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Gericht: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 23.07.2009
Aktenzeichen: 13 LA 150/08
Rechtsgebiete: FlHV, LFBG, VO (EG) Nr 853/2004


Vorschriften:

FlHV § 2 Nr. 7a
LFBG § 11 Abs. 1
LFBG § 39 Abs. 2 S. 2 Nr. 3
VO (EG) Nr 853/2004 Anh. I Nr. 1.14
1. Der Senat hält daran fest, dass sog. "3-mm-Fleisch" als "Separatorenfleisch" zu kennzeichnen ist (Fortsetzung Beschl. v. 8.7.2008 - 13 LA 7/08 - u. Beschl. v. 10.8.2006 - 11 ME 74/05 -).

2. Es kommt nicht darauf an, ob die Erzeugung 'einstufig' oder 'zweistufig' erfolgt (Baadern).


Gründe:

Der Zulassungsantrag bleibt ohne Erfolg. Die von der Klägerin geltend gemachten Zulassungsgründe liegen nicht vor. Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit umfassender und zutreffender Begründung zu Recht abgewiesen. Die angefochtene Verfügung des Beklagten vom 6. März 2007 ist rechtlich nicht zu beanstanden. Der Beklagte hat der Klägerin auf der Grundlage der §§ 11 Abs. 1, 39 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 LFBG zu Recht aufgegeben, das in ihrem Betrieb hergestellte sog. 3-mm-Fleisch als Separatorenfleisch (bzw. bei Verbringung in den nicht-deutschsprachigen Raum alternativ unter Verwendung der entsprechenden englischsprachigen Bezeichnung) zu kennzeichnen.

1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr.1 VwGO) bestehen nicht.

Ernstliche Zweifel in diesem Sinne sind dann gegeben, wenn gegen die Richtigkeit des Urteils nach summarischer Prüfung gewichtige Gesichtspunkte sprechen, wovon immer dann auszugehen ist, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt wird. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor.

Auch unter Berücksichtigung des Vorbringens der Klägerin hält der Senat an seiner in dem Beschluss vom 8. Juli 2008 - 13 LA 7/08 - im Anschluss an die Spruchpraxis des früher für das Lebensmittelrecht zuständigen 11. Senats (vgl. Beschl. v. 10.8.2006 - 11 ME 74/05 - LRE 53, 410) vertretenen Sichtweise fest, dass auch das vergleichsweise schonend gewonnene 3-mm-Restfleisch - wie es die Klägerin produziert - ungeachtet seiner Qualität angesichts der nationalen und europarechtlichen Rechtslage unter der Bezeichnung "Separatorenfleisch" in den Verkehr gebracht werden muss (dazu 1.1). Entgegen der Auffassung der Klägerin besteht auch keine Veranlassung, ein Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 234 EG bei dem Europäischen Gerichtshof einzuleiten (dazu 1.2).

1.1. Bei der Bezeichnung "Separatorenfleisch" handelt es sich um einen Rechtsbegriff, dessen Bestimmung nach nationalem Recht, das von EU-Recht überlagert ist, zu erfolgen hat. Nach § 2 Ziff. 7a FlHV ist Separatorenfleisch ein Erzeugnis, "das nach dem Entbeinen durch maschinelles Abtrennen von frischem Fleisch (Restfleisch) von Knochen, ausgenommen Kopfknochen und Rückenknochen sowie Gliedmaßen unterhalb der Karpal- oder Tarsalgelenke und Schweineschwänze, gewonnen worden ist."

Nach der Verordnung (EG) Nr. 853/2004 Anhang I Nr. 1.14 wird Separatorenfleisch als ein Erzeugnis definiert, "das durch Ablösung des an fleischtragenden Knochen nach dem Entbeinen bzw. an den Geflügelschlachtkörpern haftenden Fleisches auf maschinelle Weise so gewonnen wird, dass die Struktur der Muskelfasern sich auflöst oder verändert wird."

