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Gericht: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 13.07.2007
Aktenzeichen: 13 LC 468/03
Rechtsgebiete: RuStAG, VwVfG


Vorschriften:

RuStAG § 8
RuStAG § 9
VwVfG § 48 Abs. 1
1. Rechtswidrige Einbürgerungen, die durch bewusste Täuschung erwirkt worden sind, unterliegen der Rücknahme nach § 48 I VwVfG.

2. Die dem europäischen Kulturkreis fremde Mehrehe steht einer Einbürgerung entgegen.

3. § 48 I VwVfG ist auch dann eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage für die Rücknahme der Einbürgerung, sofern minderjährige Kinder, die die deutsche Staatsangehörigkeit durch Geburt erworben haben, mittelbar betroffen sind. Deren Interessen können im Rahmen des Rücknahmeermessens ausreichend berücksichtigt werden.


NIEDERSÄCHSISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT LÜNEBURG URTEIL

Aktenz.: 13 LC 468/03

Datum: 13.07.2007

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen die Rücknahme seiner Einbürgerung in den deutschen Staatsverband.

Der 1961 in Pakistan geborene Kläger reiste 1985 als Asylbewerber in die Bundesrepublik Deutschland ein. Nachdem er im September 1988 eine deutsche Staatsangehörige geheiratet hatte, nahm er seinen Asylantrag zurück. Aufgrund der Eheschließung wurde ihm zunächst eine befristete und im Oktober 1991 eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis erteilt. Im Dezember 1988 reiste der Kläger nach Pakistan. Dort heiratete er am 7. Februar 1989 eine pakistanische Staatsangehörige. Aus dieser Ehe ging im Dezember 1989 ein Kind hervor.

Nach seiner Rückkehr nach Deutschland beantragte der Kläger am 14. November 1990 seine Einbürgerung. Dem Antragsformular war ein Lebenslauf beigefügt, in dem er weder Angaben zu der in Pakistan geschlossenen Ehe noch zu seinem im Dezember 1989 geborenen Kind machte. Im Jahre 1991 brachte seine pakistanische Ehefrau in Pakistan erneut ein Kind zur Welt, als dessen Vater der Kläger im dortigen Geburtsregister eingetragen wurde. Auch hiervon setzte der Kläger die Einbürgerungsbehörde nicht in Kenntnis. Die Bezirksregierung Weser-Ems teilte dem Kläger im November 1992 mit, dass er eingebürgert werden könne, weil Änderungen in den persönlichen Verhältnissen, die einer Einbürgerung entgegenstehen könnten, sich bei ihm nicht ergeben hätten.

Nachdem die deutsche Ehefrau des Klägers zunächst Scheidungsabsichten bekundet hatte, erklärte sie am 14. Dezember 1992 gegenüber der Bezirksregierung Weser-Ems, an ihrer Ehe festhalten zu wollen. Auch der Kläger bestätigte, dass er sich nicht von ihr scheiden lassen wolle.

Am 15. Dezember 1992 wurde der Kläger durch Aushändigung der Einbürgerungsurkunde eingebürgert. Seinen pakistanischen Reisepass übergab er der Einbürgerungsbehörde. Bereits zwei Tage nach der Einbürgerung trennte er sich von seiner deutschen Ehefrau und meldete sich im Januar 1993 in der Stadt Oldenburg an. Am 10. Oktober 1995 wurde die Ehe geschieden.

In den Jahren 1996 und 1997 wurden in Pakistan zwei weitere Kinder des Klägers geboren.

Im April 2001 wurden der Bezirksregierung Weser-Ems die ehelichen und familiären Verhältnisse des Klägers in vollem Umfang bekannt. Zuvor war seine pakistanische Ehefrau mit ihren vier Kindern in das Bundesgebiet nachgezogen. Die Bezirksregierung Weser-Ems bereitete daraufhin die Rücknahme der Einbürgerung vor und wies den Kläger auf die für sie neuen Erkenntnisse hin. Ferner stellte sie über die Auslandsvertretung in Pakistan Ermittlungen an. Die deutsche Botschaft hielt die vorgelegten Urkunden nach Überprüfung für echt, bezweifelte aber deren inhaltliche Richtigkeit.

