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Gericht: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 05.08.2009
Aktenzeichen: 5 LA 377/07
Rechtsgebiete: BeamtVG, VwGO


Vorschriften:

BeamtVG § 31 Abs. 1
BeamtVG § 33
VwGO § 86 Abs. 1
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 5
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I.

Der Kläger ist Realschullehrer im Dienste der Beklagten. Er erlitt am 22. April 2003 einen Dienstunfall (HWS-Distorsion, anerkannt mit Bescheid vom 2.7.2003) sowie am 9. März 2004 einen Dienstunfall (Prellung und Stauchung der Lendenwirbelsäule bei bereits bestehender Veränderung mit Bandscheibenprotrusion, anerkannt mit Bescheid vom 6.5.2004). Darüber hinaus erlitt der Kläger am 20. Juni 2004 (Beckenfraktur) und am 4. September 2004 (HWS-Distorsion) zwei private Unfälle.

Auf der Grundlage eines amsärztlichen Gutachtens vom 5. Oktober 2005, das nach Einholung eines fachorthopädischen Zusatzgutachtens vom 19. Mai 2005 gefertigt wurde, stellte die Beklagte mit Bescheid vom 8. November 2005 die Erstattung von Kosten eines Heilverfahrens im Rahmen der Dienstunfallfürsorge aus den anerkannten Dienstunfällen vom 22. April 2003 und 9. März 2004 ein. Laut dem amtsärztlichen Gutachten seien Folgen aus den Dienstunfällen nicht mehr zu objektivieren. Den Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 16. März 2006 zurück. Das Verwaltungsgericht hat die mit dem Antrag auf Verpflichtung der Beklagten, Aufwendungen für das Heilverfahren anzuerkennen, erhobene Klage durch Gerichtsbescheid abgewiesen. Hiergegen richtet sich der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung.

II.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung, mit dem der Kläger ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Gerichtsbescheids (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und einen Verfahrensmangel im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO, auf dem die Entscheidung beruhen kann, geltend macht, hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe liegen nicht vor.

1. Ernstliche Zweifel im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO sind zu bejahen, wenn bei der Überprüfung im Zulassungsverfahren, also aufgrund der Begründung des Zulassungsantrags und der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts, gewichtige, gegen die Richtigkeit der Entscheidung sprechende Gründe zutage treten, aus denen sich ergibt, dass ein Erfolg der erstrebten Berufung mindestens ebenso wahrscheinlich ist wie ein Misserfolg. Das ist der Fall, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird (BVerfG, Beschl. v. 23.6.2000 - 1 BvR 830/00 -, DVBl. 2000, 1458). Die Richtigkeitszweifel müssen sich auch auf das Ergebnis der Entscheidung beziehen; es muss also mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anzunehmen sein, dass die Berufung zur Änderung der angefochtenen Entscheidung führen wird (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 30.4.2008 - 5 LA 200/07 -; BVerwG, Beschl. v. 10.3.2004 - BVerwG 7 AV 4.03 -, DVBl. 2004, 838).

Der Kläger wendet sich gegen die Feststellung des Verwaltungsgerichts, die Ausführungen in dem vorliegenden Gutachten der Amtsärztin und des Zusatzgutachters seien nicht zu beanstanden, zumal er - der Kläger - diese nicht durch die vorgelegte Stellungnahme des ihn behandelnden Arztes habe entkräften können. Das Verwaltungsgericht hat zur Begründung ausgeführt, der privatärztlichen Stellungnahme lasse sich nicht entnehmen, weshalb ein auf die Dienstunfälle zurückzuführender Dauerschaden gegeben sei, wenn zugleich ausgeführt werde, dass eine eindeutige Abgrenzung der durch die privaten Unfälle eingetretenen Schäden und den Dienstunfällen nicht möglich sei. Im Übrigen komme dem amtsärztlichen Gutachten gegenüber privatärztlichen Bescheinigungen ein größerer Beweiswert zu.