Die Voraussetzungen des § 2 FlHV liegen vor, denn die Klägerin gewinnt das infrage stehende Fleisch auf maschinellem Wege. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht die Auffassung des Beklagten bestätigt, dass darüber hinaus auch die Tatbestandsmerkmale der Verordnung (EG) Nr. 853/2004 gegeben sind; denn das von der Klägerin gewonnene sogenannte "3-mm-Fleisch" unterfällt der dortigen Definition. Der Anhang I Nr. 1.14 der Verordnung (EG Nr. 853/2004) stellt nach seinem Wortlaut nur darauf ab, ob sich die Struktur der Muskelfasern - und nicht etwa auch die Zellstrukturen der Muskeln - infolge der mechanischen Gewinnung auflöst oder verändert. Der Erwägungsgrund 20 Satz 1 der Verordnung spricht davon, dass die Definition von Separatorenfleisch so allgemein gefasst sein soll, dass sie alle Verfahren des mechanischen Ablösens abdeckt. Damit ergibt sich, dass nach Sinn und Zweck der Vorschrift ein maschinelles Abtrennen allerdings - aber auch nur dann - nicht erfasst werden soll, wenn die Struktur der Muskelfasern bezogen auf das gesamte Fleischstück nur punktuell verändert wird, also derart große und zusammenhängende Fleischstücke gewonnen werden, dass diese für sich genommen faktisch verkehrsfähig sind (vgl. OVG Münster, Beschl. v. 28.3.2007 - 13 B 2254/06 -, zit. nach juris). Davon kann bei dem von der Klägerin gewonnenen "3-mm-Fleisch" aber nicht die Rede sein.

Der Klägerin ist darin zuzustimmen, dass Erwägungsgründe die Vorschrift selbst nicht verschärfen können. Erwägungsgründe stellen jedoch eine maßgebliche Grundlage für die Auslegung dar. Anhaltspunkte für die Sichtweise der Klägerin insbesondere hinsichtlich der Berücksichtigung des Umstandes, dass das von ihr verwendete Verfahren die Restfleischgewinnung auf schonendere Weise als andere Verfahren ermöglicht, bestehen jedenfalls nicht. Entgegen ihrer Auffassung ist es auch ohne Bedeutung, ob Separatorenfleisch "einstufig" oder "zweistufig" erzeugt wird, wenn und soweit die einzelnen Stufen der Erzeugung in einem inneren Zusammenhang stehen (vgl. OVG Münster, Beschl. v. 28.3.2007, a.a.O.). Dies ist nach dem Vorbringen der Klägerin aber gegeben. Unerheblich ist, ob das sog. "Baadern" zeitlich und räumlich von der ersten Phase der Restfleischgewinnung abgetrennt werden könnte. Im vorliegenden Zulassungsverfahren ist ohnehin allein entscheidend, dass die Klägerin das gebaaderte Fleisch in den Verkehr bringt. Auch unter Berücksichtigung der von der Klägerin vorgelegten Äußerungen des Instituts Dr. Erdmann teilt der Senat die Auffassung des OVG Münster (Beschl. v. 28.3.2007, a.a.O.), dass bei dem infrage stehenden zweistufigen Verfahren die Struktur der Muskelfasern bereits durch das maschinelle Abtrennen vom Knochen verändert wird. Das Zusammenpressen von Knochen, das dazu führt, dass sich infolge der Reibung der Knochen untereinander vorhandene Fleischreste lösen, die dann über Siebeinsätze bzw. Lochscheiben der Maschine entweichen, führt zwangsläufig zu einer Veränderung der vorherigen Struktur der Muskelfasern des Fleisches. Große und zusammenhängende Fleischstücke werden bei diesem Verfahren nicht gewonnen.

Auch der von der Klägerin herangezogene Vergleich des von ihr gewonnen Produkts mit Hackfleisch führt nicht weiter. Hackfleisch wird aus größeren Fleischstücken geschnitten oder gewolft, nicht aber als Restfleisch vom Knochen abgelöst. Da der Grad der Muskelfaserveränderung für die Abgrenzung von Separatorenfleisch nicht ausschlaggebend ist, bietet sich ein Vergleich mit Hackfleisch nicht an (Bundesinstitut für Risikobewertung, Stellungnahme v. 16.6.2006, S. 4). Die von dem Institut Dr. F. erhobenen Untersuchungsbefunde belegen im Übrigen aber gerade, dass bei dem Produkt der Klägerin Veränderungen der Muskelfaserstruktur festzustellen sind (Gutachterliche Stellungnahme vom 1.10.2008, S. 3) und damit auch die rechtlichen Voraussetzungen der Einordnung als "Separatorenfleisch" nach der VO (EG) Nr. 853/2004 vorliegen. Dass vergleichbare Veränderungen der Muskelfaserstruktur auch bei industriell hergestelltem Hackfleisch auftreten, entbindet nicht von der Kennzeichnungspflicht des maschinell gewonnenen Restfleisches.

