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Gericht: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 11.06.2008
Aktenzeichen: 13 LB 33/06
Rechtsgebiete: BVFG


Vorschriften:

BVFG § 6 Abs. 2 S. 3
BVFG § 15 Abs. 1
Erstreben Kinder über ihren Status als Abkömmlinge eines Spätaussiedlers hinaus ihre eigene Anerkennung als Spätaussiedler, sind die allgemeinen Maßstäbe für die Beantwortung der Frage anzuwenden, ob diese i.S.d. § 6 Abs. 2 Satz 3 BVFG ein einfaches Gespräch auf Deutsch führen können. Eine zunehmende Herabsetzung bzw. Abschwächung der Maßstäbe bei geringerem Lebensalter eines Kindes, die auf eine Modifizierung des Tatbestandes des § 6 Abs. 2 Satz 3 BVFG hinauslaufen würde, kommt demgegenüber nicht in Betracht.
Tatbestand:

Die Kläger begehren die Ausstellung von Spätaussiedlerbescheinigungen.

Die Kläger wurden am 11. Mai 1986 (Kläger zu 1.)) und am 22. März 1984 (Kläger zu 2.)) in Russland geboren. Ihre leibliche Mutter verstarb am 26. April 1989. Der Vater der Kläger, Herr G. C., der mit der leiblichen Mutter der Kläger verheiratet war, heiratete am 23. April 1993 erneut. Am 25. Oktober 1993 stellte der Vater der Kläger einen Antrag auf Aufnahme als Aussiedler. In diesem Antrag erklärte er u.a., dass die Umgangssprachen in der Familie "Deutsch, Russisch" seien, ferner erklärte er durch Ankreuzen der entsprechenden Formularfelder, dass von ihm selbst und von den Eltern in der Familie Deutsch gesprochen werde; in Bezug auf die Kläger wurde eine solche Erklärung nicht abgegeben. Zudem erklärte der Vater der Kläger, Deutsch in der Mittelschule gelernt zu haben. Am 23. Mai 1995 wurde dem Vater der Kläger ein Aufnahmebescheid des Bundesverwaltungsamts erteilt, in den die Kläger als Abkömmlinge eines Spätaussiedlers einbezogen waren. Die Kläger siedelten am 18. Juli 1995 mit ihrem Vater und ihrer Stiefmutter in die Bundesrepublik Deutschland über. Unter dem 28. September 1995 erteilte die Stadt Marsberg dem Vater der Kläger auf dessen Antrag vom 31. Juli 1995 eine Spätaussiedlerbescheinigung nach § 15 Abs. 1 BVFG und § 15 Abs. 2 BVFG, in der die Stiefmutter als Ehegatte und die Kläger als Abkömmlinge eines Spätaussiedlers nach § 7 Abs. 2 BVFG ausgewiesen wurden. Im Rahmen dieses Verfahrens wurde eine Prüfung der Deutschkenntnisse des Vaters der Kläger vorgenommen; eine entsprechende Prüfung der Deutschkenntnisse der Kläger fand nicht statt.

Unter dem 16. August 2000 beantragten die Kläger bei der Stadt Marsberg die Erteilung von eigenen Spätaussiedlerbescheinigungen nach § 15 Abs. 1 BVFG. Zur Begründung dieses Antrags wurde u.a. ausgeführt, dass nach Mitteilung der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte für die Gewährung einer Halbwaisenrente an die Kläger nach dem Fremdrentengesetz Voraussetzung sei, dass sie selbst als Spätaussiedler anerkannt seien.

Die Stadt Marsberg erteilte die begehrten Bescheinigungen nicht. Sie nahm dahingehend Stellung (Schreiben vom 18. September 2000, 12. Januar 2001 und 7. Mai 2001), dass eine Anerkennung der Kläger als Spätaussiedler nicht möglich sei. Sie hätten im Zeitpunkt der Einreise keine deutschen Sprachkenntnisse gehabt. Die Umgangssprache in der Familie sei sicherlich zunächst zu einem geringen Teil Deutsch gewesen. Seit der Eheschließung ihres Vaters mit ihrer Stiefmutter im Jahre 1993 sei dies aber ausschließlich Russisch gewesen, da die Stiefmutter russische Volkszugehörige sei und die deutsche Sprache überhaupt nicht beherrscht habe. Der Vater der Kläger habe erstmals im Jahre 2000 behauptet, dass seine Söhne zum Zeitpunkt ihrer Einreise Deutsch hätten sprechen können. Demgegenüber sei im Aufnahmeantrag angegeben worden, dass die Kinder innerhalb der Familie nicht Deutsch gesprochen hätten. Tatsächlich hätten die Kläger Deutsch erst in der Schule in Deutschland gelernt. Dies werde durch die Schulen bestätigt.