Der Kläger meint, das Verwaltungsgericht habe die Tätigkeit des ihn behandelnden Arztes Dr. med. B. nicht zur Kenntnis genommen, der ihn nach seinen Fach- und Spezialkenntnissen auf Grund der Dienstunfälle über Jahre ordnungsgemäß behandelt habe und auch noch behandele. Dieser sei über seine Beschwerden bestens informiert, kenne seine Leidensgeschichte und seine Verletzungen und wisse, welche Maßnahmen geholfen hätten und welche nicht. Demgegenüber sei das fachorthopädische Zusatzgutachten auf der Grundlage nur einer einzigen Untersuchung erstellt worden. Da sich das amtsärztliche Gutachten hierauf stütze, handele es sich tatsächlich nicht um ein amtsärztliches Gutachten, weshalb ihm ein höherer Beweiswert nicht zukommen könne. Das Gutachten und die Stellungnahme seines Arztes seien als gleichwertig anzusehen. Hinzu komme, dass die Amtsärztin Beamtin sei und sie daher auf Seiten des Staates stehen müsse.

Diese Einwände ziehen die verwaltungsgerichtlichen Feststellungen nicht schlüssig in Zweifel. Die Annahme des Verwaltungsgerichts, den amtsärztlichen Feststellungen im Gutachten vom 5. Oktober 2005 komme im vorliegenden Fall ein höherer Beweiswert zu, ist nicht zu beanstanden. Insoweit verweist der Senat auf die zutreffenden Ausführungen im Gerichtsbescheid (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO). Die Amtsärztin hat in ihrem Gutachten unter Berücksichtigung der Angaben des Klägers und der Ergebnisse des fachorthopädischen Zusatzgutachtens die einzelnen Unfälle und ihre Folgen dargestellt und die Auswirkungen eines jeden einzelnen Unfalls analysiert. Sie hat zum Dienstunfall vom 22. April 2003 im Wesentlichen ausgeführt, dass die erlittene HWS-Distorsion wegen des Fehlens sonstiger neurologisch fassbarer Parameter lediglich mit dem Schweregrad I klassifiziert werden könne und deren Folgen spätestens nach vier Monaten ausgeheilt seien. Die im Zusammenhang mit dem Unfall kernspintomografisch gesicherte Bandscheibenprotusion im Segment C5/6 könne nicht schlüssig im Sinne einer Unfallgenese eingeordnet werden, sondern sei als altersentsprechende Degeneration anzusehen. Dia aktuelle Problematik sei eindeutig belastungsbedingt, wobei die HWS-Situation eine zu vernachlässigende Rolle spiele. Es handele sich um einen klassischen Spannungskopfschmerz, der unter Umständen bei im Zuge der beruflichen Exposition zunehmender Belastung und Anspannung an Intensität gewinne. Zum Dienstunfall vom 9. März 2004 wird angegeben, dass der Kläger eine Stauchung der LWS erlitten habe, wodurch bei Fehlen von sonstigen Auffälligkeiten und bei Ausschluss einer irgendwie gearteten knöchernen Verletzung eine durchaus unangenehme und schmerzhafte Situation zu erwarten sei, die sich allerdings gegebenenfalls in einem vergleichsweise kurzen Zeitraum relativieren werde. Eine weitergehende bzw. anhaltende Problematik im Sinne eines unfallbedingten Dauerschadens sei ausgeschlossen. Erst der Unfall vom 20. Juni 2004 habe einen Dauerschaden ausgelöst, während der Unfall vom 4. September 2004 eine HWS-Distorsion mit dem Schweregrad I und möglicherweise eine Schultereckgelenkssprengung vom Typ Tossi II zur Folge gehabt habe.

