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Gericht: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 19.08.2009
Aktenzeichen: 5 LA 208/07
Rechtsgebiete: BhV


Vorschriften:

BhV § 12 Abs. 1 S. 2
Die Kürzung der Beihilfe um die so genannte Praxisgebühr verstößt nicht gegen höherrangiges Recht.
Gründe:

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung, über den der Vorsitzende anstelle des Senats entscheidet (§§ 125 Abs. 1, 87 a Abs. 2 VwGO), hat keinen Erfolg.

1. Die Voraussetzungen des geltend gemachten Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) sind nicht erfüllt.

Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine tatsächliche oder rechtliche Frage von allgemeiner fallübergreifender Bedeutung aufwirft, die im Berufungsrechtszug entscheidungserheblich ist und im Interesse der Rechtseinheit geklärt werden muss. Die in diesem Sinne zu verstehende grundsätzliche Bedeutung muss durch die Formulierung mindestens einer konkreten, sich aus dem Verwaltungsrechtsstreit ergebenden Frage dargelegt werden. Dabei ist substantiiert zu begründen, warum die Frage für grundsätzlich klärungsbedürftig gehalten wird, das heißt worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung bestehen soll, weshalb die Frage entscheidungserheblich und ihre Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten ist (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl. 2007, § 124 a Rn 54). Diesen Anforderungen genügt das Zulassungsvorbringen des Klägers nicht.

Die von dem Kläger für grundsätzlich bedeutsam gehaltene Frage, ob die Kürzung der Beihilfe um die so genannte Praxisgebühr mit höherrangigem Recht vereinbar ist, ist bereits hinreichend geklärt. Die Kürzung der Beihilfe beruht auf § 12 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 der Beihilfevorschriften des Bundes (BhV) i. d. F. vom 1. November 2001 (GMBl. S. 919), zuletzt geändert durch Art. 1 der 28. Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Änderung der Beihilfevorschriften vom 30. Januar 2004 (GMBl. S. 379). Nach dieser Bestimmung mindert sich die Beihilfe um einen Betrag von 10 € je Kalendervierteljahr je Beihilfeberechtigten und je berücksichtigungsfähigen Angehörigen für jede - bezogen auf das Kalendervierteljahr - erste Inanspruchnahme ambulanter ärztlicher, zahnärztlicher oder psychotherapeutischer Leistungen, sofern kein Fall von § 12 Abs. 1 Satz 3 BhV gegeben ist (§ 12 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 BhV).

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch Urteile vom 30. April 2009 (- 2 C 127.07 - und - 2 C 11.08 -, jeweils veröffentlicht in juris) entschieden, dass die Kürzung der Beihilfe um die so genannte Praxisgebühr sowohl mit dem Alimentationsgrundsatz als auch mit dem Fürsorgeprinzip vereinbar ist. Dazu hat das Bundesverwaltungsgericht in den genannten Entscheidungen das Folgende ausgeführt:

"§ 12 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 BhV verstößt als Kürzungsregelung gegen den Vorbehalt des Gesetzes und ist deshalb nichtig. Er ist aber übergangsweise noch anzuwenden (vgl. zuletzt Urteil vom 26. Juni 2008 - BVerwG 2 C 2.07 -, BVerwGE 131, 234 <Rn. 9> = Buchholz 270 § 6 BhV Nr. 17), weil er im Übrigen mit höherrangigem Recht vereinbar ist. Nicht haltbar ist die Rechtsauffassung des Oberverwaltungsgerichts, die pauschale Kürzungsregelung des § 12 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 BhV verstoße gegen die Alimentations- und Fürsorgepflicht des Dienstherrn. Wie der Senat mehrfach entschieden hat, verlangen die hergebrachten Grundsätze im Sinne des Art. 33 Abs. 5 GG weder, dass Aufwendungen der Beamten in Krankheitsfällen durch ergänzende Beihilfen vollständig gedeckt werden, noch, dass die von der Beihilfe nicht erfassten Kosten in vollem Umfang versicherbar sind (vgl. zuletzt Urteil vom 26. Juni 2008 a. a. O. Rn. 13 ff. m. w. N.). Ein darauf gerichtetes Vertrauen genießt keinen verfassungsrechtlichen Schutz.

a) Der Alimentationsgrundsatz verpflichtet den Dienstherrn, Beamten und ihren Familien Mittel für einen Lebensunterhalt zur Verfügung zu stellen, der nach dem Dienstrang, der mit dem Amt verbundenen Verantwortung und der Bedeutung des Berufsbeamtentums für die Allgemeinheit angemessen ist. Die Beamten müssen über ein Nettoeinkommen verfügen, das ihre rechtliche und wirtschaftliche Unabhängigkeit gewährleistet und über die Befriedigung der Grundbedürfnisse hinaus einen dem Amt angemessenen Lebenszuschnitt ermöglicht (BVerfG, Urteile vom 27. September 2005 - 2 BvR 1387/02 - BVerfGE 114, 258 <287 f.> und vom 6. März 2007 - 2 BvR 556/04 - BVerfGE 117, 330 <351>; stRspr). Die Pflicht zur Gewährung eines amtsangemessenen Lebensunterhalts erstreckt sich auch auf besondere Belastungssituationen wie Krankheit oder Pflegebedürftigkeit, die mit der Regelalimentation finanziell nicht zu bewältigen sind.