Am 28. August 2001 erhoben die Kläger beim Verwaltungsgericht Arnsberg Klage gegen die Stadt Marsberg auf Erteilung von Spätaussiedlerbescheinigungen. Nachdem das Verwaltungsgericht Arnsberg im Hinblick auf das Fehlen eines Vorverfahrens Zweifel an der Zulässigkeit der Klage geäußert hatte, wurde das Verfahren in der Hauptsache für erledigt erklärt. Die Kläger erhoben Widersprüche gegen die Schreiben der Stadt Marsberg vom 12. Januar 2001 und 10. Mai 2001, die der Hochsauerlandkreis mit Bescheid vom 19. März 2002 unter Hinweis auf die Bestandskraft der Bescheinigung vom 28. September 1995 zurückwies. Daraufhin erhoben die Kläger am 23. März 2002 Klage beim Verwaltungsgericht Arnsberg gegen die Stadt Marsberg, mit der sie begehrten, den Bescheid vom 28. September 1995 in der Form des Widerspruchsbescheides vom 19. März 2002 aufzuheben und die Stadt Marsberg zur Erteilung einer Bescheinigung nach § 15 Abs. 1 BVFG zu verpflichten. Das Verwaltungsgericht Arnsberg wies auf Zweifel an der örtlichen Zuständigkeit der Stadt Marsberg und einer daraus resultierenden Rechtswidrigkeit des als Bescheid eingestuften Schreibens vom 10. Mai 2001 und des Widerspruchsbescheides vom 19. März 2002 hin. Infolgedessen wurde das Verfahren durch Hauptsacheerledigungserklärungen beendet.

Bereits während der Anhängigkeit der zweiten beim Verwaltungsgericht Arnsberg erhobenen Klage beantragten die Kläger unter dem 26. März 2002 bei dem Beklagten ihre Anerkennung als Spätaussiedler gemäß § 4 BVFG. Diesen Antrag lehnte der Beklagte durch Bescheid vom 4. Februar 2003 mit der Begründung ab, dass der Status der Kläger verbindlich durch die Spätaussiedlerbescheinigung der Stadt Marsberg vom 28. September 1995 festgestellt worden sei. Die damit erfolgte Feststellung als Abkömmling eines Spätaussiedlers schließe das Vorliegen einer Spätaussiedlereigenschaft nach § 4 BVFG aus. Voraussetzung für eine Spätaussiedleranerkennung sei die Aufhebung dieser Entscheidung, für die nach § 15 Abs. 3 BVFG ausschließlich die Stadt Marsberg zuständig sei.

Den dagegen erhobenen Widerspruch vom 17. Februar 2003 wies die Bezirksregierung Weser-Ems mit Bescheid vom 29. April 2003 zurück. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Stadt Marsberg für die begehrte Entscheidung den Bescheid vom 28. September 1995 aufheben müsse; für diese Amtshandlung sei der Beklagte nicht zuständig.

Dagegen haben die Kläger am 6. Mai 2003 Klage erhoben.

Einen Prozesskostenhilfeantrag der Kläger hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 2. Februar 2004 mit der Begründung abgelehnt, dass die Klage keine hinreichende Aussicht auf Erfolg habe, weil nicht der Beklagte, sondern die Stadt Marsberg für die Ausstellung der erstrebten Bescheinigung zuständig sei. Auf die dagegen eingelegte Beschwerde hat der erkennende Senat mit Beschluss vom 8. April 2004 - 13 PA 66/04 - den Beschluss des Verwaltungsgerichts geändert und den Klägern Prozesskostenhilfe bewilligt. Dazu hat der Senat u.a. ausgeführt: Die Kläger erstrebten nicht eine Änderung der am 28. September 1995 erteilten Bescheinigung, sondern eine originäre Entscheidung des Beklagten als der dafür örtlich zuständigen Behörde darüber, dass sie Spätaussiedler im Sinne von § 4 BVFG seien. Über diese Frage habe die Stadt Marsberg in den Verfahren des Vaters der Kläger nicht entschieden. Es sei nicht ersichtlich, dass eine Bescheinigung für die Kläger nach § 15 Abs. 1 BVFG tatsächlich deshalb abgelehnt worden sei, weil sie nicht Spätaussiedler waren. Insoweit sei eine negative Entscheidung nicht getroffen worden. Vielmehr seien sie kurzerhand als Abkömmlinge ihres Vaters in dessen Bescheinigung aufgenommen worden. Infolgedessen stehe die Bescheinigung vom 28. September 1995 dem jetzigen Begehren der Kläger nicht entgegen. Die Klage habe Erfolg, soweit sie die Aufhebung des Bescheids des Beklagten vom 4. Februar 2003 und des Widerspruchsbescheids vom 29. April 2003 betreffe, da die Kläger sachlich beschieden werden müssten.

