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Gericht: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 24.11.2009
Aktenzeichen: 8 LA 174/09
Rechtsgebiete: RVS, VwVfG


Vorschriften:

RVS § 10
RVS § 21
VwVfG § 22
Die Austrittserklärung nach § 10 Abs. 3 RVS a. F. ist unwirksam, wenn sich das Mitglied bei der Abgabe in einem vom Versorgungswerk erkannten Irrtum über günstigere Möglichkeiten zur Fortführung der Mitgliedschaft befand und deshalb die Austrittserklärung alsbald widerruft.
Gründe:

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

Der 1951 geborene Kläger wurde nach Verlegung seines Kanzleisitzes nach C. im Jahr 1996 freiwilliges Mitglied der Beklagten. Im Juli 2007 stellte er einen Antrag auf Bewilligung von Berufsunfähigkeitsrente. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 25. März 2008 ab. Zur Begründung berief sie sich darauf, dass der Kläger auf Grund seiner Austrittserklärung vom 4. November 2004 bereits seit Langem nicht mehr bei ihr Mitglied sei. Gegen diesen Bescheid hat der Kläger fristgerecht Klage erhoben. Er hat beantragt festzustellen, dass er über den 4. November 2004 hinaus Mitglied der Beklagten geblieben sei, und die Beklagte zu verpflichten, ihm eine Berufsunfähigkeitsrente zu bewilligen. Das Verwaltungsgericht hat die Feststellungsklage unter Berufung auf die Subsidiarität dieser Klageart nach § 43 Abs. 2 VwGO abgewiesen. Auf die Verpflichtungsklage hat es die Beklagte zur Neubescheidung verpflichtet und zur Begründung ausgeführt, dass der Kläger weiterhin Mitglied der Beklagten sei. Zwar sei der Kläger mit der Erklärung vom 4. November 2004 grundsätzlich wirksam ausgetreten. Er habe aber mit Schreiben vom 19. November 2004 sinngemäß die Fortsetzung seiner Mitgliedschaft beantragt. Diesen Antrag habe die Beklagte konkludent angenommen. Denn sie habe den Kläger mindestens bis Februar 2008 fortlaufend als ihr Mitglied behandelt. Hilfsweise stelle sich die erstmals im Februar 2008 erfolgte Berufung der Beklagten auf den ihrer Ansicht nach bereits im November 2004 erfolgten Austritt des Klägers als unzulässige Rechtsausübung dar. An einer abschließenden Entscheidung über die Bewilligung einer Berufsunfähigkeitsrente hat sich das Verwaltungsgericht dadurch gehindert gesehen, dass die Beklagte das nach § 13 Abs. 4 der Satzung des Niedersächsischen Versorgungswerkes der Rechtsanwälte (= RVS) notwendige Gutachten eines von ihr bestimmten Arztes noch nicht eingeholt habe.

Ob die letztgenannte Ansicht des Verwaltungsgerichts zutrifft (vgl. insoweit Urt. d. Senats v. 26.4.2007 - 8 LB 212/05 -, GesR 2007, 359 f., m. w. N.), ist im Zulassungsverfahren nicht klärungsbedürftig. Gleiches gilt für die Frage, ob die Feststellungsklage zu Recht als unzulässig abgewiesen worden ist (vgl. insoweit Kopp/Schenke, VwGO, § 43, Rn. 33 ff.). Denn der insoweit beschwerte Kläger hat keinen Antrag auf Zulassung der Berufung gestellt. Ebenso wenig hat sich die Beklagte zur Begründung ihres Zulassungsantrages darauf berufen, dass das Verwaltungsgericht über den Antrag auf Bewilligung einer Berufsunfähigkeitsrente zu Unrecht nicht abschließend entschieden habe. Stattdessen wendet sich die Beklagte mit ihrem Zulassungsvorbringen allein gegen die Annahme des Verwaltungsgerichts, die Mitgliedschaft des Klägers bestehe fort. Ernstliche Zweifel i. S. d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO an der Richtigkeit dieser tragenden und die Beklagte bei der gebotenen Neubescheidung bindenden Begründung bestehen jedoch nicht.