Mit Bescheid vom 23. Mai 2002 nahm der zwischenzeitlich als Funktionsnachfolger zuständig gewordene Beklagte die Einbürgerung des Klägers mit Wirkung für die Vergangenheit zurück und ordnete den Sofortvollzug an. Zur Begründung führte er aus, der Kläger wäre nicht eingebürgert worden, wenn die Einbürgerungsbehörde seine zweite Ehe gekannt hätte. Insoweit sei der Kläger nicht in die deutschen Lebensverhältnisse eingegliedert gewesen.

Der Kläger legte dagegen Widerspruch ein und suchte mit Erfolg um die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach. Im Widerspruchsverfahren machte er geltend, er habe seine pakistanische Ehefrau unter Zwang geheiratet. Die Familien hätten ihn zur Heirat gedrängt, nachdem er mit dieser Frau ein Verhältnis eingegangen sei. Weil er bereits in Deutschland verheiratet gewesen sei, sei die in Pakistan geschlossene Ehe für ihn aber bedeutungslos gewesen. Da sie unwirksam gewesen sei, habe er sie in dem Einbürgerungsantrag nicht angegeben. Die Eheschließung in Pakistan berühre die Wirksamkeit der zuvor mit einer deutschen Staatsangehörigen geschlossenen Ehe nicht. Deshalb sei seine Einbürgerung rechtmäßig und könne nicht zurückgenommen werden.

Die Bezirksregierung Weser-Ems wies den Widerspruch des Klägers mit Bescheid vom 14. Januar 2003 zurück: Eine Einbürgerung könne nach § 48 Abs. 1 VwVfG zurückgenommen werden, wenn sie - wie hier - erschlichen worden sei. Die Einbürgerung sei von Anfang an rechtswidrig gewesen, weil der Kläger sich wegen seiner in Pakistan geschlossenen zweiten Ehe in die deutschen Lebensverhältnisse nicht eingeordnet habe. Der Beklagte habe sein Rücknahmeermessen sachgerecht ausgeübt. Dem Interesse des Klägers am Fortbestand der rechtswidrigen Einbürgerung stehe insbesondere das öffentliche Interesse an der Einhaltung der einbürgerungsrechtlichen Vorschriften entgegen. Auf Vertrauensschutz könne sich der Kläger gemäß § 48 Abs. 2 Satz 3 VwVfG nicht berufen, weil er die Einbürgerung erschlichen habe. Er habe entscheidungserhebliche Tatsachen verschwiegen und dadurch die Einbürgerung bewirkt. Er hätte wissen müssen, dass seine Einbürgerung als Ehegatte einer deutschen Staatsangehörigen nicht vollzogen worden wäre, wenn er angegeben hätte, dass er in einer zweiten Ehe mit einer pakistanischen Staatsangehörigen verheiratet sei und mit dieser ein gemeinsames Kind habe. Er habe die Einbürgerungsbehörden arglistig getäuscht. Es sei ermessenfehlerhaft, eine aufgrund vorsätzlich falscher und unvollständiger Angaben bewirkte Einbürgerung aufrechtzuerhalten, zumal der Kläger aus der ihm verliehenen deutschen Staatsangehörigkeit auch weiterhin für sich und seine pakistanische Familie, die inzwischen ebenfalls in Deutschland wohnhaft sei, Vorteile ziehen könne und insoweit für sein rechtswidriges Verhalten auch noch belohnt werde.

Der Rücknahme der Einbürgerung stehe ein nach § 85 AuslG entstandener Einbürgerungsanspruch nicht entgegen. Insoweit fehle es an einem ununterbrochen rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet von mindestens acht Jahren. Mit seiner Einbürgerung am 15. Dezember 1992 sei die dem Kläger erteilte Aufenthaltserlaubnis erloschen. Diese lebe nach der Rücknahme der Einbürgerung auch nicht wieder auf. Im Zeitpunkt der Einbürgerung im Dezember 1992 habe sich der Kläger erst vier Jahre rechtmäßig in der Bundesrepublik aufgehalten, so dass ein eigenständiger Einbürgerungsanspruch nach § 85 AuslG nicht bestehe. Schließlich sei im Rahmen der Ermessensausübung davon auszugehen, dass der Kläger durch die Rücknahme der Einbürgerung nicht staatenlos werde. Seinerzeit sei ein Entlassungsverfahren aus der bisherigen pakistanischen Staatsangehörigkeit nicht durchgeführt worden.