Daraufhin hat der Beklagte mit Bescheid vom 7. Juli 2004 unter Aufhebung seines Bescheides vom 4. Februar 2003 den Antrag der Kläger auf Anerkennung als Spätaussiedler abgelehnt. Zur Begründung hat er ausgeführt, dass sich aus den Stellungnahmen der Schulen und den Schulzeugnissen ergebe, dass die Kläger nach ihrer Übersiedlung nicht in der Lage gewesen seien, ein einfaches Gespräch auf Deutsch zu führen. Demgemäß sei festzustellen, dass ihnen die deutsche Sprache im Herkunftsland nicht ausreichend vermittelt worden sei. Den dagegen erhobenen Widerspruch der Kläger wies die Bezirksregierung Weser-Ems mit Bescheid vom 15. September 2004 zurück.

Zur Begründung ihrer Klage gegen die in das Verfahren einbezogenen Bescheide des Beklagten vom 7. Juli 2004 und der Bezirksregierung Weser-Ems vom 15. September 2004 haben die Kläger geltend gemacht: Für die deutsche Volkszugehörigkeit sei es zwar erforderlich, dass das Bekenntnis zum deutschen Volkstum durch die familiäre Vermittlung der deutschen Sprache bestätigt werde. Dazu genüge es jedoch, dass Eltern ihrem Kind die deutsche Sprache so beibrächten, wie sie diese selbst beherrschten. Eine familiär geprägte Sprachvermittlung sei gerade ein Beleg dafür, dass diese in der Familie stattgefunden habe. Den Klägern sei die deutsche Sprache durch ihre Familien so vermittelt worden, wie sie von ihren Eltern und Großeltern gesprochen worden sei. Sowohl der Vater als auch die Mutter hätten ihre Deutschkenntnisse weiter gegeben. Die Mutter sei zwar früh gestorben. Die Stiefmutter habe in der Schule Deutsch und Englisch gelernt, so dass sie gleichfalls Deutschkenntnisse habe einbringen können. Die Großeltern der Kläger hätten diese während der arbeitsbedingten Abwesenheit der Eltern betreut und versorgt. Es sei in der den Großeltern geläufigen Weise Deutsch gesprochen worden. Im Zeitpunkt der Aussiedlung habe die Sprachvermittlung wegen ihres jugendlichen Alters noch nicht abgeschlossen sein können. Sie hätten jedoch ihrem Alter entsprechend Gespräche im familiär vermittelten Deutsch führen können. Nach ihrer Ankunft in Deutschland hätten sie festgestellt, dass Deutsch nicht so gesprochen werde, wie sie es zu Hause gelernt hätten. Sie hätten jedoch - wenn auch mit Schwierigkeiten - dem Unterricht in der Schule folgen und auch die deutschen Diktate bis zum Ende mitschreiben können, wenngleich sie viele Fehler gemacht hätten. Mit dem Gebrauch der in ihrem Elternhaus erlernten Deutschkenntnisse seien sie zurückhaltend gewesen. Sie wären schnell dem Gespött ihrer in Deutschland aufgewachsenen Klassenkameraden ausgesetzt gewesen, wenn sie Deutsch so gesprochen hätten, wie sie es gelernt hätten. Es habe gedauert, bis sie das Sprachniveau erreicht hätten, das ihre Klassenkameraden beherrscht hätten und das in der Schule gesprochen worden sei. Die Beurteilung in den Zeugnissen sage nichts darüber aus, in welcher Art und Weise und in welchem Umfang ihnen in ihrer Familie entsprechend dem täglichen Gebrauch deutsche Sprachkenntnisse vermittelt worden seien. Bei der Beantragung der Bescheinigung nach § 15 BVFG sei ihr Vater seinerzeit davon abgehalten worden, darauf zu bestehen, dass auch die Kläger einen Sprachtest ablegen. Ein Sprachtest sei als nicht erforderlich dargestellt worden.

