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Gericht: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 28.07.2009
Aktenzeichen: 8 ME 111/09
Rechtsgebiete: AufenthG, GG, VwGO


Vorschriften:

AufenthG § 27
AufenthG § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3
AufenthG § 28 Abs. 2 Satz 2
AufenthG § 5 Abs. 1 Nr. 2
AufenthG § 53
GG Art. 6
VwGO § 80
Keine Aufenthaltserlaubnis für den im Großraum Hamburg wohnhaften ausländischen Vater von drei, zwischen 1998 bis 2001 geborenen, im Saarland, z. T. in Heimen, lebenden deutschen Kindern, wenn der Ausländer seine Kinder seit dem Sommer 2007 nur einmal jährlich gesehen hat und eine emotionale Verbundenheit nicht zu erkennen ist.
Gründe:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts hat keinen Erfolg. Dem Antragsteller kann nach §§ 27, 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Abs. 2 Satz 2 AufenthG keine Aufenthaltserlaubnis erteilt bzw. verlängert werden, weil er zwar Vater von drei minderjährigen, im Saarland lebenden deutschen Kindern ist, die Personensorge aber nicht in dem nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG erforderlichen Umfang ausübt. Sein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist deshalb vom Verwaltungsgericht im Ergebnis zu Recht abgelehnt worden.

Das Aufenthaltsgesetz enthält keine ausdrücklichen Vorgaben zu der Frage, wann die Personensorge i. S. d. § 28 AufenthG ausgeübt wird. Nähere Anhaltspunkte dazu ergeben sich aber - soweit hier erheblich - aus der verfassungsrechtlichen Rechtsprechung zum Schutzgehalt des Art. 6 GG zu Gunsten von umgangsberechtigten ausländischen Vätern deutscher Kinder. Auf diese Rechtsprechung ist auch zur Auslegung der §§ 27, 28 AufenthG zurückzugreifen, da die hier umstrittene Aufenthaltserlaubnis gemäß § 27 Abs. 1 AufenthG gerade zum Schutz der Familie gemäß Art. 6 GG erteilt und nach § 28 Abs. 2 Satz 2 AufenthG verlängert wird, solange die familiäre Lebensgemeinschaft fortbesteht (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 19.12.2005 - 11 ME 359/05 -, NVwZ-RR 2006, 356, m. w. N.).

Art. 6 Abs. 1 GG verpflichtet die Ausländerbehörde, bei der Entscheidung über aufenthaltsbeendende Maßnahmen die familiären Bindungen des den (weiteren) Aufenthalt begehrenden Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, pflichtgemäß, das heißt entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen, in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen(vgl. zum Folgenden: BVerfG, Beschl. v. 1.12.2008 - 2 BvR 1830/08 -, m. w. N.). Dieser verfassungsrechtlichen Pflicht des Staates zum Schutz der Familie entspricht ein Anspruch des Trägers des Grundrechts aus Art. 6 GG darauf, dass die zuständigen Behörden und Gerichte bei der Entscheidung über das Aufenthaltsbegehren seine familiären Bindungen an im Bundesgebiet lebende Personen angemessen berücksichtigen.

Ausländerrechtliche Schutzwirkungen entfaltet Art. 6 GG freilich nicht schon aufgrund formal-rechtlicher familiärer Bindungen. Entscheidend ist vielmehr die tatsächliche Verbundenheit zwischen den Familienmitgliedern. Bei der Bewertung der familiären Beziehungen verbietet sich eine schematische Einordnung als entweder aufenthaltsrechtlich grundsätzlich schutzwürdige Lebens- und Erziehungsgemeinschaft oder Beistandsgemeinschaft oder aber bloße Begegnungsgemeinschaft ohne aufenthaltsrechtliche Schutzwirkungen, zumal auch der persönliche Kontakt mit dem Kind in Ausübung eines Umgangsrechts unabhängig vom Sorgerecht Ausdruck und Folge des natürlichen Elternrechts und der damit verbundenen Elternverantwortung ist und daher unter dem Schutz des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG steht. Der spezifische Erziehungsbeitrag des Vaters wird nicht durch die Betreuung des Kindes durch die Mutter entbehrlich. Es kommt in diesem Zusammenhang auch nicht darauf an, ob eine Haushaltsgemeinschaft vorliegt und ob die von einem Familienmitglied tatsächlich erbrachte Lebenshilfe auch von anderen Personen erbracht werden könnte. Eine verantwortungsvoll gelebte und dem Schutzzweck des Art. 6 GG entsprechende Eltern-Kind-Gemeinschaft lässt sich nicht allein quantitativ etwa nach Daten und Uhrzeiten des persönlichen Kontakts oder genauem Inhalt der einzelnen Betreuungshandlungen bestimmen. Die Entwicklung eines Kindes wird nicht nur durch quantifizierbare Betreuungsbeiträge der Eltern, sondern auch durch die geistige und emotionale Auseinandersetzung geprägt.