Der Kläger hat am 27. Februar 2003 Klage erhoben. Zu deren Begründung hat er sein Vorbringen im Verwaltungsverfahren wiederholt und vertieft. Er hat insbesondere geltend gemacht, dass eine Einbürgerung nach den Vorschriften des (allgemeinen) Verwaltungsverfahrensgesetzes nicht zurückgenommen werden dürfe. Im Übrigen sei die Einbürgerung aber auch nicht rechtswidrig gewesen. Er habe über maßgebliche Umstände nicht getäuscht, sondern alle Fragen im Formular des Einbürgerungsantrages richtig beantwortet. Er sei mit einer deutschen Staatsangehörigen wirksam verheiratet gewesen. Über die Eheschließung in Pakistan habe er keine Angaben machen müssen, weil sie unwirksam sei. Durch die Rücknahme der Einbürgerung werde er im Übrigen staatenlos. Schließlich sei nicht hinreichend berücksichtigt worden, dass er seit Januar 2000 einen eigenständigen Anspruch auf Einbürgerung habe.

Der Kläger hat beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 23. Mai 2002 und den Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Weser-Ems vom 14. Januar 2003 aufzuheben.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Erwiderung hat er den Inhalt der angefochtenen Bescheide verteidigt.

Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom 29. Oktober 2003 die angefochtenen Bescheide aufgehoben: Zwar lägen die Voraussetzungen für die Rücknahme einer Einbürgerung vor. Die Ermessenserwägungen seien aber fehlerhaft.

Auch rechtswidrige Einbürgerungen könnten unter der Voraussetzung, dass sie erschlichen worden seien, nach § 48 Abs. 1 VwVfG zurückgenommen werden. Die durch Aushändigung der Urkunde an den Kläger am 15. Dezember 1992 bewirkte Einbürgerung sei von Anfang an rechtswidrig gewesen. Der Kläger habe sich nicht in die deutschen Lebensverhältnisse eingeordnet (§§ 8, 9 RuStAG). Zur Einordnung und dauerhaften Hinwendung zum deutschen Kulturkreis und zu den Werten des Grundgesetzes gehöre die Akzeptanz der Einehe. Allein sie sei durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützt. Eine im Ausland rechtmäßig geschlossene Zweitehe sei dem europäischen Kulturkreis fremd. Der Kläger habe nach seiner Heirat in Deutschland eine weitere Ehe in Pakistan geschlossen, die der in Deutschland mit einer deutschen Staatsangehörigen geschlossenen Ehe mindestens gleichwertig sei. Seine Einlassung, die Ehe in Pakistan sei nach seinen Vorstellungen ungültig und unwirksam gewesen, sei unglaubhaft und unschlüssig. Auf die Wirksamkeit der zweiten Ehe komme es nicht an. Auch sei nicht erheblich, ob sich der Kläger wegen Bigamie strafbar gemacht habe. Entscheidend sei vielmehr, dass er nach wie vor dem Ehe- und Familienbegriff seiner Heimat verhaftet sowie verpflichtet und eine dem europäischen Kulturkreis fremde und integrationspolitisch bedenkliche Mehrehe eingegangen sei. Durch die Zweitheirat in Pakistan etwa fünf Monate nach der Eheschließung in Deutschland habe der Kläger gezeigt, dass er in die deutschen Lebensverhältnisse nicht integriert sei. Er habe noch wesentlich in der Gedankenwelt seiner orientalischen Heimat gelebt und die Mehrehe, so wie sie in Pakistan möglich sei, akzeptiert. Von einer nur der Form halber und unter Druck geschlossenen Ehe könne nicht die Rede sein.

