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Gericht: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 18.05.2009
Aktenzeichen: 4 LA 240/08
Rechtsgebiete: StrRehaG


Vorschriften:

StrRehaG § 17 a
§ 17 a Abs. 1 Satz 1 StrRehaG erfordert eine monatsgenaue Ermittlung der Haftdauer und bezieht sich - anders als beispielsweise § 17 Abs. 1 und Abs. 5 Satz 2 StrRehaG - nicht auf "angefangene Kalendermonate".
Gründe:

Die Anträge des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts, mit dem dieses seine Klage auf Gewährung einer besonderen Zuwendung für DDR-Haftopfer abgewiesen hat, (I.) und auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Berufungszulassungsverfahren (II.) haben keinen Erfolg.

I. Der Kläger hat seinen Antrag auf die Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (1.), der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO (2.) sowie des Verfahrensmangels nach § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO (Nr. 3) gestützt. Diese Zulassungsgründe liegen nicht vor bzw. sind nicht hinreichend dargelegt worden.

1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen, sind zu bejahen, wenn aufgrund der Begründung des Zulassungsantrags und der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts gewichtige, gegen die Richtigkeit der Entscheidung sprechende Gründe zutage treten. Das ist der Fall, wenn ein tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG, Beschl. v. 23.6.2000 - 1 BvR 830/00 -, NVwZ 2000, 1163, 1164). Die Richtigkeitszweifel müssen sich dabei auch auf das Ergebnis der Entscheidung beziehen; es muss also mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anzunehmen sein, dass die Berufung zu einer Änderung der angefochtenen Entscheidung führen wird (vgl. Senatsbeschl. v. 17.6.2008 - 4 LA 85/08 -; BVerwG, Beschl. v. 10.3.2004 - 7 AV 4.03 -, NVwZ-RR 2004, 542, 543).

Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Annahme des Verwaltungsgerichts, die vom Kläger erlittene, mit wesentlichen Grundsätzen einer freiheitlichen rechtsstaatlichen Ordnung unvereinbare Freiheitsentziehung erfülle nicht die von § 17 a des Gesetzes über die Rehabilitierung und Entschädigung von Opfern rechtsstaatswidriger Strafverfolgungsmaßnahmen im Beitrittsgebiet - Strafrechtliches Rehabilitierungsgesetz (StrRehaG) - in der Fassung vom 17. Dezember 1999 (BGBl. I S. 2664), zuletzt geändert durch Artikel 5 des Gesetzes vom 13. Dezember 2007 (BGBl. I S. 2904), geforderte Voraussetzung einer Dauer "von insgesamt mindestens sechs Monaten". Entgegen der Annahme des Klägers fordert § 17 a Abs. 1 Satz 1 StrRehaG eine monatsgenaue Ermittlung der Haftdauer und bezieht sich - anders als beispielsweise § 17 Abs. 1 und Abs. 5 Satz 2 StrRehaG - nicht auf "angefangene Kalendermonate".

Dies ergibt sich zunächst aus dem eindeutigen Wortlaut des § 17 a Abs. 1 Satz 1 StrRehaG, wonach die Anspruchsberechtigten eine Freiheitsentziehung "von insgesamt mindestens sechs Monaten" erlitten haben müssen. Diesem Wortlaut ist - gerade im Vergleich zur Regelung in § 17 Abs. 1 und Abs. 5 Satz 2 StrRehaG - nicht zu entnehmen, dass der Gesetzgeber eine Haftdauer von sechs "angefangenen Kalendermonaten" genügen lassen wollte.

Auch die Entstehungsgeschichte der Norm deutet darauf hin, dass der Gesetzgeber die Gewährung der besonderen Zuwendung für Haftopfer nach § 17 a StrRehaG bewusst auf wirtschaftlich bedürftige Betroffene beschränkt hat, die eine rechtsstaatswidrige Freiheitsentziehung mit einer Dauer von mindestens sechs Monaten erlitten haben. Die Regelung ist durch das Dritte Gesetz zur Verbesserung rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften für Opfer der politischen Verfolgung in der ehemaligen DDR vom 21. August 2007 (BGBl. I S. 2118) mit Wirkung vom 29. August 2007 in das Gesetz eingefügt worden. In der Begründung des Gesetzentwurfs wird hierzu ausgeführt (vgl. BT-Drs. 16/4842, S. 5 f.):

"Die Anknüpfung der Leistung an die wirtschaftliche Bedürftigkeit orientiert sich an vergleichbaren Regelungen für andere Opfergruppen, die ebenfalls nur unter dieser Voraussetzung monatlich wiederkehrende Leistungen erhalten. Eine solche Anlehnung an vergleichbare Regelungen wird zudem auch dadurch erreicht, dass die Leistungsgewährung neben der wirtschaftlichen Bedürftigkeit eine bestimmte Schwere der politischen Verfolgung voraussetzt. Die Gewährung einer zusätzlichen monatlichen Zuwendung in Höhe von 250,00 € soll mit dem vorliegenden Entwurf an politische Haft unter der SED-Diktatur geknüpft werden, die insgesamt mindestens sechs Monate betragen haben muss.