Da die amtsärztlichen Ausführungen auf einem vollständigen Sachverhalt beruhen, in sich widerspruchsfrei und nachvollziehbar sind, ist ihnen grundsätzlich der vom Verwaltungsgericht angenommene höhere Beweiswert zuzuerkennen. Dem steht nicht entgegen, dass sich die Amtsärztin der Hilfe eines Facharztes bedient und ein fachorthopädisches Zusatzgutachten eingeholt hat. Damit wird dem amtsärztlichen Gutachten die Qualität eines Gutachtens mit höherem Beweiswert nicht genommen, da sich der Amtsarzt in diesem Fällen regelmäßig - so auch hier - die fachärztlichen Äußerungen zu Eigen macht. Hiergegen bestehen keine Bedenken (std. Rspr.; vgl. nur: BVerwG, Beschl. v. 8.3.2001 - 1 DB 8.01 -, DVBl. 2001, 1079).

Entgegen der Auffassung des Klägers ist dem Beamten in den Fällen, in denen einem amtsärztlichen Gutachten ein höherer Beweiswert zukommt, nicht die Möglichkeit genommen, diesen Beweiswert zu erschüttern. Voraussetzung hierfür ist aber, dass der Privatarzt sich in seiner von einem nachvollziehbaren und widerspruchsfreien amtsärztlichen Gutachten abweichenden Stellungnahme detailliert mit der amtsärztlichen Stellungnahme auseinander setzt und seinerseits nachvollziehbar und widerspruchsfrei begründet, weshalb er hiervon im Ergebnis abweicht. Dass diese Voraussetzungen hier von der privatärztlichen Stellungnahme des Dr. med. B. vom 24. Mai 2005 nicht erfüllt werden, hat das Verwaltungsgericht aufgezeigt, ohne dass der Kläger diesen Ausführungen mit seinem Zulassungsvorbringen entgegen getreten ist. Anhaltspunkte für eine Unrichtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Feststellungen sind nicht ersichtlich. Dr. med. B. hat im Übrigen nicht nachvollziehbare Angaben während des Verfahrens gemacht, wenn er einerseits in seiner Stellungnahme vom 19. Januar 2005 im Zusammenhang mit dem Dienstunfall vom 22. April 2003 eine Beendigung des Heilverfahrens im Juni 2004 angibt und andererseits in einer weiteren Stellungnahme (Beiakte A, Bl. 111) ausführt, den angestrebten Kuraufenthalt würde er als 100 v. H. dienstunfallbedingt bezogen auf den Unfall vom 22. April 2003 ansehen, während die Behandlung des Unfalls im Mai 2004 (gemeint ist wohl der Dienstunfall im Monat März 2004) im Wesentlichen vom 10. März 2004 bis Juni 2004 durchgeführt worden sei.

Dem amtsärztlichen Gutachten ist ein höherer Beweiswert nicht allein wegen des Umstandes abzusprechen, dass die Amtsärztin einen öffentlich-rechtlichen Status innehat. Denn dieses entbindet sie nicht von ihrer Verpflichtung, ihre Feststellungen nur unter ärztlichen Gesichtspunkten, wahrheitsgemäß und unparteiisch zu treffen; insoweit ist die Amtsärztin allseitig unabhängig und an keinerlei Weisungen oder Empfehlungen gebunden (vgl. etwa BVerwG, Urt. v. 11.4.2000 - BVerwG 1 D 1.99 -, Buchholz 235 § 121 BDO Nr. 12, zitiert nach juris Langtext, Rn.16; Urt. v. 21.2.1984 - BVerwG 1 D 58.83 -, BVerwGE 76, 135 <137>).