Die Kläger haben beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 7. Juli 2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Weser-Ems vom 15. September 2004 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, ihnen eine Spätaussiedlerbescheinigung nach § 15 Abs. 1 BVFG auszustellen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hat die ergangenen Bescheide verteidigt. In Bezug auf den Kläger zu 2.) gehe aus dem Schreiben der Franziskus-Schule vom 17. Juni 2004 eindeutig hervor, dass er ohne Deutschkenntnisse in die 5. Klasse gekommen sei. Die Mitteilung der Schule lasse auch nicht den Schluss zu, dass er einen russlanddeutschen Dialekt gesprochen habe. Regelmäßig werde die deutsche Sprache durch einen Dialekt nicht so sehr entstellt, dass sie ein Deutschlehrer gänzlich nicht mehr verstehen könne. Bezüglich des Klägers zu 1.) biete das Zeugnis vom 26. Januar 1996 eine ausreichende Entscheidungsgrundlage. Nach den ergänzenden Hinweisen der Klassenlehrerin sei davon auszugehen, dass die Kriterien für die familiäre Vermittlung deutscher Sprachkenntnisse nicht erfüllt seien.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 23. September 2005 abgewiesen. Die für das Bekenntnis zum deutschen Volkstum oder die rechtliche Zuordnung zur deutschen Nationalität erforderliche familiäre Vermittlung der deutschen Sprache könne nicht festgestellt werden. Die Kläger seien im Zeitpunkt ihrer Einreise in die Bundesrepublik Deutschland nicht in der Lage gewesen, ein ihrem Alter und ihrer geistigen Befähigung entsprechendes einfaches Gespräch auf Deutsch zu führen. Dies ergebe sich aus den Stellungnahmen und Zeugnissen der Franziskusschule und der Grundschule. Dem könnten die Kläger nicht mit Erfolg entgegenhalten, dass ihnen Deutsch familiär mit einem russlanddeutschen Dialekt vermittelt worden sei und sie nach ihrer Einreise von den erlernten Deutschkenntnissen nur zurückhaltend Gebrauch gemacht hätten. Dieser Vortrag sei ersichtlich hergeholt und unglaubhaft. Vielmehr ergebe sich indirekt aus den schulischen Stellungnahmen und Zeugnissen, dass auch dialektgefärbte Deutschkenntnisse nicht vorhanden gewesen seien. Wäre dies anders gewesen, wäre es auch den Lehrkräften aufgefallen. Ausweislich der Niederschrift über die Prüfung der Deutschkenntnisse des Vaters der Kläger habe dieser in keinem Dialekt gesprochen, der einen Sprachmittler erforderlich gemacht hätte. Wäre den Klägern Deutsch familiär vermittelt worden, hätte es eine Dialektfärbung nur in der Weise gegeben, wie sie in der Familie vorliegt. Danach müsste ihnen aber ein Gespräch auf Deutsch ohne einen Sprachmittler auch mit einer Person möglich gewesen sein, die Hochdeutsch spricht. Die familiären Verhältnisse sprächen dafür, dass nicht Deutsch, sondern Russisch die Umgangssprache gewesen sei. Auch die Angaben nach der Einreise sowie das Aufnahmeverfahren enthielten keinen Hinweis auf eine familiäre Vermittlung der deutschen Sprache. Die Behauptung, der Vater der Kläger sei nach seiner Einreise bei Beantragung der Bescheinigung nach § 15 BVFG davon abgehalten worden, darauf zu bestehen, dass die Kläger einen Sprachtest ablegen, sei nicht nachvollziehbar.

Auf den Berufungszulassungsantrag der Kläger vom 24. Oktober 2005 hat der Senat mit Beschluss vom 20. Januar 2006 - 13 LA 391/05 - die Berufung wegen besonderer tatsächlicher Schwierigkeiten der Rechtssache zugelassen.

Zur Begründung der Berufung tragen die Kläger vertiefend vor: Die Kläger seien bei ihrer Übersiedlung im Jahre 1995 aufgrund der im Elternhaus erlernten deutschen Sprache in der Lage gewesen, ein Gespräch auf Deutsch zu führen. Die familiäre Vermittlung der Sprache sei zum Zeitpunkt der Übersiedlung allerdings noch nicht abgeschlossen gewesen.