Um den Kreis der Berechtigten zu beschreiben, knüpft Absatz 1 an die Formulierung des § 18 an. Berechtigte sind danach ehemalige politische Häftlinge, die ihren Status durch eine Rehabilitierungsentscheidung eines deutschen Gerichts oder eine Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 des Häftlingshilfegesetzes nachweisen können. Die Gewährung der besonderen monatlichen Zuwendung, deren Höhe in diesem Absatz geregelt ist, erfolgt auf Antrag und setzt eine mit wesentlichen Grundsätzen einer freiheitlichen rechtsstaatlichen Ordnung unvereinbare Freiheitsentziehung von insgesamt mindestens sechs Monaten voraus."

Diese Aussage wurde im laufenden Gesetzgebungsverfahren mit dem vom Bundesrat am 15. Mai 2009 in den Bundestag eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes (BR-Drs. 403/09 (B)) bestätigt. Zur Klärung der - in diesem Verfahren nicht relevanten - Frage, ob für die Berechnung der Haftdauer des § 17 a Abs.1 Satz 1 StrRehaG insbesondere bei mehreren aufeinanderfolgenden Haftzeiträumen § 31 Abs. 1 VwVfG i.V.m. §§ 187 Abs. 2, 188 Abs. 2, 191 BGB oder § 15 StrRehaG i.V.m. § 43 StPO maßgeblich ist, sieht der vom Bundesrat eingebrachte Gesetzentwurf vor, § 17 a Abs. 1 Satz 1 StrRehaG klarstellend dahingehend zu ändern, dass die Angabe "sechs Monaten" durch die Angabe "180 Tagen" ersetzt wird (BR-Drs. 403/09 (B), Anlage, S. 1 und 7). Dies verdeutlicht die ursprüngliche Intention des Gesetzgebers, dass die Haftdauer genau nach Monaten bzw. zukünftig nach Tagen zu berechnen ist und ein Heranziehen bloß angefangener Kalendermonate nicht genügen soll.

Ein anderes Ergebnis ergibt sich entgegen der Annahme des Klägers auch nicht bei systematischer Auslegung des § 17 a Abs. 1 Satz 1 StrRehaG. Zutreffend stellt der Kläger zwar dar, dass sowohl § 17 a Abs. 1 StrRehaG, als auch § 18 Abs. 1 StrRehaG auf "Berechtigte nach § 17 Abs. 1" StrRehaG abstellen. Dies bedeutet aber nur, dass e i n e Voraussetzung für die Gewährung der besonderen Zuwendung für Haftopfer ist, dass diese überhaupt eine mit wesentlichen Grundsätzen einer freiheitlichen rechtsstaatlichen Ordnung unvereinbare Freiheitsentziehung im Sinne des § 17 Abs. 1 StrRehaG erlitten haben. Als weitere Voraussetzung muss aber aufgrund der besonderen und insoweit von § 17 Abs. 1 StrRehaG abweichenden Regelungen in §§ 17 a Abs. 1, 18 StrRehaG hinzukommen, dass diese Freiheitsentziehung insgesamt mindestens sechs Monate gedauert hat (so auch Brandenburgisches OLG, Beschl. v. 31.7.2008 - 2 Ws (Reha) 26/08 -; OLG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 4.6.2008 - 1 Ws Reh 179/08 -). Dass nicht jedem Berechtigten nach § 17 Abs. 1 StrRehaG eine besondere Zuwendung nach § 17 a StrRehaG zukommen soll, zeigt auch, dass die Kapitalentschädigung nach § 17 StrRehaG unabhängig von der wirtschaftlichen Bedürftigkeit gewährt wird; dieser Anspruch ist grundsätzlich übertragbar (§ 17 Abs. 3 StrRehaG). Die besondere Zuwendung nach § 17 a StrRehaG setzt hingegen eine wirtschaftliche Bedürftigkeit voraus; dieser Anspruch ist nach § 17 Abs. 5 StrRehaG unpfändbar, nicht übertragbar und nicht vererbbar. Diese strukturellen Unterschiede der vom Gesetzgeber gewährten Ausgleichsleistungen und insbesondere die bewusste Privilegierung der Berechtigten, die eine rechtsstaatswidrige Freiheitsentziehung von mehr als sechs Monaten erlitten haben, setzen sich dann auch konsequent fort in der durch das Dritte Gesetz zur Verbesserung rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften für Opfer der politischen Verfolgung in der ehemaligen DDR vom 21. August 2007 (BGBl. I S. 2118) ebenfalls geänderten Regelung des § 18 StrRehaG. Berechtigte, die eine rechtsstaatswidrige Freiheitsentziehung von weniger als sechs Monaten erlitten haben, erhalten nach der Neufassung dieser Bestimmung nämlich nur Unterstützungsleistungen, deren Voraussetzungen und Höhe von dem Stiftungsrat der Stiftung für ehemalige politische Häftlinge nach § 15 HHG festgelegt werden. Der Gesetzgeber hat also die Gruppe der wirtschaftlich bedürftigen Haftopfer, deren rechtsstaatswidrige Freiheitsentziehung weniger als sechs Monate betragen hat, bewusst auf die Möglichkeit der Inanspruchnahme von Unterstützungsleistungen nach Maßgabe des § 18 StrRehaG verwiesen.