Die von dem Kläger erst im Berufungszulassungsverfahren vorgelegte Stellungnahme des Dr. med. C., Facharzt für Psychotherapeutische Medizin sowie Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, vom 15. Oktober 2007, die von dem Verwaltungsgericht nicht hat berücksichtigt werden können, ist ebenso wenig geeignet, die verwaltungsgerichtlichen Feststellungen schlüssig in Frage zu stellen. Denn auch diese Stellungnahme lässt die gebotene Auseinandersetzung mit den amtsärztlichen Feststellungen, dass beide Dienstunfälle aus den Jahren 2003 und 2004 Dauerschäden nicht zur Folge haben, nicht erkennen. Insbesondere ist nicht schlüssig dargetan, aus welchen Gründen nunmehr das Unfallgeschehen vom 22. April 2003 nicht nur ein körperliches Trauma, sondern auch eine psychische und psychosomatische Traumatisierung ausgelöst haben soll. Der Kläger muss sich insoweit vorhalten lassen, dass er weder seinem Arzt Dr. med. B. noch gegenüber der Amtsärztin angegeben hat, unmittelbar nach dem Unfall auch an Ängsten, Depressionen und psychosomatischen Beschwerden gelitten zu haben. Im Übrigen weist der Senat darauf hin, dass dem hier mit der Klage geltend gemachten Anspruch bereits entgegen stehen dürfte, dass die nunmehr festgestellte psychische und psychosomatische Traumatisierung nicht als Folge des am 22. April 2003 erlittenen Dienstunfalls anerkannt ist. Der Regelungsbereich des Bescheides vom 2. Juli 2003 dürfte sich insoweit allein auf die Anerkennung als Dienstunfall und die damit verbundene Folge einer HWS-Distorsion beschränken (vgl. zum Regelungsbereich OVG N.-W., Urt. v. 26.8.1998 - 12 A 5114/96 -, Schütz ES/C II 3.5 Nr. 10), was aber für die Entscheidung im Berufungszulassungsverfahren offen bleiben kann.

2. Die Berufung ist nicht wegen eines Verfahrensmangels im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO zuzulassen, da eine Verletzung der dem Verwaltungsgericht obliegenden Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) wegen der Ablehnung des auf die Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens gerichteten Beweisantrags nicht gegeben ist. Der Kläger wendet sich gegen die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass es der beantragten Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens nicht bedürfe, weil es von der Richtigkeit des amtsärztlichen Gutachtens und des fachorthopädischen Zusatzgutachtens überzeugt sei.

Diese Ausführungen lassen Rechtsfehler nicht erkennen. Über Art und Zahl der einzuholenden Sachverständigengutachten hat das Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen zu bestimmen (vgl. § 98 VwGO i. V. m. § 412 Abs. 1 ZPO). Die unterlassene Einholung eines weiteren Gutachtens kann deshalb nur dann verfahrensfehlerhaft sein, wenn sich dem Gericht eine weitere Beweisaufnahme aufdrängen musste. Das ist wiederum nur der Fall, wenn die vorliegenden Gutachten ihren Zweck nicht zu erfüllen vermögen, dem Gericht die zur Feststellung des entscheidungserheblichen Sachverhalts erforderliche Sachkunde zu vermitteln und ihm dadurch die Bildung der für die Entscheidung notwendigen Überzeugung zu ermöglichen. Dies kommt dann in Betracht, wenn die dem Gericht vorliegenden Gutachten grobe Mängel oder unlösbare inhaltliche Widersprüche aufweisen, von unzutreffenden sachlichen Voraussetzungen ausgehen oder wenn Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde oder der Unparteilichkeit des Gutachters besteht. Demgegenüber folgt die Verpflichtung zur Einholung eines weiteren Gutachtens nicht schon daraus, dass ein Beteiligter ein vorliegendes Gutachten als Erkenntnisquelle für unzureichend hält (vgl. nur BVerwG, Beschl. v. 20.1.2009 - BVerwG 2 B 4.08 -, zitiert nach juris Langtext, Rn. 29 m. zahlr. N. aus der bundesverwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung).

Hiervon ausgehend ist ein Verfahrensfehler nicht festzustellen. Es ist nicht ersichtlich, dass das amtsärztliche Gutachten seinen Zweck nicht zu erfüllen vermag und sich daher dem Verwaltungsgericht eine Beweisaufnahme hätte aufdrängen müssen. Letztlich behauptet auch der Kläger grobe Mängel oder bestehende Widersprüchlichkeiten innerhalb des amtsärztlichen Gutachtens nicht, sondern verweist lediglich auf die in der Bewertung und dem Ergebnis abweichenden Stellungnahmen des Dr. med. B. und des Dr. med. D..

Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

Ende der Entscheidung

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