Die Kläger beantragen,

das Urteil des Verwaltungsgerichts zu ändern und den Bescheid des Beklagten vom 7. Juli 2004 sowie den Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Weser-Ems vom 15. September 2004 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, sie als Spätaussiedler im Sinne des § 4 BVFG anzuerkennen und ihnen eine Bescheinigung nach § 15 Abs. 1 BVFG auszustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte bezieht sich auf die Gründe des verwaltungsgerichtlichen Urteils sowie auf sein erstinstanzliches Vorbringen. Die Bewertung der Deutschkenntnisse durch schulische Stellungnahmen und Zeugnisse sei hier naturgemäß nach der Einreise erfolgt, so dass davon auszugehen sei, dass die Kläger auch im Zeitpunkt der Einreise nicht in der Lage gewesen seien, ein einfaches Gespräch auf Deutsch zu führen.

Das Verwaltungsgericht Osnabrück hat auf Ersuchen des Senats Beweis darüber erhoben, inwieweit im Zeitpunkt der Aussiedlung aufgrund familiärer Vermittlung der deutschen Sprache eine Verständigung mit den Klägern möglich war, insbesondere, ob sie in der Lage waren, zumindest ein einfaches Gespräch auf Deutsch zu führen. Als Zeugen sind die Großeltern der Kläger, der Vater der Kläger, die Cousine Frau H. I. und Frau J. K. vernommen worden. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Niederschrift der Sitzung der 1. Kammer des Verwaltungsgerichts vom 28. November 2006 (Bl. 181-184 d.A.) Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die Beiakten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung hat keinen Erfolg.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid des Beklagten vom 7. Juli 2004 und der Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Weser-Ems vom 15. September 2004 sind rechtmäßig und verletzen die Kläger daher nicht in ihren Rechten; sie haben keinen Anspruch auf Ausstellung von Spätaussiedlerbescheinigungen nach § 15 Abs. 1 Satz 1 BVFG.

Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 BVFG stellt das Bundesverwaltungsamt - nach § 100b Abs. 2 BVFG in Fällen, in denen bis zum 1. Januar 2005 die Registrierung in den Erstaufnahmeeinrichtungen des Bundes und die Verteilung auf die Länder erfolgt ist, die im Land zuständige Behörde - Spätaussiedlern zum Nachweis ihrer Spätaussiedlereigenschaft auf Antrag eine Bescheinigung aus; eine Wiederholung des Gesprächs im Sinne von § 6 Abs. 2 Satz 3 BVFG zur Feststellung der erforderlichen Deutschkenntnisse findet hierbei nach § 15 Abs. 1 Satz 2 BVFG nicht statt.

Voraussetzung für die Eigenschaft eines Spätaussiedlers im Sinne des § 15 Abs. 1 BVFG ist nach § 4 Abs. 1 BVFG u.a. die deutsche Volkszugehörigkeit. Nach § 6 Abs. 1 BVFG ist deutscher Volkszugehöriger, wer sich in seiner Heimat zum deutschen Volkstum bekannt hat, sofern dieses Bekenntnis durch bestimmte Merkmale wie Abstammung, Sprache, Erziehung, Kultur bestätigt wird. Wer nach dem 31. Dezember 1923 geboren ist, ist nach § 6 Abs. 2 Satz 1 BVFG deutscher Volkszugehöriger, wenn er von einem deutschen Staatsangehörigen oder deutschen Volkszugehörigen abstammt und sich bis zum Verlassen der Aussiedlungsgebiete durch eine entsprechende Nationalitätenerklärung oder auf vergleichbare Weise nur zum deutschen Volkstum bekannt hat oder nach dem Recht des Herkunftsstaates zur deutschen Nationalität gehört hat. Nach § 6 Abs. 2 Satz 2 BVFG muss das Bekenntnis zum deutschen Volkstum oder die rechtliche Zuordnung zur deutschen Nationalität durch die familiäre Vermittlung der deutschen Sprache bestätigt werden. Die familiäre Vermittlung der deutschen Sprache ist nach § 6 Abs. 2 Satz 3 BVFG in der seit dem 24. Mai 2007 infolge des Siebten Gesetzes zur Änderung des Bundesvertriebenengesetzes vom 16. Mai 2007 (BGBl I, 748) geltenden Fassung nur festgestellt, wenn jemand im Zeitpunkt der verwaltungsbehördlichen Entscheidung über den Aufnahmeantrag auf Grund dieser Vermittlung zumindest ein einfaches Gespräch auf Deutsch führen kann. Nach der bis zum Inkrafttreten dieser Regelung geltenden Fassung war für die Feststellung der Sprachkompetenz hingegen auf den Zeitpunkt der Aussiedlung abzustellen. Bei noch nicht abgeschlossenen Aufnahmeverfahren ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Beschl. v. 22.02.2008 - 5 B 208/07 -, juris) die Neufassung anzuwenden. Ob bei bereits abgeschlossenen Aufnahmeverfahren für das spätere Bescheinigungsverfahren nach § 15 Abs. 1 BVFG die Regelung des § 6 Abs. 2 Satz 3 BVFG in der alten (vor dem 24. Mai 2007 geltenden) oder der aktuellen Fassung heranzuziehen ist, kann vorliegend offen bleiben, da der an den Vater der Kläger gerichtete Aufnahmebescheid vom 23. Mai 1995 und die Übersiedlung am 18. Juli 1995 zeitlich nicht erheblich auseinander fallen.

