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Gericht: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 06.11.2007
Aktenzeichen: 4 LC 43/06
Rechtsgebiete: SGB VIII


Vorschriften:

SGB VIII § 86 Abs. 6
SGB VIII § 86 c
SGB VIII § 89 a Abs. 1 S. 1
SGB VIII § 89 c Abs. 1 S. 1
SGB VIII § 89 c Abs. 2
1. Dem Kostenerstattungsanspruch eines Jugendhilfeträgers nach § 89 c Abs. 2 SGB VIII steht ein Kostenerstattungsanspruch des danach erstattungspflichtigen Jugendhilfeträgers gemäß § 89 a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII nicht entgegen.

2. Die Geltendmachung eines Kostenerstattungsanspruchs nach § 89 c Abs. 1 Satz 1 SGB VIII stellt eine unzulässige Rechtsausübung dar, wenn der verlangte Erstattungsbetrag aufgrund eines Anspruch des anderen Jugendhilfeträgers sogleich zurückzuzahlen wäre.


Tatbestand:

Die Klägerin begehrt von dem Beklagten Kostenerstattung im Zusammenhang mit Jugendhilfeleistungen, die sie für das Kind A.B., das bis zum 29. April 2007 C.D. hieß, erbracht hat.

A.B. wurde am 27. August 2000 in Hamburg unehelich geboren. Kurz nach seiner Geburt nahm die Klägerin das Kind in Obhut und brachte es im Kinderschutzhaus in Hamburg unter, weil seine Versorgung durch seine in Hamburg lebende drogenabhängige Mutter nicht gesichert erschien. Das Amtsgericht Hamburg-Harburg übertrug das Aufenthaltsbestimmungs- und Erziehungsrecht für A. mit Beschluss vom 5. Dezember 2000 dem Jugendamt Hamburg-Harburg und bestellte es zum Pfleger. Nachdem der Versuch, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass A. bei seiner Mutter leben konnte, gescheitert war, brachte die Klägerin das Kind am 11. April 2001 bei Pflegeeltern, die in E. im Gebiet des Beklagten wohnhaft sind, unter und gewährte hierfür Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege einschließlich Pflegegeld.

Im Laufe des Jahres 2002 stellte sich heraus, dass A. erhebliche Entwicklungsrückstände u. a. als Folge einer frühkindlichen Hirnschädigung aufweist und überdies taub ist.

Mit Schreiben vom 13. Februar 2003 bat die Klägerin den Beklagten um Übernahme des Hilfefalles zum 11. April 2003, da A. dann seit zwei Jahren in seinem Gebiet lebe und der Verbleib des Kindes bei den Pflegeeltern auf Dauer zu erwarten sei. Der Beklagte lehnte dies mit Schreiben vom 18. August 2003 ab, weil A. wegen seiner Behinderungen Eingliederungshilfe nach dem Bundessozialhilfegesetz zu gewähren sei, die Jugendhilfeleistungen vorgehe. Auch nach weiteren Aufforderungen der Klägerin mit Schreiben vom 21. und 26. Januar 2004 verweigerte der Beklagte die Übernahme des Hilfefalles.

Die Klägerin hat am 8. Juni 2004 Klage erhoben.

Soweit sie mit der Klage auch die Feststellung der Zuständigkeit des Beklagten begehrt hat, haben die Beteiligten das Verfahren übereinstimmend für erledigt erklärt, nachdem der Beklagte den Hilfefall zum 1. August 2005 in die eigene Zuständigkeit übernommen hat. Soweit die Klägerin die Erstattung monatlicher Hilfeleistungen in Höhe von 574,50 EUR zuzüglich einmaliger Hilfeleistungen für die Zeit ab dem 1. Februar 2004 begehrt hat, hat sie ihr Klagebegehren auf einen Betrag von insgesamt 4.725,33 EUR reduziert.

