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Beginn der Entscheidung

Gericht: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 19.12.2005
Aktenzeichen: 9 LA 87/05
Rechtsgebiete: KrW-/AbfG, NKAG


Vorschriften:

KrW-/AbfG § 11 Abs. 2
KrW-/AbfG § 13 Abs. 1 Nr. 1
KrW-/AbfG § 5 Abs. 2 Nr. 4
NKAG § 5
Der Satzungsgeber muss durch die Gebührenregelung einen Anreiz zur Trennung der Abfallfraktionen geben; die Gebührenregelung soll die Akzeptanz der Bioabfalltonne bewirken; die Eigenkompostierung darf nicht verboten oder unzumutbar erschwert werden; dem Bürger darf nicht über einen "finanziellen Anschlusszwang" eine Biotonne aufgezwungen werden.
Gründe:

Der auf die Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützte Zulassungsantrag des Beklagten hat keinen Erfolg.

Das Verwaltungsgericht hat der gegen die Heranziehung zu Zusatzgebühren für die Bioabfalltonne gerichteten Klage mit der Begründung stattgegeben, der Beklagte verfüge nicht über ein wirksames Satzungsrecht für die Heranziehung zu den streitigen Abfallbeseitigungsgebühren. Die Gebührensätze der Abfallgebührensatzung des Beklagten vom 16. Dezember 2002 ( Amtsblatt für den Landkreis Aurich Nr. 46 vom 20. Dezember 2002, S. 198 ff. ) in der Fassung der Änderungssatzung vom 15. Dezember 2003 (Amtsblatt für den Landkreis Aurich Nr. 44 vom 19. Dezember 2003) seien nichtig, weil sie höherrangigem Recht widersprächen. Angesichts der Fehlerhaftigkeit des Gebührenmaßstabs habe eine wirksame Gebührenkalkulation sowie Festlegung des Gebührensatzes insgesamt nicht erfolgen können, weil der Schlüssel, nach dem die Kosten der Abfallbeseitigung auf die Gebührenschuldner verteilt werden, und damit zugleich die Umlegung der Kosten auf die jeweilige Maßstabseinheit falsch seien. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts seien zwar bei Abfällen aus privaten Haushaltungen die öffentlich-recht-lichen Entsorgungsträger für die Entsorgung verantwortlich, doch räume als Ausnahme von diesem Grundsatz § 13 Abs.1 Satz 1 KrW-/AbfG den privaten Haushaltungen das Recht zur eigenen Verwertung ein, soweit sie dies wollten und hierzu in der Lage seien. Der Gesetzgeber habe bei dieser Ausnahme speziell an die Möglichkeit der Eigenkompostierung gedacht. Dem widerspreche es, wenn es dem Bürger wegen des bestehenden Anschluss- und Benutzungszwangs entweder nicht gestattet sei, den unproblematischen Bioabfall selbst zu kompostieren, oder es ihm zwar unbenommen bleibe, den unproblematisch kompostierbaren Bioabfall selbst ordnungsgemäß zu beseitigen, er aber einem "finanziellen Anschlusszwang" unterliege, indem er für die bereitzuhaltende Biomülltonne ohne Freistellung für eine bestimmte Bioabfallmenge eine Zusatzgebühr zahlen müsse unabhängig davon, ob er sie nutze oder nicht. So liege der Fall aber hier. Der Bürger unterliege gemäß den §§ 4 Abs. 1 und 2, 6 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2, 7 Abs. 1 und 2, 20 Abfallentsorgungssatzung in der Fassung der 2. Änderungssatzung vom 16. Dezember 2002 ( Amtsblatt für den Landkreis Aurich Nr. 46 vom 20. Dezember 2002, S. 200 f. ) dem Anschluss- und Benutzungszwang für alle kompostierbaren Abfälle, ohne dass eine Befreiung möglich sei und ohne dass im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts eine zumindest teilweise Freistellung von Zusatzgebühren für Bioabfälle erfolge. Da die entsprechenden Vorschriften der Abfallgebührensatzung nichtig seien, erweise sich die Heranziehung als rechtswidrig.