Bei aufenthaltsrechtlichen Entscheidungen, die den Umgang mit einem Kind berühren, ist im Einzelfall zu würdigen, in welcher Form die Elternverantwortung ausgeübt wird und welche Folgen eine endgültige oder vorübergehende Trennung für die gelebte Eltern-Kind-Beziehung und das Kindeswohl hätte. Soweit für die Bejahung des Vorliegens einer familiären (Lebens-)Gemeinschaft regelmäßige Kontakte des getrennt lebenden Elternteils mit seinem Kind, die die Übernahme elterlicher Erziehungs- und Betreuungsverantwortung zum Ausdruck bringen, sowie eine emotionale Verbundenheit gefordert werden, begegnet das für sich genommen keinen grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Bedenken. Die familiäre (Lebens-)Gemeinschaft zwischen einem Elternteil und seinem minderjährigen Kind ist getragen von tatsächlicher Anteilnahme am Leben und Aufwachsen des Kindes. Im Falle eines regelmäßigen Umgangs des ausländischen Elternteils, der dem auch sonst Üblichen entspricht, wird in der Regel von einer familiären Gemeinschaft auszugehen sein. Auch Unterhaltsleistungen sind in diesem Zusammenhang ein Zeichen für die Wahrnehmung elterlicher Verantwortung.

Hieran gemessen lässt sich nicht feststellen, dass zwischen dem Antragsteller und seinen drei Kindern eine schutzwürdige familiäre (Lebens-)Gemeinschaft besteht, zu deren Fortführung ihm eine Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Abs. 2 Satz 2 AufenthG zu erteilen ist. Spätestens seit 2004 lebt der Antragsteller mit seinen zwischen 1998 und 2001 geborenen Kindern nicht mehr in einer häuslichen Gemeinschaft. Während die Kinder weiterhin im Saarland leben, ist er in den Großraum Hamburg zu seinen dort lebenden Verwandten gezogen. Der Antragsteller ist mehrfach wegen Körperverletzung gegenüber seiner Ehefrau rechtskräftig verurteilt worden und hat - nach deren Angaben - auch die Kinder geschlagen. Der Antragsteller ist auch nicht Inhaber des Sorgerechts für seine Kinder. Nach dem Beschluss des Amtsgerichts Saarbrücken vom 8. März 2007 besteht zudem nur hinsichtlich der Kinder C. und D. ein (monatliches) Umgangsrecht, nicht aber auch für den 1999 geborenen E.. Von dem ihm danach zustehenden (eingeschränkten) Umgangsrecht hat der Antragsteller zumindest seit dem Sommer 2007 keinen Gebrauch mehr gemacht. Seine Kinder hat er seitdem bis zum Juni 2009 nur an Weihnachten 2008 persönlich gesehen und nach den Angaben der Mutter, Frau B., mit ihnen bis zum Februar 2009 nur dreimal telefonisch Kontakt gehabt. E. und F. befinden sich seit längerer Zeit wegen besonderen Förderbedarfs in einer stationären Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe. Die Möglichkeit, sie dort jeweils mittwochs telefonisch zu erreichen, hat der Antragsteller in der Vergangenheit nur sporadisch wahrgenommen. Wann und in welcher Höhe der Antragsteller seinen Kindern Unterhalt leistet oder geleistet hat, ist nicht zu erkennen.