Allerdings genießt das gegenwärtige "Mischsystem" von Alimentation und ergänzender, anlassbezogener Beihilfe keinen verfassungsrechtlichen Bestandsschutz. Der einfache Gesetzgeber unterliegt hinsichtlich der konkreten Ausgestaltung der Beihilfe daher keinen Bindungen durch das Alimentationsprinzip. Stellen Absenkungen des Beihilfestandards im Zusammenwirken mit anderen Besoldungseinschnitten die Amtsangemessenheit der Alimentation in Frage, so ist verfassungsrechtlich nicht die Anpassung der Beihilfen, sondern eine entsprechende Korrektur der Besoldungsgesetze geboten, die das Alimentationsprinzip konkretisieren. Die Kürzungsregelung des § 12 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 BhV wäre daher auch dann nicht unwirksam oder unanwendbar, wenn die Alimentation unter das verfassungsrechtlich gebotene Niveau sinken sollte. In diesem Fall muss der Gesetzgeber entscheiden, auf welche Weise er sicherstellt, dass das jährliche Nettoeinkommen der Beamten dem Alimentationsprinzip entspricht. Er kann sowohl die Dienstbezüge erhöhen als auch Besoldungseinschnitte rückgängig machen (Urteil vom 20. März 2008 - BVerwG 2 C 49.07 - BVerwGE 131, 20 <Rn. 21 ff.> = Buchholz 11 Art. 33 Abs. 5 GG Nr. 94 m. w. N.). Demzufolge stellen sich die vom Berufungsgericht aufgeworfenen Fragen zu den Auswirkungen der streitigen Kürzungsregelung im Gesamtgefüge von Eigenvorsorge, Beihilfe und verfügbarer Alimentation nicht.

b) § 12 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 BhV verstößt auch nicht gegen das verfassungsrechtliche Fürsorgeprinzip. Dieser hergebrachte Grundsatz im Sinne des Art. 33 Abs. 5 GG fordert, dass der Dienstherr den amtsangemessenen Lebensunterhalt der Beamten und ihrer Familien auch in besonderen Belastungssituationen wie Krankheit oder Pflegebedürftigkeit sicherstellt. Er muss dafür Sorge tragen, dass Beamte in diesen Lebenslagen nicht mit erheblichen finanziellen Aufwendungen belastet bleiben, die sie nicht mehr in zumutbarer Weise aus ihrer Alimentation bestreiten können (stRspr, vgl. u. a. BVerfG, Beschluss vom 7. November 2002 - 2 BvR 1053/98 - BVerfGE 106, 225 <233>; Kammerbeschluss vom 2. Oktober 2007 - 2 BvR 1715/03 - DVBl. 2007, 1493 <1494>; BVerwG, Urteile vom 20. März 2008 a. a. O. Rn. 20 und vom 26. Juni 2008 a. a. O. Rn. 16 ff. jeweils m. w. N.). Dies ist ebenfalls auf der Grundlage des gegenwärtig praktizierten "Mischsystems" zu beurteilen.

Die verfassungsrechtliche Fürsorgepflicht verlangt allerdings weder, dass Aufwendungen der Beamten in Krankheitsfällen durch Leistungen einer beihilfekonformen Krankenversicherung und ergänzende Beihilfen vollständig gedeckt werden, noch, dass die von der Beihilfe nicht erfassten Kosten in vollem Umfang versicherbar sind (stRspr, vgl. zuletzt Urteil vom 26. Juni 2008 a .a. O. Rn. 13 f. m. w. N.). Der Dienstherr ist durch die Fürsorgepflicht in seinem von Art. 33 Abs. 5 GG erfassten Kernbereich daher grundsätzlich nicht gehindert, im Rahmen der nach medizinischer Einschätzung behandlungsbedürftigen Leiden Unterschiede zu machen und die Erstattung von Behandlungskosten aus triftigen Gründen zu beschränken oder auszuschließen. Er muss zwar eine medizinisch zweckmäßige und ausreichende Versorgung im Krankheitsfall gewährleisten. Das bedeutet jedoch nicht, dass er die Aufwendungen eines medizinisch notwendigen Arzneimittels in jedem Fall in voller Höhe erstatten muss. Die pauschale Kürzung der Beihilfe nach § 12 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 BhV kann unter der Geltung des gegenwärtig praktizierten "Mischsystems" zwar dazu führen, dass in Einzelfällen die finanziellen Möglichkeiten des Beamten überfordert werden. Solche Folgen können etwa bei chronischen Erkrankungen oder bei kinderreichen Beamtenfamilien auftreten. Für derartige Fallgestaltungen muss der Dienstherr normative Vorkehrungen treffen, damit dem Beamten nicht erhebliche Aufwendungen verbleiben, die im Hinblick auf die Höhe der Alimentation nicht mehr zumutbar sind. Das ist jedoch mit der Härtefallregelung des § 12 Abs. 2 BhV geschehen."