Dass somit neben dem Erfordernis der wirtschaftlichen Bedürftigkeit auch hinsichtlich der maßgeblichen Haftdauer die Leistungsvoraussetzungen der (fortlaufenden) besonderen Zuwendung nach § 17 a StrRehaG enger gefasst sind als der (einmaligen) Kapitalentschädigung nach § 17 StrRehaG, begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 2.2.2009 - 7 A 11155/08, 7 D 10888/08 -; Bayerischer VGH, Beschl. v. 2.4.2008 - 12 C 08.608 -; Brandenburgisches OLG, Beschl. v. 31.7.2008 - 2 Ws (Reha) 26/08 -). Die Anknüpfung der Leistung an eine Haftdauer von insgesamt mindestens sechs Monaten ist vor dem Gleichheitsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG durch das Anliegen des Gesetzgebers, die Leistungsgewährung neben der wirtschaftlichen Bedürftigkeit von einer bestimmten Schwere der politischen Verfolgung abhängig zu machen (vgl. BT-Drs. 16/4842, S. 5), sachlich gerechtfertigt.

Die danach von § 17 a Abs. 1 StrRehaG geforderte mindestens sechsmonatige Haftdauer erfüllt der Kläger nicht. Er wurde durch Urteil des Kreisgerichts B. vom 26. Juli 1989 wegen eines Vergehens gemäß § 249 Abs. 1 StGB/DDR (Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit durch asoziales Verhalten) zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt. Hiervon tatsächlich verbüßt und damit "erlitten" im Sinne des § 17 a Abs. 1 Satz 1 StrRehaG (vgl. Brandenburgisches OLG, Beschl. v. 31.7.2008 - 2 Ws (Reha) 26/08 -; OLG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 4.6.2008 - 1 Ws Reh 179/08 -) hat der Kläger eine Strafhaft vom 29. August 1989 bis zum 9. Januar 1990 und damit von vier Monaten und zwölf Tagen.

2. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine höchstrichterlich oder obergerichtlich noch nicht beantwortete Rechtsfrage oder eine obergerichtlich bislang ungeklärte Tatsachenfrage von allgemeiner Bedeutung aufwirft, die sich im Rechtsmittelverfahren stellen würde und im Interesse der Einheit der Rechtsprechung oder der Weiterentwicklung des Rechts einer fallübergreifenden Klärung durch das Berufungsgericht bedarf (vgl. Senatsbeschl. v. 24.2.2009 - 4 LA 798/07 -; Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Stand: Oktober 2008, § 124 Rn. 30 ff. m.w.N.). Daher ist die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache nur dann im Sinne des § 124 a Abs. 4 Satz 4 VwGO dargelegt, wenn eine derartige Frage konkret bezeichnet und darüber hinaus erläutert worden ist, warum diese Frage im angestrebten Berufungsverfahren entscheidungserheblich und klärungsbedürftig wäre und aus welchen Gründen ihre Beantwortung über den konkreten Einzelfall hinaus dazu beitrüge, die Rechtsfortbildung zu fördern oder die Rechtseinheit zu wahren (vgl. Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, a.a.O., § 124 a Rn. 103 ff. m.w.N.).

Ausgehend von diesem Maßstab fehlt der vom Kläger gestellten Frage, ob und inwieweit die Haftzeit nach § 17 a StrRehaG taggenau oder in Anlehnung an § 17 Abs. 1 StrRehaG für jeden angefangenen Kalendermonat ermittelt werden muss, die grundsätzliche Bedeutung. Die Frage kann - wie bereits dargelegt - ohne Weiteres anhand des Gesetzes und juristischer Auslegungsmethoden beantwortet werden, so dass es zu ihrer Beantwortung keines Berufungsverfahrens bedarf.

3. Einen Verfahrensmangel hat der Kläger mit seiner bloßen Frage, "ob und inwieweit das Verfahren nach § 25 StrRehaG eingehalten worden ist", nicht dargelegt.

II. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist gemäß § 166 VwGO i.V.m. § 114 Satz 1 ZPO unbegründet, weil der Berufungszulassungsantrag, wie sich aus den vorstehenden Ausführungen ergibt, keine Aussicht auf Erfolg hat.

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