Bei dieser Sachlage ist eine tatsächliche, von emotionaler Verbundenheit getragene Anteilnahme am Aufwachsen seiner Kinder beim Antragsteller nicht gegeben. Auch unter Berücksichtigung seiner eingeschränkten finanziellen Möglichkeiten hat er sich in den letzten zwei Jahren ab dem Sommer 2007 bis auf den Aufenthalt Weihnachten 2008 nicht mehr ernsthaft um einen persönlichen Kontakt zu seinen Kindern bemüht, auch nicht etwa zu sonstigen Feiertagen, ihren Geburtstagen oder anlässlich des Heimaufenthaltes von zwei Kindern. Es ist nicht einmal zu erkennen, dass er zumindest zu den genannten Anlässen mit seinen Kindern telefoniert hat. Andernfalls wäre es zu weit mehr als zu den drei von der Mutter angegebenen Gesprächen gekommen. Soweit der Antragsteller nähere Kontakte zu seinen Kindern, etwa durch wechselseitige Schreiben oder Übersendung von Geschenken, angegeben hat, sind diese Kontakte spätestens zum Februar 2008 beendet worden. Erst Ostern 2009 - mit Beginn des hier laufenden Verfahrens - sollen wieder (Oster)-Geschenke verschickt und der Kontakt intensiviert worden sein.

Zu keinem anderen Ergebnis führen die mit Schreiben vom 10. und vom 27. Juli 2009 behaupteten Änderungen im Verhalten des Antragstellers. Das Schreiben vom 27. Juli 2009 mit der nur sehr schwer verständlichen handschriftlichen Erklärung von Frau B. als Anlage ist trotz vorhergehenden Hinweises erst nach dem Ablauf der Frist zur Begründung der Beschwerde beim Gericht eingegangen und enthält oder ersetzt nicht die nach § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO notwendige Auseinandersetzung mit der Begründung des Verwaltungsgerichts, der Antragsteller übe die Personensorge i. S. d. § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG nicht aus. Es ist nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO auch nicht Aufgabe des Senats, sich aus den nicht aufeinander abgestimmten Schreiben des Antragstellers nebst Anlagen vom 23. Juni, 2., 10. und 27. Juli 2009 das nunmehr maßgebliche Beschwerdevorbringen des Antragstellers erst zusammenzustellen. Im Übrigen überzeugen die jetzigen Angaben von Frau B., die sie entgegen einer wiederholten Ankündigung des Antragstellers nicht an Eides Statt versichert hat, zu der vermeintlichen Änderung im Verhalten des Antragstellers auch inhaltlich nicht. So bleibt offen, seit wann und weshalb genau er nunmehr mindestens ein- bis zweimal wöchentlich mit seinen Kindern telefoniere und an ihrem Schicksal Anteil nehme. Im Schreiben vom 10. Juli 2009 wird von "Monaten" gesprochen, in der Anlage zum Schreiben vom 27. Juli 2009 vom "Frühjahr 2009" und in der Erklärung von Frau B. offenbar vom "Mai 2009". Außerdem hatte der Antragsteller schon im November 2008 vorgetragen, seine Kinder nunmehr monatlich besuchen zu wollen, ohne dieses Vorhaben umgesetzt zu haben. Ebenso wenig hat er konkret dargelegt, wann er wieder in das Saarland, d.h. in die räumliche Nähe seiner Kinder, ziehen will. Es entsteht der Eindruck, dass der Antragsteller sich zu dem aktuellen Besuch bei seinen Kindern nur auf Grund des laufenden aufenthaltsrechtlichen Verfahrens entschlossen hat, nicht aber auf Grund tatsächlicher emotionaler Verbundenheit mit der Erziehung und Entwicklung seiner Kinder.

Der Kontakt des Antragstellers zu seinen Kindern in dem Umfang, in dem er in den letzten beiden Jahren erfolgt ist, kann auch bei einem Aufenthalt des Antragstellers im Heimatland fortgeführt werden. Denn auch von dort sind regelmäßige Telefongespräche ebenso wie zumindest ein jährlicher Besuch möglich, ohne dass die Kinder dadurch einen Schaden erlitten. Es braucht daher nicht geklärt zu werden, ob der persönliche Kontakt zwischen dem Antragsteller und seinen Kindern für ihr Wohl überhaupt förderlich ist, was der Antragsgegner unter Bezugnahme auf die Angaben ihrer Mutter und die erfolgten Verurteilungen des Antragstellers in Zweifel gezogen hat.

Ebenso wenig ist der vom Verwaltungsgericht in den Mittelpunkt seiner Ausführungen gerückten Frage näher nachzugehen, ob die vom Antragsteller begangenen Straftaten nach §§ 5 Abs. 1 Nr. 2, 53 AufenthG die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach den §§ 27 ff. AufenthG ausschließen. Denn schon die Tatbestandsvoraussetzungen des § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG liegen nicht vor.

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