Zur Begründung ihrer Klage hat die Klägerin vorgetragen, sie könne Kostenerstattung nach § 89 c Abs. 2 SGB VIII verlangen. Denn die anfängliche Weigerung des Beklagten, den Hilfefall zu übernehmen, sei pflichtwidrig gewesen. Ihm sei der Hilfefall bereits seit Februar 2003 bekannt gewesen und er habe zudem über alle Informationen verfügt, die für eine positive Übernahmeentscheidung notwendig gewesen seien. Sie habe in der Zeit von Februar 2004 bis Ende Juli 2005 für A. insgesamt 14.176,- EUR geleistet. Ein Drittel hiervon habe der Beklagte nach § 89 c Abs. 2 SGB VIII zu erstatten.

Die Klägerin hat beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an sie 4.725,33 EUR zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat erwidert, eine Kostenerstattung nach § 89 c Abs. 2 SGB VIII komme nicht in Betracht, da die Klägerin letztlich Kostenträger der erbrachten Jugendhilfeleistungen für A. sei. Sie selbst sei ihm gegenüber nämlich gemäß § 89 a Abs. 1 SGB VIII für aufgewendete Kosten für Jugendhilfemaßnahmen erstattungspflichtig. Zudem sei kein Verwaltungskostenmehraufwand bei der Klägerin entstanden.