Zu Gunsten der Kläger kann das für das Bekenntnis zum deutschen Volkstum oder die rechtliche Zuordnung zur deutschen Nationalität erforderliche Bestätigungsmerkmal der familiären Vermittlung der deutschen Sprache nicht festgestellt werden. Es kann nicht angenommen werden, dass die Kläger im Zeitpunkt ihrer Aussiedlung bzw. zum Zeitpunkt der Erteilung des Aufnahmebescheides zumindest ein einfaches Gespräch auf Deutsch führen konnten. Mithin wurden die Kläger zu Recht (lediglich) als Abkömmlinge eines Spätaussiedlers nach § 15 Abs. 2 BVFG eingestuft.

Hinsichtlich des erforderlichen Sprachniveaus hat das Verwaltungsgericht zu Recht auf die in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten Maßstäbe hinsichtlich der Fähigkeit, ein einfaches Gespräch auf Deutsch führen zu können, abgestellt (BVerwG, Urt. v. 04.09.2003 - 5 C 33/02 -, BVerwGE 119, 6). Im Kern geht dabei das Bundesverwaltungsgericht von Folgendem aus:

"[...]Für die Fähigkeit, ein einfaches Gespräch auf Deutsch zu führen, muss sich der Antragsteller über einfache Lebenssachverhalte aus dem familiären Bereich (z.B. Kindheit, Schule, Sitten und Gebräuche), über alltägliche Situationen und Bedürfnisse (Wohnverhältnisse, Einkauf, Freizeit, Reisen, Wetter u.ä.) oder die Ausübung eines Berufs oder einer Beschäftigung - ohne dass es dabei auf exakte Fachbegriffe ankäme - unterhalten können. In formeller Hinsicht genügt für ein einfaches Gespräch eine einfache Gesprächsform. Dafür sind nicht ausreichend das Aneinanderreihen einzelner Worte ohne Satzstruktur oder insgesamt nur stockende Äußerungen. [...] Erforderlich ist zum einen die Fähigkeit zu einem sprachlichen Austausch über die oben genannten Sachverhalte in grundsätzlich ganzen Sätzen, wobei begrenzter Wortschatz und einfacher Satzbau genügen und Fehler in Satzbau, Wortwahl und Aussprache nicht schädlich sind, wenn sie nach Art oder Zahl dem richtigen Verstehen nicht entgegenstehen. [...] Erforderlich ist zum andern ein einigermaßen flüssiger Austausch in Rede und Gegenrede. Ein durch Nichtverstehen bedingtes Nachfragen, Suchen nach Worten oder stockendes Sprechen, also ein langsameres Verstehen und Reden als zwischen in Deutschland aufgewachsenen Personen, steht dem erst entgegen, wenn Rede und Gegenrede so weit oder so oft auseinander liegen, dass von einem Gespräch als mündlicher Interaktion nicht mehr gesprochen werden kann. [...]"