Dieser Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts schließt sich der beschließende Senat an (vgl. vor dem Erlass der Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts bereits ebenso OVG Koblenz, Urteil vom 23.9.2005 - 10 A 10534/05 -, juris; VGH München, Beschluss vom 12.10.2005 - 14 ZB 05.1819 -, juris; VGH Mannheim, Beschluss vom 28.9.2007 - 4 S 2205/06 -, V. n. b.; OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 12.3.2009 - 4 B 38.08 -, juris).

2. Die Voraussetzungen des geltend gemachten Zulassungsgrundes der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) sind ebenfalls nicht erfüllt.

Ernstliche Zweifel sind erst dann zu bejahen, wenn bei der Überprüfung im Zulassungsverfahren, also aufgrund der Begründung des Zulassungsantrages und der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts, gewichtige, gegen die Richtigkeit der Entscheidung sprechende Gründe zu Tage treten, aus denen sich ergibt, dass ein Erfolg der erstrebten Berufung mindestens ebenso wahrscheinlich ist, wie ein Misserfolg. Das ist der Fall, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird. Die Richtigkeitszweifel müssen sich auch auf das Ergebnis der Entscheidung beziehen; es muss also mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anzunehmen sein, dass die Berufung zur Änderung der angefochtenen Entscheidung führt. Um ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils darzulegen, muss sich der Zulassungsantragsteller substantiiert mit der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzen. Welche Anforderungen an Umfang und Dichte seiner Darlegung zu stellen sind, hängt deshalb auch von der Intensität ab, mit der die Entscheidung des Verwaltungsgerichts begründet worden ist. Ist das angegriffene Urteil auf mehrere selbständig tragende Begründungen gestützt, müssen hinsichtlich aller dieser Begründungen Zulassungsgründe hinreichend dargelegt werden (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 25.4.2008 - 5 LA 154/07 -).

Ausgehend von diesen Grundsätzen führt das Vorbringen des Klägers nicht zur Zulassung der Berufung gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Der Kläger hat keine gewichtigen, gegen die Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung sprechenden Gründe aufgezeigt, aus denen sich ergibt, dass ein Erfolg der erstrebten Berufung mindestens ebenso wahrscheinlich ist wie ein Misserfolg. Das Verwaltungsgericht hat im Einzelnen und ausführlich begründet, warum es zu der von dem Kläger angegriffenen Einschätzung gelangt ist (S. 4 - 9 UA). Der Senat macht sich die zutreffende Begründung des angefochtenen Urteils zu Eigen und verweist auf sie (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO).

Im Hinblick auf das Vorbringen des Klägers im Zulassungsverfahren ist das Folgende hervorzuheben bzw. zu ergänzen: Die Vorschrift des § 12 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 BhV verstößt zwar - wie schon ausgeführt wurde - gegen den Vorbehalt des Gesetzes und ist deshalb nichtig. Sie ist aber übergangsweise noch anzuwenden, weil sie im Übrigen mit höherrangigem Recht vereinbar ist (vgl. BVerwG, Urteile vom 30.4.2009, a. a. O.). Das Verwaltungsgericht hat rechtsfehlerfrei angenommen, dass der Einwand des Klägers, die so genannte Praxisgebühr dürfe allenfalls in Höhe des jeweiligen Beihilfebemessungssatzes (hier: 50 %) abgezogen werden, nicht durchgreift. Diesbezüglich hat das Verwaltungsgericht zutreffend darauf hingewiesen, dass die in § 12 Abs. 1 Satz 2 BhV getroffene Regelung über den Eigenbehalt in Höhe von jeweils 10 € auch mit Blick auf die Entschließung des Deutschen Bundestages, mit der die Bundesregierung aufgefordert wurde, die Be- und Entlastungen, die die gesetzlich Krankenversicherten durch das Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV-Modernisierungsgesetz) treffen, "wirkungsgleich" in die Beihilfe- und Versorgungsregelungen für Minister und Beamte zu übertragen (vgl. BT-Drucks. 15/1584 S. 10), rechtlich nicht zu beanstanden ist (vgl. ebenso VGH Mannheim, Beschluss vom 28.9.2007 - 4 S 2205/06 -, V. n. b.). Insoweit ist von maßgeblicher Bedeutung, dass dem Normgeber bei der Gestaltung der Rechtsverhältnisse von Beamten ein weites Ermessen zukommt. Die von dem Kläger begehrte differenziertere Regelung wäre zwar möglich; eine differenziertere Regelung ist jedoch verfassungsrechtlich nicht geboten. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass es sich bei der Beihilfegewährung um eine Massenverwaltung handelt, in der im Interesse eines praktikablen Vollzugs pauschalierende Regelungen geschaffen werden können. Zudem sind die sich für bestimmte Gruppen von Beihilfeberechtigten ergebenden finanziellen Nachteile nicht sehr gravierend und nicht unerträglich (vgl. ebenso zur so genannten Kostendämpfungspauschale Nds. OVG, Urteil vom 23.4.2002 - 2 LB 3367/01 -, Nds. Rpfl. 2003, 80 = NdsVBl. 2003, 16).

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