Die vom Beklagten dargelegten Zweifel an der Richtigkeit dieser Rechtsauffassung teilt der Senat nicht. In dem vom Verwaltungsgericht seiner Entscheidung zugrundegelegten Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 20. Dezember 2000 ( - 11 C 7.00 - BVerwGE 112, 297 = NVwZ 2002, 199 = DVBl 2001, 488 = Buchholz 401.84 Nr. 94), durch das die Revision gegen ein vorausgegangenes Urteil des Senats vom 20. Januar 2000 ( - 9 L 636/99 - Parallelsache 9 L 2396/99 abgedruckt in: NdsVBl 200, 271 = NdsRpfl 2000, 298 = ZMR 2000, 713 = NVwZ-RR 2001, 128) zurückgewiesen worden ist, wird zur gebührenrechtlichen Behandlung von Bioabfällen folgendes ausgeführt:

"Wie das Berufungsgericht nicht verkannt hat, kommt hinzu, dass im vorliegenden Fall die Biotonne gezielt bezuschusst wird. Diese (echte) Quersubventionierung erfolgt durch die Freistellung der ersten 60 l Bioabfall von der Zusatzgebühr. Da die genannte Regelung - wie noch zu erörtern ist (unten 2.2) - nicht gegen § 13 Abs. 1 Satz 1 KrW-/AbfG verstößt, ist sie aus den vom Berufungsgericht genannten Gründen sachgerecht und deswegen mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar.

Im Anschluss an das Bundesverfassungsgericht (vgl. BVerfGE 50, 217 <226>; 97, 332 <345>) hat auch das Bundesverwaltungsgericht bereits mehrfach die Verfolgung von Lenkungszwecken in Gebührenregelungen für zulässig erklärt. Namentlich hat es die in den Abfallgesetzen der Länder normierte Verpflichtung des kommunalen Satzungsgebers gebilligt, Abfallgebühren so zu gestalten, dass hierdurch die Vermeidung und Verwertung von Abfällen gefördert wird (vgl. Beschluss vom 3. Mai 1994 - BVerwG 8 NB 1.94 - Buchholz 401.84 Benutzungsgebühren Nr. 70 S. 15 ff.; Beschluss vom 26. Mai 1998 - BVerwG 8 B 82.98 - Buchholz 401.84 Benutzungsgebühren Nr. 89 S. 75 f.). Nach den vom Berufungsgericht im vorliegenden Fall getroffenen tatsächlichen Feststellungen ist die in Rede stehende Regelung auch geeignet, die gewünschten Anreize zur Trennung der Abfallfraktionen zu erzielen (vgl. § 5 Abs. 2 Satz 4 und § 11 Abs. 2 KrW-/AbfG). Das Berufungsgericht hat ohne Rechtsfehler insbesondere darauf abgestellt, dass der mittlerweile bei der Beklagten für die Biotonne erzielte Anschlussgrad von 94,4 % ohne eine Quersubventionierung der Biotonne nicht erreichbar wäre.

Dem kann der Kläger nicht mit Erfolg entgegenhalten, die Freistellung der ersten 60 l Bioabfall von der Zusatzgebühr sei nicht dazu angetan, die Bereitschaft der privaten Haushaltungen zu fördern, durch ihr Verhalten zur Bioabfallvermeidung beizutragen. Entgegen der Auffassung des Klägers ist dem in § 4 Abs. 1 KrW-/AbfG normierten Vorrang der Abfallvermeidung vor der Abfallverwertung keine Entscheidung des Bundesgesetzgebers für oder gegen ein bestimmtes Gebührenmodell zu entnehmen. Es bleibt vielmehr im Grundsatz Sache des kommunalen Satzungsgebers im Rahmen der landesrechtlichen Vorgaben durch seine Gebührenregelung vorrangig ein Verhalten der Abfallbesitzer zu fördern, das ihm im Interesse der Funktionsfähigkeit der kommunalen Abfallwirtschaft notwendig erscheint. Dazu gehört eine breite Akzeptanz der Biotonne. Insofern steht dem Satzungsgeber eine gebührenrechtliche Konzeptbefugnis zu, die auch - als "Werbegeschenk" an die Produzenten von Bioabfall - einen teilweisen Gebührenverzicht umfasst. Zielkonflikte mit anderen abfallwirtschaftlichen Zwecksetzungen können dabei in Kauf genommen werden.

.......

Dem Kläger ist zuzugeben, dass es zu weit ginge, wenn von der Freistellung der ersten 60 l Bioabfall ein "finanzieller Anschlusszwang" ausginge. Denn insofern würde die Gebührenregelung mit § 13 Abs. 1 Satz 1 KrW-/AbfG kollidieren. Nach dieser Vorschrift sind Eigenkompostierer von einem abfallrechtlichen Anschluss- und Benutzungszwang auszunehmen. Diese Entscheidung des Bundesgesetzgebers darf durch den kommunalen Satzungsgeber nicht konterkariert werden. Das ist vorliegend jedoch nicht der Fall.