Das Verwaltungsgericht hat durch Urteil vom 31. Januar 2006 das Verfahren eingestellt, soweit es die Beteiligten in der Hauptsache für erledigt erklärt haben und die Klägerin ihre Klage zurückgenommen hat, und den Beklagten verurteilt, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 4.725,33 EUR zu zahlen. Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, die Klägerin könne diesen Betrag auf der Grundlage des § 89 c Abs. 2 i.V.m. § 89 c Abs. 1 Satz 1 SGB VIII verlangen. Die Voraussetzungen des 89 c Abs. 2 SGB VIII seien erfüllt. Diese Vorschrift knüpfe ihrerseits an die Tatbestandsmerkmale des § 89 c Abs. 1 Satz 1 SGB VIII an und setze einen Kostenerstattungsanspruch nach dieser Vorschrift voraus. Dieser sei gegeben, da die Klägerin in der Zeit von Februar 2004 bis zur Übernahme des Hilfefalles durch den Beklagten zum 1. August 2005 an dessen Stelle Kosten aufgrund ihrer Verpflichtung nach § 86 c SGB VIII aufgewandt habe. Denn der Beklagte sei am 12. April 2003 nach § 86 Abs. 6 SGB VIII zuständig geworden, weil zu diesem Zeitpunkt das Kind seit zwei Jahren bei den Pflegeeltern gelebt habe und sein Verbleib dort auf Dauer zu erwarten gewesen sei. Nach dem Wechsel der örtlichen Zuständigkeit sei die Klägerin nach § 86 c SGB VIII als bislang zuständig gewesener örtlicher Träger zur Weitergewährung der Leistung verpflichtet gewesen, bis der Beklagte als zuständig gewordener Jugendhilfeträger die Leistung fortgesetzt habe. Die von der Klägerin erbrachten Hilfeleistungen seien auch rechtmäßig gewesen, da die gewährte Hilfe zur Erziehung ihrer Art nach verschieden sei von der wegen der Körperbehinderung des Kindes erforderlichen Eingliederungshilfe und deshalb insoweit ein Vorrang der Eingliederungshilfe nicht bestehe. Bei der Feststellung der Voraussetzungen des Kostenerstattungsanspruchs nach § 89 c Abs. 1 Satz 1 SGB VIII komme es entgegen der im Beschluss des 12. Senats des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 10. Oktober 1997 (- 12 L 549/97 -, FEVS 48, 281) vertretenen Ansicht nicht darauf an, ob der nach § 89 c Abs. 1 Satz 1 SGB VIII erstattungspflichtige Träger seinerseits einen Anspruch auf Kostenerstattung nach § 89 a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII gegen den Erstattungsberechtigten habe. Ein solcher Anspruch nach § 89 a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII schließe den Anspruch nach § 89 c Abs. 1 Satz 1 SGB VIII nicht aus. In einem solchen Falle stünden sich vielmehr beide Ansprüche aufrechenbar gegenüber mit der Folge, dass sich eine gegenseitige Erstattung im Ergebnis zwar erübrige, für einen über § 89 c Abs. 1 Satz 1 SGB VIII hinausgehenden Anspruch nach § 89 c Abs. 2 SGB VIII aber noch Raum bleibe. Ein Vorrang des Anspruchs nach § 89 a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII in dem Sinne, dass bei dessen Vorliegen der Anspruch nach § 89 c Abs. 1 Satz 1 SGB VIII entfalle, lasse sich dem Wortlaut dieser Vorschriften nicht entnehmen und widerspreche auch deren Sinn und Zweck. Ihre unterschiedliche Zielrichtung spreche vielmehr dafür, dass sie unabhängig voneinander anwendbar seien. Die Erstattungsregelung nach § 89 a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII solle vermeiden, dass der wegen der Ortsnähe fachlich gebotene Zuständigkeitswechsel durch kostenmäßige Belastungen behindert werde. § 89 c Abs. 1 Satz 1 SGB VIII trage hingegen dem Interesse des Jugendhilfeträgers, der die Leistung erbringen müsse, obwohl ein anderer Träger örtlich zuständig sei, an einer Entlastung von den Kosten Rechnung. Die Pflicht zur Zahlung eines zusätzlichen Kostendrittels nach § 89 c Abs. 2 SGB VIII solle zum einen präventiv auf eine pflichtgemäße Übernahme des Hilfefalles durch den örtlich zuständigen Jugendhilfeträger hinwirken und zum anderen durch Pflichtwidrigkeit entstandenen Verwaltungsmehraufwand des anderen Trägers ausgleichen. Würde bei einem Gegenüberstehen der Ansprüche nach § 89 a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII und nach § 89 c Abs. 1 Satz 1 SGB VIII letzterer entfallen, so käme selbst bei einer pflichtwidrigen Ablehnung der Übernahme des Hilfefalles auch § 89 c Abs. 2 SGB VIII nicht mehr zur Anwendung. Die Zielvorstellung des Gesetzgebers, eine pflichtwidrige Verweigerung der Übernahme des Hilfefalles zu sanktionieren, würde dadurch in einer durchaus typischen Fallgestaltung unterlaufen. Hier sei die Weigerung des Beklagten, den Hilfefall zu übernehmen, pflichtwidrig gewesen, da dieser die Weiterführung der Leistung trotz unbestrittenen Zuständigkeitswechsels versagt habe und nicht selbst unverzüglich tätig geworden sei. Es genüge insofern nicht, dem zuvor zuständigen Jugendhilfeträger mitzuteilen, dass die bisher gewährte Hilfe dem Gesetz nicht entspreche und eine Übernahme deswegen abgelehnt werde. Denn wenn der neu zuständig gewordene Hilfeträger hinsichtlich der Leistungsvoraussetzungen anderer Meinung sei, habe er vielmehr alsbald eine eigene Entscheidung über das weitere Vorgehen zu treffen, etwa dem Hilfeempfänger einen Einstellungsbescheid zukommen zu lassen.