Die danach rechtswidrige Einbürgerung könne zumindest dann zurückgenommen werden, wenn sie erschlichen worden sei. Ein Vertrauen auf den Fortbestand einer derartig erworbenen Staatsangehörigkeit sei nicht schutzwürdig. Der Kläger habe seine Einbürgerung durch unvollständige Angaben bewirkt. Zwar sei in dem Einbürgerungsantrag eine Rubrik für Angaben über eine Mehrehe nicht vorgesehen. Jedenfalls habe der Kläger den Antrag aber hinsichtlich der in Pakistan geborenen Kinder fehlerhaft und unvollständig ausgefüllt. Im Zeitpunkt der Antragstellung sei bereits das erste Kind geboren und als Kind des Klägers in pakistanische Register eingetragen gewesen. Angaben darüber wären für die Einbürgerung bedeutsam gewesen. Die Unvollständigkeit der erforderlichen Angaben ergebe sich auch aus dem dem Antrag beigefügten Lebenslauf. Auch dort sei er auf die in Pakistan geschlossene Ehe und auf das daraus hervorgegangene Kind mit keinem Wort eingegangen. Der Kläger müsse sich deshalb den Vorwurf gefallen lassen, dass er für seine Einbürgerung wesentliche Umstände verschwiegen habe. Wäre die Mehrehe bekannt gewesen, wäre er nicht eingebürgert worden.

Die angefochtenen Bescheide seien jedoch deshalb rechtswidrig, weil das behördliche Rücknahmeermessen nicht ordnungsgemäß ausgeübt worden sei. Entgegen der Auffassung der Einbürgerungsbehörden habe dem Kläger spätestens am 1. Januar 2000 ein eigenständiger Einbürgerungsanspruch zugestanden. Auch wenn ihm aus dem vorwerfbaren Verhalten im Einbürgerungsverfahren ein rechtlicher Vorteil nicht erwachsen dürfe, müssten für die Prüfung des eigenständigen Einbürgerungsanspruches die als Ehegatte einer Deutschen erfolgte Einbürgerung und die sie auslösenden Umstände hinweggedacht werden. Wäre der Kläger nicht eingebürgert worden oder wäre die Einbürgerung abgelehnt worden, hätte dies an seinem legalen Aufenthalt nichts geändert. Er hätte bis zum Jahr 2000 in der Bundesrepublik Deutschland bleiben dürfen und seinen Anspruch auf Einbürgerung nach §§ 85 ff. AuslG geltend machen können.

Der Beklagte hat gegen das ihm am 14. November 2003 zugestellte Urteil am 15. Dezember 2003 (Montag) die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung eingelegt und sie am 13. Januar 2004 im Wesentlichen wie folgt begründet: Das Verwaltungsgericht sei zu Recht von der Rechtswidrigkeit der Einbürgerung des Klägers ausgegangen und habe zutreffend erkannt, dass die Voraussetzungen für deren Rücknahme gemäß § 48 Abs. 1 VwVfG erfüllt seien. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts sei das behördliche Rücknahmeermessen jedoch fehlerfrei ausgeübt worden. Im Zeitpunkt der Rücknahmeentscheidung habe dem Kläger ein Anspruch auf Einbürgerung nach §§ 85 ff. AuslG nicht zugestanden. Denn er habe sich nicht seit acht Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten und sei im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis oder Aufenthaltsberechtigung gewesen. Nach seiner rechtswidrigen Einbürgerung im Jahre 1992 sei der Kläger nicht mehr Inhaber einer gültigen Aufenthaltsgenehmigung gewesen. Die ihm zuvor erteilte unbefristete Aufenthaltserlaubnis habe nicht etwa nach Verleihung der deutschen Staatsangehörigkeit geruht, sondern sei als Folge der Einbürgerung erloschen. Nach der Rücknahme der Einbürgerung mit Wirkung für die Vergangenheit sei sie auch nicht wieder aufgelebt. Dem könne nicht mit Erfolg entgegengehalten werden, dass der Kläger ohne die erschlichene Einbürgerung fiktiv im Besitz der ihm im Oktober 1991 erteilten unbefristeten Aufenthaltserlaubnis geblieben wäre. Bereits vor der Einbürgerung seien nämlich Zweifel daran aufgekommen, ob zwischen dem Kläger und seiner deutschen Ehefrau tatsächlich eine eheliche Lebensgemeinschaft bestanden habe. Bereits am 8. Dezember 1992 habe die Ehefrau des Klägers gegenüber der Einbürgerungsbehörde angegeben, dass ihre Ehe lediglich eine Scheinehe sei und sie die Scheidung beabsichtige. Dem sei aber nicht weiter nachgegangen worden, weil die Ehefrau diese Aussage am 14. Dezember 1992 widerrufen habe. Nach den im Jahre 2001 nach der Einreise der pakistanischen Ehefrau des Klägers bekannt gewordenen Umständen habe sich die Sachlage allerdings gänzlich anders dargestellt. Für eine Scheinehe spreche auch die Tatsache, dass der Kläger bereits am 7. Februar 1989, also knapp fünf Monate nach der Eheschließung mit der deutschen Staatsangehörigen in Pakistan eine weitere Ehe mit einer pakistanischen Staatsangehörigen eingegangen sei, aus der in den Jahren 1989, 1991, 1996, 1997 und 2003 fünf gemeinsame Kinder hervorgegangen seien. Diese Umstände sprächen auch dagegen, dass er nach seinen Angaben die Ehe mit der pakistanischen Staatsangehörigen lediglich aufgrund familiären Zwangs eingegangen sei. Der weitere Umstand, dass sich der Kläger bereits zwei Tage nach seiner Einbürgerung von seiner deutschen Ehefrau getrennt habe, lasse ebenfalls darauf schließen, dass es sich hierbei lediglich um eine Scheinehe gehandelt habe.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Oldenburg vom 29. Oktober 2003 zu ändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil und macht vor allem geltend, dass im Falle der rechtskräftigen Rücknahme seiner Einbürgerung er und seine fünf Kinder staatenlos werden würden. Seine Kinder hätten darauf vertraut, die deutsche Staatsangehörigkeit durch Geburt erworben zu haben. Sie seien gegenwärtig 17, 15, 10, 9 und 3 Jahre alt. Gerade als Personen mit Migrationshintergrund sei ihr Bewusstsein für ihre Staatsangehörigkeit und ihre Rolle in der Gesellschaft besonders ausgeprägt. Sie seien in die deutsche Gesellschaft integriert und beherrschten die deutsche Sprache akzentfrei und fließend.

Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer (weiteren) mündlichen Verhandlung verzichtet.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere ist sie rechtzeitig eingelegt und begründet worden. Der Senat entscheidet über sie im Einverständnis der Beteiligten ohne (weitere) mündliche Verhandlung (§§ 125 Abs. 1, 101 Abs. 2 VwGO).

Die Berufung hat Erfolg.

Das Verwaltungsgericht hat der Klage zu Unrecht stattgegeben. Der Bescheid des Beklagten vom 23. Mai 2002, mit dem die Einbürgerung des Klägers mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden ist, und der Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Weser-Ems vom 14. Januar 2003 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Entgegen der Auffassung des Klägers liegen die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG vor, wonach ein unanfechtbar gewordener rechtswidriger Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen werden kann. Nach gefestigter Rechtsprechung, der der Senat folgt, unterliegen auch rechtswidrige Einbürgerungen zumindest unter der Voraussetzung, dass sie durch bewusste Täuschung erwirkt worden sind, der Rücknahme nach § 48 Abs. 1 VwVfG (BVerwGE 118, 216; BVerfG, Urt. v. 24.5.2006 - 2 BvR 669/04-, NVwZ 2006, 807; OVG Lüneburg, Urt. v. 22.10.1996, 13 L 7223/94, Nds. Rpfl. 1997, 85; Hess. VGH, Urt. v. 18.5.1998, 12 UE 1542/98. InfAuslR 1998, 505; Hamburgisches OVG, Beschl. v. 28.8.2001, 3 Bs 102/01, InfAuslR 2002, 81; Bay VGH, Urt. v. 17.6.2002, 5 B 01.1385, juris; VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 29.11.2002, 13 S 2039/01, InfAuslG 2003, 205; a.A. OVG Berlin, Beschl. v. 20.2.2003, 5 S 23.02, InfAuslR 2003, 211).