Die Einheit der Rechtsordnung verbietet es dem Satzungsgeber, sich für eine gebührenrechtliche Lenkungswirkung zu entscheiden, die dem Gebührenpflichtigen ein Verhalten abverlangt, das einer Regelung des Bundesgesetzgebers widerspricht. Eine insoweit vom Sachgesetzgeber getroffene Entscheidung darf nicht durch die gebührenrechtliche Lenkungswirkung verfälscht werden (vgl. BVerfGE 98, 106 <118 f.>; bestätigt durch BVerfGE 98, 265 <298 ff.>).

In Abweichung vom Verursacherprinzip, das in § 5 Abs. 2 Satz 1 und § 11 KrW-/AbfG normiert ist, sind bei Abfällen aus privaten Haushaltungen die öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger für die Entsorgung verantwortlich (vgl. § 13 Abs. 1 Satz 1 und § 15 Abs. 1 KrW-/AbfG). Als Ausnahme von diesem Grundsatz räumt § 13 Abs. 1 Satz 1 KrW-/AbfG aber den privaten Haushaltungen das Recht zur eigenen Verwertung ein, soweit sie dies wollen und hierzu in der Lage sind. Der Gesetzgeber hat bei dieser Ausnahme speziell an die Möglichkeit der Eigenkompostierung gedacht (vgl. die Begründung des Regierungsentwurfs, BTDrucks 12/5672, S. 44). Dieser privaten "Verwertungsoption" (Klöck, NuR 1999, 441 <442>) widerspricht die in Rede stehende Freistellung der ersten 60 l Bioabfall von der Zusatzgebühr nicht. Hierdurch wird die Eigenkompostierung weder verboten noch unzumutbar erschwert. Den privaten Haushaltungen wird aber auch nicht eine Biotonne aufgezwungen (so in dem Fall OVG NW, Urteil vom 10. August 1999 - 22 A 5429/96 - NVwZ 1999, 91 f.). Eigenkompostierer sind vielmehr nur einem werbenden Anreiz ausgesetzt, die Biotonne zusätzlich zu nutzen.

Dies ist bundesrechtlich zulässig und steht im Einklang mit dem abfallwirtschaftlichen Ziel einer ordnungsmäßigen und schadlosen Abfallverwertung (vgl. § 5 Abs. 3 Satz 1 KrW- /AbfG). Denn unzweifelhaft - auch der Kläger bestreitet dies nicht - gibt es problematischen Bioabfall (z.B. Fleisch- und Fischabfälle, gekochte Speisereste, mit Krankheitserregern versetzte Pflanzenreste), der von privaten Haushalten nur unter erheblichen Schwierigkeiten im Wege der Kompostierung ordnungsgemäß entsorgt werden kann. Es mag dahinstehen, ob die Befreiung von dem Anschluss- und Benutzungszwang auf der Grundlage von § 13 Abs. 1 Satz 1 KrW-/AbfG umfassend gehandhabt werden muss (so OVG NW, Urteil vom 10. August 1999 - 22 A 5429/96 - a.a.O.) oder ob es zulässig ist, die Befreiung im Wege einer Verwaltungsentscheidung auf die unproblematisch kompostierbaren Bioabfälle zu beschränken. So oder so muss eine Lösung dieses Problems erzielt werden. Insoweit erscheint es angemessen, dass der kommunale Satzungsgeber durch Subvention der Biotonne einen Anreiz zu deren Nutzung auch gerade durch Eigenkompostierer schafft.

Sinn und Zweck des § 13 Abs. 1 Satz 1 KrW-/AbfG verbieten es nicht, dieses "Werbegeschenk" teilweise über die Grundgebühr und auch über die Zusatzgebühr für den Restabfallbehälter zu finanzieren. Die Alternative, zur Refinanzierung Steuermittel einzusetzen, drängt sich nicht auf. Auch Aufwendungen im Interesse eines legitimen Lenkungszwecks zählen zu den Kosten, die durch das Gebührenaufkommen zu decken sind. Aus den zuvor erörterten Gründen ist der hier mit der Quersubventionierung der Biotonne verfolgte Lenkungszweck gesetzeskonform.