Gegen dieses ihm am 16. Februar 2006 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 7. März 2006 die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung eingelegt. Zur Begründung hat der Beklagte angeführt, das Verwaltungsgericht sei von der Rechtsprechung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts abgewichen. Das Oberverwaltungsgericht habe in seiner Entscheidung vom 10. Oktober 1997 (- 12 L 549/97 -) zum Verhältnis der Kostenerstattungsansprüche nach § 89 a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII und nach § 89 c Abs. 1 Satz 1 SGB VIII ausgeführt, dass die Regelung des § 89 a SGB VIII den Schluss zulasse, dass wenn der bisher zuständig gewesene Jugendhilfeträger trotz des Zuständigkeitswechsels nach § 86 Abs. 6 SGB VIII weiter leiste, er letztlich eine eigene Leistung erbringe, weshalb der Zuständigkeitswechsel nach § 86 Abs. 6 SGB VIII letztlich nicht in vollem Umfang eintrete. Wenn aber die Klägerin gar nicht vorläufig für ihn Leistungen erbracht habe, könne auch kein Anspruch auf Kostenerstattung nach § 89 c Abs. 2 SGB VIII entstehen.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Lüneburg - 4. Kammer - vom 31. Januar 2006 zu ändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie macht geltend, dass der Auffassung des Beklagten, dass sie letztlich eigene Leistungen erbracht habe und ein Zuständigkeitswechsel nicht in vollem Umfang eingetreten sei, nicht gefolgt werden könne. Denn der Zuständigkeitswechsel trete nach § 86 Abs. 6 SGB VIII schon kraft Gesetzes ein. Weigere sich der nach § 86 Abs. 6 SGB VIII zuständig gewordene Jugendhilfeträger, seinen Pflichten nachzukommen, trete neben seine fortbestehende primäre Leistungsverpflichtung eine diese lediglich ergänzende sekundäre Leistungsverpflichtung des bisher zuständig gewesenen Jugendhilfeträgers nach § 86 c SGB VIII. Der neu zuständig gewordene Jugendhilfeträger könne durch eine pflichtwidrige Verweigerung der Übernahme des Hilfefalles den nach § 86 Abs. 6 SGB VIII zwingend eingetretenen Zuständigkeitswechsel und seine damit verbundenen Leistungspflichten nicht umgehen oder wieder aufheben.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Klägerin (Beiakte A) und des Beklagten (Beiakte B) verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Beklagten hat keinen Erfolg.

Das Verwaltungsgericht hat im Ergebnis zu Recht einen Kostenerstattungsanspruch der Klägerin gegen den Beklagten in Höhe von 4.725,33 EUR gemäß § 89 c Abs. 2 und 1 Satz 1 SGB VIII bejaht.

Nach § 89 c Abs. 1 Satz 1 SGB VIII sind die Kosten, die ein örtlicher Jugendhilfeträger im Rahmen seiner Verpflichtung nach § 86 c SGB VIII aufgewandt hat, von dem Jugendhilfeträger zu erstatten, der nach dem Wechsel der örtlichen Zuständigkeit zuständig geworden ist. Nach § 86 c SGB VIII ist der bisher zuständig gewesene örtliche Jugendhilfeträger solange zur Weitergewährung der Leistung verpflichtet, bis der zuständig gewordene Jugendhilfeträger die Leistung fortsetzt. Hat der zuständig gewordene Jugendhilfeträger pflichtwidrig die Übernahme des Hilfefalles abgelehnt, so hat dieser nach § 89 c Abs. 2 SGB VIII zusätzlich zur Kostenerstattung nach Absatz 1 dieser Vorschrift einen Betrag in Höhe eines Drittels der Kosten zu erstatten. Diesen Betrag nach § 89 c Abs. 2 SGB VIII macht die Klägerin gegenüber dem Beklagten geltend.

Die Vorschrift des § 89 c Abs. 2 SGB VIII stellt allerdings keinen eigenständigen Kostenerstattungstatbestand dar, sondern setzt als "Annexanspruch" das Bestehen eines Kostenerstattungsanspruchs nach § 89 c Abs. 1 Satz 1 SGB VIII voraus. Diese Voraussetzung ist im vorliegenden Fall erfüllt:

Die Klägerin hat Kosten in Höhe von 14.176 EUR in dem hier entscheidungserheblichen Zeitraum von Februar 2004 bis zur Übernahme des Hilfefalles durch den Beklagten am 1. August 2005 aufgewandt. Die Klägerin hat dabei nicht in eigener Zuständigkeit, sondern lediglich im Rahmen ihrer Verpflichtung nach § 86 c SGB VIII gehandelt. Denn die örtliche Zuständigkeit ist gemäß § 86 Abs. 6 Satz 1 SGB VIII am 12. April 2003 von der Klägerin auf den Beklagten übergegangen, weil das Kind A. zu diesem Zeitpunkt seit zwei Jahren bei Pflegeeltern im Zuständigkeitsbereich des Beklagten untergebracht und sein Verbleib dort auf Dauer zu erwarten gewesen ist. Demnach ist der Anspruch nach § 89 c Abs. 1 Satz 1 SGB VIII auf Erstattung der von der Klägerin bis zur Übernahme des Hilfefalles durch den Beklagten aufgewandten Kosten zur Entstehung gelangt. Dem kann der Beklagte nicht entgegen halten, dass im Hinblick auf die Erstattungsregelung des § 89 a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII die Zuständigkeit eigentlich nicht auf ihn übergegangen sei und die Klägerin insofern letztlich eine eigene Leistung erbracht habe (vgl. hierzu den Beschluss des 12. Senats des erkennenden Gerichts vom 10.10.1997 - 12 L 549/97 -, FEVS 48, 281). Denn der Zuständigkeitswechsel nach § 86 Abs. 6 SGB VIII hängt nicht davon ab, welcher Jugendhilfeträger letztlich die Kosten der Hilfeleistung zu tragen hat. Abgesehen davon setzt der Kostenerstattungsanspruch nach § 89 a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII, demzufolge die Kosten, die ein örtlicher Jugendhilfeträger nach § 86 Abs. 6 SGB VIII aufgewandt hat, von dem örtlichen Jugendhilfeträger zu erstatten sind, der zuvor zuständig war, ebenso wie die Kostenerstattungsansprüche nach § 89 c Abs. 1 und 2 SGB VIII und die diesen Ansprüchen zu Grunde liegende Verpflichtung des bisherigen Jugendhilfeträgers nach § 86 c SGB VIII den Übergang der örtlichen Zuständigkeit voraus. Die Erstattungsregelung des § 89 a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII soll gerade vermeiden, dass der im Interesse einer effizienten Hilfegewährung fachlich gebotene Übergang der Zuständigkeit auf den ortsnäheren Jugendhilfeträger durch kostenmäßige Belastungen behindert wird (Beschluss des Senats vom 7.2.2006 - 4 LA 466/03 -).

Nach den zutreffenden Feststellungen des Verwaltungsgerichts, auf die der Senat gemäß § 130 b Satz 2 VwGO verweist, sind hier auch die besonderen Voraussetzungen des § 89 c Abs. 2 SGB VIII, der zusätzlich zu den Voraussetzungen des Kostenerstattungsanspruchs nach § 89 c Abs. 1 Satz 1 SGB VIII ein pflichtwidriges Handeln des zuständig gewordenen Jugendhilfeträgers verlangt, erfüllt. Danach steht auch § 89 f Abs. 1 Satz 1 SGB VIII, wonach die aufgewendeten Kosten nur insoweit zu erstatten sind, als die Erfüllung der Aufgaben den Vorschriften des SGB VIII entspricht, dem von der Klägerin geltend gemachten Anspruch nicht entgegen.

Der Kostenerstattungsanspruch der Klägerin wird im Übrigen auch durch einen Kostenerstattungsanspruch des Beklagten gegenüber der Klägerin nach § 89 a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII nicht "ausgeschossen". Denn ein Kostenerstattungsanspruch des Beklagten nach § 89 a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII ist bislang nicht zur Entstehung gelangt. Dies ergibt sich aus Folgendem:

Der Kostenerstattungsanspruch nach § 89 a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII setzt voraus, dass ein örtlicher Jugendhilfeträger auf Grund einer Zuständigkeit nach § 86 Abs. 6 SGB VIII Kosten aufgewendet hat. Dies ist hier nicht der Fall.

Der Beklagte hat den Hilfefall erst zum 1. August 2005 in die eigene Zuständigkeit übernommen und daher in dem entscheidungserheblichen Zeitraum von Februar 2004 bis Juli 2005 keine Jugendhilfeleistungen erbracht. Insoweit sind ihm keine Kosten entstanden.