Der Kläger ist aus den nachfolgend genannten Gründen bereits nicht wirksam aus dem Versorgungswerk ausgetreten, so dass offen bleiben kann, ob sich die Beklagte heute noch mit Rückwirkung vom November 2004 an auf einen damals wirksamen Austritt des Kläger berufen könnte.

Nach § 10 Abs. 3 RVS in der im November 2004 geltenden Fassung vom 4. September 1996 (Nds. Rpfl. 1997, 241), zuletzt geändert am 5. September 2001 (Nds. Rpfl. 2002, 192 = RVS a. F.), konnte die freiwillige Mitgliedschaft durch schriftliche Austrittserklärung des Mitglieds beendet werden, wenn es gleichzeitig eine Erstattung seiner Beiträge gemäß § 21 Abs. 1 beantragte. Die freiwillige Mitgliedschaft endete dann mit Ablauf des Kalendermonats, in dem die Erklärung dem Versorgungswerk zugegangen war.

Der Kläger hat am 4. November 2004 unter Bezugnahme auf die zuvor genannten Bestimmungen schriftlich seinen Austritt erklärt und zugleich um Beitragserstattung gebeten. Er sehe keine andere Möglichkeit, sich aus dem "Würgegriff" der Beklagten "zu befreien".

Es bedarf keiner weiteren Prüfung, ob der zum Zeitpunkt der Abgabe dieser Erklärung im November 2004 im Insolvenzverfahren befindliche Kläger deshalb in seiner Antragsbefugnis beschränkt (vgl. Senatsbeschl. v. 20.6.2007 - 8 PA 49/07 -, NdsRpfl. 2008, 53 ff.) oder aus gesundheitlichen Gründen handlungsunfähig i. S. v. § 12 Abs. 1 VwVfG war.

Bei der vom Kläger am 4. November 2004 abgegebenen Erklärung handelt es sich um eine öffentlich-rechtliche Willenserklärung eines Bürgers. Im Verwaltungsrecht finden sich nur wenige ausdrückliche Regelungen zu den Fragen, unter welchen Voraussetzungen eine solche Erklärung bindend ist oder widerrufen bzw. angefochten werden kann. Anerkannt ist allerdings, dass bei öffentlich-rechtlichen Erklärungen des Bürgers für die Behörde der wirkliche Wille des Bürgers maßgeblich ist. Dies folgt aus der der Behörde allgemein nach §§ 24, 25 VwVfG (vgl. vorliegend § 36 RVS a. F.) obliegenden Betreuungs- und Hinweispflicht (vgl. Kluth, NVwZ 1990, 608, 609 f., m. w. N.). Denn die Behörde soll nach § 25 VwVfG die Berichtigung von Anträgen anregen, wenn diese offensichtlich nur versehentlich oder aus Unkenntnis unterblieben oder unrichtig abgegeben oder gestellt worden sind. Offensichtlich irrtümlich abgegebene Erklärungen des Bürgers sind daher wirkungslos, ohne dass es einer Anfechtung analog §§ 119 ff. BGB bedarf (vgl. Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 22, Rn. 79). Außerdem ist anerkannt, dass ein Antrag gemäß § 22 VwVfG auch noch nach Zugang bei der Behörde bis zum Erlass des beantragten Verwaltungsaktes widerrufen werden kann (vgl. Stelkens/Bonk/Sachs, a. a. O., § 22, Rn. 70 f.). Darüber hinausgehend ist schließlich auch eine nicht auf den Erlass eines Verwaltungsaktes gerichtete Willenserklärung des Bürgers gegenüber einem Träger der gesetzlichen Sozialversicherung frei widerrufbar, solange der Träger die auf Grund der Erklärung gebotene konstitutive oder auch nur deklaratorische Verwaltungsentscheidung noch nicht getroffen hat (vgl. BSG, Urt. v. 6.2.1991 - 13/5 RJ 18/89 -, BSGE 68, 144, und Urt. v. 16.9.1998 - B 11 AL 17/98 R -, juris, m. w. N.). Wegen der insoweit vergleichbaren Interessenlage kann auf diese sozialgerichtliche Rechtsprechung auch für das nicht kodifizierte Verfahrensrecht der berufsständischen Versorgung zurückgegriffen werden (vgl. zum Verzicht den Senatsbeschl. v. 4.5.2009 - 8 LA 63/09 -, GewArch 2009, 463).

