29.9.2003 - 10 S 1294/03 -, zfs 2004, 43; OVG Brandenburg, Beschl. v. 13.12.2004 - 4 B 206/04 -, BA 43, 161; OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschl. v. 9.12.2006 - 1 M 142/06 -, juris) nicht geteilt wird. Auch der beschließende Senat verlangt für die Annahme eines gelegentlichen Konsums einen mehrmaligen, d. h. zumindest zweimaligen Konsum (st. Rspr., vgl. Beschl. v. 19.2.2008 - 12 ME 4/08 -, vom 26.6.2008 - 12 ME 138/08 - und vom 20.8.2008 - 12 ME 184/08 -). Denn bereits der Wortlaut des Begriffs der Gelegentlichkeit schließt es aus, hierunter ein nur einmaliges Ereignis zu fassen. Das vorliegende Verfahren gibt für eine abweichende Beurteilung keinen Anlass.

Die weiteren Ausführungen des Antragsgegners dazu, ab welcher THC-COOH-Konzentration im Blutserum auf einen zumindest gelegentlichen Konsum geschlossen werden kann, zeigen, dass auch diese Frage in der Rechtsprechung - auch des beschließenden Senats - bisher nicht eindeutig beantwortet ist und die fachmedizinischen Stellungnahmen insoweit kein einheitliches Bild geben (vgl. dazu Berr/Krause/Sachs, Drogen im Straßenverkehrsrecht, Rdnrn. 953 ff.). Das Verwaltungsgericht hat zur Aussagekraft von THC-COOH-Werten ausgeführt, allein aus einem THC-COOH-Wert von 88,6 ng/ml könne noch nicht mit Sicherheit auf einen mehrmaligen Konsum geschlossen werden, wenn die Blutprobe nur wenige Stunden nach dem Konsum im Rahmen einer polizeilichen Verkehrskontrolle entnommen worden sei und auch der THC-Wert für einen zeitnahen Konsum spreche. Die weit überwiegende Rechtsprechung gehe in den letzten Jahren davon aus, dass bei einer THC-COOH-Konzentration von unter 100 ng/ml aus wissenschaftlicher Sicht eine Abgrenzung zwischen einmaligem und gelegentlichem Konsum nicht möglich sei, wenn die Blutentnahme anlassbezogen und ca. 1/2 Stunde bis 2 Stunden nach der Verkehrsteilnahme unter Cannabiseinfluss erfolgt sei. Insoweit hat sich das Verwaltungsgericht auf - von ihm näher zitierte - Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern und weiterer erstinstanzlicher Verwaltungsgerichte berufen. Dabei hat es sich insbesondere die vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof in dessen Beschlüssen vom 27. März 2006 (- 11 Cs 05.1559 -, juris) und vom 16. August 2006 (- 11 Cs 05.3394 -, juris) zugrunde gelegten fachlichen Stellungnahmen zu eigen gemacht, denen zufolge nach derzeitigem Kenntnisstand nicht auszuschließen sei, dass ein einmaliger Cannabiskonsum ohne weiteres zu THC-COOH-Werten von um die 80 ng/ml, möglicherweise gar von bis zu 100 ng/ml im Blut führen kann. Die Beschwerde tritt dieser Einschätzung nicht fachlich fundiert entgegen und entkräftet sie in einer dem Darlegungserfordernis gemäß § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO genügenden Weise nicht. Zwar heißt es in dem vom Antragsgegner in Bezug genommenen Erlass des Nds. Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr vom 4. August 2008 (AZ: 43-300130430) unter Ziff. 2.3, bei einem THC-COOH-Wert ab 75 ng/ml sei bei einer tatnahen Blutentnahme von gelegentlichem Konsum auszugehen. Dieser "Wertebereich" werde nicht nur durch die Rechtsprechung, sondern auch durch eine Vielzahl von rechtsmedizinischen Gutachten belegt, die bei diesen Werten von einem "wiederholten" und somit gelegentlichem Konsum ausgingen. Allerdings werden in dem Erlass, der im gerichtlichen Verfahren ohnehin keine Verbindlichkeit beanspruchen kann, zum Nachweis dieser Einschätzung lediglich zwei Entscheidungen des Verwaltungsgerichts Stuttgart und des Verwaltungsgerichts München aus den Jahren 2003/2004 genannt, wobei zu berücksichtigen ist, dass das Verwaltungsgericht Stuttgart in seinem Beschluss vom 31. Juli 2006 (- 10 K 2124/06 -, juris) nunmehr zu einer abweichenden Beurteilung gelangt ist und die zitierte Entscheidung des Verwaltungsgerichts München noch vor den genannten und zu einer anderen Bewertung gelangenden Entscheidungen des ihm übergeordneten Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs ergangen ist. Bessere und fachlich begründete Erkenntnisse, dass ab einem THC-Carbonsäurewert von 75 ng/ml oder jedenfalls bei dem hier festgestellten Wert von 88,6 ng/ml zwingend auf einen gelegentlichen Konsum geschlossen werden kann, ergeben sich aus dem Erlass jedenfalls nicht und werden von der Beschwerde auch im Übrigen nicht aufgezeigt. Der vom Antragsgegner zitierte Aufsatz von Gehrmann (NZV 2008, 377) kommt in diesem Zusammenhang nicht zu abschließenden Feststellungen, insbesondere nicht zu der Annahme, dass bei Werten in der hier festgestellten Höhe stets die Fahrerlaubnisentziehung ohne weitere Aufklärung gerechtfertigt sei.

Mit seinem Vorbringen, es bestehe im vorliegenden Verfahren ein dringendes Bedürfnis, den für den Nachweis eines gelegentlichen Konsums maßgeblichen Grenzwert zu bestimmen, verkennt der Antragsgegner, dass das vorläufige Rechtsschutzverfahren auf eine nur summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage und nicht darauf angelegt ist, Rechts- oder wie hier Tatsachenfragen grundsätzlich zu klären.

Ende der Entscheidung

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