Die mit der Aushändigung der Urkunde am 15. Dezember 1992 bewirkte Einbürgerung des Klägers in den deutschen Staatsverband war von Anfang an rechtswidrig. Zu jenem Zeitpunkt richtete sich dessen Einbürgerung nach den §§ 8 und 9 Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz vom 22. Juli 1913 in der Fassung des Gesetzes vom 25. Juli 1986 (RuStAG). Danach sollten Ehegatten Deutscher unter den Voraussetzungen des § 8 RuStAG eingebürgert werden, wenn u.a. gewährleistet war, dass sie sich in die deutschen Lebensverhältnisse einordneten, es sei denn, der Einbürgerung standen erhebliche Belange der Bundesrepublik Deutschland entgegen. Die Einbürgerung setzte eine freiwillige und dauernde Hinwendung zu Deutschland voraus, die aus der nach dem bisherigen Gesamtverhalten zu beurteilenden grundsätzlichen Einstellung zum deutschen Kulturkreis zu schließen war. Die zu erwartende Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse gründete sich auf den Inlandsaufenthalt und auf den Bestand der Ehe mit dem deutschen Ehegatten. Daran hat es beim Kläger gefehlt, weil er bereits fünf Monate nach der Eheschließung mit der deutschen Staatsangehörigen in Pakistan erneut eine Ehe mit einer pakistanischen Staatsangehörigen geschlossen hat, aus der in den folgenden Jahren fünf gemeinsame Kinder hervorgegangen sind. Die Auffassung des Klägers, die erneute Eheschließung stehe dem Einbürgerungsanspruch nicht entgegen, weil sie wegen der früher geschlossenen Ehe mit einer deutschen Staatsanghörigen unwirksam sei, teilt der Senat nicht. Vielmehr folgt er den überzeugenden Ausführungen des Beklagten, wonach die Gesamtumstände hier maßgeblich dafür sprechen, dass es sich bei der inzwischen geschiedenen Ehe des Klägers mit der deutschen Staatsangehörigen um eine Scheinehe gehandelt hat, die ihm zunächst ein Aufenthaltsrecht und alsbald den frühzeitigen Einbürgerungsanspruch verschaffen sollte. Dies hat die frühere deutsche Ehefrau des Klägers gegenüber der Einbürgerungsbehörde am 8. Dezember 1992 ausdrücklich erklärt. Ihrem Widerruf dieser Angaben am 14. Dezember 1992 kann ausschlaggebende Bedeutung nicht beigemessen werden. Denn es drängt sich insoweit auch dem Senat der Eindruck auf, dass dieser nur erklärt wurde, um die damals unmittelbar bevorstehende Einbürgerung des Klägers nicht zu vereiteln. Diese Annahme wird auch dadurch bestätigt, dass sich der Kläger bereits zwei Tage nach seiner Einbürgerung von seiner deutschen Ehefrau getrennt hat. Eines Festhaltens an der Ehe mit einer deutschen Staatsangehörigen bedurfte es zu jenem Zeitpunkt nicht mehr, nachdem der Kläger rechtlich das erreicht hatte, was den zumindest formalen Bestand dieser Ehe voraussetzte. Dem gegenüber lassen die Umstände der Eheschließung mit der pakistanischen Staatsangehörigen den Schluss zu, dass der Kläger von Anfang an angestrebt hat, nur diese Ehe als Lebensgemeinschaft zu führen. Er hat sie bereits weniger als fünf Monate nach der ersten Heirat geschlossen. Mit seiner pakistanischen Ehefrau hat der Kläger fünf gemeinsame Kinder. Seine pakistanische Familie ist im Jahre 2001 zum Zweck der Familienzusammenführung in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Alles dies belegt, dass der Kläger wegen der eingegangenen Mehrehe weiterhin den Ehe- und Familienbegriffen seiner Heimat verhaftet und verpflichtet war. Dies hat bereits das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt. Die dem europäischen Kulturkreis aber fremde Mehrehe ist integrationspolitisch bedenklich (vgl. BVerwGE 71, 228) und stand einer Einbürgerung in dem hier maßgeblichen Zeitpunkt (Dezember 1992) entgegen.