Diese Maßstäbe sind dem Grunde nach auch in Bezug auf die zum Zeitpunkt der Aussiedlung bzw. Entscheidung über den Aufnahmeantrag erst 9 und 11 Jahre alten Kläger anzuwenden. Eine zunehmende Herabsetzung bzw. Abschwächung der Maßstäbe bei geringerem Lebensalter eines Kindes, die auf eine Modifizierung des Tatbestandes des § 6 Abs. 2 Satz 3 BVFG hinauslaufen würde, kommt demgegenüber nicht in Betracht. Augenscheinlich wird dies am Beispiel eines Kindes, das mit dem Spracherwerb gerade erst begonnen hat. Hier können nicht etwa die Sprachkenntnisse im Sinne des § 6 Abs. 2 Satz 3 BVFG unterstellt bzw. als entbehrlich angesehen werden und daraus eine eigene Eigenschaft als Spätaussiedler abgeleitet werden. Vielmehr ist ein Kind bei gerade erst beginnendem Spracherwerb auf den Status des Abkömmlings eines Spätaussiedlers beschränkt. Einer dem Alter entsprechenden Anwendung der Maßstäbe des Bundesverwaltungsgerichts im Hinblick auf die Sprachkenntnisse steht diese Überlegung jedoch insoweit nicht entgegen, als das "einfache Gespräch" nur altersgerechte Inhalte haben kann. Ab welchem Lebensalter vor diesem Hintergrund überhaupt die Anwendung des § 6 Abs. 2 Satz 3 BVFG zwecks Feststellung der Eigenschaft als Spätaussiedler in Betracht kommt, bedarf vorliegend keiner Entscheidung. Selbst wenn man von einer Anwendbarkeit des § 6 Abs. 2 Satz 3 BVFG in Bezug auf die Kläger ausgeht, sind die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Bestimmung nicht erfüllt. Es kann nämlich nicht festgestellt werden, dass die Kläger zum Zeitpunkt der Aussiedlung bzw. zum Zeitpunkt des Erlasses des Aufnahmebescheides aufgrund der familiären Vermittlung der deutschen Sprache zumindest ein einfaches Gespräch auf Deutsch in altersgerechter Weise in Form eines einigermaßen flüssigen, in ganzen Sätzen erfolgenden Austauschs in Rede und Gegenrede führen konnten.

Zu Recht hat das Verwaltungsgericht zunächst mangels anderweitiger Beurteilungskriterien - ein behördlicher Sprachtest zur Beurteilung der Sprachkompetenz der Kläger im zeitlichen Zusammenhang mit der Aussiedlung erfolgte nicht - auf die dem Beklagten vorgelegten schulischen Stellungnahmen und Zeugnisse abgestellt. Der Senat teilt die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass sich aus diesen Zeugnissen und Stellungnahmen nicht die Fähigkeit der Kläger ableiten lässt, ein altersgerechtes einfaches Gespräch auf Deutsch zu führen. Vielmehr wurde in Bezug auf den Kläger zu 2.) ausgeführt, dass er "ohne Deutschkenntnisse" gekommen sei und im Fach Deutsch sowie teilweise auch in anderen Fächern keine Benotung habe vorgenommen werden können. In Bezug auf den Kläger zu 1.) wurde ausgeführt, dass er selbst "einfachste Vorgänge" noch nicht habe ausdrücken können. Die Zeugnisse und schulischen Stellungnahmen wurden ca. ein halbes bzw. ein Jahr nach der Aussiedlung erstellt, so dass nicht davon ausgegangen werden kann, dass die Sprachkenntnisse zum Zeitpunkt der Aussiedlung bzw. zum Zeitpunkt des Erlasses des Aufnahmebescheides besser waren. Auch nach Auffassung des Senats können die Kläger nicht mit Erfolg darauf verweisen, dass ihnen die deutsche Sprache in einem russlanddeutschen Dialekt familiär vermittelt worden sei und sie sich deshalb in der Schule stark zurückgehalten hätten. Zwar ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts eine Dialektfärbung gerade ein Zeichen für die familiäre Sprachvermittlung (Urt. v. 04.09.2003, a.a.O.):

"[...] Bei den Anforderungen an das Sprachniveau für ein einfaches Gespräch sind auch Dialekte und unterschiedliche Entwicklungen der deutschen Sprache in Russland und der Sowjetunion einerseits und Deutschland andererseits zu berücksichtigen. Es genügt den Anforderungen, russlanddeutschen Dialekt zu verstehen und zu sprechen, so dass ein hochdeutsch sprechender Sprachtester gegebenenfalls einen Dialektsprecher hinzuziehen muss. Zwar ist es nicht notwendig, dass der Antragsteller einen russlanddeutschen Dialekt spricht. Spricht er aber Dialekt, so ist das ein deutliches Indiz dafür, dass ihm diese Sprachkenntnisse familiär vermittelt worden sind. [...]"