Hieran gemessen war die Erklärung des Klägers vom 4. November 2004 bereits anfänglich wirkungslos, ist aber zumindest am 19. November 2004 wirksam widerrufen worden.

Denn der Kläger unterlag bei Abgabe der Erklärung am 4. November 2004 einem für die Beklagte erkennbaren Irrtum über seine Rechte und Pflichten als freiwilliges Mitglied der Beklagten. Der damals einkommens- und vermögenslose, von Sozialhilfe lebende Kläger sah nämlich keine andere Möglichkeit als den Austritt, um sich weiteren Beitragsforderungen der Beklagten zu entziehen. Dabei hatte er übersehen, dass er unter diesen Voraussetzungen nach § 24 Abs. 6 RVS a. F. überhaupt keine Beiträge zu zahlen hatte, er also die für ihn günstige Mitgliedschaft nach der RVS a. F. auch ohne weitere Beitragszahlungen aufrechterhalten konnte. In einem schriftlich nicht im Einzelnen dokumentierten Telefongespräch zwischen dem Kläger und einem Mitarbeiter der Beklagten ist dann am 8. November 2004 offenbar über diese vom Kläger zunächst übersehene Alternative gesprochen und eine schriftliche Korrektur der Austrittserklärung vom 4. November 2004 in Aussicht genommen worden. Die im Falle des wirksamen Austritts erforderliche anteilige Erstattung von Mitgliedsbeiträgen unterblieb deshalb.

Selbst wenn man jedoch entgegen den vorherigen Ausführungen nicht schon von der anfänglichen Unwirksamkeit der Austritts- und Erstattungserklärung vom 4. November 2004 ausgeht, so ist sie doch spätestens mit dem am 19. November 2004 erfolgten Widerruf unwirksam geworden. Denn die Beklagte hatte bis dahin weder konstitutiv noch deklaratorisch die Wirksamkeit des Austritts festgestellt, noch hat sie über die Höhe eines daraus folgenden Erstattungsanspruches entschieden. Nach § 10 Abs. 3 Satz 2 RVS a. F. konnte die freiwillige Mitgliedschaft des Klägers ohnehin nicht vor dem Ende des Monats November 2004 durch Austritt beendet werden. Die Beklagte ist deshalb nach einem Vermerk vom 23. November 2004 zu Recht selbst von der Unwirksamkeit des Austritts ausgegangen und hat stattdessen die Fortführung einer beitragslosen Mitgliedschaft des Klägers veranlasst. Folgerichtig hat die Beklagte den Kläger in den nachfolgenden Jahren auch weiterhin als Mitglied behandelt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 47 Abs. 1 und 3, 42 Abs. 3 GKG analog und Nr.1.4 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NVwZ 2004, 1327). Für die im Zulassungsverfahren allein streitige Verpflichtung der Beklagten, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut über den Antrag des Klägers auf Bewilligung einer Berufsunfähigkeitsrente zu entscheiden, bemisst sich somit der Streitwert nach dem 1 1/2-fachen Jahresbetrag des dem Kläger im Obsiegensfalle monatlich zustehenden Rentenbetrages von 144, 22 € (= 2.595, 96 €).

Ende der Entscheidung

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