Eine von Anfang an rechtswidrige Einbürgerung kann zurückgenommen werden, wenn sie erschlichen, d.h. durch arglistige Täuschung (vgl. § 48 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG) herbeigeführt worden ist. Das ist hier der Fall. Denn der Kläger hat im Hinblick auf die mit der pakistanischen Staatsangehörigen geschlossene Ehe gegenüber der Einbürgerungsbehörde Gesichtspunkte verschwiegen, die seiner Einbürgerung offensichtlich entgegenstanden. Die Angaben des Klägers in dem von ihm eingereichten Einbürgerungsantrag waren unvollständig. So hat er in dem Antragsformular nicht angegeben, dass er in Pakistan als Vater eines Kindes behördlich erfasst war. Seinem Antrag auf Einbürgerung hat er ferner einen Lebenslauf beigefügt, in dem er nicht nur sein erstes Kind, sondern auch die mit der pakistanischen Staatsangehörigen geschlossene Ehe verschwiegen hat. Seine Einlassung im Klageverfahren, er sei von der Unwirksamkeit der zweiten Ehe ausgegangen, wertet der Senat als bloße Schutzbehauptung. Im Übrigen ist aber bereits das Verschweigen der Vaterschaft ein die Rechtmäßigkeit der Einbürgerung ausschließender Umstand. Denn die Einbürgerungsbehörde hätte mit Sicherheit weitere Nachforschungen angestellt, wenn ihr die Vaterschaft des Klägers, die er auch heute in keiner Weise bestreitet, bekannt gewesen wäre. Dann hätte die Einbürgerungsbehörde aber auch von der Zweitehe des Klägers Kenntnis erlangt und den Einbürgerungsantrag abgelehnt.

Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts haben die Einbürgerungsbehörden das nach § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG auszuübende Rücknahmeermessen fehlerfrei betätigt, indem sie die für und gegen die Entscheidung sprechenden maßgeblichen Gesichtspunkte eingestellt und gegeneinander abgewogen haben. Zwar spricht einiges dafür, dass ein zwischenzeitlich entstandener eigenständiger Einbürgerungsanspruch des Ausländers die Rücknahme einer rechtswidrigen Einbürgerung ausschließt (vgl. OVG Lüneburg, Nds. Rpfl. 1997, 85, 86; VGH Kassel, NVwZ-RR 1999, 274, 276; offen OVG Hamburg, InfAuslR 2002, 81). Die dem angefochtenen Urteil zugrunde liegende Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass dem Kläger ein derartiger eigenständiger Einbürgerungsanspruch seit dem 1. Januar 2000 nach § 85 Abs. 1 AuslG zugestanden habe, trifft indessen nicht zu. Der Senat teilt insoweit die Rechtsauffassung des OVG Hamburg (Beschl. v. 28.8.2001 - 3 Bs 102/01 -, InfAuslR 2002, 81), wonach die Phase des rechtswidrigen Besitzes der Staatsangehörigkeit nicht als rechtmäßiger, gewöhnlicher Inlandsaufenthalt gewertet werden kann. Denn damit würden dem Ausländer durchaus die "Früchte seines Schwindels" zufallen.

§ 86 AuslG setzte in der im Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides geltenden Fassung u.a. voraus, dass der Ausländer - im Zeitpunkt der Einbürgerungsentscheidung - seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hat und im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis oder Aufenthaltsberechtigung ist. Daran fehlt es vorliegend. Denn im Zeitpunkt des Ablaufs der Achtjahresfrist war er nicht im Besitz einer Aufenthaltsgenehmigung. Nach Verleihung der deutschen Staatsangehörigkeit ruhte nicht sein bisheriges Aufenthaltsrecht, sondern war als Folge der Einbürgerung erloschen, weil mit der Einbürgerung zugleich das Regelungssubjekt in ausländerrechtlicher Hinsicht entfallen war (vgl. OVG Hamburg, aaO, S. 85). Die Rücknahme der Einbürgerung von Anfang an hat auch nicht dazu geführt, dass die dem Kläger erteilte unbefristete Aufenthaltserlaubnis wieder aufgelebt wäre; denn die Erledigung der Aufenthaltsgenehmigung ist nicht Regelungsgegenstand der Einbürgerung gewesen, weil das Erlöschen, wie ausgeführt, kraft Gesetzes als lediglich mittelbare Folge der Einbürgerung eingetreten war. Anders hat auch das Verwaltungsgericht nicht entschieden, sondern es ist von einer fiktiven Fortgeltung der erloschenen Aufenthaltserlaubnis ausgegangen. Eine fiktive Aufenthaltserlaubnis erfüllt aber nicht die Einbürgerungsvoraussetzungen der §§ 85 ff. AuslG. Im Übrigen hat der Beklagte mit Recht infrage gestellt, ob dem Kläger tatsächlich der weitere Aufenthalt erlaubt worden wäre, wenn er nicht eingebürgert worden wäre. Die ausdrückliche - wenn auch widerrufene - Erklärung der deutschen Ehefrau des Klägers vom 8. Dezember 1992, die mit ihr geschlossene Ehe sei eine Scheinehe, hätte für die Ausländerbehörde durchaus Anlass zu weiteren Nachforschungen und Beobachtungen in der Folgezeit gegeben.