Von einer hinreichenden Sprachkompetenz der Kläger kann aber selbst unter Berücksichtigung der Dialektfärbung nicht ausgegangen werden. Zwar hat die Beweisaufnahme ergeben, dass die Großeltern, die im Wesentlichen den Klägern ihre Deutschkenntnisse vermittelt haben, einen ausgeprägten schwäbischen Dialekt sprechen. Eine Dialektfärbung der Sprachkenntnisse der Kläger kann jedoch nach Auffassung des Senats nicht allein für die Einschätzung in den schulischen Stellungnahmen und Zeugnissen zur Frage der Sprachfähigkeit der Kläger maßgeblich gewesen sein. Vielmehr hat das Verwaltungsgericht zu Recht angenommen, dass eine solche Dialektfärbung den Lehrkräften der Kläger aufgefallen wäre und dies daher nicht allein für die schulischen Schwierigkeiten ursächlich sein konnte. Auch ergibt sich gerade aus der Vernehmung der Großeltern der Kläger ohne Sprachmittler, dass eine Kommunikation mit diesen trotz ihres ausgeprägten schwäbischen Dialekts durchaus möglich gewesen ist. Vor diesem Hintergrund liegt es nahe, dass aufgrund der Familienverhältnisse der Kläger gerade keine ausreichende familiäre Vermittlung der (dialektgefärbten) deutschen Sprache stattgefunden hatte. In diesem Zusammenhang hat das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt, dass die leibliche Mutter der Kläger als deutsche Volkszugehörige bereits in einem Alter der Kläger von drei und fünf Jahren verstarb und die Stiefmutter keine nennenswerten deutschen Sprachkenntnisse hatte. Auch im Kindergarten werden die Kläger eher russische Sprachkenntnisse erworben haben. Der Vater der Kläger hat bei der Zeugenvernehmung zudem erklärt, dass er selbst oftmals mehrere Tage am Stück unterwegs gewesen sei und mit den Kindern sowohl russisch als auch deutsch gesprochen habe. Zudem hätten er und seine zweite Frau mit ihren Söhnen zusammen fast nur russisch gesprochen. Dies spricht für eine deutliche Dominanz der russischen Sprache im Leben der Kläger bis zu ihrer Aussiedlung.

Deutsch haben die Kläger nach dem Ergebnis der Zeugenvernehmung im Wesentlichen während ihrer Aufenthalte bei den Großeltern gesprochen, wobei dort offenbar regelmäßig zu Mittag gegessen wurde. Als greifbare Erkenntnis der durchgeführten Beweisaufnahme lässt sich mithin nur feststellen, dass die Kläger deutsche Sprachkenntnisse nicht von ihrem Vater, von ihrer Mutter und ihrer Stiefmutter erworben haben, sondern lediglich von ihren Großeltern, bei denen sie sich nur zeitweise aufhielten. Die dabei erfolgte Sprachvermittlung kann aber nicht als ausreichend betrachtet werden. Vielmehr lässt sich insgesamt bei einer Zusammenschau der schulischen Stellungnahmen und Zeugnisse und dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht die positive Feststellung ableiten, dass den Klägern im maßgeblichen Zeitpunkt eine einfache altersgerechte Kommunikation in Rede und Gegenrede in einer einigermaßen flüssigen Form möglich war.

Dem entspricht auch, dass der Vater der Kläger im Rahmen seines Antrags auf Erteilung eines Aufnahmebescheides für sich selbst, seine Eltern und seine Großeltern erklärte, dass in der Familie Deutsch gesprochen werde, nicht jedoch in Bezug auf seine Kinder. Dass zum damaligen Zeitpunkt kein behördlicher Sprachtest der Kläger durchgeführt wurde, kann sich im Ergebnis nicht dergestalt zu ihren Gunsten auswirken, dass von hinreichenden Sprachkenntnissen ausgegangen werden kann. Vielmehr liegt im Gegenteil nahe, dass die Durchführung eines Sprachtests bei den Klägern zum damaligen Zeitpunkt aufgrund des Sprachniveaus noch nicht sinnvoll erschien.

Ende der Entscheidung

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