Die Auffassung des Senats wird im Ergebnis bestätigt durch die Stellungnahmen der Europäischen Kommission in ihren Schreiben vom 20. Oktober 2006 - SANCO/E2/RG/ca D (2006) S 21067 - und vom 23. März 2009 - SANCO/E3/BJ/TC/TEG//rzD (2009) 520123 -. Auch die Kommission sieht die Voraussetzungen der infrage stehenden Verordnung als gegeben an.

Der Klägerin ist darin zuzustimmen, dass es wegen des hohen Diskriminierungspotentials (Prof. Hildebrand, Stellungnahme v. 29.8.2008) und der Qualität des auf schonende Weise gewonnenen Restfleisches Gründe geben mag, das sog. "3-mm-Fleisch" in Zukunft nicht mehr als Separatorenfleisch zu bezeichnen. Die derzeitige Rechtslage bietet dazu nach den obigen Ausführungen jedoch keinen Raum. Unbeachtlich wäre im Ergebnis auch, dass sich Lebensmittelbehörden anderer europäischer Mitgliedsstaaten über die infrage stehende Verordnung bereits derzeit hinwegsetzen. Entgegen der Auffassung der Klägerin begründet eine derartige Verwaltungspraxis in einzelnen Mitgliedstaaten - unterstellt sie findet statt - keinen Anspruch auf Gleichbehandlung im Unrecht. Im Übrigen trägt die Oberste Landesbehörde nach der geltenden Erlasslage den Interessen der fleischverarbeitenden Industrie zur Vermeidung von Wettbewerbsnachteilen durchaus Rechnung, weil die Kennzeichnungspflicht lediglich im Verkehr zwischen den Erzeugern des "3-mm-Fleisches" und den Verarbeitern, nicht aber gegenüber dem Endverbraucher durchgesetzt wird.

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils ergeben sich schließlich auch nicht daraus, dass das Verwaltungsgericht ein Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 234 EG nicht eingeleitet hat. Die Verpflichtung zur Vorlage besteht nur für das letztinstanzliche Gericht nach Art. 234 Satz 3 EG, also nicht für das Verwaltungsgericht, sondern für das Oberverwaltungsgericht im Rahmen des Zulassungsverfahrens (vgl. OVG Münster, Beschl. v. 19.2.2002 - 18 A 3673/01 - NVwZ-RR 2003, 616).

1.2 Als letztinstanzliches Gericht verneint aber auch der Senat im Rahmen des Berufungszulassungsverfahrens eine Verpflichtung zur Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 234 EG. Eine Vorlage kann nach herrschender Auffassung unterbleiben, wenn die zu beantwortende Frage bereits in einem anderen Fall vom EuGH entschieden worden ist und sich keine neuen Gesichtspunkte ergeben, wenn bereits beim EuGH ein Verfahren anhängig ist oder wenn die Auslegung und richtige Anwendung der infrage stehenden EG-Vorschrift offensichtlich ist (Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl., § 94 Rn. 21 m.w.N.). Letzteres ist hier nach Auffassung des Senats der Fall. Dies ergibt sich aus den obigen Ausführungen unter 1.1 sowie der einhelligen obergerichtlichen Rechtsprechung, nicht zuletzt aber auch aus der nachhaltigen und eindeutigen Auffassung der Europäischen Kommission, worauf oben insgesamt Bezug genommen worden ist.

2. Die Rechtssache hat auch nicht grundsätzliche Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).

Grundsätzliche Bedeutung in diesem Sinne weist eine Rechtsstreitigkeit dann auf, wenn sie eine rechtliche oder tatsächliche Frage aufwirft, die für die Berufungsinstanz entscheidungserheblich ist und im Sinne der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung einer Klärung bedarf (BVerwGE 70,24). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor, weil die aufgeworfene Rechtsfrage nach der dargestellten Rechtsprechung als geklärt anzusehen ist. Für ergänzende Ausführungen bedarf es der Durchführung eines Berufungsverfahrens nicht. Diese können im Rahmen des Zulassungsverfahrens erfolgen.

3. Schließlich liegt auch der geltend gemachte Verfahrensmangel (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) nicht vor. Dies ergibt sich - wie dargestellt - daraus, dass für das Verwaltungsgericht als nicht letztinstanzliches Gericht eine Vorlagepflicht nach Art. 234 EG nicht bestanden hat.

Ende der Entscheidung

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