Der Kläger kann den vorstehenden Überlegungen nicht mit Erfolg entgegenhalten, dass er in seinem Haushalt eine strikte Abfallvermeidung (z.B. den Einkauf von knochenlosem Fleisch) praktiziere und etwa dennoch anfallenden problematischen Bioabfall unter Beachtung aller gebotener Vorsicht schadlos verwerte. Dies mag für seine Person eine geeignete Problemlösung darstellen. Auf eine derart individuelle Betrachtung der Dinge brauchte sich der kommunale Satzungsgeber bei seiner Gebührenregelung jedoch nicht einzulassen. Es geht hier um die Regelung von Massenerscheinungen, die eine Typisierung erfordert (vgl. z.B. BVerwG, Beschluss vom 28. März 1995 - BVerwG 8 N 3.93 - Buchholz 401.84 Benutzungsgebühren Nr. 75 S. 36). Der Satzungsgeber konnte es als unpraktikabel ansehen, das verantwortungsbewusste Verhalten der Eigenkompostierer durch einen behördlichen "Überwachungsdruck" sicherzustellen. Das reicht als sachlich einleuchtender Grund aus, um sich dafür zu entscheiden, auf eine schadlose Verwertung des problematischen Bioabfalls mittels des Anreizes der Freimenge von 60 l Bioabfall hinzuwirken."

Dem Beklagten ist zuzustimmen, dass das Bundesverwaltungsgericht mit seiner Entscheidung den dem Satzungsgeber bei der Bemessung von Abfallgebühren eröffneten weiten Gestaltungsspielraum erneut bestätigt und ihm kein bestimmtes Gebührenmodell vorgegeben hat. Den vorstehend zitierten Darlegungen sind aber dennoch einige Eckpunkte zu entnehmen, die aus der - vom Senat geteilten - Sicht des Bundesverwaltungsgerichts im Hinblick auf die Berücksichtigung der Bioabfallentsorgung in der Müllgebühr unverzichtbar erscheinen: So muss die Gebührenregelung auch insoweit einen Anreiz zur Trennung der Abfallfraktionen geben; sie soll geeignet sein, eine breite Akzeptanz der Bioabfalltonne zu erreichen; die Eigenkompostierung darf nicht verboten oder unzumutbar erschwert werden; dem Bürger darf nicht über einen "finanziellen Anschlusszwang" eine Biotonne aufgezwungen werden. Der Senat teilt die Auffassung des erstinstanzlichen Gerichts, dass das Satzungsrecht des Beklagten diese Mindestvorgaben nicht beachtet, weil eine (teilweise) Befreiung vom Anschluss- und Benutzungszwang für kompostierbare Abfälle nicht möglich ist und jeder Anschlusspflichtige zumindest einen Bioabfallnormeimer mit 20 Liter Füllraum bei 14-täglicher Abfuhr für eine jährliche Zusatzgebühr von 35,- € bereitzuhalten hat. Dies lässt sich entgegen der Auffassung des Beklagten auch nicht mit dem Hinweis rechtfertigen, dass es Bioabfälle gibt, die der Einzelne nicht selbst kompostieren kann. Diesem Umstand kann - so der vom Bundesverwaltungsgericht und vom Senat entschiedene Fall - zugunsten des Anschlusspflichtigen dadurch Rechnung getragen werden, dass für eine bestimmte Menge an Bioabfall keine Zusatzgebühr erhoben und er dadurch für die Selbstkompostierung im Übrigen "belohnt" wird. Er darf aber nicht zum Nachteil des Anschlusspflichtigen zur Folge haben, dass deswegen auch für den unproblematisch selbst kompostierbaren Bioabfall ohne jegliche Freigrenze das Vorhalten einer gebührenpflichtigen Bioabfalltonne vorgeschrieben wird.

Eine grundsätzliche Bedeutung kommt den Fragen, "ob die Regelung in § 13 Abs. 1 Satz 1 KrW-/AbfG einen Anschluss- und Benutzungszwang hinsichtlich der Bioabfallbeseitigung ausschließt, obwohl es problematischen Bioabfall gibt, der für eine Eigenkompostierung nicht geeignet ist," und "ob es im Rahmen des dem Satzungsgeber zustehenden Gestaltungsspielraums bei der Ausgestaltung der Abfallgebühr zulässig ist, aus Gründen der geordneten Abfallentsorgung eine Mindestinanspruchnahme hinsichtlich der Bioabfallentsorgung vorzusehen," in Anbetracht der insoweit bereits vorliegenden höchstrichterlichen Rechtsprechung, die insoweit eine differenzierendere Betrachtung gebietet, nicht mehr zu.



Ende der Entscheidung

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