Die Ermessenserwägungen sind auch im Übrigen nicht zu beanstanden.

Entgegen der Auffassung des Klägers kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Rücknahme seiner Einbürgerung bei ihm zur Staatenlosigkeit führt. Der Kläger mag zwar davon ausgegangen sein, dass er im Zuge der Einbürgerung die pakistanische Staatsangehörigkeit verloren hat. Dies erklärt auch, dass er bei Besuchsreisen nach Pakistan jeweils ein Visum beantragt und auch erhalten hat. Die bloße Aushändigung seines pakistanischen Reisepasses an die Einbürgerungsbehörde kann aber zu einem Verlust der Staatsangehörigkeit nicht geführt haben. Es ist jedenfalls nichts dafür ersichtlich, dass der Kläger gegenüber pakistanischen Behörden verbindlich erklärt hätte, seine bisherige Staatsangehörigkeit aufgeben zu wollen. Diese Frage kann hier jedoch dahinstehen. Da der Kläger seine Einbürgerung erschlichen hat, müsste er selbst im Falle einer durch die Rücknahme der Einbürgerung bewirkten Staatenlosigkeit diese vorübergehend hinnehmen. Im Übrigen wäre der Kläger nicht gehindert, die pakistanische Staatsangehörigkeit erneut zu erwerben.

Auch die durch die Rücknahme der Einbürgerung des Vaters bei seinen Kindern eintretenden Folgen hat der Beklage jedenfalls nach der zulässigen Ergänzung seiner Ermessenserwägungen (§ 114 Satz 2 VwGO) in der mündlichen Verhandlung am 25. April 2007 ermessensfehlerfrei in seine Entscheidung eingestellt.

Der Kläger schließt jedoch zu Unrecht sämtliche Kinder in die Betrachtung ein. Von der Rücknahme der Einbürgerung des Klägers sind seine beiden erstgeborenen Kinder nicht betroffen; denn diese haben die deutsche Staatsangehörigkeit durch Geburt (vgl. § 4 Abs. 1 StAG) nicht erwerben können, weil der Kläger im Zeitpunkt ihrer Geburt (1989 und 1991) noch nicht eingebürgert war. Ihre deutsche Staatsangehörigkeit verlieren rückwirkend nur seine 1996, 1997 und 2003 geborenen und noch minderjährigen Kinder. Mit elf, zehn und vier Jahren haben diese Kinder ungeachtet ihres Migrationshintergrundes ein eigenes Vertrauen auf den Bestand ihrer deutschen Staatsangehörigkeit noch nicht entwickelt und haben vor allem auch ihre weitere Lebensplanung noch nicht auf eine deutsche Staatsangehörigkeit ausgerichtet, zumal sie zunächst bei ihrer Mutter in Pakistan aufgewachsen sind und sich erst seit April 2001 in Deutschland aufhalten. Der Kläger verkennt in diesem Zusammenhang auch, dass es hier nicht um eine Beendigung des Aufenthalts der Kinder in der Bundesrepublik Deutschland geht. Angesichts des langjährigen Aufenthalts des Klägers im Bundesgebiet dürfte die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen außer Frage stehen.

Kommt es also auf die Folgen bei den drei jüngsten Kindern an, so ist auch nicht ersichtlich, dass bei ihnen eine Staatenlosigkeit eintritt. Selbst wenn der Kläger seine pakistanische Staatsangehörigkeit verloren haben sollte, könnten seine Kinder ihre pakistanische Staatsangehörigkeit auch von ihrer Mutter ableiten.

Ende der Entscheidung

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