Kosten aufgewendet im Sinne des § 89 a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII hat der Jugendhilfeträger aber auch dann, wenn er den Erstattungsanspruch eines anderen Jugendhilfeträgers erfüllt hat (siehe hierzu im Einzelnen BVerwG, Urteil vom 5.4.2007 - 5 C 25.05 -, ZFSH/ SGB 2007, 561). Der Beklagte hat jedoch keine Zahlungen zur Begleichung der Jugendhilfekosten in Höhe von 14.176 EUR, die die Klägerin in der Zeit von Februar 2004 bis Juli 2005 aufgewendet hat und deren Erstattung sie gemäß § 89 c Abs. 1 Satz 1 SGB VIII (grundsätzlich) beanspruchen kann, geleistet. Dass der Beklagte gegenüber der Klägerin zur Kostenerstattung nach § 89 c Abs. 1 Satz 1 SGB VIII verpflichtet ist, reicht für die Annahme eines Kostenerstattungsanspruchs des Beklagten nach § 89 a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII nicht aus. Denn solange der Beklagte keine Zahlungen an die Klägerin und auch sonst keine Leistungen für den hier entscheidungserheblichen Zeitraum von Februar 2004 bis Juli 2005 erbracht hat, sind ihm keinerlei Kosten entstanden, deren Erstattung er nach § 89 a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII verlangen könnte.

Der Kostenerstattungsanspruch des Beklagten nach § 89 a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII entsteht demnach erst dann, wenn der Anspruch der Klägerin nach § 89 c Abs. 1 Satz 1 SGB VIII durch Erfüllung erloschen ist. Daher stehen beide Ansprüche zu keinem Zeitpunkt einander gegenüber. Folglich können sie auch nicht - wie der früher für das Jugendhilferecht auch zuständige 12. Senat des erkennenden Gerichts (Beschluss vom 10.10.1997 - 12 L 549/97 -, FEVS 48, 281, und Urteil vom 13.2.2006 - 12 LC 12/06 -, FEVS 58, 79) angenommen hat - sich gegenseitig aufheben bzw. ihre Entstehung wechselseitig verhindern oder - wie das Verwaltungsgericht angenommen hat - gegeneinander aufgerechnet werden.

Die Geltendmachung des Anspruchs nach § 89 c Abs. 2 SGB VIII durch die Klägerin ist schließlich auch keine unzulässige Rechtsausübung analog § 242 BGB im Hinblick darauf, dass die Klägerin nichts fordern darf, was sie sogleich wieder an den Beklagten zurückzuerstatten hätte (vgl. hierzu u. a. BGH, Urteil vom 29.4.1985 - 11 ZR 146/84 -, BGHZ 94, 240, und Urteil vom 21.12.1989 - X ZR 30/89 -, BGHZ 110, 30). Dieser Grundsatz, der eine sachgerechte Lösung für den Fall bietet, dass im Wege der Kostenerstattung nach § 89 c Abs. 1 Satz 1 SGB VIII ein Betrag begehrt wird, der sofort nach dessen Erstattung auf Grund des dann entstandenen Kostenerstattungsanspruchs des anderen Jugendhilfeträgers nach § 89 a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII zurückzuzahlen wäre, greift im vorliegenden Fall nicht. Denn hier begehrt die Klägerin ausschließlich den zusätzlichen Betrag in Höhe eines Drittels der Kosten wegen pflichtwidrigen Verhaltens des Beklagten nach § 89 c Abs. 2 SGB VIII, der mit den Kosten, deren Rückerstattung der Beklagte im Falle der Zahlung auf Grund des § 89 a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII verlangen könnte, nicht deckungsgleich ist.

Dass die Geltendmachung des Anspruches nach § 89 c Abs. 1 Satz 1 SGB VIII eine unzulässige Rechtsausübung darstellt, hat auch keine mittelbaren Auswirkungen auf den "Annexanspruch" nach § 89 c Abs. 2 SGB VIII, da lediglich die Ausübung des Rechts unzulässig ist, das Recht selbst - hier der dem Anspruch nach § 89 c Abs. 2 SGB VIII zugrunde liegende Anspruch nach § 89 c Abs. 1 Satz 1 SGB VIII - davon aber unberührt bleibt.

Ende der Entscheidung

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